Deutscher Logistik-Kongress

Deutscher Logistik-Kongress Warnung vor der Effizienzfalle Logistikunternehmen müssen noch stärker die Zukunft im Auge behalten. So eine Kernbotschaft vom 29. Deutschen Logistik-Kongress in Berlin. Outsourcing von Logistikleistungen ist weiterhin gefragt. Sind wir auf dem richtigen Kurs? Erkennen die Kapitäne der Logistikbranche die gefährlichen Untiefen der Zukunft? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch viele der Hauptvorträge des 29. Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin. Am Nachdenklichsten dazu die Antwort von Karl Gernandt. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates des Logistikkonzerns Kühne + Nagel beklagte, dass viele Manager ihr Unternehmen nur auf Effizienzverbesserungen ausrichteten. Wer seine Mitarbeiter aber nur auf dieses Ziel fixiere, gerate schnell in eine Effizienzfalle, so Gernandt, der vor einem Jahr die Führung des Schweizer Logistikunternehmens vom 75-jährigen Inhaber Klaus-Michael Kühne übernommen hatte. Ebenso wichtig: die Relevanz der angebotenen Dienstleistungen und Produkte immer wieder zu hinterfragen. „Das ist die eigentliche Herausforderung“, so der 52-Jährige. Wer zusammen mit seinen Mitarbeitern das eigene Handeln nicht permanent mit den globalen und lokalen Zukunftsentwicklungen abgleiche, laufe Gefahr, die Relevanz seines Unternehmens am Markt zu verspielen. Als Beispiel nannte Gernandt die Pleite des traditionsreichen Fotofilmherstellers Kodak, der in wenigen Jahren durch die rasante Entwicklung der digitalen Fotografie aus dem Markt gestoßen wurde. Und das, obwohl einzelne Kodak-Manager sogar frühzeitig ein Patent auf die digitale Bildtechnik angemeldet hatten. Dass solche „Relevanzverluste“ keinen Einzelfall darstellen, zeigten auch die Entwicklungen am hart umkämpften Markt für Mobiltelefone und Smartphones, ergänzten einige Kongressteilnehmer die Ausführungen des Kühne-Chefs. Auch Hans-Bernd Veltmaat vom Agrar-technikhersteller AGCO erinnerte in seinem Vortrag daran, dass erfolgreiche Unternehmen künftige Ereignisse antizipierten. Ein effektiver Logistikmanager müsse deshalb sowohl „Pragmatiker als auch Futurist sein“, sagte der oberste Supply-Chain-Manager des weltweit stark wachsenden US-Unternehmens. Als Megatrends, die jeder Logistiker im Auge behalten sollte, wurden in Berlin nahezu einheitlich von allen Rednern definiert: die Globalisierung, die demografische Entwicklung, technologische Entwicklungen und die Endlichkeit von natürlichen Ressourcen. Alle vier keine neuen Megatrends. Interessant aber die unterschiedliche Gewichtung der Zukunftsentwicklungen. Für Agrar-Manager Veltmaat die alles entscheidende Größe: das Wachstum der Weltbevölkerung von heute rund sieben Milliarden auf rund acht Milliarden Menschen im Jahr 2025. Zusammen mit einem Ansteigen des Wohlstandes in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern führe dies zu einem Anstieg der notwendigen Lebensmittelproduktion von 50 bis 150 Prozent. Eine Entwicklung, die auch Kühne + Nagel-Chef Gernandt sieht und der deshalb dem Basisrohstoff des Lebens, dem Trinkwasser, eine immer wichtiger werdende Bedeutung zuschreibt. „Ist das der Markt der Zukunft?“, fragte der Kühne-Manager. „Ich weiß es nicht“, seine ehrliche Antwort. Aber generell gelte: Die Logistik profitiere umso mehr, je ungleicher wichtige Waren und Rohstoffe in der Welt verteilt sind. Und bei steigendem Wohlstand und steigender Zahl der Weltbevölkerung werde der Bedarf an Wasser in einigen Regionen stark zunehmen, prophezeite Gernandt. Rekordjahr für Logistikbranche Dass auch die Logistik in Deutschland nach wie vor vom internationalen Warenhandel profitiert, zeigten die aktuellen Branchenzahlen, die Raimund Klinkner den rund 3300 Kongressbesuchern als Gastgeber präsentierte. Demnach erreichte die Logistik im Jahr 2011 ein berechnetes Umsatzvolumen von 223 Milliarden Euro. Das sind sechs Prozent mehr als im Jahr 2010. „Das Jahr 2011 ist damit ein absolutes Rekordjahr für die Logistik“, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung Logistik (BVL) die Zahlen. Für das Jahr 2012 erwartet die BVL ein Wachstum von bis zu drei Prozent, was ein Anwachsen auf bis zu 228 Milliarden Euro bedeuten würde. Die Zahl der Beschäftigten in der Logistikbranche nahm laut der BVL-Studie „Top 100 der Logistik“ von 2010 auf 2011 um vier Prozent zu. Demnach zählt die Logistik derzeit 2,82 Millionen Erwerbstätige. Die ermittelten Umsatz- und Beschäftigungszahlen umfassen dabei sowohl die Umsätze und Mitarbeiter in der Logistikdienstleistungsbranche als auch die Beschäftigen und Kosten der Logistik in Industrie- und Handelsunternehmen. Dass das rasante Wachstum der Logistikbranche aus den vergangenen zwei Jahrzehnten sich aber nicht im gleichen Tempo fortsetzen werde, zeigte Ottmar Gast in seinem Vortrag auf. Denn bei der Transportelastizität sei „ein negativer Trend zu beobachten“, so der Sprecher der Geschäftsführung der Reederei Hamburg Süd. Lag das Verhältnis zwischen relativer Veränderung des globalen Containertransportvolumens und des Welt-Bruttoinlandsproduktes (BIP) vor zehn Jahren noch bei einem Faktor von über 3,5, so nähert sich dieser mittlerweile einem Wert von 1,5 an. Hauptursachen für diese Entwicklung: Nahezu alle Güter, bei denen es Sinn macht, werden mittlerweile per Container befördert. Außerdem sei eine Abnahme der weltweiten Arbeitsteilung aufgrund geringerer Lohnkostenunterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern zu beobachten. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Wachstumszahlen in der Logistik sich abschwächen, so Gast. „Ich habe starke Zweifel, dass es zu einer Verdopplung der prognostizierten Umschlagsmengen in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren kommt“, sagte der Reederei-Manager. Dies sei bei der Infrastrukturplanung zu beachten. Trotzdem plädierte das BVL-Vorstandsmitglied für einen Ausbau der Infrastruktur in Deutschland. Verdopplung der Infrastrukturausgaben BVL-Chef Raimund Klinkner forderte in Berlin indes eine Verdopplung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. „Dabei sollten wir uns nicht allein auf den Ausbau der physischen Infrastruktur konzentrieren, sondern auch die Ablauforganisation gilt es zu verbessern“, sagte der ehemalige Knorr-Bremse-Chef. So seien zum Beispiel Nadelöhre bei der Zollabwicklung, unter anderem durch Medienbrüche beim Austausch von Verladedokumenten, unbürokratisch zu beseitigen. Woher die Finanzmittel für die Verdopplung der Infrastrukturausgaben kommen sollen, ließ Klinkner dabei offen. Auf Nachfrage verwies er auf die starke Zunahme der Kosten durch Verkehrsstaus auf deutschen Straßen. Es stelle sich die Frage, welche Kosten höher seien: die des Ausbaus oder die der Folgekosten für die deutsche Wirtschaft, so Klinkner. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der auf dem Deutschen Logistik-Kongress einen Vortrag hielt, begrüßte zwar die BVL-Forderung, sah dafür aber keine politischen Realisierungschancen. Ramsauer verwies darauf, dass er gerade um eine zusätzliche Milliarde für den Verkehrshaushalt des Bundes mit den Finanzpolitikern verhandele. „Ich bin schon froh, wenn es mit der Zusatzmilliarde klappt“, so der Minister. Bei der gegebenen Finanzplanung „müssen wir scharf priorisieren“, so Ramsauer weiter. Ähnlich auf dem Berliner Kongress auch die Aussagen von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Der Sozialdemokrat forderte zwar ebenso wie Ramsauer einen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, um die Position Deutschlands als Industriestandort zu festigen. Aber auch er machte deutlich, dass künftig „nicht wesentlich mehr Geld“ zur Verfügung stehen werde, weil die Neuverschuldung des Bundes weiter zurückgefahren werden solle. Der ehemalige Außenminister hatte dann zumindest noch ein Lob für seine Zuhörer mitgebracht: „Deutschland ist vor allem eine Logistik-Großmacht geworden“, so Steinmeiers Kommentar zur wirtschaftlichen Entwicklung der Branche in den vergangenen Jahren. Logistik: Kerngeschäft bei Thyssen-Krupp Wie bedeutend diese Logistikkompetenz für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist, machten mehrere Unternehmensvertreter in Berlin deutlich: „Die Unterscheidung zwischen Produktion und Logistik, die gibt es nicht mehr“, sagte Heinrich Hiesinger, Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Stahlherstellers Thyssen-Krupp. Sich auf die reine Produktion zu konzentrieren, das funktioniere nicht mehr. „Logistik ist bei uns ein Kerngeschäft“, betonte daher Hiesinger. Logistik wird jedoch nicht nur als eine entscheidende Komponente für den Unternehmenserfolg angesehen, um den Kunden optimal beliefern zu können, sondern auch, weil man mit Logistik viel Geld verlieren oder Kosten sparen kann. Um das beurteilen zu können, muss man die Sendungsströme und Lagerprozesse kennen. Bei der Sun Chemical Central Europe Holding, einem Farben- und Pigmenthersteller für Zeitungen und Verpackungen, hat man eine entsprechende Analyse gemacht. „Wir wollten wissen, was wir machen und wie gut wir sind“, sagte in Berlin Mathias Dolak, Director Supply Chain bei Sun Chemical. „Früher haben wir den Frachteinkauf semi-professionell abgewickelt“, gestand Dolak ein. Per Fax und Telefon wurden die Aufträge lokal vergeben. Informationen über die Effektivität der Frachtabwicklung lagen nicht vor. Dann hat sich Sun eines Dienstleisters bedient, eines 4PL, der also keine eigene Assets (Fahrzeuge, Lagerhallen et cetera) besitzt. Die 4PL Central Station mit Hauptsitz in Basel hat nicht nur die Frachtströme analysiert, sondern ist nun auch für die Koordination sämtlicher Frachtaktivitäten zuständig und steuert beispielsweise den Einsatz aller Dienstleister. Mehr Transparenz bei Transportlogistik Eine große Bedeutung spielt die Logistik auch für den Leiter Ersatzteillogistik im Siemens-Bereich Healthcare, Frank Debus. Lagerhaltung und den Transport der Ersatzteile von medizinischen Geräten haben die Münchner fremdvergeben. „Deshalb ist das aber keine Blackbox für uns“, sagte Debus. Denn die Transparenz ist für ihn von hoher Relevanz, weil er sich nach wie vor die Steuerung der Prozesse vorbehält. Bei den Transportdienstleistern gibt es laut Debus nicht „den einen Partner“. Er verlangt von seinen Dienstleistern die Fähigkeit zur elektronischen Anbindung. „Uns ist die komplette Transparenz wichtig, um die Leistung überprüfen zu können.“ Mit dieser Forderung steht Debus nicht alleine da. Auch im Aftersales-Geschäft der Adam Opel AG ist dies ein zentraler Baustein. Aftersales bedeutet in diesem Fall die Versorgung der Werkstätten mit unterschiedlichsten Ersatzteilen von der Schraube bis zur Verkleidung. „Die Verantwortung der Spediteure war bei uns dezentral organisiert von den zwölf Lägern. Das funktionierte jedoch nicht, weil die Kompetenz nicht gleich ist“, sagte Kai Rabe, European Aftersales Manager bei dem Rüsselsheimer Autokonzern. Auch Opel hat sich daraufhin einen 4PL ins Haus geholt. Transport nur noch Eintrittskarte „Mit Absicht, denn wir wollten einen Spediteur ohne Assets“, sagte Rabe. Dieser hat zum einen dafür gesorgt, dass sich die Transparenz im Einkauf von Transportleistungen verbessert hat. Außerdem wurden Frachten webbasiert vergeben, was zu Einsparungen von bis zu 20 Prozent geführt habe. „Das sind einige Millionen Euro.“ Noch ist die Umstrukturierung der Ersatzteillogistik bei Opel nicht abgeschlossen. Ein Fazit für die Spediteure zog Rabe aber jetzt schon: „Die Erfüllung der Transportaufgabe ist nur noch die Eintrittskarte. Analytisches Fachwissen zur Ausschreibungsbearbeitung und die Optimierung der laufenden Verträge werden zu Schlüsselfaktoren.“ ❙❚■ Michael Cordes und Andre Kranke BVL-Vorsitzender Raimund Klinkner (li.) fordert Verdopplung der Infrastrukturausgaben. Hamburg-Süd-Sprecher Ottmar Gast (Mitte) und Kühne+Nagel-Chef Karl Gernandt (re.) zeigen Veränderungen und Gefahren für die Logistik auf Zeit für Gespräche und neue Kontakte: 3300 Besucher zählte der 29. Deutsche Logistik-Kongress Kaum Geld für Infrastruktur: SPD-Fraktionschef Steinmeier (li.) und Verkehrsminister Ramsauer Große Freude über den Gewinn des Deutschen Logistikpreises 2012 bei Merck-Logistikleiter Rüdiger Grigoleit (5.v.l.) und seinen Kollegen sowie dem Juryvorsitzenden Bernd Gottschalk (r.) Mehr Transparenz in der Transportlogistik will Siemens-Logistikleiter Frank Debus Deutscher Logistik-Kongress Deutscher Logistik-Kongress „Die Unternehmen sind derzeit sehr nervös“ Der Deutsche Logistik-Kongress war auch in diesem Jahr die weltweit größte Logistikkonferenz. Allerdings sank die Teilnehmerzahl im Vergleich zum Vorjahr geringfügig von 3400 auf 3300 Besucher und die Zahl der Aussteller von rund 200 auf 190. Ähnlich ist die Lage bei den Speditions- und Logistikdienstleistern: Auch hier verzeichnen viele noch Spitzenwerte, aber „die Unternehmen sind derzeit sehr nervös“, bringt Hansjörg Rodi, Vorstandsvorsitzender der Schenker Deutschland AG, die aktuelle Stimmungslage vieler auf den Punkt. Zumal der Margendruck im Stückgutgeschäft weiter anhält. Gleichwohl wird DB Schenker die Preise in diesem Segment noch in diesem Jahr anheben. Rodi wörtlich: „Wir brauchen Preissteigerungen, weil wir einkaufsseitig enorm unter Druck stehen. Schenker werde aber „nicht mit einer pauschalen Ankündigung in den Markt gehen“, sagt er, sondern die Preise „sehr kundenindividuell anpassen, da wo wir es für notwendig halten“. Selbst in der Kontraktlogistik wachsen die Bäume offenbar nicht mehr in den Himmel. „Es ist ein Irrglaube in der Logistikwirtschaft“, sagt zum Beispiel Andreas Bunz, Geschäftsführer der LGI Logistics Group International in Böblingen, „dass sich in der Kontraktlogistik immer hohe Renditen erwirtschaften lassen“. Der Geschäftsführer begründet dies unter anderem damit: „Wir sind im Bereich standardisierter Kontraktlogistik-Dienstleistungen mittlerweile so weit, wie in anderen Logistikdisziplinen auch, dass es neben dem Preis nur noch wenige Differenzierungsmerkmale gibt“. Weitere Herausforderung – neben dem Thema Margendruck – für die Speditions- und Paketnetze ist, wie sich in Berlin zeigte, das Thema E-Commerce. Denn immer mehr Sendungen wandern vom B2B-Geschäft ins Privatkundengeschäft ab (B2C) und treiben deshalb die Zustellkosten der Netzanbieter in die Höhe. Kein Wunder, dass nun etliche Stückgutkooperationen an E-Commerce-Produkten arbeiten und diese im kommenden Jahr vorstellen wollen, wie Geschäftsführer Jörn Peter Struck (Cargoline) und Geschäftsführer Georg Köhler (System Alliance) in Berlin verrieten. eh Logistiker auf der Suche nach Wachstum Besucherzahlen und marktlage Deutscher Logistik-Kongress

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