Berlin soll Brüssel fordern

Deutschland, vier Monate vor der Bundestagswahl: In Berlin werden hastig die letzten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht, die Parteien feilen fleißig an ihren Programmen und Verbände formulieren Forderungen an die nächste Regierung. Zeit, unter verkehrspolitischen Gesichtspunkten Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu wagen: Wie es nach dem Urnengang im Herbst weitergeht, diskutierten Vertreter der Güterverkehrswirtschaft und der Politik in der vergangenen Woche auf der Messe Transport Logistic in München. Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Verkehrspolitik 2018" waren gewerbeseitig Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der Johann Dettendorfer Spedition Ferntrans und Vizepräsident der IHK für München und Oberbayern, sowie Jochen Quick, Geschäftsführer des auf den Baustoffhandel spezialisierten Unternehmens Quick und Präsident des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Aus dem Bundestag nahmen Rita Hagl-Kehl (SPD), Berichterstatterin für die europäische Rechtssetzung im Bereich Verkehr, Ulrich Lange (CSU), Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verkehr und digitale Infrastruktur der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sowie Valerie Wilms (Bündnis 90/ Die Grünen), Mitglied und Obfrau im Verkehrsausschuss teil. EU soll nachbessern Die verkehrspolitische Leistung der aktuellen Regierung bewerteten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion unterschiedlich. "Der Bundesverkehrswegeplan 2030 mit über 270 Milliarden Euro Volumen und der Maxime 'Erhalt vor Neubau' war sicherlich eine der bedeutsamen Entscheidungen dieser Legislaturperiode", resümierte Lange. Er findet die Verteilung der Prioritäten und den Modal Split zwischen Straßen-, Schienen- und Wasserstraßenprojekten unter dem Strich gelungen. Als Erfolg bezeichnete der CSU-Politiker ebenfalls die Spendierfreudigkeit des Bundesverkehrsministeriums, den sogenannten Investitionshochlauf. Nicht zufrieden äußerte sich Lange über die Umsetzung der finanzierten Bauvorhaben. "Deshalb ist künftig eine Reform der Auftragsverwaltung dringend notwendig." Hagl-Kehl, deren Ehemann selbst als Transportunternehmer in Landau an der Isar tätig ist, bewertete die Arbeit von Ressortchef Alexander Dobrindt (CSU) kritischer. Sie bemängelt, dass er zu lange auf eine Neuregelung der EU-Sozialvorschriften im Straßengüterverkehr gewartet habe. Es sei klar gewesen, dass eine Einigung bei der Bekämpfung der Missstände aufgrund des Widerstands der osteuropäischen Staaten schwierig sei. Deutschland hätte aus ihrer Sicht gut daran getan, früher den Beispielen von Belgien und Frankreich zu folgen. Auch Dettendorfer und Quick beurteilten das Vorgehen des Bundesverkehrsministers in diesem Zusammenhang als unglücklich. Die schließlich vor Kurzem verabschiedete Novelle des deutschen Fahrpersonalgesetzes, aus der indirekt hervorgeht, dass es Fahrer verboten ist, die regelmäßige Wochenruhezeit im Lkw zu verbringen, greife zu kurz. "In der Praxis ist es nicht durchführbar", monierte Dettendorfer. "Leider handelt es sich hier wieder einmal um ein Beispiel für Schaufensterpolitik", so Quick. Er meint, dass sich die Probleme dadurch nur verlagern. "Die Bundesregierung muss in Brüssel für eine europäische Lösung eintreten und dafür sorgen, dass Vorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten, Kabotage und Mindestlöhnen eingehalten werden." Spediteur Dettendorfer pflichtete dem BWVL-Präsidenten bei und forderte ein Ende der Kleinstaaterei in Europa - auch beim Entsenderecht. Lange und Hagl-Kehl beteuerten, dass man sich in Berlin dieser verfahrenen Situation bewusst sei und vorhabe, sich in Brüssel für umfassendere Maßnahmen einzusetzen. Als Beispiele nannte die SPD-Politikerin die Möglichkeit dreiwöchiger Rundläufe bis zum Einlegen der regelmäßigen Wochenruhezeit und die bessere Überwachung der Bestimmungen durch Einführung des elektronischen Frachtbriefs. Die Runde war sich einig, dass zuständige Behörden für Kontrollen genügend Personal benötigen. Mautlücke muss geschlossen werden Kritik übte Oppositions-Vertreterin Wilms: "Dobrindt hat sein Ressort zwei Jahre lang mit der Pkw-Maut blockiert", sagte sie. Danach sei der Bundesverkehrswegeplan 2030 im Eiltempo durch den Bundestag geprügelt worden. "Es blieb keine Zeit zu diskutieren, ob ein Modell, das auf den Wünsch-dir-was-Listen der einzelnen Länder basiert, noch zeitgemäß ist." Der Grünen-Politikerin fehlt dabei der Fokus auf den überregionalen Bedarf. Quick sah das ähnlich: Vorhandene Haushaltsmittel müssten sinnvoller in Verkehrsprojekte investiert werden. Die nächste Regierung sollte vor allem nachhaltiger priorisieren und planen, regte er an. "Das Geld muss sie mit Sachverstand ausgeben, sonst zerbröselt die Infrastruktur weiter." Im Großen und Ganzen äußerten sich die Praktiker zufrieden mit der Arbeit der Verkehrspolitiker. "Es ist mehr Geld für Verkehrsprojekte vorhanden und der Lang-Lkw ist auf den Weg gebracht worden", lobte Dettendorfer. Wichtig sei mit Blick auf eine Mautausweitung auf Pkw, dass die Einnahmen zusätzlich in den Verkehrsetat des Bundeshaushalts fließen und dem Verkehrsbereich zugutekommen. Lange wiederholte in München das Versprechen Dobrindts, es werde nach der Lkw-Mautausweitung keine Differenzierung zwischen Bundesstraßen und Autobahnen geben. Unternehmen müssten sich nicht sorgen, dass unterschiedlich hohe Tarife ab Mitte 2018 den Wettbewerb verzerren. "Eine der ersten Amtshandlungen der Verkehrspolitik wird es zudem nach der Bundestagswahl sein, die Mautlücke zwischen 3,5- und 7,5-Tonnern zu schließen", kündigte der CSU-Politiker an. "Und es gilt zu prüfen, ob die Gebühr auch für Fernbusse erhoben wird", so Hagl-Kehl. Die Koalitionspartner erklärten, dass es in der Verkehrspolitik in der nächsten Legislaturperiode vor allem darum gehe, begonnene Projekte wie den Bundesverkehrswegeplan und den Investitionshochlauf fortzusetzen. "Daneben muss mehr für die Schiene getan werden", so die Sozialdemokratin. Doch darf die große Koalition weiter regieren? Geht es nach den Unternehmern auf dem Podium ist eine weitere Amtszeit dieser Parteienkonstellation unwahrscheinlich. "Ich wünsche mir in der nächsten Legislaturperiode eine Koalition von Union und FDP", sagte Dettendorfer. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Verkehrspolitik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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