CO2-Reduktionsziele: Sparen, Sparen, Sparen

In Kürze Die EU-Kommission drückt bei den CO2-Flottenzielen aufs Gas. Aus der Branche regt sich allerdings Widerstand. Vor allem die mangelnde Lade-infrastruktur und fehlende Technologieoffenheit der Entscheider in Brüssel stößt auf Unmut. Kaum ein Gesprächspartner glaubt daran, dass die Ziele wirklich erreichbar sind. Man droht vor lauter CO2-Senkungs-Maßnahmen mittlerweile den Überblick zu verlieren. In den vergangenen Monaten hatte die EU-Kommission mehrere Maßnahmen ins Spiel gebracht, um die CO2-Emissionen im Straßengüterverkehr zu reduzieren. Neben der CO2-Maut, welche ab dem kommenden Jahr gelten soll, und der Norm Euro 7, sorgen jetzt die angedachten CO2-Emissionsnormen für fast alle schweren Nutzfahrzeuge für Diskussionen. Hierbei handelt es sich um eine Anpassung, respektive Verschärfung, der im Januar 2019 beschlossenen CO2-Reduktionsziele: Geht es nach der EU-Kommission, so sollen ab dem Jahr 2030 alle neuen Lkw 45 Prozent weniger CO2-Emissionen verursachen, 2035 würde der Wert auf 65 Prozent und 2040 auf 90 Prozent steigen. Dabei sind die Emissionen der einzelnen Fahrzeuge nicht relevant; es geht um die Gesamtheit aller von den Herstellern in Verkehr gebrachten Neufahrzeuge. Betroffen von den Grenzwerten wären alle Lkw über fünf Tonnen sowie erstmals auch Anhänger und Auflieger. Nur wenige Fahrzeuge wären von den Zielen ausgenommen, etwa landwirtschaftliche Maschinen, Militärautos, Feuerwehr, Rettungsdienst oder Müllsammler. Zudem sollen die Grenzwerte nicht für Kleinserienhersteller gelten, die weniger als 100 Fahrzeuge pro Jahr in Verkehr bringen. Auch wenn die EU-Kommission scheinbar eine Technologieoffenheit zum Erreichen der Ziele in Aussicht stellt, ist der tatsächliche Handlungsspielraum doch begrenzt. In dem Vorschlag heißt es, die Industrie habe drei Schlüsseltechnologien für die Umstellung auf Emissionsfreiheit benannt: batteriebetriebene Elektrofahrzeuge, Brennstoffzellen und Wasserstoffverbrennung. Die Nutzung von CO2-armen Kraftstoffen, wie beispielsweise Hydrogenated Vegetable Oil (HVO), habe man geprüft; diese würden aber nicht das wirksamste Instrument darstellen und würden zudem eher im Luft- und See-verkehr benötigt. Zum Erreichen der Ziele habe die EU-Kommission bereits eine Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe vorgeschlagen, die vorsieht, dass auf großen Autobahnen alle 60 Kilometer Ladepunkte für Elektrofahrzeuge und alle 150 Kilometer Wasserstofftankstellen aufgebaut werden sollten. Hersteller: Ziele "höchst ambitioniert" Die Reaktionen auf den Vorschlag der Kommission zur CO2-Reduktion fallen gemischt aus. Der europäische Automobil-Herstellerverband (ACEA) um Martin Lundstedt, den Vorstandsvorsitzenden für Nutzfahrzeuge und zugleich CEO der Volvo Group, nennt die vorgestellten Ziele "höchst ambitioniert". Alleine das erste Reduktionsziel von 45 Prozent im Jahr 2030 hätte zur Folge, dass bis dahin mehr als 400.000 emissionsfreie Lkw auf den Straßen unterwegs sein müssten. Hinzu käme der Bedarf von etwa 50.000 Ladestationen, die großteils megawatt-tauglich sein müssten, und zusätzlich rund 700 Wasserstofftank-stellen. Angesichts des kurzen Zeitfensters seien die Herausforderungen enorm, so ACEA. Die Hersteller fürchten zudem hohe Strafen, sollten sie die Ziele nicht erreichen. Zankapfel Euro 7 Eine ähnliche Reaktion lässt auch der Stuttgarter Hersteller Daimler Truck verlauten. Man sei in Sachen Verfügbarkeit von CO2-neutralen Fahrzeugen auf einem guten Weg, Voraussetzung seien aber auch die Infrastruktur und Kostenparität. Grundsätzlich begrüße man die Beschleunigung der Zielwerte ab dem Jahr 2035 und bekenne sich klar zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Trotzdem regt Daimler Truck an, dass die Abgasnorm Euro 7, die nach dem Wunsch der EU-Kommission ab 2027 kommen soll, nochmals überdacht werden müsse. Denn diese würde die Hersteller dazu verpflichten, Milliarden Euro in neue Motoren- und Abgas-Nachbehandlungssysteme zu investieren, wobei man die finanziellen Ressourcen viel eher auf emissionsfreie Technologien fokussieren wollen würde. So gesehen sei der Euro 7-Vorschlag, so Daimler, kontraproduktiv, da er den Wandel zu CO2-neutralen Antrieben verlangsame. MAN: "Kaum zu schaffen" Ähnlich sieht das auch der Hersteller MAN: Hier erwartet man, dass sich die mögliche Euro 7-Norm erst gegen 2037/2038 in der Luftqualität bemerkbar machen würde, heißt es in einem Statement. Ein fokussierter Hochlauf an Nullemissions-Fahrzeugen in Kombination mit einem Flottenerneuerungs-Programm hätte dagegen den größtmöglichen Effekt. Die verschärften CO2-Ziele der EU-Kommission scheinen bei MAN etwas Sorgenfalten zu verursachen: "Bereits die vorangegangenen CO2-Flottenemissionsziele waren sehr ambitioniert", heißt es in der Stellungnahme. "Das neue Ziel, das sogar eine Reduzierung von 45 Prozent bis 2030 vorsieht, wird ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen, insbesondere im Bereich der Ladeinfrastruktur, kaum zu schaffen sein." Damit verbunden steht auch die Forderung an die Politik, einen "massiven" Ausbau der europaweiten Ladeinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge voranzutreiben. Für den Fahrzeughersteller Krone wird der Umstieg interessant, denn erstmals gelten die CO2-Reduktionsziele auch für Anhänger und Auflieger. Auf Nachfrage erklärt das Unternehmen, diese Werte auch einhalten zu wollen und sie grundsätzlich zu unterstützen. Den größten Hebel sehe man im Materialeinkauf, in der eigenen Produktion und in der Nutzungsphase der Fahrzeuge. So gehe man bereits heute in den Dialog mit Zulieferern für Stahl, denn an diesem Punkt sei ein wesentlicher Beitrag zur CO2-Reduzierung möglich. Zudem erstellt Krone aktuell ein Konzept für die zukünftige Energieversorgung der haus-eigenen Produktion. Einen Teil könne bereits die vor Kurzem eigens errichtete PV-Anlage mit einem Megawatt Leistung erbringen. Auch Spediteure sind überfragt Auch wenn das große Risiko der verschärften Emissionsgrenzwerte bei den Herstellern liegt, so reagieren auch Transport- und Logistikunternehmer eher skeptisch auf den Vorschlag aus Brüssel. Der Spediteur und stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL) Norbert Redemann aus Recklinghausen erklärt auf VR-Anfrage, dass es für ihn noch sehr viele Unklarheiten gebe. So müsse er sich mit seinen Lkw, die vorwiegend im Nahverkehr unterwegs sind, auf eine Technologie - also Wasserstoff oder Batterie - festlegen und stoße unweigerlich an räumliche Grenzen, da der Betriebshof ausgelastet ist. "Der Flächenbedarf für die gesamte Infrastruktur, nicht nur bei uns, sondern auch auf öffentlichen Straßen, wird deutlich größer, und das, obwohl wir eh schon kaum Flächen haben", so Redemann. Tatsächlich sieht der Spediteur an dieser Stelle die größte Baustelle, denn seine Lkw, die nachts oft im Begegnungsverkehr unterwegs sind, müssten teilweise auch an öffentlichen Schnellladern laden. "Ich bin etwas ratlos, wie das alles in sieben Jahren passieren soll", sagt Redemann. Hersteller könnten Umstieg erzwingen Zudem fürchtet er, dass die Hersteller irgendwann Druck machen und Diesel-Lkw stark verteuern, um vermehrt Elektro-Lkw auf den Markt zu bringen. Das bringt laut Redemann ein großes Risiko mit sich: "Wenn ich bis dahin keine Ladeinfrastruktur habe, stehe ich vor einem großen Problem." Der VVWL fordert mehr Engagement der Politik, endlich die nötige Infrastruktur und damit Klarheit für Unternehmer zu schaffen, wohin der Weg führt. Zudem erhofft sich der Verband ein Umdenken beim Einsatz von synthetischen Kraftstoffen. Warum kein HVO? Ähnliche Worte findet auch Micha Lege, der Geschäftsführer des Logistikunternehmens Wiedmann und Winz aus Geislingen. "Die Pläne der EU-Kommission sind für mich in der vorgegebenen Zeit nicht umsetzbar, hochriskant für die Logistikbranche und schaden letztlich sogar dem Klima", so der Unternehmer gegenüber der VR. "Für Elektro-Lkw fehlen in ganz Europa nahezu alle infrastrukturellen Voraussetzungen. Abgesehen davon, dass wir kaum öffentliche Ladepunkte haben, können wir aufgrund der fehlenden Netze nicht innerhalb von wenigen Jahren eine komplett neue Infrastruktur an unseren Standorten aufbauen." Lege berichtet, er müsse, um seinen Hauptstandort Geislingen mit Strom für E-Lkw zu versorgen, ein kilometerlanges Kabel verlegen lassen. "Abgesehen von den Kosten, dauert dieser Prozess Jahre", gibt Lege zu bedenken. Der Unternehmer, der zugleich Präsident des Verbandes Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL) ist, kann sich daher nicht erklären, warum die Politik beim Thema HVO auf die Bremse tritt: "Die Hersteller sagen uns, der Treibstoff könne in ausreichender Menge produziert werden und wir erreichen damit schon heute bei den Bestandsflotten eine CO2-Reduzierung von 90 Prozent. Warum nutzen wir das Potenzial der erneuerbaren Kraftstoffe nicht und versteifen uns auf andere Antriebe, von denen wir heute nicht seriös sagen können, ob und wann sie sich durchsetzen werden?", so Lege. Besonders stört er sich an dem Punkt, dass batterieelektrische Lkw oft als Klimaretter dargestellt würden: "Solange keine leistungsfähigen Speichermedien für Wind- oder Sonnenstrom existieren und Baugenehmigungen für neue Trassen fehlen, bleibt der Strom-Mix für den E-Lkw schmutzig. Das Zero-Emissions-Ziel der EU-Kommission erfordert zudem eine massive Steigerung der CO2-intensiven Batterieproduktion. Die Umweltfreundlichkeit des E-Lkw wird von der Kommission nur am Auspuff betrachtet und das finde ich nicht richtig. Um die Klimaziele ganzheitlich zu erreichen und große Risiken für die Logistikbranche zu vermeiden, müssen wir uns alle Technologien offenhalten. Kurzfristig schaffen wir aber klimaneutrale Mobilität nur mit HVO-Diesel und E-Fuels." Die Zeit ist wohl zu knapp In ihrer Gesamtheit muss man die Pläne der EU-Kommission wohl als zu ambitioniert einstufen - zumindest deren Umsetzung in Deutschland. Die behördlichen Vorgänge, um die Genehmigungen für groß angelegte Stromanschlüsse zu erhalten, dauern eine gefühlte Ewigkeit - genauso wie Fachpersonal für den Aufbau der Anlagen zu finden. Unklar ist zudem, ob überall genug grüner Strom für die Antriebswende vorhanden ist - auch hier melden etliche Gesprächspartner der VR ihre Zweifel an. Erst kürzlich wurde dem mittelständischen Transportunternehmen Eugen Meyer aus Kirchheim (Neckar) in einer Studie aufgezeigt, wie groß der Schritt zu einem klimafreundlichen Fuhrpark ist (den Bericht lesen Sie in der Ausgabe 3/23 der VerkehrsRundschau). Hinzu kommt ein immenser Platzbedarf: Schon heute fehlen in Deutschland tausende Lkw-Stellplätze. Es mutet fast schon illusorisch an, dass man in wenigen Jahren nicht nur überall die Parkmöglichkeiten, sondern auch Schnelllader aufgebaut haben will. Man kann fast schon von Glück reden, dass der Zeitplan wohl für alle EU-Staaten zu eng bemessen sein dürfte, vor allem was den Aufbau der Infrastruktur angeht. Die EU-Kommission will nun ihren Vorschlag mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beraten. An dieser Stelle erhoffen sich die Kritiker noch einige Nachbesserungen, denn sonst droht den Unternehmern eine weitere Phase der unklaren Zukunft. Und davon hatten wir jetzt eigentlich mehr als genug. Anmerkung der Redaktion: Unmittelbar vor Redaktionsschluss erreichte die VerkehrsRundschau die Information, dass HVO 100 in Deutschland wohl zugelassen werden soll. Den Informationen zufolge soll die Bundesimmissionsschutz-Verordnung so ergänzt werden, dass eine Abgabe des Treibstoffes an öffentlichen Tankstellen und Betriebstankstellen möglich wird. Wann die Zulassung erfolgt, ist noch unklar. HVO ist Diesel, der auf Abfall- und Reststoffen basiert und die CO2-Emissionen je nach Ausgangsprodukt spürbar senken kann. Statement: Korsett oder Zwangsjacke Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik Die Vorschläge der EU-Kommission zu den CO2-Emissionszielen für neue schwere Nutzfahrzeuge, die ab 2030 gelten sollen, sind eine weitere Stange im CO2-Entsagungskorsett, das zur CO2-Idealfigur verhelfen soll. CO2-Maut, die neue Abgasnorm Euro 7 und die Einführung strengerer CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge erscheinen aus Sicht der BWVL-Unternehmen aus Handel und Industrie im Werkverkehr und als Verlader als gezielt gesetzte Schmerzreize, die durch Senkung der Emissionen im Güterverkehrssektor vermieden werden sollen. So weit die Theorie! Wo bleibt die Praxis? Restriktionen sind immer einfacher als konstruktive, realitätsnahe, integrierte und synchronisierte Lösungen. Nur zu wissen, was man nicht will, ist zu wenig, insbesondere wenn an sämtlichen Parametern gleichzeitig gerüttelt wird und fundamentale Veränderungen veranlasst werden – wie sollen sich Unternehmen darauf verlässlich einstellen können? Ladeinfrastruktur fehlt; wann sie ausreichend zur Verfügung steht, (besser: stehen könnte) ist ein umkämpftes Narrativ. Hier muss die EU „mehr Gas geben“ und ambitionierter dafür sorgen, dass die Entwicklung der Tank- und Ladeinfrastruktur mit den Tailpipe-Vorgaben Schritt hält. Sich aber gegen die Überbrückung mit erneuerbaren und CO2-armen Kraftstoffen auszusprechen und dabei auf die Industrie zu verweisen, die bereits „drei Schlüsseltechnologien für die Umstellung auf Emissionsfreiheit benannt (habe): batteriebetriebene Elektrofahrzeuge, Brennstoffzellen und Wasserstoffverbrennung“, ist für die Wirtschaft fast schon perfide. Widersprüchlich und zu wenig integriert erscheinen die EU-Vorgaben auch dann, wenn mit den Investitionsbelastungen für die neue Schadstoffnorm (Euro 7) fast gleichzeitig das Auslaufen dieser Technologie verkündet wird. Bisher erscheinen die Maßnahmen der EU zur Reduzierung der CO2-Emissionen so jedenfalls weniger als formgebendes Korsett denn als Zwangsjacke, die durchaus dazu geeignet sein könnte, der Wirtschaft die Luft zum Atmen zu nehmen. Mehr unter: www.bwvl.de Mehr zu dem Thema unter #CO2undLuftschadstoffe www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag

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