Schwerwiegende Argumente

Mehr Effizienz im Güterverkehr: Es gibt wohl niemanden, der dieser Forderung nicht zustimmen würde. Eine Variante, die schon seit Jahren immer wieder diskutiert wird, die aber fast genauso häufig wieder verworfen wurde, ist die Erhöhung der zulässigen Gesamtgewichte im Straßengüterverkehr. Doch jetzt gibt es einen Vorstoß, der die Debatte nicht nur neu aufleben lässt, sondern der womöglich auch Chancen hat, tatsächlich Veränderungen herbeizuführen. Denn mit der neuen Initiative Verkehrsentlastung haben sich 17 Wirtschaftsverbände für eine Erhöhung der Gewichte von 40 auf 44 Tonnen stark gemacht, die ein beachtliches, wirtschaftliches Gewicht auf die Waage bringen: Zusammen kommen sie auf 617 Milliarden Euro Jahresumsatz und beschäftigen 1,2 Millionen Menschen. Mit dieser Wirtschaftskraft im Rücken kann man Eindruck machen bei der Politik. Beitrag zum Klima- und Lärmschutz Die Initiative Verkehrsentlastung fordert eine Angleichung des zulässigen Gesamtgewichtes bei Lastkraftwagen von 40 auf 44 Tonnen, wie es bereits im Kombinierten Verkehr (KV) erlaubt ist. "So können die Lkw bei gleicher Technik besser ausgelastet werden und lässt sich die Zahl der Transporte verringern. Das hat spürbar positive Auswirkungen auf den Schadstoffausstoß, ist damit ein Beitrag zum Klimaschutz und reduziert auch die Lärmemissionen", zählt Andrea Heid, Bereichsleiterin Umweltschutz und Verkehr im VCI (Verband der chemischen Industrie), wichtige Argumente auf, die aus ihrer Sicht für eine solche Maßnahme sprechen. Der VCI ist einer der Verbände der neuen Initiative. Die Chemieindustrie ist einer der großen Auftraggeber für die Transportbranche. 141 Millionen Tonnen lassen die Chemiehersteller von den Dienstleistern in Deutschland befördern. Mit einem Anteil von 60 Prozent am Modal Split (bezogen auf die Verkehrsleistung) ist der Lkw das bevorzugte Transportmittel vor der Eisenbahn (23 Prozent) und der Binnenschifffahrt (17 Prozent). Große Relevanz hat die Angleichung von Gewichten in der Chemieindustrie bei flüssigen Gütern und Schüttgütern. Doch liegen dem VCI keine Zahlen dazu vor, wie viele Fahrten in der Branche davon letztlich betroffen sind. Heid macht eine Rechnung für Deutschland insgesamt auf, die auf Berechnungen der Initiative zurückgeht: Den Zahlen zufolge betrug 2016 das Güteraufkommen in Deutschland 3,5 Milliarden Tonnen. "Angenommen, diese Güter würden vollständig mit 40-Tonner und damit mit 26 Tonnen Zuladung transportiert, wären dies 135 Millionen Lkw-Fahrten", lautet Heids Analyse. Bei der Annahme, dass darunter zehn Prozent schwere Massengüter sind, kommt sie zu der Folgerung: "Mit Anhebung des Gesamtgewichtes könnte man Lkw-Fahrten im zweistelligen Millionenbereich vermeiden." Ein zusätzliches Coil auf der Ladefläche Richard Steinkamp, Vorsitzender des Verkehrsausschusses der Wirtschaftsvereinigung Metalle (gleichfalls Mitglied der Initiative), sieht ein enormes Einsparpotenzial, das mit dieser Maßnahme verbunden ist. "Je nach Schwere von Coils kann beim Transport eine Erhöhung des Gesamtgewichtes dazu führen, dass man ein Coil zusätzlich auf den Lkw verladen kann", sagt Steinkamp. Gleiches gelte für andere Metallstücke. Der Leiter Logistik Deutschland bei KME Germany in Osnabrück, einem Hersteller von Erzeugnissen aus Kupfer und Kupferlegierungen, weist zudem auf die enorme Belastung hin, die mit der Mautausweitung auf alle Bundesstraßen zum 1. Juli 2018 und der Erhöhung zum 1. Januar 2019 verbunden ist. Damit die NE-Metallindustrie international wettbewerbsfähig bleibe, müsse man jede Möglichkeit zur Verbesserung der Effizienz in Erwägung zu ziehen. Der Transport spiele dabei eine wichtige Rolle. "Die Transportlogistikkosten stellen einen signifikanten Anteil an den Gesamtkosten dar", führt Steinkamp weiter aus. Ein wesentlicher Grund für die Initiative ist laut Steinkamp der Fahrermangel im Transportgewerbe und damit die Sorge der Verlader, dass die Ware nicht mehr abgefahren wird. "Dieser Fahrer- und Fachkräftemangel hat natürlich eine große Sorge gespielt." Europaweit würden mittlerweile Kapazitäten fehlen. Auch zunehmende Staus würden zu Verzögerungen führen und damit die Fahrtzeiten verlängern, sodass gebuchte Zeitfenster nicht mehr eingehalten werden können. Auch Achim Beerheide, Referent für Verkehrs- und Infrastrukturpolitik in der Wirtschaftsvereinigung (WV) Stahl (auch Mitglied der Initiative), ist für eine Anhebung der Gewichte um vier Tonnen: "Bei einer Zuladung von 25 Tonnen kann die Lkw-Auslastung um 15 Prozent erhöht werden." Insgesamt werden für die Stahlindustrie in Deutschland jährlich 140 Millionen Tonnen bewegt. Im Wareneingang hat der Lkw einen Anteil am Modal Split von sieben Prozent. Im Warenausgang liegt dieser bei 36 Prozent, weil in der Feinverteilung von Stahl die Straße eine deutliche höhere Bedeutung einnimmt als im Eingang. Bei der Belieferung der Werke vor allem mit Rohstoffen sind die Bahn (46 Prozent) und das Binnenschiff (47 Prozent) die bevorzugten Verkehrsträger. Auch im Güterausgang ist die Bahn führend (53 Prozent). "In der Stahlindustrie tritt zudem häufig das Problem auf, dass mit Beladung von zwei Einzelstücken gerade die Grenze von 40 Tonnen überschritten wird. Dann kommen also zwei Lkw zum Einsatz", erklärt Beerheide. Mit der Erhöhung um vier Tonnen könnte also eine komplette Tour eingespart werden. Für die gesamte Stahlindustrie würde das bedeuten, dass pro Jahr 100.000 Lkw-Fahrten weniger benötigt würden. Doch neben all diesen Vorteilen gibt es vor allem zwei Vorbehalte gegenüber dem Vorstoß. Der erste betrifft die Folgen für die Infrastruktur. Durch den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua ist die Befürchtung gestiegen, die Erhöhung um vier Tonnen könnte die Brücken stärker beschädigen. "Die damit verbundene Belastung liegt nur marginal höher", entgegnet Steinkamp. Zum einen, so sein Gegenargument, fahren bereits heute Lkw mit 44 Tonnen über diese Brücken, weil im Vor- und Nachlauf des KV diese Gewichte seit Jahrzehnten erlaubt sind. Zum anderen haben die Verbände auf Grundlage einer Studie der Professoren Karsten Geißler und Reinhard Maurer zur Belastung der Brücken durch Lkw-Gesamtlasten von 44 Tonnen eine Einschätzung eines weiteren Experten eingeholt, der zu dem Ergebnis kommt, dass "hinsichtlich Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit von Brücken nur eine relativ geringe höhere Beanspruchung eintreten wird", wie es in der Untersuchung heißt. Ein weiteres Argument gegen die 44-Tonner ist die stärkere Belastung des Fahrbahnbelags. Gemäß dem sogenannten AASHO-Road-Test steigt die Belastung mit zunehmendem Gewicht überproportional. Betrug die Achslast bei einem 5-Achserbislang acht Tonnen, steigt sie mit 44 Tonnen Gesamtgewicht auf 8,8 Tonnen. Die Folgen könnten mehr Schlaglöcher, eine frühere Reparatur des Belages und damit mehr Baustellen und Staus sein. "Zu berücksichtigen ist aber, dass sich zugleich die Zahl der Transporte verringert und damit die Beanspruchung sinkt", entgegnet Heid. Keine Nachteile für die Schiene Das zweite, gewichtige Gegenargument betrifft den Schienengüterverkehr, hier insbesondere den KV. Kritiker einer Gewichtsanhebung prognostizieren, dass damit der Lkw preislich wettbewerbsfähiger wird und Mengen von der Schiene auf die Straße abwandern. Im Ganzzugverkehr bestehen solche Befürchtungen kaum, weil hier die Schiene deutliche Vorteile hat. Aber im Einzelwagenverkehr und vor allem im KV ist so eine Entwicklung nicht ausgeschlossen. Nicht ohne Grund gibt es die Sonderregel, nach der im Vorund Nachlauf im KV ein zulässiges Gesamtgewicht von 44 Tonnen erlaubt ist. Doch weder Heid noch Beerheide und Steinkamp glauben, dass darunter die Schiene leiden wird. "Noch mehr Transporte auf der Straße: Dafür gibt es doch aktuell kein ausreichendes Fahrpersonal, und das würde auch zu einem noch höheren Verkehrsaufkommen führen", sagt Steinkamp. "Bereits ein einzelner Güterwagen kann schon weit höhere Gewichte befördern als ein Lkw", ergänzt Beerheide. Und Heid stellt klar: "Wir wollen dem KV keine Mengen wegnehmen und sehen auch nicht, dass das passieren könnte. Im Gegenteil, der KV hat große Wachstumsraten. Gerade die Chemieindustrie nutzt diese Form des Transports intensiv." Die Verbände haben ihr Forderungspapier Mitte September an das Bundesverkehrsministerium, an die Landesverkehrsministerien und Politiker und Verbände geschickt. Bislang gab es noch keine Reaktionen. "Wir hätten jedoch mit deutlich mehr Gegenwind gerechnet", sagt Steinkamp, sodass er die derzeitige Ruhe eher positiv bewertet. Heid sieht einen Grund für die Ruhe darin, dass die Arbeit nach der Sommerpause gerade erst wieder aufgenommen wurde. Zum anderen würden im Bundesverkehrsministerium gerade andere Themen oben auf der Tagesordnung stehen. Bundesverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehören derzeit nicht zu den Unterzeichnern des Forderungspapiers. Aber wie aus dem Umfeld der 17 Verbände zu hören war, will man sich im BDI in den nächsten Wochen zumindest mit dem Thema befassen. Logistikverbände hingegen sind bislang nicht mit im Boot, aber es wurden einige Speditionen eingebunden. "Uns ging es jedoch zunächst darum, dass dies ein Statement der verladenden Industrie ist", sagt Heid. Mehr zum Thema im Dossier Maße und Gewichte www.verkehrsrundschau.de/dossiers BGL fordert eine Studie der BASt zum 44-Tonner Engelhardt: "Wir stehen kurz vor einem Versorgungskollaps"Nach der Veröffentlichung des Papiers durch die Initiative Verkehrsentlastung hat sich jetzt der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) gegenüber der VerkehrsRundschau (VR) zu der Forderung nach einem 44-Tonner geäußert, und zwar weder dafür, aber auch nicht dagegen:"Wir als BGL fordern eine Studie durch die Bundesanstalt für Straßenwesen BASt, die die Aspekte zu den Folgen höherer Gewichte, die Achsanzahl, Achsabstände und Achsklassen klärt", teilte Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des BGL, der VR mit. Erst dann könne man eine Aussage tätigen, ob eine Anhebung des Gewichts sinnvoll ist, und wenn ja, ob es nun 42, 44 oder 46 Tonnen werden. Engelhardt begründete diese Forderung zum einen mit dem Zustand der Straßen und nannte als Beispiel die A 45, die Sauerlandlinie, auf der alle Brücken saniert werden müssten.Zum anderen müsse man im Falle einer Erhöhung der Wegekosten auch die Maut im Blick haben."Womöglich kommt dann eine neue Mautklasse hinzu. Erst wenn diese Fragen gelöst sind, wird sich der BGL entsprechend positionieren", sagte Engelhardt.Engelhardt warnte daher auch davor, dass die Verlader die Gleichung aufmachen: 15 Prozent mehr Ladung bedeutet 15 Prozent Preisreduzierung."Diese Gleichung geht nicht auf, denn höhere Gewichte gehen einher mit höherem Verschleiß und Verbrauch. Auch ist noch nicht geklärt, ob eine weitere Achse notwendig ist." Bei dem Thema Verlagerung von der Schiene auf die Straße teilt er die Ansicht der Vertreter der Initiative: "Wir sind für eine Verlagerung von Transporten auf die Bahn." Er kann keine Rückverlagerung zur Straße erkennen."Das Letzte, was unsere Unternehmen wollen, ist eine Schwächung des KV", so Engelhardt. Der Hauptgeschäftsführer sieht in dem zunehmenden Fahrermangel einen wichtigen Auslöser für die Initiative:"Wir stehen kurz vor einem Versorgungskollaps. Und jedem wird langsam bewusst, dass in dem Transportsektor etwas passieren muss."Engelhardt kündigte an, dass der BGL die Idee einer Studie mit den Ministerien besprechen und ausloten werde."Das machen wir nach der Mitgliederversammlung Ende Oktober", sagte der Hauptgeschäftsführer. cd

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