Dauerbaustelle Eisenbahn

Beharrungsvermögen und einen langen Atem: Eigenschaften, die in der heutigen, schnelllebigen Zeit immer mehr außer Mode geraten. Die sich aber manchmal dennoch auszahlen können. Nur eine einspurige Strecke zum Werk Die Wacker Chemie ist ein Beispiel dafür. Die Voraussetzungen für die Verlagerung von Transporten vom Lkw auf die Schiene bei dem Chemiekonzern könnten viel ungünstiger nicht sein: eine kilometerlange, einspurige Strecke zum Werk Burghausen, auf der auch noch Personenzüge fahren. Keine elektrifizierte Trasse. Kein Terminal, um Container vom Lkw auf den Zug zu verladen. Dennoch hat das Unternehmen einen Großteil der Mengen, die das Werk Burghausen für die Produktion benötigt, seit jeher mit der Bahn transportieren lassen. Methanol und Essigsäure wurden in Tankwaggons vor allem aus den Häfen Antwerpen und Rotterdam geliefert. Bei den Gütern, die das Werk verlassen, handelt es sich hingegen vielfach um verpackte Ware, um viele Teilladungen, bei denen lange Jahre der Lkw das Verkehrsmittel der Wahl war. Aber Ende der 90er hat sich Wacker zum Ziel gesetzt, Warenströme zu bündeln und die Schiene stärker einzubinden. "1999 sind wir mit dem ersten Containerzug gestartet", sagte Thomas Bronnert, Leiter Logistik bei der Wacker Chemie in Burghausen auf dem 9. Schienengüterverkehrsforum des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) letzte Woche in Bonn. Immerhin, bereits sechs Jahre später verkehrten fünf weitere Züge die Woche in die Nordseehäfen. Mit dem Bau des Kombi-Terminals in Burghausen und dessen Inbetriebnahme im Januar 2015 hat es nochmals einen Schub gegeben. Nur ein Jahr später wird es in der Anlage schon wieder eng. "Im Kombinierten Verkehr gibt es noch Potenziale, allerdings müsste dazu der Ausbau des Terminals zügig erfolgen", sagt Bronnert. Insgesamt zeigt sich Bronnert zufrieden über die Entwicklung. Ein Beispiel, wie es also laufen kann mit und auf der Schiene. Doch nicht nur die Hartnäckigkeit von Wacker Chemie hat wesentlich zu der Erfolgsstory auf der Schiene beigetragen. Da das Werk auch schlecht an das Straßennetz angebunden ist (kein durchgängiger Autobahnanschluss), ist der Konkurrent Lkw nur bedingt eine Alternative. Deshalb setzt Wacker Chemie auf die Bahn und fordert dringend, die Schieneninfrastruktur zu verbessern. Und da gibt es noch zahlreiche Baustellen: Der zweigleisige, sieben Kilometer lange Ausbau zwischen Mühldorf und Tüßling (soll Ende 2017 fertiggestellt werden) gehört dazu wie auch der zweigleisige Ausbau und die Elektrifizierung zwischen München und Freilassing. Denn trotz aller Fortschritte ist Bronnert mit der Produktivität auf der Schiene nicht zufrieden. So liegt die Zuggeschwindigkeit auf der letzten Meile zwischen München und Burghausen tagsüber bei 29 Kilometer pro Stunde. "Zum Teil benötigen die Züge bis München bis zu sieben Stunden", beklagt der Logistikverantwortliche. Brücken sind ein großes Problem Wie Wacker ergeht es vielen Chemieunternehmen in Deutschland. Denn die Chemieindustrie ist eine Branche, die viele Güter per Bahn transportiert. "Neun Prozent aller Güter im Schienengüterverkehr sind Chemiegüter", sagt Gerd Deimel, Sprecher der Initiative Infrastruktur im Verband der Chemischen Industrie. Im Straßengüterverkehr beträgt der Anteil am Frachtvolumen nur fünf Prozent. Wie auf der Straße auch bereitet den Unternehmen auch im Schienengüterverkehr der Zustand der Wege Sorgen. "25.000 Brücken gibt es in Deutschland, 25 Prozent müssen saniert werden, 1500 davon sind dringend sanierungsbedürftig", so Deimel. "Ein Versagen der Schienenwege würde die Chemie im Warenein- und -ausgang ins Herz treffen", warnt er. Co-Modalität sei wichtig, nicht die Verlagerung von Transporten um jeden Preis. Jeder Verkehrsträger habe seine Stärken. Seine Forderung für das Schienennetz: "Der Bund und die Deutsche Bahn müsse mehr in Trassen und Terminals investieren." Für Thomas Schaffner sind diese Forderungen nicht neu. Der Vorstand Vertrieb und Fahrplan bei der DB Netz AG beziffert den Rückstau im Schienennetz auf 30 Milliarden Euro. Doch die Bahn habe reagiert: "Seit 2015 setzen wir das größte Modernisierungsprogramm in der Geschichte der Eisenbahn um", sagt Schaffner. Die Ersatzinvestitionen des Bundes und der DB in das Schienennetz steigen um 33 Prozent von jährlich drei Milliarden Euro (2009 bis 2013) auf 4,0 Milliarden Euro (2015 bis 2019). Die Mittel für den Instandhaltungsaufwand werden sogar um 60 Prozent von 1,0 Milliarden Euro auf 1,6 Milliarden jährlich angehoben. Trotz dieser zusätzlichen Gelder gelingt es der DB laut Schaffner erst ab 2019, mit dem Abbau des Rückstaus zu beginnen. "Wo gebaut wird, fehlt aber Kapazität, die wir jedoch brauchen", schildert er das Dilemma der Bahn. Um die baubedingten Einschränkungen zu minimieren, will die DB Netz Einzelmaßnahmen bündeln, Maßnahmen langfristig planen und geplante Bautermine stabil halten. Darüber hinaus soll aber die Kapazität im Schienennetz erweitert werden: Zum einen plant DB Netz, Engpässe im Westkorridor entlang des Rheins zu beseitigen. Zudem soll der Ostkorridor von Hamburg über Magdeburg, Regensburg bis nach München ertüchtigt und ausgebaut werden. Und auch eine auf dem BME/VDV-Forum von vielen geäußerte Forderung gehört bei der DB zum Instrumentenkasten für mehr Kapazität: 740 Meter lange Güterzüge, die eigentlich die Regel sein sollten, aber wegen zu weniger oder zu kurzer Überholgleise häufig nicht länger als 580 Meter sind. Schaffner jedenfalls ist klar: So wie in der Vergangenheit kann es nicht weitergehen. "Die Steigerung der Leistungsfähigkeit durch eine gezielte Verbesserung der Infrastruktur bis 2030 ist zwingend erforderlich", sagt der DB-Netz-Vorstand. Mehr finden Sie im Dossier Schienengüterverkehr www.verkehrsrundschau.de/dossiers Neuausrichtung des Schienengüterverkehrs DB Cargo hält an Netzwerkbahn fest Trotz zahlreicher Umstrukturierungen im DB-Konzern hält die Schienengüterverkehrstochter DB Cargo an der Netzwerkbahn fest. Das betonte Carsten Hinne, Marktbereichsleiter Chemie, auf dem 9. Schienengüterverkehrsforum des BME und des VDV in Bonn. Mit der Netzwerkbahn will die Bahn mehr Transparenz und Konstanz im Einzelwagenverkehr erreichen. Dazu gehöre auch ein festes Buchungssystem, ähnlich dem Fahrplan im Personenverkehr. "Wir wollen im Sinne unserer Kunden besser, effizienter und planbarer fahren," sagte Hinne. Angesichts schlechter Zahlen im Einzelwagenverkehr wurden zuletzt immer wieder Stimmen laut, das Projekt Netzwerkbahn könne scheitern. Hinne bekannte jedoch: "Intermodal wachsen wir stärker."Der gesamte Schienengüterverkehr ist in finanzielle Schieflage geraten. "Wir haben 2015 ein schlechtes Ergebnis erzielt", sagt Hinne. Als Folge der Verschlechterung hatte DB-Chef Rüdiger Grube das Projekt "Zukunft Bahn" auf den Weg gebracht. "Die ersten Projektteams haben sich gerade gebildet und sind dabei, die Vorgaben aus dem Vorstand umzusetzen", sagte Hinne. Dazu gehört auch, dass die Schienengüterverkehrstochter umbenannt wird von DB Schenker Rail in DB Cargo. Rechtlich wirksam wird dieser Schritt laut Hinne zum 1. April 2016, aber bereits jetzt tritt die Sparte unter ihrem neuen Namen auf.Bevor DB Cargo wieder auf einen Wachstumspfad zurückkehrt, wird es laut Hinne noch bis 2017 dauern. Eines der Kernziele von DB Cargo für 2018 lautet dann: ein Wachstum um ein Prozent über dem Marktdurchschnitt. Ein weiteres betrifft das Leistungsversprechen an die Kunden, das man "zu 95 Prozent" erfüllen will. Was genau das heißt, ob dazu auch eine Pünktlichkeit der Züge von 95 Prozent gehört, führt Hinne nicht weiter aus. Ein drittes Ziel seien wettbewerbsfähige Kostenstrukturen. cd