Türkei

Türkei Ein Rückschlag für den Hoffnungsträger Bis 2023, dem 100-jährigen Jubiläum der Republik, möchte die Türkei zu den führenden Logistiknationen gehören. Um das zu erreichen, investiert das Land mächtig in die Infrastruktur. Welches Potenzial bietet die Türkei für deutsche Transport- und Logistikunternehmen? Am 26. Juni verhandelt die Türkei mit der EU in einer ersten Runde über den Beitritt in die Staatengemeinschaft. So war es geplant. Doch der vom Premier Recep Tayyip Erdogan angeordnete Polizeieinsatz gegenüber den Demonstranten auf dem Istanbuler Taksim-Platz gefährdet diesen Termin. Die türkische Regierung sende mit ihrer Reaktion auf die Proteste das falsche Signal ins eigene Land sowie nach Europa, warnte Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Dabei hat das Land, das als Drehscheibe zwischen Asien und der EU gilt, Großes vor. Bis 2023 will man vom derzeit 27. Platz im Logistikranking der Weltbank auf den 10. Platz vorrücken, erklärte der türkische Vize-Wirtschaftsminister Mustafa Sever auf einer Veranstaltung in Berlin. Dafür nimmt die Türkei viel Geld in die Hand. „Zwischen 2003 und 2012 wurden rund 75 Milliarden US-Dollar in die Infrastruktur investiert“, so Sever. Weitere gigantische Investitionen stehen an: So soll laut Halit Anlatan, Vertriebschef der Turkish Airlines Cargo, bis 2020 ein neuer Airport nordwestlich von Istanbul mit sechs Start- und Landebahnen entstehen. Und die Turkish Airlines hat sich zum Ziel gesetzt, das weltweit drittgrößte Luftfrachtunternehmen zu werden. Damit nicht genug: Für den Ausbau und die Modernisierung des Schienennetzes hat die türkische Regierung bis 2023 ein Budget von 23,5 Milliarden US-Dollar bewilligt. Umfassende Investitionen sind auch im Bereich der Häfen geplant und deren Anbindung an wichtige Bahnknotenpunkte. Zudem sollen bis 2023 16 groß angelegte Logistikzentren in der Türkei errichtet werden. Denn noch gibt es in diesem Land nur wenige solcher Anlagen mit multimodalen Terminals und entsprechenden Anbindungen. Die türkische Regierung fördert jedoch nicht nur die Infrastruktur im eigenen Land. Gerade im Logistikbereich unterstütze sie auch ihre Außenwirtschaft, erklärt Stefan Schröder, Leiter der Initiative Logistics Alliance Germany. „Errichtet ein türkisches Unternehmen in Deutschland ein Distributionszentrum, erhält es erhebliche Zuschüsse“, weiß der Experte. Die türkische Wirtschaft und die Regierung hätten jedoch nicht nur die Struktur der Absatzmärkte im Blick. „Sie denken bereits massiv in Wertschöpfungsketten, das ist eine der Besonderheiten dieses Marktes“, betont er. Deutsche hinken hinterher Die Mitglieder des Fördervereins der Logistics Alliance Germany haben die Türkei als eines ihrer Kernzielländer definiert. Als Hauptgrund, hier unter der Marke „Logistics made in Germany“ aufzutreten, geben die Logistikdienstleister die lokalen Aufkommenspotenziale, vor allem im Bereich Automobil, Textil- aber auch Chemieindustrie an. Außerdem ist die Entwicklung der Türkei als ein zentraler Hub in der Brückenkopffunktion zwischen Europa und Asien und die damit mögliche Markterschließung der angrenzenden Länder für sie wichtig. Dabei haben die deutschen Logistikdienstleister die Türkei relativ spät für sich entdeckt. Die Konkurrenz aus Übersee, aber auch aus dem restlichen Europa, hat vor Ort bereits stärker Fuß gefasst. „Momentan sehe ich unter den 15 Top-Logistikdienstleistern kein deutsches Unternehmen“, merkt Ahmet Yilmaz an, Deutschlands Repräsentant des Automobilzulieferverbandes Taysad. „Die Engländer, Franzosen und auch Spanier haben sich bisher in stärkerem Maße für den Standort interessiert als die Deutschen“, bestätigt Schröder. Das passt zu den Erfahrungen, von denen Andreas Fleischer, Country Manager Germany des Logistikimmobilienentwicklers Goodman, berichtet: „Aktuell spüren wir für die Türkei keine Nachfrage, das war einmal mehr.“ Seine deutschen Kunden ziehe es derzeit eher nach Asien oder nach Amerika, sagt Fleischer. Zurückhaltung ist auch beim Goodman-Wettbewerber Prologis zu beobachten: Überall dort, wo Lagerflächen im großen Stil benötigt werden, ist Prologis aktiv. Nur nicht in der Türkei. Man sei zwar mit Logistikdienstleistern im Gespräch. Zur Türkei gebe es aber nur vereinzelte Anfragen, sagt Thomas Karmann, Senior Vice President bei Prologis. „Wir sind offen zu erweitern, aber der Markt muss eine gewisse Größe haben, damit wir unsere Leistungen kostendeckend anbieten können.“ Mindestens zehn 300.000 bis 400.000 Quadratmeter große Hallen müssen laut Karmann dazu möglich sein. Dieses Potenzial habe die Türkei nicht, und daran werde sich auch bis 2014 nichts ändern. Auch an den Fuhrunternehmen mit Sitz in Deutschland geht der Aufschwung in der Türkei vorbei. „Allein zwischen 2010 und 2012 hat die Zahl der deutschen LKW, die in die Türkei fahren, um sieben Prozent abgenommen“, sagt Brigitte Waldow, Geschäftsführerin der AIST in Berlin. Und wie es aussieht, werde sich diese Entwicklung in diesem Jahr fortsetzen, sagt sie. Einer der wenigen Frachtführer, die von Deutschland aus LKW-Touren in die Türkei fahren, ist Cemil Acikgöz. Seit 16 Jahren bietet er Rundläufe von Deutschland in die Türkei an. Drei bis vier Tage inklusive Verzollung braucht er von Würzburg über den Landweg nach Istanbul. An Ladungen in die und aus der Türkei mangelt es laut Acikgöz nicht. Allerdings sei es schwierig, an diese zu kommen: „So können unter anderem bulgarische und rumänische Transportunternehmer zwei- bis dreimal billiger anbieten als wir Deutsche, weil dort die Kosten für Fahrerlöhne, Diesel und Steuern viel niedriger als in Deutschland sind.“ Die Renditen stimmen in der Türkei Anders, nämlich deutlich positiver sind die Erfahrungen von Speditionen, die in der Türkei mit Partnern zusammenarbeiten. „Schon vor zwei, drei Jahren hat unsere Kooperation VTL die Türkei als das wichtigste europäische Land der Zukunft identifiziert“, sagt Andreas Jäschke, Geschäftsführer des Speditionsverbundes. „Der Güteraustausch in die Türkei und umgekehrt nach Deutschland wächst rasant – gerade im Teil- und Komplettladungssegment“, sagt er. „Auch das Stückgutgeschäft wird sich in diese Richtung entwickeln. Da kann man die Türkei als wichtige Drehscheibe zwischen Europa und Asien sowie in den Nahen Osten nutzen.“ Auch die Rendite sei besser. „Um in der Türkei erfolgreich zu sein, braucht man allerdings einen starken Partner“, sagt Jäschke. Nur dann habe man Zugang zu der Kultur. Und das sei sehr wichtig. Seit gut einem Jahr kooperiert VTL deshalb mit der türkischen Spedition Intercombi, einem Unternehmen mit 3500 Mitarbeitern. Im Gegenzug drängen aber auch türkische Dienstleister in den europäischen Markt. Zu den am stärksten wachsenden Speditionen in der Türkei zählt Ekol. Das Unternehmen macht auch in Deutschland immer mehr Umsatz. So verfügt Ekol über 21.000 Quadratmeter Lagerfläche in Köln und Mannheim. „Alleine in den ersten fünf Monaten 2013 haben wir 8000 LKW von Deutschland in die Türkei geschickt und 5000 von der Türkei nach Deutschland“, sagt Eyüp Soner, COO von Ekol. Die Spedition arbeitet auf dieser Route vor allem für Automobilkunden wie Daimler, Ford, Volkswagen und Bosch. Mit wachsendem Erfolg: So stieg das Sendungsvolumen von Ekol zwischen Deutschland und der Türkei 2012 um 36 Prozent und in den ersten fünf Monaten 2013 um 47 Prozent. „Deutschland ist für uns das attraktivste Land neben der Türkei“, betont Soner. Die meisten Sendungen befördert Ekol im Kombinierten Verkehr zwischen dem Hafen Triest und Mannheim/Köln. Mittlerweile sind 17 Blockzüge dafür im Einsatz. Partner ist der deutsche Operateur Kombiverkehr. „Unser Ziel ist es, einer der führenden europäischen Logistikdienstleister zu werden“, betont Soner. Bleibt nur zu hoffen, dass das Land nicht einen Rückschlag erleidet wegen der Unruhen. Dieser würde die Wirtschaft, aber auch die türkischen und europäischen Logistikdienstleister empfindlich treffen, darunter würden aber vor allem die Menschen in der Türkei leiden. ❙❚■ Birgit Bauer, Michael Cordes, Eva Hassa, Heiner Siegmund, Serge Voigt Interview Neue Wege der Finanzierung Beim Internationalen Transportforum in Leipzig sprach der türkische Verkehrsminister Binali Yildirim über Infrastrukturfinanzierung. Was war das wichtigste Thema, über das Sie sich beim Internationalen Transportforum mit Ihren Kollegen ausgetauscht haben? Binali Yildirim: In diesem Jahr ging es vor allem um die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Regierungen müssen neue Möglichkeiten für die Finanzierung großer Infrastrukturprojekte finden. Staatliche Mittel alleine werden künftig nicht ausreichen. Die Türkei ist ein gutes Beispiel für die sehr erfolgreiche Umsetzung von Projekten nach dem Betreibermodell sowie ÖPP-Projekten in den letzten sechs Jahren. Dazu zählen Seehafenprojekte ebenso wie Flughäfen oder Autobahnen. Wie konnten Sie dafür genügend privates Kapital mobilisieren? Die Voraussetzung ist ein attraktives Projekt, bei dem die Prozesse genau definiert sind und faire Spielregeln gelten, die sowohl die Interessen des Staates schützen als auch die des Investors. Es muss eine Win-win-Situation sein. Was können andere von der Türkei lernen? Alle maßgeblichen Ratingagenturen haben der Türkei bescheinigt, dass sie zu den vielversprechendsten Plätzen für Investitionen zählt. Wir laden Investoren gerne ein, für die nächsten zehn, zwanzig Jahre bei uns zu investieren. Ein sehr gutes und aktuelles Beispiel ist der geplante neue internationale Airport in Istanbul. Es handelt sich um ein Betreibermodell-Projekt mit einer Laufzeit von zwanzig Jahren. Wo liegen die Vorteile solcher Projekte? Wenn Staaten versuchen, solche Projekte allein mit staatlichen Mitteln zu stemmen, dauert die Realisierung jahrelang. In der Zwischenzeit verändern sich die Ansprüche an die Infrastruktur und der Planungsstand wird von der Realität überholt. Reine Zeit- und Geldverschwendung. Der neue Flughafen in Istanbul soll über sechs Startbahnen verfügen. Entwickelt sich daraus eine Konkurrenz zum Hub in Dubai? Jeder Standort hat seine spezifischen Vorteile und der Markt ist groß genug für alle. Die Türkei hat traditionell eine Brückenfunktion zwischen Asien und Europa. Wir versuchen aus dem neuen Istanbul-Airport einen Hub zu machen, um Menschen und Güter von Ost nach West und von Süd nach Nord zu transportieren. Es wird ein Platz für europäische Transporteure ebenso wie für Unternehmen aus Russland, Afrika oder Fernost. Es gibt offenbar Irritationen über die Behinderung türkischer LKW beim Transit durch Österreich. Konnten Sie in Leipzig in der Sache etwas erreichen? Was dort passiert, widerspricht dem Gedanken internationaler Zusammenarbeit im Sinne des ITF. Türkische LKW, die Güter aus der Türkei nach Deutschland transportieren, werden beim Transit durch Österreich mit Verweis auf den ökologischen Schutz des Alpenraums behindert (Anm. d. Red.: siehe auch Kasten Seite 26). Die Fahrzeuge aus EU-Mitgliedsländern wie Bulgarien oder Rumänien haben freie Fahrt, wohingegen die türkischen LKW tagelang warten müssen, bis sie nach Deutschland weiterreisen können. Das ökologische Argument verfängt aus unserer Sicht nicht, da die türkischen LKW mit Euro 5 die höchste Abgasnorm erfüllen. Das ist Diskriminierung. Seit 1996 gilt ein Zollabkommen zwischen der Türkei und Europa, das allen Gütern und Menschen freie Fahrt ermöglichen soll. Was konnten Sie erreichen? Ich habe mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und meinem Amtskollegen aus Ungarn gesprochen. Mit Ramsauer sind wir übereingekommen, die Angelegenheit mit der österreichischen Verkehrsministerin Doris Bures gemeinsam zu diskutieren. diwi Ein Boom im türkischen Transportmarkt Acht Prozent Wachstum Boommarkt Türkei: Das Bruttoinlandsprodukt legte dort in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um fünf Prozent jährlich zu. Infolgedessen wächst auch der Logistikmarkt. Bis 2014 soll er laut einer Deloitte-Studie um acht Prozent zunehmen. Der Umsatz des türkischen Transportmarkts liegt laut dem türkischen Logistikverband Loder bei 60 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 44,9 Milliarden Euro). 2000 Unternehmen mit 400.000 Mitarbeitern sind laut Loder in diesem Markt tätig. Einer der Treiber ist der Außenhandel. „Bis 2023 soll der Export der Türkei verdreifacht werden“, sagt Cem Kaçmaz, Herausgeber des Logistikmagazins UTA Lojistik. 91 Prozent der gesamten Gütertransporte in der Türkei werden per LKW abgewickelt. Die Schiene ist Verkehrsträger Nummer zwei bei den gesamten Gütertransporten. Beim Außenhandel liegt der Seeweg mit 50,7 Prozent für Exporte und 53,2 Prozent für Importe vorne. Hier kommt der LKW auf einen Anteil von 40,3 Prozent für Exporte und 22,9 Prozent für Importe. Der Luftverkehr ist beim Außenhandel Verkehrsträger Nummer drei. bb Alpenstaat blockt türkische LKW ab 100.000 Genehmigungen fehlen Die türkischen Fuhrunternehmen sind empört über Österreich. Denn der Alpenstaat erschwert den Transit per LKW: „Seit die Rollende Landstraße zwischen Szeged und Wels eingestellt ist, kommt es zu massiven Verzögerungen“, klagt Alper Özel, Vize-Generaldirektor des türkischen Transportunternehmerverbandes UND. Die Ökombi, seit Mitte Mai in die Rail Cargo Austria integriert, hatte die Verbindung im Dezember 2012 eingestellt – nach Aussage Özels wegen fehlender Subventionen. Jetzt konzentriert sich alles auf die beiden Rollenden Landstraßen (Rola) Maribor – Wels und Triest – Salzburg. Die Folge sind lange Wartezeiten „bis zu zwei, drei Tage“, so Özel. Jährlich fahren laut dem Verband 120.000 türkische LKW durch Österreich. „Wir haben aber nur 15.000 Genehmigungen“, sagt Özel. Und während Ungarn als Ausgleich für die Einstellung der Rola Szeged – Wels die Zahl der Transitgenehmigungen erhöht hat, bleibt Österreich bei den 15.000. Da das Land bislang keine Signale sendet, der Türkei entgegenzukommen, hat der UND auch Gespräche mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und seinem Staatssekretär, Andreas Scheuer, geführt. „Denn unter diesen Bedingungen leiden auch deutsche Speditionen, die ihren Sitz in der Türkei haben. Darunter leidet aber auch die deutsche Wirtschaft, da ihre Produkte länger brauchen, um in die Türkei zu kommen oder nach Deutschland zu gelangen“, sagt Özel. cd „Die Türkei will bis 2023 auf den 10. Platz im Logistikranking der Weltbank vorrücken“ Mustafa Sever, Vize-Wirtschaftsminister der Türkei Die türkische Spedition Ekol streckt ihre Fühler zunehmend nach Deutschland aus