Die Sorge vor dem gläsernen Lkw

Realtime-Tracking hat Konjunktur: Verlader laden ihre Transporteure ein, sich einem Netzwerk anzuschließen, das seinerseits über Telematik-Integrationen allen an der Transportkette Beteiligten in Echtzeit Ortungsdaten, Sendungsstatus und die voraussichtliche Ankunftszeit (ETA) zur Verfügung stellt. Transportunternehmen werden denn auch immer öfter von ihren Auftraggebern gebeten, ihre Telematikdaten freizugeben - sei es für Frachtvermittlungsplattformen und/oder sogenannte Realtime-Visibility-Plattformen (RTV). Dass so mancher dabei Bauchschmerzen bekommt - schließlich handelt es sich bei Telematikdaten um besonders sensible Daten - ist kein Geheimnis. So auch Ingo Steingräber, der die Steingräber oHG mit Sitz in Berlin führt. Das Unternehmen transportiert vor allem Schüttgut und lose Lebensmittel, aber auch palettiertes Stück- und Sammelgut und wickelt zudem Aufträge über die Frachtvermittlungsplattform Transporeon ab. Schon seit dem vergangenen Jahr sieht sich Steingräber mit der Bitte eines Auftraggebers konfrontiert, seine Telematikdaten für das in Transporeon integrierte Realtime-Tracking von Sixfold freizugeben. Einer Bitte, der er bislang nicht nachgekommen ist, denn die Bedenken sind groß. "Mir wurde bislang nicht glaubwürdig aufgezeigt, wie Sixfold sicherstellt, dass durch die Ortungsdaten nicht auch Rückschlüsse auf meine anderen Geschäftsbeziehungen gezogen werden können", skizziert Steingräber seine Hauptsorge. Die Plattform erhalte schließlich ein komplettes Bewegungsprofil der Lkw, die ETA-Ermittlung berücksichtige typischerweise Stopps und Pausen. "Da muss man nur eins und eins zusammenzählen", sagt Steingräber. Die Zusicherung von Sixfold, dass man sich an die DSGVO halte, reiche ihm dabei nicht als Information. "Auf detaillierte Nachfragen zum Datenschutz wurde nur ausweichend reagiert beziehungsweise um den heißen Brei herumgeredet. Da werde ich grundsätzlich misstrauisch", so Steingräber. BGL und Elvis planen alternative Lösung Das Thema Weitergabe von Telematikdaten an Plattformen rief kürzlich auch den Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und den Europäischen Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (Elvis) auf den Plan: Der "häufig unbekümmerte Umgang mit der Weitergabe von Telematik-Daten an Dritte" sei dabei unbedingt kritisch zu hinterfragen, ließen der Verband und der Unternehmenszusammenschluss in einem gemeinsamen Statement verlauten. Man empfehle den Transport- und Speditionsunternehmen daher dringend, vom Plattformbetreiber einen Nachweis über entsprechende DSGVO-konforme Gewährleistungen und Datenschutzregelungen anzufordern, wenn sie Telematik-Daten austauschen wollen. Aufhorchen ließ aber vor allem die Ankündigung, man arbeite gemeinsam an einer eigenen, DSGVO-konformen Lösung. Laut BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt plane man allerdings kein Konkurrenzprodukt zu den Realtime-Visibility-Plattformen, sondern eine Branchenlösung, die zwischen dem Frachtführer und den RTV-Plattformen zwischengeschaltet wird (siehe Interview Seite 38). Datenschutzhinweise für Fahrer Die von Unternehmer Steingräber in Sachen Datenfreigabe bislang verschmähte Plattform Transporeon verweist auf Anfrage der VerkehrsRundschau darauf, dass man seinen Kunden bereits in der Fußzeile der Anmeldeseite vollständig transparente Datenschutzhinweise in mehreren Sprachen zur Verfügung stelle. Datenschutz spiele im Unternehmen eine entscheidende Rolle - und zwar bereits vor der Einführung der DSGVO, betont die Plattform. Bereits seit über vier Jahren besitze man ein ISO 27001-Zertifikat. Besondere Aufmerksamkeit erhielten demnach Telematikdaten. Vor diesem Hintergrund seien spezielle Datenschutzhinweise für Fahrer entwickelt worden, die in der Datenschutzerklärung verlinkt sind. Sorgen, Transportunternehmer könnten durch die Freigabe, gerade bei Teilladungen, etwas von sich preisgeben, entkräftet Transporeon mit folgender Aussage: "Zunächst möchten wir klarstellen, dass es zu keinem Zeitpunkt möglich ist, aus den Telematik-Systemen der Spediteure etwaige Routenplanungen - zukünftige sowie vergangene - abzurufen. Es gibt zwar interaktive Karten für die Lieferungen unserer Endkunden, dafür nutzen wir jedoch nur die aktuelle GPS-Position. Deshalb gibt es auch keinerlei Hinweise darauf, wohin die Fahrt geht." Bei Teil-Lieferungen beruhe der Tracking-Link außerdem nicht auf dem Transport als Ganzes, sondern es werde nur der spezielle Teil-Auftrag getrackt. "Der Endkunde ist nicht in der Lage, andere Teil-Lieferungen oder den Transport als Ganzes zu verfolgen. Er hat nur Einblick auf den Abschnitt seiner eigenen Entladeadresse, wenn sich das Fahrzeug mit seinem Transport dort nähert", stellt Transporeon klar. Zur Verbesserung des Transport-Prozesses habe der Verlader allerdings technisch die Möglichkeit, eigenständig Tracking-Links zu seiner jeweiligen Teil-Lieferung zu erstellen und diese mit seinen Kontakten zu teilen. An wen genau er diese Links sendet, obliege allein der Verantwortung des Verladers. "Dies haben wir entsprechend in unseren Datenschutzhinweisen vermerkt", so Transporeon. Letztendlich hätten Kunden immer die volle Kontrolle über die Verwaltung ihrer Telematik und die Weitergabe ihrer Daten, versichert der Plattformbetreiber. "Auch wenn die Plattform zusichert, dass nur der jeweilige Auftraggeber die Daten für seinen eigenen Auftrag sieht und meine anderen Lieferungen geschützt seien, kann ich nicht hundertprozentig ausschließen, dass das nicht doch in irgendeiner Weise ausgewertet wird", sagt Steingräber. Er wird so schnell auch nicht von dem Prinzip Realtime-Visibility zu überzeugen sein: "Es mag den einen oder anderen geben, der vielleicht auch aus Angst, den Kunden zu verlieren, seine Daten freigibt. Sollte ich eines Tages vor die Entscheidung gestellt werden 'Auftrag oder Mitmachen', bin ich raus." Auch BGL und Elvis mahnen an, dass Unternehmen, die die Weitergabe der Daten ablehnen, nicht von Ausschreibungen oder Transporten über eine Plattform ausgeschlossen oder benachteiligt werden dürften. Transporeon betont freilich: Die Freischaltung von Telematikfunktionen sei keine Voraussetzung dafür, die Plattform zu nutzen. DSGVO-Konformität bei US-Plattformen VerkehrsRundschau befragte weitere große Plattformen, die Echtzeittracking-Funktionen anbieten, welche Daten wie verwendet und geteilt werden. Tenor: Die Sorge, die Telematikdaten seien dort nicht sicher, ist unbegründet. "Die Weitergabe von Daten im Rahmen der Nutzung der Project44-Plattform erfolgt stets in Übereinstimmung mit der DSGVO", betont Michael Wallraven, Managing Director DACH & CEE bei der Realtime-Visibility-Plattform, die ihren Hauptsitz in Chicago, USA, hat. Die GPS-Position eines Fahrzeugs wird demnach frühestens 90 Minuten vor Start des Beladezeitfensters, oder wenn es sich in einem Umkreis von 50 Kilometern zur Beladestelle des Auftrages befindet, für den Auftraggeber sichtbar. "Die Übermittlung der GPS-Daten wird beendet, sobald das Fahrzeug nach der letzten Entladung die Entladestelle verlässt", sagt Wallraven. Darüber hinaus würden keine Schicht- oder Lenkzeiten der Fahrer erfasst. Und was passiert datentechnisch bei Teilladungen (LTL)? Hier verwende Project44 keine Echtzeitdaten, sondern nutze die Schnittstellen der Partner. "Zum einen durch direkte API-Verbindung mit dem TMS-System des Spediteurs, von dem aus der Spediteur entweder die Meilensteine an Project44 überträgt, oder Project44 die Meilensteine durch die Schnittstelle vom Dienstleister abholt. Oder der Spediteur sendet die Meilensteine über eine CSV-Datei an Project44", erklärt Wallraven. "Transparenz ist für unser Geschäft unerlässlich und wir nehmen den Datenschutz sehr ernst", sagt Jochum Reuter, Vice President EMEA Operations bei der US-Plattform FourKites. Man habe ein umfassendes DSGVO-Programm aufgelegt, entsprechende Informationen für europäische Kunden seien in der Private Policy-Sektion auf der Website zu finden. Sorgen von Transporteuren vor zu viel Transparenz entkräftet Reuter folgendermaßen: "Die FourKites-Plattform verfolgt nur die aktiven Ladungen. Wir tracken nicht die Routen, auf denen unsere Spediteure für ihre anderen Kunden unterwegs sind." Demnach werde vier Stunden vor einer geplanten Abholung mit dem Tracking begonnen, die Verfolgung dieses Carriers werde beendet, sobald er den Standort erreicht hat. Der Auftraggeber sehe nur den Namen des beauftragten Spediteurs, auch wenn die Ladung an einen Dritten vergeben wurde. Transporteure könnten zudem kontrollieren, welche Ladung verfolgt wird, indem sie die Genehmigung für einen bestimmten FourKites-Kunden jederzeit widerrufen könnten. Physisch getrennte Tourdaten Besonders umfangreiche Kontrollmöglichkeiten sichert derweil die europäische Plattform Shippeo den Nutzern zu: "Nur der Transporteur entscheidet, welche Daten er teilen will. Das muss auch gar nicht die Live-Ortung sein", sagt Thomas Spieker, Director Central Europe. Er könne auch das Teilen einzelner Events wie etwa geladen, abgeliefert oder auch nur die ETA auf der Plattform festlegen. "Der Transportunternehmer ist damit jederzeit Herr seiner Daten", betont Spieker. Das Tracking bei Shippeo beziehe sich grundsätzlich auf eine A-zu-B-Relation, die Daten einer Tour werden also physisch separiert. "Wenn ein Lkw auf einer Tour bei 15 Kunden auflädt und bei 15 Kunden ablädt, gibt es pro Stopp eine Datenquelle und damit 30 verschiedene ETAs", erklärt Spieker. Jeder Auftraggeber sehe nur das Tracking zu derjenigen A-zu-B-Relation, die seinen Auftrag betrifft. "Er kann also eben nicht den ganzen Tag einen Punkt auf der Karte verfolgen und so unter Umständen Rückschlüsse auf das Netzwerk des Transporteurs ziehen", sagt Spieker. Digitalisierung nicht aufs Spiel setzen Es werden nur Geodaten erhoben, Lenkund Ruhezeiten sowie fahrerbezogene Daten werden nicht ausgewertet. "Wir betreiben kein 24/7-Tracking, sondern schalten das Tracking pro Auftrag rund eine Stunde vor der Ladung an, errechnen die ETA und schalten das Tracking beim Abladeevent wieder aus", sagt Spieker. Er zeigt übrigens Verständnis für jeden Transportunternehmer, der wissen will, wo seine Daten landen und was mit ihnen passiert. Den jüngsten Aufruf von BGL und Elvis, bei der Weitergabe von Telematikdaten genau hinzuschauen, ob eine Plattform DSGVO-konform mit Daten umgeht, könne er nur unterstreichen. "Wenn den Transporteuren nicht transparent offengelegt wird, was mit ihren Daten passiert, laufen wir Gefahr, die Digitalisierung wieder zu entschleunigen", gibt Spieker zu bedenken. "Uns ist es wichtig, dass die Kontrolle und die Freigabe von Telematikdaten in den Händen unserer Kunden verbleiben", betont auch Gunnar Gburek, Company Spokesman & Head of Business Affairs bei der Frachtvermittlungsplattform Timocom. Hier können Transporteure über das sogenannte "Smart Logistics System" per Schnittstelle Daten an ihre Auftraggeber freigeben. Diese Freigabe umfasse die Position, Richtung und Geschwindigkeit des getrackten Objekts. "Ob Daten geteilt werden, entscheidet der Transportunternehmer selbst - und zwar für jeden Auftrag und jeden Auftraggeber einzeln", so Gburek. Bei Auftraggebern seines Vertrauens, mit denen er öfter zusammenarbeitet, könne er eine dauerhafte Freigabe seiner Daten einstellen. Es gebe aber auch die Möglichkeit, temporäre Freigaben zu erteilen, etwa bei Teilladungen. "Die Positionsdaten werden bei uns nicht ausgewertet und das ist auch nicht geplant", versichert Gburek. Auch wenn sich Plattformbetreiber also sichtlich um Transparenz bemühen, bei Ingo Steingräber dürften sie es wohl alle schwer haben. Die Ankündigung von BGL und Elvis, an einer eigenen Lösung zum Teilen von Daten zu arbeiten, stößt bei ihm daher auf offene Ohren: "Wenn eine neutrale Instanz wie der BGL oder auch ein Unternehmenszusammenschluss wie Elvis einen solchen Service aufziehen würden, würden sie bei der Datenverarbeitung kaum gegen die Interessen ihrer Mitglieder arbeiten." Mehr zum Thema finden Sie unter #Telematik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag "Daten sind das neue Gold" Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik (BGL) Sie planen gemeinsam mit Elvis eine eigene Lösung für das Tracken von Sendungen. Wie soll die aussehen? Wir planen kein Konkurrenzprodukt zu den Realtime-Visibility-Plattformen, sondern eine Branchenlösung, die zwischen dem Frachtführer als Datenlieferanten und den RTV-Plattformen zwischengeschaltet wird. Die Idee dahinter ist, dass diese Lösung letztendlich die Plattformen beliefert, und zwar nur mit ausgewählten Daten über den Zeitraum einer Tour. Um welche Daten handelt es sich? Die Überlegung ist: Müssen denn unbedingt die Telematikdaten der Zugmaschine weitergegeben werden oder reicht für die Übermittlung der ETA für einen einzelnen Auftrag nicht auch das Teilen der Aufliegerdaten? Genau darüber reden wir jetzt gezielt mit Trailerherstellern und dies möchten wir der Verladerschaft und den Plattformanbietern als DSGVO-konforme Lösung anbieten. Wann kann mit einer Umsetzung gerechnet werden? Die Gespräche mit Elvis, Trailerherstellern und auch Plattformbetreibern sind relativ konkret. Wir haben auch schon einen Softwareanbieter ins Auge gefasst, der mehrere große Plattformen schon heute bedient und unserer Ansicht nach eine DSGVO-konforme Lösung nach unseren Vorstellungen realisieren kann. Eine Umsetzung halte ich Anfang nächsten Jahres für realistisch. Meinen Sie, dass die RTV-Plattformen sich darauf einlassen? Es werden sicherlich nicht alle RTV-Plattformen zu unseren Bedingungen mitmachen, aber damit haben wir am Ende auch kein Problem. Daten sind das neue Gold. Wir als Verband und auch immer mehr Mitglieder sehen einfach nicht mehr ein, dass mittelständische Transportunternehmen sich komplett transparent machen und gleichzeitig die Kosten dafür auch noch selbst tragen sollen. Ich würde den Spieß sogar umdrehen und kann es mir perspektivisch vorstellen, dass Transportunternehmen für ihre Datendienstleistung von den Plattformen ein kleines Entgelt sehen. mh In Kürze Immer öfter werden Transporteure, die Frachtvermittlungsplattformen nutzen, von ihren Auftraggebern gebeten, Telematikdaten zu Trackingzwecken freizugeben. Während manches Transportunternehmen Bedenken hat, verweisen die Plattformbetreiber auf hohe Datenschutzstandards sowie Diskretion bezüglich der Transportnetzwerke.

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