Der weite Weg der Riesen

Feuchte Wiesen und Felder - flach wie ein Pfannkuchen, ganz in der Nähe die Nordsee und nahezu permanent ein kräftiger Wind: Die kleine Ortschaft Wehlens in der Nähe von Wilhelmshaven hatte Reisenden bis vor Kurzem nicht allzu viele Sehenswürdigkeiten zu bieten. Seit einigen Wochen kommen jedoch Technikfans in dem niedersächsischen Örtchen auf ihre Kosten. Strom für 14.000 Haushalte Auf den Wiesen bei Wehlens hat die Bioenergie Nord GmbH von Siemens Windenergie zwei der weltweit größten Windkraftanlagen der Welt errichten lassen. Mit 196 Metern Höhe und einem Durchmesser von 154 Metern sind die SWT-6.0-154 nicht nur ein imposanter Anblick. Zusammen liefern die 6-Megawatt-Turbinen Strom für 14.000 Haushalte. Doch nicht nur die beiden Anlagen genügen XXL-Maßstäben, sondern auch die dahinterstehende Logistik. "Eigentlich sind die Anlagen für den Offshore-Einsatz konzipiert. In Wehlens gibt es aber hochseeähnliche Windbedingungen. Deshalb hat unser Kunde sich für unsere 6-Megawatt-Windturbinen entschieden", beschreibt Henrik Bonde, Projektleiter bei Siemens Windpower, die Rahmenbedingungen. Für die Logistik macht das einen erheblichen Unterschied. Normalerweise lässt Siemens die Komponenten, die in den dänischen Werken in Brande, Lindø (Fünen) und Aalborg gefertigt werden, mit dem Schwergut-LKW einzeln in den Hafen von Esbjerg bringen (siehe Karte oben). Dort werden Maschinenhaus und Nabe vormontiert und zusammen mit den 75 Meter langen Rotorblättern auf das Errichterschiff gebracht. Das bringt die Komponenten der Windkraftanlage dann direkt an ihren Standort auf hoher See. Dort wird alles zusammen mit den Turmelementen installiert. Der Generator wiegt 157 Tonnen Auf die Montage an Land lässt sich diese Vorgehensweise nicht 1:1 übertragen: Die auf See heute meist übliche Einzelblattmontage funktioniert von der hohen Montageposition auf einem Jack-up-Schiff sehr gut. An Land hat sich hingegen auch bei großen Rotoren die Komplettmontage bewährt. Auch der Transport stellt andere Herausforderungen. Da das komplette Maschinenhaus die zulässige Achslast auf Teilen der Transportstrecke überschritten hätte, mussten Bonde und sein Team deshalb logistisch ganz andere Wege gehen. Die Nabe und das Rückteil des Maschinenhauses wurden im Siemens-Werk in Brande produziert und über 80 Kilometer mit dem Schwerlast-LKW nach Esbjerg gebracht. "Wir brauchen für diesen Transport zwar Genehmigungen und eine Polizeieskorte", sagt Bonde. Aber im Grunde war dieses Teilstück "Business as usual" - weil der Transportweg durch die Offshore-Logistik bestens bekannt ist. Gleiches gilt für das zweite Kernstück der Anlage. Der mit Transporthalterung 157 Tonnen schwere Generator wird auf einer ehemaligen Schiffswerft in Lindø (Fünen) hergestellt und mit dem Schiff nach Esbjerg gebracht. Die Rotorblätter aus dem nordjütländischen Aalborg sollten ursprünglich auf der Straße mit einem Schwertransport über die E 45 und die A 7 nach Wilhelmshaven gebracht werden. Dies scheiterte an der Länge der Rotorblätter von stolzen 75 Metern und deren Transporthöhe. Sie drohten die zulässige Höhe für die Durchfahrt des Elbtunnels zu überschreiten. Doch das Siemens-Projektteam fand eine Alternative: Auch die Rotorblätter wurden per LKW nach Esbjerg gebracht. Dort wurden sie auf ein zweites Küstenmotorschiff verladen. Zuvor war die schwerlasttaugliche Anna Sophie mit den Teilen des Maschinenhauses und der Nabe auf dem Seeweg nach Niedersachsen gegangen. Laternen und Schilder stehen im Weg Erster Anlaufhafen in Deutschland war allerdings nicht der Bestimmungsort Wilhelmshaven, sondern das an der Elbmündung gelegene Cuxhaven. Dort warteten die von der Firma Ambau hergestellten Turmsegmente für die Windkraftanlagen. Insgesamt ist jeder der beiden Türme 120 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 6,5 Meter in Bodennähe. Jedes der fünf Segmente pro Turm ist ungefähr 200 Tonnen schwer. Nunmehr mit dem gesamten Equipment an Bord lief die Anna Sophie von Cuxhaven aus den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven an - nur acht Kilometer vom geplanten Standort der beiden Anlagen gelegen. Mit dem Einlaufen der Anna Sophie war jetzt zwar der größte Teil der Transportstrecke überwunden; es folgten aber noch die größten Hürden. "Der schwierigste Teil lag erst vor uns", sagt Projektleiter Bonde. Um die über 200 Tonnen schweren und teilweise bis zu 100 Meter langen Komponenten auf die Baustelle zu bringen, musste die Straße modifiziert werden. Im Klartext: Rund 200 Straßenlaternen und einige Verkehrsschilder wurden vorübergehend demontiert und zahlreiche Bäume zurückgeschnitten. Einige Mühen mussten auch die Bewohner der an der Transportstrecke gelegenen Ortschaft Voslapp auf sich nehmen. Sie mussten ihre Fahrzeuge während der Transportzeiten komplett von der Durchgangsstraße entfernen, da der Schwertransport die gesamte Straßenbreite in Anspruch nahm. Für den Transport verwendete Siemens Schwerlastauflieger der Firma Goldhofer mit insgesamt bis zu 20 Achsen. Auf Nummer sicher war die örtliche Polizei gegangen. Sie hatte pro Nacht zunächst nur einen Transport zwischen dem Hafen und dem Standort der Windanlage erlaubt. Bei 22 Transporten mit Schwerlastaufliegern waren somit insgesamt 44 Nächte zu veranschlagen - auch für die Leerfahrt zurück zum Hafen hatten die Ordnungshüter zunächst eine ganze Nacht vorgeschrieben. Diese Beschränkung wurde allerdings rasch gelockert, nachdem die ersten Fuhren ohne Probleme ihr Ziel erreichten. Deshalb konnten die Projektmanager einiges an Transportzeit einsparen. Keine Lagerung vor Ort möglich Dennoch blieben der Transport und die Montage der beiden Windkraftanlagen zeitaufwendig und nervenaufreibend. Allein der Aufbau des Krans an der Baustelle ist ein Kapitel für sich. 80 LKW waren nötig, um den Liebherr LR 11350, einen der fünf größten Raupenkräne Europas, in die Marsch zu bringen. Zudem brauchte das Projektteam zwei weitere Kräne, um das gigantische Hebewerkzeug aufzubauen. Ein weiteres Problem war fehlender Platz zur Lagerung der großen Komponenten direkt an der Baustelle. Die Komponenten mussten deshalb in Wilhelmshaven zwischengelagert werden - das Transportmanagement ließ sie erst dann an die Baustelle transportieren, wenn sie verarbeitet werden konnten. Mittels des Krans wurden erst einmal die Turmsegmente zusammengesetzt. Zunächst gossen die Arbeiter das unterste Segment in Beton ein, nach drei Tagen konnte das nächste Turmsegment mit dem Fußstück verbunden werden. Das 235 Tonnen schwere Maschinenhaus, bei dem inzwischen der Generator mit dem Gehäuse verbunden worden war, wurde ebenfalls mit dem Raupenkran auf das oberste Turmelement gesetzt. Am schwierigsten war es, erinnert sich Bonde, den aus Blättern und Nabe am Boden vormontierten Rotorstern am Maschinenhaus festzumachen. "Hierfür durften wir nicht mehr als fünf bis sechs Meter Wind in der Sekunde haben", beschreibt Bonde. Das entspricht Windstärke drei bis vier und ist insbesondere im November eine Rarität für den Ort an der Nordsee, der nicht umsonst wegen seiner permanenten Starkwinde als Standort ausgesucht wurde. Das Projektteam hatte Glück: Ein Schönwetterloch bescherte nach zwei Tagen Wartezeit die für die Montage notwendigen Bedingungen. Logistik klappt schneller als erwartet Der Zeitaufwand für die Installation der beiden Anlagen war dennoch hoch. Nach dem Beladen am 7. Oktober verließ die Anne Sophie Esbjerg - am 30. November stand dann die zweite Anlage. Für Bonde und seine Mannschaft ein schöner Erfolg. "Logistisch war es an Land wesentlich schwieriger, als die gleiche Anlage offshore aufzustellen. Wir sind aber gut im Zeitplan geblieben. Wir hatten damit gerechnet, mit dem Projektende näher an Weihnachten heranzukommen", zieht Bonde ein positives Fazit.

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