Start-ups schaden unserem Ruf

Wie frustrierend ist ein Bericht wie im Handelsblatt über angeblich innovative Startups in der Logistik und die vermeintlich konservative Logistikbranche? Benedikt Roßmann: Wir finden es grundsätzlich toll, dass sich in den letzten Jahren so viele innovative Unternehmen mit Logistik-Themen beschäftigen. Das macht uns auch Spaß, weil wir uns viel mit solchen Firmen beschäftigen und natürlich auch mit Start-ups sprechen. Hier und da gibt es durchaus gute Ansätze, die man übernehmen kann, oder man wird sogar selbst zum Kunden eines Start-ups. Schade ist nur, wenn sich einzelne Markt-Akteure dadurch versuchen abzusetzen, dass sie die etablierten Unternehmen hinstellen, als würden alle nur mit Stift, Papier und Faxgerät agieren wie im letzten Jahrtausend. Das entspricht einfach nicht der Realität. Mit so einer Aussage punktet man allenfalls bei einem ahnungslosen Finanzinvestor. Der denkt dann, in unserer Branche stecke unendlich viel Digitalisierungspotenzial, was wiederum in der Wirtschaftspresse gut ankommt ... Aber das kann man niemandem erzählen, der sich in der Branche auskennt. Wie gesagt, toll, dass es diese Start-ups gibt. Schade nur, dass man sich im konkreten Fall auf so eine negative Art versucht abzugrenzen. Philipp Doll: Die betreffenden Unternehmen sind ja bewusst im Handelsblatt gewesen, da treffen sie die breite Masse. In der VerkehrsRundschau oder einem anderen Fachmagazin hätte keiner ein solches Statement veröffentlicht, weil man da weiß, dass die Aussagen von Sennder und Co. so nicht stimmen. Leider verkauft sich der Mittelstand oft unter Wert. Im Handelsblatt-Beitrag wird rein über den Transport von A nach B gesprochen. Wir machen aber viel mehr. Wir haben Synergieeffekte mit Logistikobjekten, mit Value-Added-Services, mit Beratung, mit Prozessoptimierung. Im Transport optimieren wir doch seit Jahren die Auslastung der Fahrzeuge und versuchen Leerfahrten zu vermeiden. Das ist ein ganz wichtiger Teil unseres Tagesgeschäfts. Darüber müssen wir reden. Was digitale Speditionen wie Sennder machen, bieten wir doch längst an. Sennder ist aber eine rein digitale Spedition, ohne eigenen Fuhrpark. Wir hingegen sind eine Spedition im Selbsteintritt - mit eigenem Fahrpersonal und eigenen Fahrzeugen. Trotzdem ist bei aller Digitalisierung nicht immer eine Vorplanung möglich. Zehn Prozent sind vom Disponenten oder vom Unternehmen abhängig. Dann zählen die Erfahrung und die persönliche Beziehung. Das ist nicht digitalisierbar. Einen wichtigen Punkt sehen wir daher beim Thema Mitarbeiter. Hinter den Prozessen stehen Menschen. Unsere Branche hat sich in den letzten Jahren extrem weiterentwickelt. .. Stichwort E-Commerce. Da hat auch noch keiner gehört, dass die etablierte Logistik das nicht könnte. Wir als Familienunternehmen, als Mittelständler können das wirklich gut. Brachte Corona einen Imagewandel? Benedikt Roßmann: Es gab eine Phase, in der wir durch Corona auf einmal die Logistik-Helden waren. Aber der Ruhm kam leider nicht immer bei denjenigen an, die die Heldentaten vollbracht haben. Das sind vor allem unsere Lkw-Fahrer und die Mitarbeiter in den Logistikzentren. Die haben Großartiges geleistet und leisten es immer noch! Philipp Doll: Unsere Branche ist wohl zu dankbar und zu gutmütig. Wir sind zufrieden, wenn wir einen Auftrag haben, statt zu sagen: Hey Verlader, du kannst froh sein, dass du uns jetzt hast. Vor allem, wenn es um eigenen Laderaum geht. Stattdessen ist es meist umgekehrt und der Auftraggeber fordert Dankbarkeit ein. LTG-seitig sind wir während Corona nicht ins Homeoffice gegangen. Das hieß: Abwicklung wie immer! Dafür haben wir von den Auftraggebern viel positives Feedback bekommen - das hat uns gefreut. Heißt zusammengefasst, dass Dienstleister wie Sennder überflüssig sind? Benedikt Roßmann: Ja, die brauchen wir eigentlich nicht. Wir haben Disponenten ohne Stift und Papier, dafür mit Bildschirmen wie ein Wallstreet-Broker. Aufträge unserer Kunden werden digital überspielt. Wir verarbeiten sie digital in der Transportmanagement-Software, der sogenannten TMS, beziehungsweise der Speditions-Software. Dann überspielen wir die Daten an die Telematik-Systeme der eigenen Fahrzeuge und die der Subunternehmer. Heißt: Der komplette Durchlauf ist digital inklusive digital gescannter Ablieferbelege. Das einzig analoge ist die Ware, die auf einer Holzpalette steht. Letztlich heißt das aber nicht, dass Firmen wie Sennder nicht doch interessante Konzepte anbieten könnten. Ich kann mir gut vorstellen, dass digitale Speditionen ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln und nur noch den Algorithmus oder nur noch die Plattformen anbieten. Die Akquise von Umsatz und die Transportabwicklung sind doch für die Start-ups viel zu anstrengend ... (lacht). Die oft stressige Arbeit des Disponenten kann zum Beispiel in Zukunft dadurch erleichtert werden, dass ein Algorithmus wiederkehrende Standardabläufe vordisponiert. Der Disponent hat dann mehr Zeit für die besonders kniffligen Fälle, die Transportoptimierung und die Betreuung der Kunden. Wäre es für Logistiker wie LTG oder Ansorge nicht denkbar Algorithmen selbst zu entwickeln? Doll: Unsere Prozesse werden ständig optimiert, das geht schon in die richtige Richtung. Wir haben eine gute Auslastung, etwa mit festen Linien oder mit der Nutzung des Kombinierten Verkehrs. Im Mittelstand sind IT-Abteilungen in der Regel sehr stark im Tagesgeschäft involviert, da ist es naheliegender, eine solche Dienstleistung einzukaufen, statt sie selbst zu entwickeln. Roßmann: Wir können uns gut vorstellen, jemanden ins Haus zu holen, der einen Algorithmus liefert. Wir haben kürzlich mit einer Firma gesprochen, die einen Algorithmus zur Analyse unserer Transportrouten angeboten hat. Stichwort Machine Learning. Das System hätte künftig Dispositionsvorschläge für unsere Transport-Management-Software erarbeitet. Letztlich haben wir uns nicht für den Anbieter entschieden. Wir haben festgestellt, dass es zu viele Transporte waren, die wir schon selber sehr schnell disponieren. Es wird umso spannender, je kleinteiliger der Transport ist. Wenn ich an die letzte Meile in der Paketzustellung denke. Bei Paket-Zustellrouten, wo ich sehr viele Stopps, sehr viele Fahrzeuge habe, auf engstem Raum, wo es auch um Verkehrs-Echtzeitdaten geht. Da machen solche Algorithmen im Moment noch mehr Sinn. Ich glaube, die Endstufe ist irgendwann, dass klassische TMS-Anbieter das in ihrem Portfolio anbieten werden. Es gibt bereits spannende Ansätze zu solchen Dispositionsvorschlägen auf Basis von künstlicher Intelligenz. Da haben wir nicht auf Sennder und Co. gewartet. Mehr zum Thema finden Sie unter #Digitalisierung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Philipp Doll und Benedikt Roßmann sind die "Next Generation" in den Familienunternehmen Doll und Ansorge. In einer mehrteiligen Serie spricht die VR mit ihnen über aktuelle Themen - beginnend mit der Digitalsierung.

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