Iveco S-Way: Rundum flüssig

Zugegeben, es gab schon bessere Zeiten, um über LNG zu schreiben. Die Preise für das verflüssigte Erdgas haben in den vergangenen Monaten rekordverdächtige Höhen erreicht und manch ein Unternehmer ließ seine Lkw gar auf dem Hof stehen, um kein Minusgeschäft zu machen. Bei Iveco hofft man dennoch auf bessere Zeiten und preist seine Gas-Boliden weiter an. Mit uns auf die Testrunde ging ein interessanter Kandidat: der S-Way 460 NP, aufgebaut mit einem Böse-Getränkekoffer. Alles, was bei den Italienern ein "NP" auf der Kabine trägt, ist gasbetrieben. NP steht für Natural Power und existiert bei Iveco in den Ausprägungen CNG und LNG. Für eine Testfahrt durfte die VerkehrsRundschau die größte Kabine samt stärkster Motorisierung in Augenschein nehmen: 460-PS arbeiten unter der Hochdachkabine mit dem Namen "Aktive-Space Großraumfahrerhaus". Die Fahraufgabe lautete wie folgt: eine Stunde Fahrt von Iveco in Ulm gen Süden, bis der beschauliche Ort Bad Schussenried erreicht ist. Bei der gleichnamigen Brauerei im Ort werden einige Paletten Bier geladen, bevor es dann wieder zurück an den Ausgangspunkt geht. Übersicht ist gegeben Bevor die Fahrt beginnt, ein erster Blick auf den Arbeitsplatz: Das Cockpit des S-Way bietet eine ordentliche Übersicht und macht es auch Fahrern, die noch nie im Iveco saßen, relativ leicht, sich zurechtzufinden. Der Schlüssel, der interessanterweise der gleiche ist, den Fiat für sein kleinstes Modell 500 verwendet, wird in einem Loch hinter dem Multifunktionslenkrad versenkt. Der Start des Motors erfolgt dann allerdings über einen Start-Stopp-Knopf. Zuerst orientieren Etwas gewöhnungsbedürftig ist am Anfang die Einstellung der Spiegel: Diese gelingt über das altbekannte Steuerkreuz, wobei es zur Auswahl des jeweiligen Spiegels keinen Richtungstaster, sondern lediglich einen einzigen Knopf gibt. Mit diesem schaltet man sich von Spiegel zu Spiegel durch. Welcher gerade "aktiviert" ist, wird im Zentraldisplay neben dem Tacho dargestellt. Jene Anzeige beherbergt auch alle nötigen Informationen, die Mann oder Frau hinter dem Steuer benötigt. Neben den Standards wie dem Luftvorrat und der Steuerung des GPS-Tempomaten finden sich hier auch Informationen zur verbleibenden Lenkzeit für den Tag und die Woche sowie geplante Werkstattbesuche und deren voraussichtliche Dauer. Den Start-Stopp-Knopf mehrere Sekunden gedrückt, meldet sich der 13-Liter Motor mit dem Namen Cursor 13 zu Wort. Das Aggregat verzichtet bekanntlich auf eine Zündung mit Diesel, wie es etwa die Kollegen von Volvo praktizieren, und setzt stattdessen auf das Otto-Viertakt-Prinzip mit Zündkerze. Die erste wahrnehmbare Folge ist ein erheblich leiserer Grundlauf, als man es vom Diesel kennt. Aufgrund des rein gasförmigen Antriebes benötigt der NP auch keine Abgasaufbereitung in Form von AdBlue, sondern kommt mit einem simplen Kat aus. Mit Tritt auf das Gaspedal wird der S-Way freilich lauter, wenn auch der Klang immer noch nicht mit einem Diesel zu vergleichen ist. Es braucht besonders im unbeladenen Zustand ein wenig Feingefühl im rechten Fuß, da man sonst recht fix zu schnell unterwegs ist. Unterbrochen wird die Beschleunigung aber sowieso, wenn das 12-Gang-Getriebe (ZF Traxon, bei Iveco Hi-TroniX genannt) eingreift. Leer überspringt das System selbstverständlich einige Schaltschritte und gelangt schnell in der höchsten Fahrstufe an. Bei leerem Koffer und 80 km/h im Tempomaten liegt eine vergleichsweise niedrige Drehzahl von etwas mehr als 1150 Umdrehungen pro Minute an. Mit Beladung und etwas mehr Tempo liegt der LNG natürlich deutlich über den Werten, die man aus dem Diesel-Sektor kennt, wobei die höhere Drehzahl nicht zwingend eine lautere Geräuschkulisse bedeutet. Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle auch der sogenannte "Luxus-Fahrersitz", welcher dank Luftfederung, elektrisch einstellbarer Lendenstütze und Heizfunktion in der Tat Gemütlichkeit verspüren lässt. Noch weniger Drehzahl Mit eingeschaltetem Tempomaten wird dem Fahrer regelmäßig ein "E" anstelle der Gangzahl eingeblendet. Dieses steht für den Eco-Roll-Modus, der den S-Way im Leerlauf "dahinsegeln" lässt. Aktiviert sich das Fahrprogramm, sackt die Drehzahl ab und es geht noch einmal leiser vorwärts. Sobald die untere Grenze des Tempofensters erreicht wird, legt das System wieder den passenden Gang ein. Eine Motorbremse sucht man übrigens beim LNG vergeblich - diese lässt sich technisch nicht umsetzen. Verschleißfrei bremsen geht natürlich trotzdem, und zwar mit dem mehrstufigen Intarder, der bei der Testrunde mangels Beladung schon auf erster Stufe brauchbare Verzögerung erbrachte. Als ebenso tauglich hat sich auch die liftbare, gelenkte Nachlaufachse erwiesen. Denn sie verleiht dem S-Way mit dem Radstand von 5100 Millimeter eine sehr hohe Wendigkeit. Wer zuvor ohne die Unterstützung unterwegs war, wird wohl anfangs dazu neigen, bei Kurven zu weit auszuholen. Besonders im engen Stadtverkehr dürften sich Fahrer- oder Fahrerin über die Extra-Zentimeter freuen. Zum Verbrauch lassen sich keine belastbaren Aussagen machen, da die Testfahrt, wie eben angesprochen, leer und unter nicht genormten Bedingungen stattfand. So viel sei gesagt: Insgesamt kann der S-Way 1080 Liter LNG in seinen beiden Tanks links und rechts am Chassis bunkern, was bei laut Iveco für rund 1600 Kilometer reichen soll. Leichte Beladung Angenehm gestaltete sich der Besuch bei angesprochener Brauerei Schussenrieder. Das lag nicht am Produkt - bei uns gilt selbstverständlich eine 0,0 auf der Promille-Skala - sondern vielmehr an der Leichtgängigkeit des Böse-Aufbaus. Die Schiebeplane lässt sich simpel entriegeln und dann mit einem Zug über die gesamte Länge von acht Metern, wie ein leichter Vorhang, verschieben. Für die Ladungssicherung kommen die Teleskopstangen, welche an der Decke verriegelt sind, ins Spiel. Die Beladung ist von beiden Seiten mit dem Stapler problemlos möglich. In der Pause bietet sich Gelegenheit, die Kabine noch etwas genauer zu betrachten. Mittig erhebt sich auf knapp zehn Zentimeter Höhe der Motortunnel. Unter dem Bett finden sich zwei Fächer, welche jeweils ausreichend Staumöglichkeit bieten. Obwohl beide exakt gleich aussehen, ist nur eines davon der Kühlschrank. Auch über dem Fahrer bieten sich reichlich Staumöglichkeiten. Dass sich der S-Way durchaus auch für weite Fahrten empfehlen möchte, zeigt sich alleine schon an der Größe der Kabine: Über 2,10 Meter Höhe verschaffen ein luftiges Gefühl, wenngleich der Anblick von außen zunächst etwas merkwürdig ist, da die Kabine deutlich höher als der Böse-Koffer ist. Der Fernreisecharakter lässt sich auch an den vielseitigen Programmierungsmöglichkeiten für Standheizung, -klima und Weckfunktionen für die einzelnen Wochentage ablesen. Zudem ist standardmäßig ein zweites Klappbett verbaut, welches aber auch abbestellt werden kann. Eine Frage, die bis zuletzt beschäftigt: Was ist er nun, der S-Way NP? Iveco hat hier die allseits bekannte "eierlegende Wollmilchsau" präsentiert. Die Lenkfreundlichkeit und der Böse-Aufbau lassen eher auf einen Einsatz im (über)regionalen oder städtischen Verteilverkehr hindeuten, allerdings bietet sich auch die Möglichkeit für mehrtägige Touren, wovon natürlich ein LNG profitiert, insofern die Route über möglichst viele Mautstraßen führt. Zum Schluss noch eine Empfehlung abseits des Lkw: Nach den Fahraufgaben durften wir dann doch noch eines der Schussenrieder Biere ("Original No1") verkosten und können ihm mit einem guten Gewissen das Siegel "feierabendtauglich" verleihen. Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor (Cursor 13 NP, 460 PS), 4-Takt Ottoprinzip mit Multipoint-Einspritzung, Turbolader mit starrer Geometrie, Euro 6e mit 3-Wege-Kat, Hubraum: 12.900 cm3, Leistung: 460 PS (338 kW) bei 1900/min, max. Drehmom.: 2000 Nm bei 1100/min Kraftübertragung Automatisiertes Schaltgetriebe „Hi-TroniX“ (ZF-Traxon), synchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe, Range- u. Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 2 Rückwärtsgänge, Hinterachsübersetzung: i = 3,36; elektro- pneumatisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, 430 mm Durchmesser Fahrwerk 1. HA: 11,5-t-Antriebsachse; Vierbalg-Luftfeder, 2. HA: 7,5-t Nachlaufachse, lenk- und liftbar; Zweibalg-Luftfeder VA: 7,5-t-Lenkachse, Zweibalg-Luftfeder, Radstand: 5100 mm, Leergewicht Fahrgestell (exkl. Aufbau, Fahrer und volle Tanks): 9312 kg, techn. Nutzlast: 16688 kg Bremsen Zweikreis-Druckluftbremsanlage, Scheibenbremsen; Dauerbremse: Hydrodynamischer Intarder Mehr zum Thema finden Sie unter #LkwLNG www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Iveco verfolgt eine eigene Strategie, wenn es um alternative Lkw-Antriebe geht. Alle elektrischen Ambitionen sind beim Start-up Nikola angesiedelt - selbst setzt der Hersteller auf LNG. Anders als die Stromer-Kollegen fahren die Gaser bereits munter durch die Gegend - und das gar nicht mal so schlecht.

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