Neues Actros-Modell bei Mercedes-Benz

Die Kabine gerne, aber auf keinen Fall als Actros F! Eine Aussage, die man bei Mercedes-Benz scheinbar öfter von Kunden gehört hat, was die Existenz dieses Testfahrzeugs erklärt. Doch zunächst ein paar Fakten: Mit dem Actros F nahm der Hersteller vor knapp zwei Jahren das Economy-Modell „Actros F“ (F für funktional) ins Portfolio, das seitdem preisbewusste Käufer ansprechen soll. Das geht natürlich auch bei Mercedes nicht ohne Verzicht, was man dem F auf den ersten Blick ansieht, wenn er neben einem nobleren L-Modell parkt. Das Wort Zeitreise umschreibt es ganz gut, denn innen und außen sah der F bisher grundsätzlich noch so aus wie die erste Generation des aktuellen Modells, die immerhin vor zwölf Jahren vorgestellt wurde. Vielen Daimler-Käufern ist das einfach zu altbacken, sicher auch vor dem Hintergrund des steigenden Mangels an Fahrer/-innen, denen viele Chefs mit einem motivierenden Arbeitsgerät begegnen. Nun könnte man natürlich einfach zum nobleren L-Modell greifen, das ist aber eben nicht in allen Fällen möglich. Schuld ist folgende Besonderheit der Daimler-Modellpolitik: Mit der F-Einführung legte der Stern eine neue Kabinenvariante nach, die vor allem Transporteure im schweren Verteilerverkehr länger angemahnt hatten: eine 2500 Millimeter breite Kabine mit niedrigerem und damit einfacher zu bewältigendem Einstieg, dafür mit einem kleinen Motortunnel zwischen den Sitzen. Wahlweise mit Stream- oder Big-Space-Hochdach ist dieses Fahrerhaus erhältlich, aber eben ausschließlich für die F-Baureihe. Für Kunden, die die Kabine „in Schön“ haben möchten, schiebt Mercedes-Benz nun den „Actros F+“ nach, der sich stark am L-Topmodell orientiert. Warum der F+ dann nicht einfach auch L heißen darf? Weil Mercedes-Benz diesen Buchstaben ausschließlich für die Fahrerhäuser mit ebenem Boden verwenden will. Klingt unnötig kompliziert? Stimmt! Aber sehen wir den neuen F+ einfach als etwas wie den Übergang in die moderne Actros-Welt. Dafür lassen sich alle Optionen des L-Topmodells anwählen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie dem „Active Drive Assist“. Denn für die niedrigere Kabine gibt es noch keine elektrisch unterstützte Lenkung, die für den aktiv ins Lenkgeschehen eingreifenden Assistenten unerlässlich ist. Ansonsten unterscheidet sich der F+ kaum vom L-Modell. Billig oder altbacken mutet hier nichts mehr an. Der Fahrer hält das gleiche Multifunktionslenkrad in den Händen wie im L, weshalb auch hier der Umgang mit den berührungsempfindlichen Lenkradtasten gelernt sein will. Ebenfalls vom Actros L stammt das Multimedia-Cockpit mit seinen zwei Bildschirmen sowie die Mirrorcams. Die lassen sich auf Wunsch durch konventionelle Außenspiegel ersetzen, wovon wir aber abraten, denn mit dem Kamerasystem kommt man seit dem jüngsten Update wirklich problemlos zurecht. Gerne nehmen wir auch das deutlich spürbare Plus bei der Lenksäulen-Verstellweite mit; die dazu passende niedrigere Sitzkonsole muss man allerdings extra hinzuordern.Zwölf Zentimeter hoher Motortunnel im F-Fahrerhaus Dass wir „nur“ in einem Actros F sitzen, ist somit eigentlich nur noch am zwölf Zentimeter hohen Motortunnel zu erkennen, der im Alltag überraschend wenig stört. Zwischen den Sitzen verbleiben im StreamSpace immerhin 1,85 Meter Luft bis zum Dach, vor dem Beifahrersitz, dessen klappbare Sitzfläche in jedem Fall eine lohnenswerte Option ist, sind es sogar 1,97 Meter. Etwas mehr Raum würde alternativ das größere BigSpace-Fahrerhaus bieten. Das soll beide F+-Kabinen keinesfalls als Alternative für den Fernverkehr anpreisen, der bleibt weiterhin klar ein Fall für die größeren Actros-Fahrerhäuser mit ebenem Boden! Für Verteilerverkehre mit gelegentlichen Übernachtungen gehen Platz und Stauraum dagegen in Ordnung und hier dürfte vor allem der zum L-Modell um 15 Zentimeter niedrigere Einstieg ein schlagendes Argument sein, wodurch beim Ein- und Aussteigen eine Stufe weniger zu erklimmen ist. Auf der Straße gefällt die tiefer montierte Kabine mit geringeren Wankneigungen in Kurven und auch die Geräuschkulisse geht im F+ in Ordnung. Lohn der besseren Dämmmaßnahmen, die man der ganzen Actros-Familie endlich verordnete, auch wenn der Stern hier weiterhin keine neuen Maßstäbe setzt. Gleiches gilt für den jüngst überarbeiteten OM-471-Reihensechszylinder, der dank verschiedener innermotorischer Maßnahmen nun bis zu vier Prozent sparsamer mit dem Kraftstoff umgehen soll. Hinter dem Lenkrad erfreut man sich eher an der verbesserten Elastizität des 12,8 Liter großen Aggregats. Das Drehmoment liegt zwar weiter bei 1100/min voll an und damit verhältnismäßig spät; zumindest bei der 476-PS-Einstellung steht die Drehzahlmessernadel nun trotzdem öfter unterhalb der 1000-Touren-Marke, was der Motor problemlos mitmacht. Auch ein Verdienst der Drehmomenterhöhung um 200 Newtonmeter, die Daimler jetzt in den Gängen sieben bis zwölf spendiert. Ebenfalls einen guten Eindruck hinterlässt Powershift 3. Die versprochenen schnelleren und weicheren Gangwechsel der „Advanced“ genannten jüngsten Version des hauseigenen automatisierten Schaltgetriebes können wir bestätigen. Und auch die Kupplungssteuerung geht endlich feinfühliger zur Sache. Verbesserungen, die selbstredend der ganzen Actros-Familie zuteilwurden, nun aber auch im F+ ganz ohne Zeitreise. (jb)

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