Auch in der Chemie drohen Engpässe

Das hörte sich vor einem Jahr ganz anders an. "2016 war ein durchwachsenes Jahr für unsere Branche", fasste Kurt Bock, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), im Dezember 2016 die Entwicklung der vergangenen zwölf Monate zusammen. Die VerkehrsRundschau kam angesichts der vorliegenden Daten zu dem Schluss, dass die Chemiekonjunktur derzeit ein zartes Pflänzchen sei, von dem man nicht so genau wisse, ob es noch mal in die Höhe schieße. Ein starkes drittes Quartal 2017 Die Lage hat sich komplett geändert. Von dem Wachstum, das in der deutschen Wirtschaft zu beobachten ist, profitieren auch die Chemieunternehmen in Deutschland. Nahezu alle Indikatoren zeigen aufwärts. So stieg der Branchenumsatz im dritten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 0,4 Prozent auf 46,5 Milliarden Euro. Auf den ersten Blick nicht viel. Aber zu berücksichtigen, ist, dass die Sommermonate immer etwas schwächer ausfallen. Im Vergleich zum Vorjahresquartal kletterte der Umsatz daher auch um 6,1 Prozent. Doch von größerer Relevanz für die Logistikdienstleister ist die Entwicklung der Produktion, da mit höheren Mengen auch die Transportnachfrage steigt. Im Vergleich zum Vorquartal nahm die Menge im dritten Quartal 2017 um 1,3 Prozent zu. Gegenüber dem Vorjahresquartal steht ein Plus von 2,9 Prozent zu Buche. Die Kapazitätsauslastung erreichte mit 85,6 Prozent zum dritten Mal in Folge in einem Quartal einen Wert, der über dem langfristigen Durchschnitt liegt. Die Chemieunternehmen profitierten dabei vor allem von einem guten Auslandsgeschäft. Weltweit nimmt die wirtschaftliche Dynamik an Tempo zu. Egal ob in China, Lateinamerika oder Europa: Überall ist eine Ausweitung der Produktion im verarbeitenden Gewerbe zu beobachten. Die Produkte der Chemiebranche als Vorleistungssektor sind daher gefragt. Trotz dieser guten Zahlen äußert sich der VCI-Präsident noch zurückhaltend: "2017 kann ein gutes Jahr für die chemische Industrie werden", sagt Bock in einem für Verbandschefs typischen Understatement und fügt angesichts der derzeit unsicheren politischen Lage in Deutschland hinzu: "Das ist aber keine Garantie für die Zeit danach. Unsere Unternehmen erwarten von der künftigen Bundesregierung einen verlässlichen industriepolitischen Kurs für Wachstum, Investitionen, bezahlbare Energie und stärkeren Rückenwind bei Forschung und Innovation." Talke verzeichnet immense Nachfrage Die hohe Auslastung in der Chemieindustrie bekommt auch die auf den Transport und die Logistik für die chemische und die petrochemische Industrie spezialisierte Spedition Talke zu spüren. "In den Gesprächen mit unseren Kunden wird bestätigt, dass sie von dem Volumenwachstum bis zu 20 Prozent in diesem Jahr selbst überrascht sind", sagt Peter Viebig, Director Transport bei dem Chemielogistiker. Und die Aussichten sind weiter gut: Für 2018 würden die Auftraggeber von Talke mit einer ähnlichen Zunahme rechnen. Dieser Boom hat Talke deutlich mehr Aufträge beschert. "Seit Ende März/Anfang April ist in Summe die Nachfrage nach Transportkapazitäten regelmäßig größer als das Angebot", schildert Viebig die Lage. Zunächst hatte man bei Talke noch die kurzen Wochen mit den vielen Feiertagen dafür verantwortlich gemacht. Doch auch in den Sommermonaten war die "Nachfrage immens", so Viebig. In den Spitzenzeiten ging es darum, diese Nachfrage zu bedienen. Eine optimale Disposition der Einheiten war nicht gegeben. Als eine Folge des Laderaummangels ziehen die Frachtraten an. "Das ist aber auch notwendig", sagt Viebig, und nennt zwei Gründe dafür. Zum einen seien in verschiedenen Segmenten die Preise schon jahrelang nicht mehr angepasst worden. Zum anderen steigen die Kosten: Die Fahrerlöhne würden höher und die Leerkilometer zunehmen, weil man die Kunden auch dann bedienen möchte, wenn mal gerade kein Lkw in der Nähe sei und daher größere Entfernungen in Kauf genommen werden müssten. Wie in anderen Branchen auch, so herrscht auch in der Chemielogistik Fahrermangel. Zahlen dazu liegen derzeit noch nicht vor. Auch Talke hat damit zu kämpfen. Um das Problem zu beheben, muss man den Job des Lkw-Fahrers attraktiver machen, ist Viebig überzeugt, und zwar nicht nur in der Gehaltsfrage: "Beispielsweise zahlen wir den Führerschein und die komplette ADR-Ausbildung." Außerdem versucht man bei Talke im Transport von flüssigen Stoffen Vorlade-Konzepte noch stärker zu nutzen, die es dem Fahrer ermöglichen, am Abend zu Hause zu sein. Allerdings könne man dem Fahrermangel in der Branche nur gemeinsam begegnen, sagt Viebig: "Die chemische Industrie und die Dienstleister müssen zusammen nach Lösungen suchen, damit der Fahrer auch an den Lade- und Entladestellen als gleichwertiger Partner gesehen wird. Da ist die Gestellung von Sozialräumen nur einer von vielen Punkten, zu der auch die Verlader beitragen können", nennt der Talke-Manager ein Beispiel. 2018 nimmt der Frachtraummangel zu Viebig erwartet, dass sich der Frachtraummangel 2018 weiter verschärft, wenn die Nachfrage wie prognostiziert weiter steigt. "Daher sind auch entsprechende Investitionen für 2018 budgetiert. Diese müssen aber in Einklang gebracht werden mit den Fahrerkapazitäten und den konkreten Bedarfen der Industrie. Die Zeiten, in denen der Dienstleister sich Equipment auf den Hof stellt ohne konkrete Geschäfte, sind längst vorbei. Dazu sind die Kapitalkosten zu hoch", sagt Viebig. Ebenfalls vorbei sind laut Viebig die Zeiten der auf Kostenreduktion ausgelegten Ausschreibungen. Er hält es für möglich, dass die Industrie versucht Dienstleister ohne Ausschreibungen in ihr Portfolio zu holen, um sich Kapazitäten zu sichern. "Das wird aber nur über den Preis funktionieren", sagt Viebig. Damit warnt der Ex-Bayer-Manager seine Kollegen schon mal vor: Transport und Logistik könnten teurer werden in 2018. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Talke www.verkehrsrundschau.de/dossiers Schhwachstelle in der Chemielogistik Nachholbedarf bei der Zulaufsteuerung Fast könnte man meinen, der Druck in der Chemiebranche sei noch nicht groß genug, was angesichts der Laderaumknappheit ein wenig verwundert. Aber bei der Abwicklung der Transporte in den Chemie-Werken läuft es noch nicht wirklich rund. Zumindest ist das die Einschätzung von Carsten Suntrop. Der Professor an der Europäischen Fachhochschule Rhein/Erft und Inhaber eines Beratungsunternehmens, das sich auf den Transport und die Logistik in der Chemiebranche spezialisiert hat, stellt hier jedenfalls branchenweit noch Potenziale zu Verbesserung fest:"Die Zulaufsteuerung, das Ladestellenmanagement, wann kommt welche Ware, um so die Wartezeiten für die Lkw zu reduzieren: Das funktioniert bei den allermeisten Chemiewerken nicht ohne Reibungsverluste", sagt Suntrop und bezieht sich dabei auf Aussagen vieler Dienstleister auf einem Anwenderforum. Bei diesem Thema würden vor allem die Logistikdienstleister Druck machen, während die Verlader sich eher passiv verhielten.Er sieht die Automobilindustrie in dieser Frage deutlich weiter, weil bei ihnen das Just-in-Time-Prinzip mit einer zeitgenauen Anlieferung besser funktionieren würde. Suntrop hofft, dass die Chemieinidustrie die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, um bei diesem Thema Verbesserungen zu erzielen.cd