Datensilos in der Supply-Chain mit Erfolg überwinden

In der jüngsten Vergangenheit führten einschneidende Krisen immer häufiger zu limitierter Materialverfügbarkeit und reduzierten Logistik-Kapazitäten. Viele Lieferketten sind nach wie vor volatil. Um die Folgen abzumildern und für bessere Planbarkeit zu sorgen, nimmt die Bedeutung der Supply-Chain-Kollaboration zwischen den Partnern in der Lieferkette weiter zu. Sie gilt als wirksamer Ansatz, Resilienz und Agilität der Lieferketten sicherzustellen. Chancen gemeinsamer Datennutzung Vor diesem Hintergrund hat die Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung McKinsey & Company eine Umfrage zum Status quo und zu aktuellen Herausforderungen der Supply-Chain-Kollaboration durchgeführt, deren Ergebnisse nachfolgend dargestellt und abschließend diskutiert werden. Der Austausch relevanter Daten und deren gemeinsame Nutzung sind Dreh- und Angelpunkt von Supply-Chain-Kollaboration. Gefragt danach, wie sie die Zusammenarbeit hinsichtlich des Datenaustauschs bewerten, zeichneten die Befragten ein differenziertes Bild: Logistikbezogene Daten wie Transportdaten, Wareneingangsberichte, aber auch nachfrage-relevante Daten wie Nachfrage-Prognosen und Daten zu Produkt-Anlauf und -Auslauf werden bereits von (teilweise deutlich) über einem Drittel der Befragten unternehmensübergreifend geteilt (siehe Grafik 1 S. 34). Die Qualität der Daten wurde dabei besonders für Transportdaten und Wareneingangsberichte mit gut bis sehr gut beurteilt, sodass eine erfolgreiche Zusammenarbeit erkennbar ist. In Hinblick auf die Bewältigung von Krisensituationen durch eine verbesserte Supply-Chain-Kollaboration ist auf der anderen Seite bemerkenswert, dass sich bei detaillierteren Planungsdaten, wie Daten zu Störungen im Materialfluss, Bestand, Produktionskapazitäten und -planung, ein anderes Bild ergibt. Hier gibt mehr als ein Drittel der Befragten an, diese Daten zu benötigen, sie aber nicht von ihren Partnern zu erhalten (siehe Grafik 2 S. 35). Interessanterweise gibt mehr als ein Drittel an, dass sie bereit wären diese Daten mit ihren Partnern zu teilen, dies aber noch nicht tun. Darüber hinaus zeigen 30 Prozent der Befragten die Bereitschaft, Daten auszutauschen, die sie derzeit noch nicht mit ihren Partnern teilen. Ungenutzte Potenziale erschließen Warum gibt es diese ungenutzten Potenziale, und wie können sie in den Prozess eingebracht werden? Rechtliche Unsicherheiten, zum Beispiel durch das Kartellrecht, scheinen eher selten ein Hindernis zu sein. Allerdings gaben rund 75 Prozent der Interview-Partner an, für laufende Kollaborationen bereits einen rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit geschaffen zu haben. Häufig zielen diese Vereinbarungen darauf ab, die Nutzung der geteilten Daten einzuschränken. Dies trifft fast immer zu, wenn vertrauliche Daten geteilt werden. Als ein relevantes Hindernis beim Teilen von Daten beschreiben die Interview-Partner, dass die verwendeten IT-Systeme und Standards teils nicht miteinander kompatibel sind. Der hohe Arbeitsaufwand und hohe notwendige Investitionen, verursacht durch mangelnde Datenstandards und eine heterogene System-Landschaft, schrecken viele Teilnehmer von einem weitergehenden Datenaustausch ab. Auch gibt es unternehmensintern regelmäßig Bedenken gegen die Weitergabe von Daten an Partner. Während Logistik- und Supply-Chain-Abteilungen offen für die Datenweitergabe sind, tun sich andere Funktionen damit schwerer und verhindern damit eine bessere Kollaboration. Gemeinsame Ziele und Anreize wichtig Als eine der wichtigsten Voraussetzungen für Kollaboration werden gemeinsame Ziele und Anreize genannt. Anreizsysteme, wie beispielsweise finanzielle Aspekte, können dies verstärken. So könnte unter anderem das Teilen von relevanten Daten vergütet werden. Als weitere wichtige Voraussetzung nennen die befragten Unternehmen Vertrauen und eine auf Zusammenarbeit ausgerichtete Kultur. Dies gilt umso mehr in einem Umfeld, in dem Wissen und Informationen zum Nachteil des Verhandlungspartners genutzt werden könnten. Klare Definitionen und Regeln für die Datennutzung sind daher elementar. Die Umfrageergebnisse unterstreichen, dass Unternehmen mit einer erfolgreichen internen Zusammenarbeit auch deutlich häufiger mit Kunden und Lieferanten kollaborieren. Die bei der internen Kollaboration erworbenen Fähigkeiten im Unternehmen bilden dafür die Grundlage. Die Umfrage zeigt, dass der Erfolgshebel in der Ergänzung der internen Kollaboration zur externen Kollaboration liegt. Nur dann gelingt es, einen deutlichen Unterschied beim Unternehmenserfolg zu erzielen. Im Beispiel dient ein Einzelhandelsunternehmen als Best Practice: Wie auch der Gesamtmarkt, litten das Unternehmen und seine Lieferketten unter einem Mangel an Verpackungsmaterial, wodurch der Einzelhändler mit erheblichen Lieferverzögerungen umzugehen hatte. Um die Situation zu verbessern, entwickelte der Einzelhändler eine wiederverwendbare Verpackungs-lösung, die er zu einem günstigen Tarif an seine Lieferanten vermietet. Die Lieferanten versenden seitdem alle Materialien mit dieser standardisierten Lösung. Viele der in der Umfrage erörterten Punkte spiegeln sich in dieser Fallstudie wider: Die ursprüngliche Motivation für die Zusammenarbeit war die Bewältigung einer Krise, die durch den Mangel an Verpackungsmaterial auf dem Markt ausgelöst wurde. Das gemeinsame Ziel von Einzelhändler und Lieferant war die Wiederherstellung der Lieferfähigkeit, was für beide Parteien finanziell von Vorteil ist. Finanziellen Ansporn schaffen Ein weiteres Beispiel aus dem Einzelhandel zeigt, wie ein fehlendes gemeinsames Ziel durch finanzielle Anreize ersetzt werden kann: Ein Einzelhändler stellt in diesem Fall seinen Lieferanten einige Basisdaten wie zum Beispiel Bestellungen für Waren, die in einem Konsignationslager vorgehalten werden, zur Verfügung, um die Lieferfähigkeit sicherzustellen und zu erhöhen. Weitergehende Daten wie zum Beispiel die Einhaltung von Zeitfenstern bei der Anlieferung durch den vom Lieferanten beauftragten Logistikdienstleister, die bei gemeinsamer Nutzung keinen weiteren Vorteil für den Einzelhändler, aber durchaus Nutzen für den Lieferanten generieren - zum Beispiel für das Management des Logistikdienstleisters - stellt der Einzelhändler nur kostenpflichtig zur Verfügung. Durch diese zusätzliche Gebühr erzeugt der Einzelhändler seinen eigenen Vorteil und gleicht damit das Nutzen-Ungleichgewicht aus. Außerdem umgeht er eine eventuell schwierige Beurteilung des finanziellen Nutzens der Daten für den Lieferanten, die bei einem Vorteilsausgleich erforderlich wäre. Die multiplen Krisen der letzten Jahre haben die Relevanz der Supply-Chain-Kollaboration noch einmal verstärkt: Über 90 Prozent der Umfrage-Teilnehmer sehen einen Nutzen in der Zusammenarbeit, vor allem bezüglich einer verbesserten Reaktionsfähigkeit und zur frühzeitigen Erkennung von Risiken. Gleichzeitig bleibt es oft schwierig, diese Vorteile zu quantifizieren. Deshalb ist die Ableitung eines positiven Business Case für eine kontinuierliche Zusammenarbeit nicht immer möglich, insbesondere wenn die unmittelbare Krise überwunden ist. Weitere Hindernisse für die Zusammenarbeit, die schon in der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, bleiben bestehen: Für eine erfolgreiche Kollaboration entlang der Lieferkette sollte zunächst eine erfolgreiche interne Kollaboration innerhalb des Unternehmens aufgebaut werden, was Zeit und Engagement voraussetzt. Außerdem sind durch die mangelnde Daten-Standardisierung und fehlende IT-System-Integration oft zusätzlicher Aufwand und Investitionen nötig. Die Lösung dieser Faktoren benötigt Zeit und (finanzielles) Engagement. Die Vorteile können den Aufwand aber durchaus rechtfertigen. Um eine erfolgreiche Supply-Chain-Kollaboration nachhaltig zu etablieren, sollten drei Dinge berücksichtigt werden: 1. Voraussetzung: Interne Kollaboration Die interne Kollaboration ist Voraussetzung für die externe Kollaboration. Diese erfordert bestimmte Schlüsselfähigkeiten, die zunächst unternehmensintern entwickelt werden: Alle Partner sollten auf eine gemeinsame, vertrauenswürdige Informationsquelle zugreifen können (Single-Source-of-Truth-Data) um eine gemeinsame Grundlage für Entscheidungen zu haben. Darüber hinaus ist eine gewisse Prozessreife unabdingbar, die es erlaubt, zuverlässige und reproduzierbare Daten zu generieren, wie zum Beispiel verlässliche und nachvollziehbare Prognosedaten. Zudem sollten Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Kollaboration klar definiert sein, um gegenseitige Erwartungen der beteiligten Partner zu steuern und um Missverständnisse und den damit verbundenen Vertrauensverlust zu vermeiden. Auf diesen Learnings sollte dann die externe Kollaboration aufbauen. 2. Voraussetzung: Vertrauen Eine auf Vertrauen ausgerichtete Kultur, in der die gemeinsame Nutzung von Daten auf faire Art und Weise erfolgt, bildet die Basis. Im Hinblick auf die zu investierende Zeit und Ressourcen sollten strategische und langfristige Beziehungen zu Lieferanten und Kunden als Partner für den Aufbau einer externen Kollaboration im Vordergrund stehen. 3. Voraussetzung: Vorteile klar definieren Die Vorteile der Zusammenarbeit sollten klar artikuliert und gemessen werden. Dabei ist es wichtig, langfristigere Anreize und gemeinsame Ziele zu schaffen, um zu verhindern, dass gemeinsam genutzte Daten, zum Beispiel in Preisverhandlungen, einseitig für das Erreichen von kurzfristigeren Vorteilen ausgenutzt werden. Logistik und Supply-Chain-Abteilungen müssen dafür eventuell auch auf ihren Einkauf und Vertrieb entsprechend einwirken und langfristige Vorteile klar artikulieren. Unternehmensübergreifende Kollaborationen sind für Unternehmen ein Weg, den Herausforderungen durch volatile Lieferketten nachhaltig zu begegnen. Der damit einhergehende erforderliche kulturelle Wandel und eine langfristige Orientierung in Geschäftsbeziehungen ist ein langfristiger Prozess, der ein wichtiger Baustein für nachhaltigen Unternehmenserfolg sein kann. Professor Knut Alicke, Partner und Master Expert McKinsey & Company, Professor Kai Furmans, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Professor Bernd Hellingrath, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, und Professor Kai Hoberg, Kühne Logistics University (KLU)

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