EU-Reifenlabel

EU-Reifenlabel Nicht wie bei Weißer Ware Das neue EU-Reifenlabel lenkt die Aufmerksamkeit derzeit auf die Reifenhersteller. Ab 1. Juni werden Daten veröffentlicht, ab 1. November ist es Pflicht. Was sich ändern könnte, klärt eine Recherche der VR. Gerade wirbelt das Reifenlabel viel Staub auf. Doch der dürfte sich schnell wieder legen: Bridgestone verweist auf eine Studie, laut der gerade einmal acht Prozent der PKW-Fahrer vom Label wissen. Besser sieht es bei den Transportunternehmen aus, die zudem meist genau wissen, welchen Reifen welcher Marke sie warum wo einsetzen. Warum es sich lohnt, genau zu fragen Bernd Korte, Reifenchefentwickler der Conti-LKW-Pneus, erwartet, dass sich „insbesondere für den Kraftstoffverbrauch eine neue Orientierung ergibt. Grundsätzlich haben viele professionelle Kunden auch ohne Label schon eine hervorragende Übersicht über die Leistungsfähigkeit der von ihnen gekauften Produkte.“ Eine Aussage, die die anderen Reifenhersteller und -händler so bestätigen. Angst, dass die günstigeren Marken abgewertet würden, hat Korte nicht. „Kunden, die weniger bezahlen, sind gewohnt, analog weniger Leistungsfähigkeit einzukaufen.“ Eine Aussage, die auch Bridgestone bestätigt. Hämmerling-Geschäftsführerin Barbara Hämmerling ist mit den Ergebnissen für die von ihr vertriebene Marke Athos ebenfalls zufrieden und rechnet damit, mit den Marktbegleitern sehr gut mithalten zu können. Sie erwartet, dass im LKW-Bereich vor allem auf den Rollwiderstand geachtet wird, der für den Spritverbrauch entscheidend ist. Interessant ist die Bandbreite innerhalb der einzelnen Labelklassen, die Conti beim Rollwiderstand zwischen 13 und 20 Prozent angibt. „Es kann sich lohnen, innerhalb einer Klasse den Besten zu finden“, rät Korte. Schnell ein halber Liter gespart Auch Hämmerling nennt konkrete Zahlen: „Um sich um einen Buchstaben zu verbessern, zum Beispiel von C auf B, muss man zwei Prozent sparen.“ Das wären bei 30 l/100 km also 0,6 Liter. Bridgestone ergänzt dazu konkrete Zahlen für einen Standard-Sattelzug: So ließe sich der Spritverbrauch halb beladen zwischen 3,3 bis 5,4 Prozent reduzieren, während bei voller Ausladung gar 3,4 bis sechs Prozent Ersparnis möglich seien, wenn man den Rollwiderstand vom Level C auf B hebt. Weiter wurden bei Bridgestone Abgleichfahrten mit CO2-Messungen gemacht. Dabei wurden bei einem mit 22 Tonnen beladenen Zug auf 385/55-R-22,5-Reifen nur die sechs Trailerreifen ersetzt gegen Pneus, die 1 kg/t weniger Rollwiderstand hatten und damit eine Klasse besser lagen. So konnten rund vier Prozent CO2 respektive Sprit gespart werden. Insgesamt betrage die Spanne zwischen einem komplett in F und einem komplett in A bereiften Zug im Rollwiderstand bis zu 20 Prozent. Neue Trailerreifen sind überhaupt der große Hebel, den jetzt alle Reifenhersteller ansetzen: Letzte Neuerscheinung ist der Michelin X Multi T in 385/55 R 22,5, dessen Lauffläche über den Stoff Carbion verfügt. Das soll die Abriebfestigkeit und damit die Laufleistung gegenüber dem Vorgänger XTE 2 um bis zu 15 Prozent erhöhen. Außerdem soll ein Multi T rund acht Kilo leichter sein. Damit dürfte auch Michelin die komplette Fernverkehrsserie ins Segment „AC“ bringen (der Rollwiderstand wird immer zuerst genannt). Die Kosten fürs Label fallen laut Korte nicht in der (Neu-)Konstruktion an, sondern bei der Logistik und Administration des Labels, das je nach Reifengröße variieren wird. Konkreter ist da Hämmerling: Sie veranschlagt rund zwei Prozent Mehrpreis für die gelabelten Athos-Reifen. Interessant ist im Zusammenhang mit dem Label auch der Ausbau der Runderneuerung: Alle Premiumhersteller haben in ihre Anlagen investiert respektive sich mit den Größen des Runderneuerungsbusiness zusammengetan. Conti forcierte die Zusammenarbeit mit Reifen Ihle in Günzburg, während Goodyear-Dunlop in Wittlich und Bridgestone in Ungarn ein neues Bandag-Werk errichteten. Die weiter steigenden Energie- und Rohstoffkosten spielen diesem Trend in die Hände. Der „AA“-Reifen, analog zur Weißen Ware, werde nach Aussage der Reifenhersteller aber noch „viele Jahre und ganz viel Arbeit“ in Anspruch nehmen. ❙❚■ Gregor Soller Auch die Super-Singles werden zertifiziert Anschaulich demonstriert: Vorreiter des Umweltlabels war die Weiße Ware Winterreifen werden gelabelt, Offroadpneus nicht Ein richtiger Schritt Schon vor dem Reifenlabel strukturierte Michelin die Kennzeichnung seiner Reifen um. Statt kryptischer Abkürzungen und Zahlen kennzeichnen jetzt die Worte Line, Multi, Incity, Works, Coach und Force die einzelnen Segmente, die durch anschauliche Bilder unterstützt werden. Die Radpositionen geben die Kürzel F (Front), D (Drive), T (Trailer) und Z (alle Positionen) wieder. Außerdem vergrößerten die Franzosen die Aufschriften. Ergänzend zum Label dürfte das den Reifenkauf tatsächlich vereinfachen, denn gerade wenn die Reifenabsprachen durch mehrere Hände gehen, kann es schnell zu Verdrehungen und Verwirrung beim Bestellen kommen. gs Klarer: Die neue Michelin-Kennzeichnung Neue Kennzeichnung bei Michelin EU-Reifenlabel Die Unterschiede zwischen Label A und F sind enorm Im Interview erklärt Rainer Landwehr, Vorsitzender der Geschäftsführung Goodyear Dunlop Tires Germany GmbH, welche Auswirkungen er vom Reifenlabel erwartet und wo er seine Produkte sieht. Wird das Reifenlabel bei den Kunden zur Umorientierung im Kaufverhalten führen? Rainer Landwehr: Wir befürworten das Label, allerdings wird damit nur eine Orientierungshilfe gegeben. Marktforschungen und Gespräche mit Endkunden und Reifenhandel ergaben, dass unsere professionellen Kunden das Label nur zur Orientierung nutzen werden. Zur Qualität eines Reifens gehören viel mehr Kriterien, um die die Profis wissen. Die Beratung durch Fachhandel und Außendienst wird trotz Label sehr wichtig bleiben. Tut Ihnen das bei den Nicht-Premium- Marken dann nicht weh? Das Label unterstützt auch die Markendifferenzierung und wir rechnen, dass der Kunde die zu erwartenden Unterschiede akzeptiert. Schwerer wiegt da eher, dass auch Winterreifen nach den gleichen Kriterien bemessen werden. Die liegen aufgrund anderer Anforderungen teils schlechter als vergleichbare Sommerreifen. Über die Hälfte des gesamten Portfolios unserer beiden Premiummarken Goodyear und Dunlop im Bereich Lkw liegt in der Kategorie CC oder besser. Bei Goodyear haben wir mit dem Marathon LHT II sogar seit zwei Jahren einen Reifen mit A im Rollwiderstand und C bei der Nässehaftung. Auch im Segment, das vor allem preisbewusste Käufer anspricht, haben wir mit der Marke Fulda viele Produkte, die in einigen Größen ein B im Rollwiderstand und ein C in der Nasshaftung oder ein C im Rollwiderstand und ein B in der Nasshaftung besitzen. Was wird eine Verbesserung um einen Buchstaben im Handel kosten und was ist dafür an Spritersparnis zu erwarten? Das Label wird auf die Preisfindung keinerlei Auswirkung haben, da die Reifen nach 50 Kriterien entwickelt werden, von denen das Label ja nur Teilaspekte herausgreift. Außerdem erreichen die verschiedenen Formate ein und desselben Reifenmodells unterschiedliche Einstufungen. Dazu kommen extrem unterschiedliche Einsatzprofile im Alltag. Im LKW-Segment sähe man gern noch ein Laufleistungslabel … Wie gesagt, bei der Reifenentwicklung analysieren wir mehr als 50 Kriterien, wobei das Label die wichtigsten Werte, die der Kunde selbst nicht ermitteln kann, zusammenfasst. Hier braucht es reproduzierbare Angaben. Anders ist das bei der Laufleistung, die der Kunde selbst messen kann. Aber auch hier schwankt das Potenzial desselben Modells zwischen 50.000 und 400.000 Kilometern! Führt das Label nicht zu „labelorientierten“ Entwicklungen analog den Prüfstandsverbräuchen in der PKW-Industrie? Niemand möchte einen „Labelreifen“ – dazu ist das Gesamtpakt zu komplex. Es gibt für jede Neuentwicklung ein umfassendes Anforderungsprofil, das mit den Kriterien des Reifenlabels nicht annähernd abgedeckt würde. Wichtig ist dabei auch die Runderneuerung, die im Nutzfahrzeugbereich rund fünf Prozent des Gesamtvolumens ausmacht. Wir entwickeln Reifen für den Kunden und nicht fürs Label. Wird das Label zu höheren Preisen führen – wenn ja, um wie viel? Der Entwicklungs- und Zertifizierungsaufwand ist immens. Jeder einzelne Reifen musste auf seine Gradings getestet werden, was viel Entwicklungskapazität band. Auf die Preise dürfte sich das aber nicht auswirken. Hier sehen wir weiterhin die Rohstoff- und Energiekosten als maßgebliche Treiber – und erwarten, dass diese Kosten künftig weiter steigen. Gab es zwischen den Größen unterschiedliche „Erfüllungsschwierigkeiten“ beim Erreichen der Gradings? Wann wird es den AA-Reifen geben? Wie gesagt, das Label muss individuell für jeden einzelnen Reifen und jede einzelne Größe getestet werden: Reifen ist nicht gleich Reifen, auch wenn es ein und dasselbe Modell ist. Ein Reifen hat in der Größe 315/70 R22,5 einen anderen Rollwiderstand als in 385/65 R 22,5. Der Endverbraucher kennt die Kennzeichnung von der Weißen Ware und erhält durch das Reifenlabel einen ersten Anhaltspunkt beim Kauf. Aber im Gegensatz zur Weißen Ware sind die Kriterien für einen AA-Reifen sehr hoch. Der Zielkonflikt der Reifenentwicklung zwischen Rollwiderstand, Laufleistung, Nasshaftung und anderen sicherheitsrelevanten Kriterien ist eine Herausforderung, die wir dort gern annehmen, wo es für unsere Kunden Sinn macht. Im Fernverkehr haben wir mit dem Goodyear Marathon LHT II einen Reifen mit AC und mit dem Regional RHS II einen Pneu mit CA. Diese beiden Reifen bieten nach heutigem Stand der Technik in ihrem Segment die jeweils optimale Leistung. Wie groß sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Buchstaben? Die sind enorm: Bei einem Standard-40-Tonnen-Zug mit Zweiachszugmaschine und Dreiachssattel können zwischen A und F 4,74 Liter Mehrverbrauch und ein um 25 Meter längerer Bremsweg liegen! gs Interview Rainer Landwehr