Diesel ersetzt die Zündkerze

Eigentlich hätte man an dieser Stelle das Benziner-Säuseln erwartet, das für Erdgasmotoren typisch ist. Stattdessen entwickeln die neuen Volvo FH und FM LNG nach dem obligatorischen Dreh am Zündschlüssel fast das identische Motorengeräusch wie ihre Dieselpendants. Ein erster Hinweis darauf, dass die Schweden bei ihren Gasern einen anderen Weg einschlugen als Iveco oder Scania bei ihren Erdgasmotoren. Die arbeiten nach dem Otto-Prinzip, also mit Zündkerze, die im Zylinder die Verbrennung auslöst, was ein weicheres Motorengeräusch zur Folge hat. Das Dieselprinzip bringt mehr Leistung Nachteil dieser Technologie ist eine um 15 bis 25 Prozent schlechtere Effizienz als bei einem vergleichbaren Dieselmotor. Zudem erreichen Otto-Gaser nicht die Leistungsdaten eines Diesel. Für Volvo Grund genug bei seinen beiden neuen Gasern, G13 genannt, die technisch auf dem D13-Sechszylinder basieren, ein komplizierteres Verfahren anzuwenden. Dabei übernimmt Diesel die Rolle der Zündkerze. Dafür wird wenige Millisekunden vor dem Erdgas eine geringe Menge Diesel in den Brennraum eingespritzt. Durch die anschließende Verdichtung entzündet sich der Diesel und entflammt das Erdgas mit. Möglich machen das spezielle Injektoren, mit zwei konzentrischen Nadeln, die Diesel und Gas gleichermaßen direkt einspritzen beziehungweise einblasen. Der Lohn der Mühe: Der Fahrer spürt so gut wie keinen Unterschied zum normalen D13-Dieselmotor. Denn abgesehen vom Motorengeräusch ist auch bei der Kraftentfaltung kaum ein Unterschied zu den Dieselbrüdern auszumachen. Auf 2100 Newtonmeter Drehmoment ab 1000/min bringt es die schwächere Einstellung mit 420 PS. Der Diesel kommt auf die gleichen Werte, liefert das maximale Drehmoment lediglich 140 Touren früher. Ähnlich sieht es beim um 40 Pferdestärken stärkeren Bruder aus, der seine Höchstleistung an Drehmoment bei 1100 Touren und damit 200/min später bereitstellt als der 460 PS starke Diesel-D13. I-Shift auch beim LNG serienmäßig Eine Differenz, welche das serienmäßige und gewohnt souverän schaltende I-Shift-Getriebe durch entsprechend frühere Rückstufungen ausgleicht. Auf diese Weise gehen beide Gaser kraftvoll und ungleich stärker als die Erdgasmotoren anderer Hersteller zur Sache. Beiden Motoren bereitete die bergige Topografie Spaniens während der ersten Testfahrten nicht mehr Probleme als den parallel mitlaufenden 420er- oder 460er-Diesel-FH, die selbst an steilen Stichen keine Meter gewinnen konnten. Gleiches gilt bergab, denn die Selbstzünder-Gaser können auf die gleichen Verzögerungswerte (maximal 510 PS) der verstärkten Motorbremse VEB+ zurückgreifen wie die Diesel. Beim Otto-Prinzip ist eine Motorbremse bauartbedingt dagegen nicht möglich, hier ist deshalb ein Retarder obligatorisch, den die Schweden optional offerieren. Schließlich traut Volvo seinen LNG-Motoren Zuggesamtgewichte von bis zu 64 Tonnen zu - in Skandinavien dürfen bekanntlich höhere Fahrzeuggewichte auf die Straßen. Lieferbar sind die Gas-Volvos als FH oder FM, als 4x2-, 6x2- oder 6x4-Sattelzugmaschine. Die gleichen Achskonfigurationen gelten auch für die Fahrgestelle, die es in verschiedenen Radständen gibt. Drei Betriebsstoffe sind bei Volvo nötig Doch auch für die Volvo-Erdgaser gilt: Es gibt keinen Vorteil ohne Haken. Neben dem Zutanken von Diesel gestaltet sich die Abgasreinigung der LNG-FH/FM deutlich aufwändiger als zum Beispiel im Vergleich zu Ivecos NP-Erdgasern, denen ein einfacher Drei-Wege-Katalysator genügt, um die Euro-6-Grenzwerte einzuhalten. Volvo muss dagegen vor allem für die Bekämpfung der Stickoxide das volle Programm aus SCR-Kat mit Adblue-Einspritzung, Abgasrückführung und Dieselpartikelfilter bemühen. Die Gasmodelle bauen daher schon mit leeren Tanks mindestens 100 Kilogramm schwerer als die Diesel und der Fahrer muss den Füllstand von drei Betriebsflüssigkeiten im Auge behalten. LNG prädestiniert für den Fernverkehr Wohlgemerkt Flüssigkeiten, denn für die FM und FH LNG sieht Volvo den Einsatz im Regional- und Fernverkehr vor. Hier sind entsprechende Reichweiten gefragt, mit Erdgas in seiner ursprünglichen, gasförmigen Form nicht zu machen. Weshalb Volvo auf den gleichen physikalischen Trick zurückgreift wie die Konkurrenten Iveco und Scania. Denn der Namenszusatz LNG steht für Liquefied Natural Gas, also verflüssigtes Erdgas. Dafür wird das Gas in der Raffinerie auf 161Grad Celsius heruntergekühlt, wodurch es seinen Aggregatzustand von gasförmig in flüssig wechselt. In dieser Form weist es nur noch knapp ein Sechshundertstel des Volumens im gasförmigen Zustand auf, was höhere Reichweiten mit einer Tankfüllung ermöglicht. Mit den größten Tanks (insgesamt 495 Liter), die per Vakuum isoliert sind und das Erdgas auch ohne zusätzliche Kühlung über Wochen kühl und damit flüssig halten, sollen laut Volvo locker bis zu 1000 Kilometer drin sein. Alternativ bietet der Hersteller auch kleinere und damit leichtere Tanks mit 275 oder 375 Litern Fassungsvermögen an. Immer 170 Liter Fassungsvermögen hat der Dieseltank auf der rechten Rahmenseite. Bevor das Gas im Brennraum verwertet werden kann, muss der gasförmige Zustand wiederhergestellt werden. Eine im Tank montierte Hydraulikpumpe fördert das flüssige Erdgas aus dem Behälter, im gleichen Zug erfolgt die Erwärmung, wofür Volvo die Abwärme des Motors nutzt. In diesem Umstand liegt auch begründet, dass die G13-Sechszylinder den Kaltstart stets mit 100 Prozent Diesel absolvieren. Erst bei entsprechenden Temperaturen wird Gas zugeführt. Das wird nach dem Aufwärmen im Aufbereitungsmodul auf den nötigen Druck für die Verbrennung gebracht, bevor es Richtung Zylinder gelangt. Das Beimischungsverhältnis des Diesels gibt Volvo mit fünf bis zehn Prozent an. Ob das stimmt, kann erst die ausstehende Fahrt über die VR-Testrunde klären. Die Schweden sind jedenfalls sicher, dass der Umstieg auf die LNG-Modelle trotz der drei Betriebsstoffe und einem sicher deutlich höheren Anschaffungspreis, den Volvo bis Redaktionsschluss nicht konkret benennen wollte, bei vielen Einsätzen lohnt. Auch weil der Staat die Anschaffung eines LNG-Lastwagen wohl bald mit bis zu 30.000 Euro bezuschusst. Zusätzlich kommt das Kilo Erdgas (was vom Energiegehalt 1,39 Litern Diesel entspricht) 40 Prozent günstiger als ein Liter Diesel. CO2-Einsparungen werden nötig Unverzichtbar wird der LNG-Volvo spätestens, wenn Metropolen mit ihren angedrohten Einfahrverboten ernst machen oder Verlader verstärkt auf einen günstigen CO2-Fußabdruck ihrer Transporteure Wert legen. Denn die EU wird mittelfristig den Druck auf Unternehmen erhöhen, um die bis zum Jahr 2030 angepeilten Treibhausgasemissionen zu schaffen. Und hier punkten LNG-Lkw mit 90 Prozent weniger Partikel-, 40 Prozent weniger Stickoxid-Emissionen und mindestens zehn Prozent weniger CO2-Ausstoß - bezogen auf aktuelle Euro-6-Diesel. Größter Knackpunkt ist aber noch das in Deutschland fehlende Tankstellennetz. Mehrere Energieversorger hätten das Potenzial des neuen Geschäftsfeldes aber bereits erkannt und seien auch in der Planung für mehrere Stationen, berichten die Schweden. Dann stünde dem Erfolg der Gaser nichts mehr im Weg. Auch nicht der Fahrer, schließlich gehen die Volvo LNG genauso kraftvoll zur Sache wie ein Diesel. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau-plus.de Keine Angst vor LNG Liquefied Natural Gas gilt als sicherer Kraftstoff Geht es um das Thema Gas, schrillen bei vielen die Alarmglocken. Begriffe wie Explosions- und Verpuffungs- oder Erstickungsgefahr schwingen dann im Raum. Liquefied Natural Gas (LNG) gilt dagegen als eher ungefährlicher Kraftstoff. In flüssiger Form ist Erdgas nicht brennbar und auch der Austritt von kleineren Mengen in die Umwelt darf als ungefährlich bezeichnet werden, weil sich das Gas in der Atmosphäre verflüchtigt. Gefahr droht, wenn die Tanks bei einem Unfall oder Fahrzeugbrand bersten sollten. Auch hier sieht Volvo allerdings keine Gefahren. Die LNG-Tanks müssen strenge Crashtests überstehen und verfügen über zwei Sicherheitsventile. Die öffnen, sobald der Druck zu groß wird, damit das Gas kontrolliert abbrennt. So sollen die Tanks auch ein 20-minütiges Feuer überstehen.bj Kommentar Selbst- oder Fremdzünden? Ich war bis zur ersten Testfahrt skeptisch ob der von Volvo angepriesenen Fahrleistungen der neuen LNG-Motoren. Doch die Gaser fahren wirklich genauso gut wie die vergleichbaren Diesel. Das erkauft sich Volvo allerdings mit dem Zutanken von Diesel und AdBlue. Ob die Unternehmer bereit sind, für das Mehr an Leistung insgesamt drei Betriebsstoffe regelmäßig tanken zu müssen, oder sie lieber gleich auf 100 Prozent Erdgas (wie bei Iveco) setzen und dafür auf etwas Power verzichten, wird die Zukunft zeigen.jan.burgdorf@springernature.comJan Burgdorf VR-Testredakteur