Volvo FH Aero Electric im Test: Reichweite, Ladezeit & Performance im Detail

Wie die Entwicklung voranschreitet: 2021 war der Volvo FH Electric der erste batterieelektrische Lkw überhaupt, der über die 343 Kilometer lange Testrunde der VerkehrsRundschau rollte. Ohne einen Zwischenstopp an der Schnellladesäule war diese Distanz mit dem redaktionseigenen Test-Auflieger auf der Sattelplatte für den Schweden allerdings nicht zu schaffen. Seitdem sind vier Jahre vergangen. Zeit, die die Konkurrenten nutzten, um aufzuholen oder gar am Volvo vorbeizuziehen - zumindest auf der VR-Runde. Beispielsweise der Mercedes-Benz eActros 600 (VR 7/2024), oder der Scania 45 R (VR 24-25/2024). Beide Stromer hatten keine Probleme, die Testdistanz zu schaffen, ohne das Kabel zwischendurch an eine der weiterhin rar gesäten Lkw-Ladesäulen anstecken zu müssen. Technische Daten Volvo FH Aero Electric Motoren Vollelektrischer Antrieb über 3 Permanent-Magnet-Elektromotoren,WasserkühlungLeistung: 3 x 163 kW (222 PS)Gesamtleistung: 490 kW (666 PS)Gesamtleistung im Peak: 600 kW (816 PS)maximales Drehmoment: 2400 Nmmax. Drehzahl der Motoren: 6000/minMaximale Rekuperationsleistung: 390 kW Kraftübertragung automatisiertes Schaltgetriebe,Hersteller: Volvo Group; Typ: I-Shift AT2412; Range- und Splitgruppe,12 Vorwärtsgänge (im Normalfall nur Nutzung der oberen Getriebegruppe),4 Rückwärtsgänge, Kraftübertragung per Kardanwelle an die Hinterräder,Hinterachsübersetzung: i=2,64 Batterien & Ladezeit Batterie-Typ: Lithium-Nickel-Kobalt-Aluminium-Oxid, modularer Aufbau,Wasserkühlung, BatteriepaketeTestfahrzeug: 6Brutto-Kapazität pro Paket: 90 kWhMaße Batteriepaket: 768 x 684 x 668 cmGewicht pro Batteriepaket: 500 kgBrutto-Gesamtkapazität: 540 kWhNetto-Gesamtkapazität: 421 kWh(alternative Versionen mit geringerenBatteriekapazitäten lieferbar)Ladeleistung AC: 43 kWLadeleistung DC: bis zu 250 kW Fahrwerk vorn: 8,0-t-Lenkachse, serienmäßig Zweibalg-Luftfederunghinten: 13,0-t-Antriebsachse, Vierbalg-Luftfederung Maße & Gewicht Radstand: 3800 mm, Leergewicht (Test-SZM): ca. 10.590 kg(ohne Fahrer, inklusive 540 kWh-Batterie) "Nur" 421 nutzbare kWh an Bord Warum das so ist? Weil sie mehr Strom mit auf die Strecke nehmen, Stichwort Netto-Batteriekapazität. 600 Kilowattstunden (kWh) sind es sowohl beim eActros 600 als auch beim E-Scania, mit denen auch beladen Reichweiten von 500 Kilometern locker drin sind. Wegen seines konventionellen Konzepts mit dem vom Diesel übernommenen und vergleichsweise platzraubenden I-Shift-Getriebes, samt klassischer Kraftübertragung per Kardanwelle, bietet der Volvo höchstens 540 kWh Brutto-Kapazität. Von denen die vorsichtigen Schweden zudem nur 421 Kilowattstunden nutzbar ausführen, die in Kombination mit der neuen windschlüpfigeren Aero-Nase bis zu 350 Kilometer Reichweite ermöglichen sollen. Theoretisch lässt sich die Testrunde also ohne einen Ladestopp schaffen, es wird aber eine enge Kiste! Elektrofeindliche Bedingungen Zumal es der Wettergott am Testtag nicht gut mit dem in "Premium Light Metallic" lackierten Testfahrzeug meint. Dunkle Wolken stehen am Himmel, der Wetterbericht orakelt über kühle Temperaturen, regelmäßige Regenschauer und viel Wind. Gute Bedingungen für unser Vorhaben sehen anders aus! Trotzdem satteln wir unseren Krone-Testtrailer auf, mit dem inklusive der 10.590 Kilo schweren Zugmaschine knapp 35 Tonnen zusammenkommen. Vorher dockten wir noch solo am Pkw-Schnelllader an, um die sechs Lithium-Nickel-Kobalt-Aluminium-Batteriepakete à 90 kWh bis zum Rand zu füllen und auf Betriebstemperatur zu bringen. Mit Lkw-tauglichen Ladesäulen sieht es im Raum München weiterhin leider mau aus. Nach der Elektroweisheit "je höher der Batteriestand, desto entspannter die Fahrt" genießen wir die ersten Kilometer im Electric in vollen Zügen. Mag der Antriebsstrang des Göteborgers nicht zu den modernsten gehören, treiben die drei zwischen den Längsrahmenträgern platzierten Permanent-Synchron-Motoren den Sattelzug mühelos auf Reisetempo. Schließlich liefern sie in Summe 490 Kilowatt (kW) Dauerleistung, was umgerechnet 666 PS entspricht. Und legt man es drauf an, sprich tritt das Fahrpedal bis zum Anschlag durch, stehen kurzzeitig noch mal 150 Pferdestärken mehr bereit! Bewertung Volvo FH Aero Electric Motor/Antrieb (max. 140)Getriebe/Kupplung (max. 140)Bremsen (max. 120)Lenkung (max. 40)Pedale (max. 20)Fahrverhalten (max. 60)Sicht (max. 50)Klima/Lüftung (max. 50)Sitze (max. 40)Armaturen/Instrumente (max. 50)Scheibenwischer (max. 30)Fahrerhaus (max. 240)Gesamtwertung (max. 980): 1341261063616544643354424204868 Testurteil + sehr komfortabler und kraftvoller Antriebsstrang, „e-typisch“ souverän, sehr leise Geräuschkulisse, kaum merkliche Gangstufenwechsel, komfortables Fahrwerk - hoher Anschaffungspreis im Vergleich zum Diesel, verglichen mit anderen E-Lkw eingeschränkte Reichweite, deutlich höheres Leergewicht als ein Diesel Die kleine Gruppe hat Pause Auch von den Gangwechseln des zwölfgängigen I-Shift-Getriebes nimmt man kaum Notiz, zumal viele davon sowieso nicht passieren. Selbst beim Anfahren kommt fast immer nur die obere Schaltgruppe ab Gang 7 zum Einsatz. Das trägt zum unaufgeregten Auftritt des Strom-Volvos bei, der für jeden Elektro-Lkw gilt. Sogar an den steilsten Bergen sind keinerlei Anstrengungen aus dem Maschinenraum spürbar. Außer dezenten Summgeräuschen bleibt es herrlich ruhig im Globetrotter XL, nur das Abrollgeräusch der Reifen und der gegen die Volvo-Front drückende Fahrtwind sind zu vernehmen. Doch selbst der offenbart mehr Zurückhaltung, was an der Aero-Nase und dem serienmäßig verbauten Kamerasystem liegen dürfte. Zusätzlich zieht auch die Steuerungselektronik des Volvos alle Register, um den Stromverbrauch des Sattelzugs nach unten zu korrigieren. Dafür nutzt sie die von uns gewählte Hysterese von +/- 5 km/h im GPS-Tempomaten bei gesetzten 85 km/h bestmöglich. Bergab beispielsweise lässt die Elektronik den FH bewusst nicht an der 90-km/h-Grenze im widerstandsfreien Neutralmodus zu Tal rollen, sondern schaltet im Gefälle auf Generatorbetrieb. Dadurch wird Strom zurückgewonnen, der das Akkulevel wieder etwas erhöht, wodurch es im Gegenzug aber eben ein paar km/h langsamer bergab geht. Auch ohne diesen Trick spüren wir förmlich, dass die Rollphasen heute deutlich kürzer ausfallen, als wir es von anderen Elektro-Testfahrten mit unserem Testauflieger auf der Sattelplatte kennen. Zu sehr bläst der Wind um die Kabine, zu viel Regenwasser erhöht vor den zwölf Reifen des Sattelzugs den Rollwiderstand. Auf dem Autohof Hilpoltstein an der A 9 kurz hinter Nürnberg, wo die gesetzlich geforderte Pause ansteht, werden die Sorgenfalten daher mehr. Zwar ist hier schon über die Hälfte der Strecke geschafft, die kleine Akkuanzeige unten links im digitalen Zentraldisplay vermeldet aber nur noch etwas über 50 Prozent Kapazität. Viel Luft bleibt also nicht. Wir hoffen auf die 51 Kilometer lange Landstraßenetappe, die wegen des geringeren Tempos den Verbrauch doch eigentlich nach unten korrigieren sollte? Tut sie, allerdings nicht in der Weise wie erhofft, denn der Wind bläst hier frontal von vorn. Daher wird es auf der letzten Etappe richtig spannend. Die ist mit 37 Kilometern über die A 8 gen München zwar kurz, es bleiben aber nur noch 19 Prozent Batteriekapazität. Zur Sicherheit schauen wir uns am Rand der Strecke schon mal nach einer alternativen Ladestation um, sind bisher aber noch guter Hoffnung. Verbräuche und Geschwindigkeiten: 342,8-Kilometer-Teststrecke kWh/100 km km/h Autobahn medium (35 t)A 9 Allershausen – A 93 Regensburg 103,3 83,36 Autobahn hügelig (35 t)A 3 Regensburg – Nürnberg 107,67 83,38 Autobahn Rolletappe (35 t)A 9 Nürnberg – Langenbruck 104,79 82,58 Landstraße (35 t)Langenbruck – Dasing 101,39 61,96 Autobahn leicht (35 t)A 8 Dasing – A 99 AS M-Ludwigsfeld 105,41 82,59 Durchschnitt: 104,78 79,05 Energieeffizienz im Vergleich Volvo FH Aero Electric Volvo FH Aero 420 Diesel Verbrauch Testrunde pro 100 km*1 104,78 kWh/100 km 21,20 l/100 km*2 Verbrauch Testrunde pro km*2 1,2478 kWh/km 0,212 l/km Energieverbrauch pro km 1,0478 kWh/km 2,077 kWh/km*3 *1: VerkehrsRundschau-Profitest-Runde: 342,8 km*2: Ohne AdBlue-Anteil*3: Diesel: Dichte 830 kg/m³ flüssig, Heizwert 11,8 kWh/kg = 9,8 kWh/l Rangemodus ab 15 Prozent Die Volvo-Elektronik sieht die Sache weniger positiv und lässt beim Erreichen der 15-Prozent-Marke die unmissverständliche Aufforderung im Display erscheinen, doch bitte dringend eine Ladestation aufzusuchen. Im gleichen Atemzug leitet der FH Manöver ein, um noch ein paar Kilometer mehr Restreichweite rauszuholen: Der sogenannte Rangemodus wird aktiv, der den Betrieb sämtlicher, nicht sicherheitsrelevanter Stromverbraucher einschränkt und das Höchsttempo im Tempomaten auf 80 km/h begrenzt. Spätestens hier sollte jeder Fahrer/jede Fahrerin tunlichst am Starkstrom andocken, wir allerdings wissen wenige Kilometer nach dem Ende unserer Testrunde um eine leistungsfähige Ladesäule, die für uns reserviert ist. Also weiter, wenn auch mit zunehmend schweißnassen Händen! Mit sechs Prozent Kapazität und 25 Kilometern Restreichweite geht es über die Ziellinie und zwei Prozent später zieht der Electric mit den maximal möglichen 250 kW seinen dringend benötigten Lebenssaft aus der Ladesäule. Mission erfüllt, aber diese Testfahrt hat Nerven gekostet! Wobei die Sache unter besseren Wetterbedingungen wahrscheinlich viel entspannter ausgegangen wäre. Was wir nach der Testfahrt aber sagen können: 330 Kilometer Fahrstrecke sind mit dem FH Aero Electric bei (fast) jedem Wetter drin. Wem die nicht genügen, sollte auf das 2026 kommende Update warten. Dieses beinhaltet leistungsstärkere Batterien und dank neuer E-Achse samt integriertem Getriebe deutlich mehr Raum für diese. Damit sollte die Maximal-Reichweite des Volvo mindestens auf dem Niveau der Wettbewerber liegen. Fazit Kapazität beruhigt die Nerven Bitte nicht nachmachen, möchte ich nach dieser Testfahrt dringend empfehlen! Denn das Ausreizen der Batteriekapazität kostet viele Nerven und das nicht erst zum Ende der Strecke. Was auch gesagt werden muss: In einem anderen Fabrikat wäre die Testfahrt wohl deutlich entspannter verlaufen. Hier offenbart sich eben die derzeit größte Schwäche des Elektro-Pioniers: Dem Volvo mangelt es einfach an Batteriekapazität. Aber in diesem Punkt wird man in Göteborg ja bald nachlegen. jan.burgdorf@tecvia.com