Gütersloh. Einfach typisch: Zwischen 19 und 24 Jahre alt, kinderlos, aus Deutschland und Abitur in der Tasche – so die Vorstellung vieler, wenn sie an Studierende denken. Aber gibt es überhaupt noch den typischen Studenten? Ja, sagen die Experten des CHE Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Aber längst stellt er nicht mehr die Mehrheit dar.
In ihrer kürzlich veröffentlichten Studie „Hochschulbildung wird zum Normalfall. Ein gesellschaftlicher Wandel und seine Folgen“ beleuchtet das CHE die Entwicklung des deutschen Hochschulsystems. Wichtigstes Ergebnis: Studieren ist nicht mehr die Ausnahme. Im Gegenteil, in den vergangenen 20 Jahren verdoppelte sich allein die Zahl der Erstsemester. Rund die Hälfte jedes Altersjahrgangs besucht eine Hochschule. Dort trifft man mittlerweile eine bunt gemischte Gruppe an Studierenden an – vom 19-jährigen Abiturienten über den Handwerkermeister bis hin zur Managerin.
Die Vielfalt der Bildungsbiografien hat enorm zugenommen. Jeder zehnte Studierende kommt aus dem Ausland, nahezu jeder vierte hat einen Migrationshintergrund und fünf Prozent aller Studierenden haben Kinder. „Ein Studium wird zum Normalfall, aber der bis dahin typische Studierende wird es nicht mehr sein“, sagt CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele. Aber welche Konsequenzen hat solch ein Wandel? Die wachsende Vielfalt unter den Studierenden müsse sich laut Ziegele auch in entsprechend vielfältigen Studienmodellen, Hochschulprofilen und Finanzierungsmöglichkeiten widerspiegeln.
„Die Hochschulen bemerken natürlich die größere Vielfalt der Studierenden auf dem Campus und viele reagieren mit entsprechenden Angeboten, etwa Brückenkurse in Mathematik vor Studienbeginn oder Betreuungsangebote für Studierende mit Kind. Doch dieses sind alles lokale ,Insellösungen‘“, erklärt der CHE-Geschäftsführer. Noch immer seien viele Studienangebote und -strukturen zu sehr auf den „typischen“ Abiturienten und Vollzeitstudierenden ausgerichtet.
Individueller lehren
Die neuen Bedingungen, denen sich die Hochschulen stellen müssen, werden sicherlich auch die Lehrinhalte beeinflussen, vermutet Frank Ziegele. Dass das Anforderungsniveau sinkt, muss aber niemand befürchten. „Gerade die neuen technischen Möglichkeiten wie beispielsweise digitale Lehrangebote bieten die Chance, individuell auf unterschiedliches Vorwissen und unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten einzugehen. Grundlagenwissen wie zum Beispiel ,Einführung in die Statistik‘ kann sich jetzt jeder Studierende so oft auf YouTube anschauen wie notwendig, um den Stoff zu verstehen.“ Dozenten könnten die auf diese Weise frei werdende Zeit nutzen, um individuelle Fragen zu klären und Verständnislücken zu schließen.
Immer mehr Hochschulen schaffen zudem Studienangebote, bei denen man in der Studieneingangsphase zwischen unterschiedlichen Geschwindigkeiten für das Studium wählen kann. Aber nicht nur die Hochschulen sind gefragt, um allen Studierenden gute Voraussetzungen für ihr Studium zu bieten. Der CHE-Geschäftsführer nimmt auch die Politik in die Pflicht: „Sie muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Dazu zählt etwa eine Studienfinanzierung, die auch ein BAföG für Teilzeitstudierende einschließt. Denn diese bleiben bisher leider noch oft ,auf der Strecke‘.“ (ts)