Griechenland

Griechenland Nur die Kosten steigen weiter Die Milliardenbeträge, die im Zusammenhang mit Griechenland täglich zu lesen sind, liegen außerhalb der normalen Vorstellung. Ein Blick auf die griechische Transportbranche macht die Dramatik fassbar. Griechenland hat ungefähr so viele Einwohner wie das Bundesland Bayern, ist allerdings ungefähr 85 Prozent größer. Doch betrachtet man die Situation auf dem Lkw-Markt, schlägt inzwischen jedes deutsche Mittelzentrum den Patienten der EU um Längen. Zur Erinnerung: Als Deutschland vor drei Jahren in die Rezession schlitterte, bilanzierten Volkswirtschaftler einen Rückgang des Bruttosozialprodukts von etwa drei Prozent. In Griechenland liegt die Marke inzwischen offiziell bei sieben bis acht Prozent, vermutlich aber noch höher, da wegen der kleinräumigen ökonomischen Strukturen nicht alle Details des Dramas statistisch erfasst werden. Die Agonie des EU-Gründungsmitglieds Griechenland zeigt sich zum Beispiel in Athen, wo viele Straßenzüge Assoziationen mit Städten in Schwellenländern hervorrufen. Sie zeigt sich aber auch an einem Manager wie Roland Schacht, der für die Geschäfte von MAN Truck & Bus in Griechenland verantwortlich ist – früher ein Vollzeitjob. Schacht hat seinen privaten Lebensmittelpunkt in Athen – und konnte diesen nur beibehalten, weil er in der MAN-Organisation einen zweiten Job übernahm. Für Griechen gehört der Zweitberuf inzwischen zum Alltag, sofern sich überhaupt ein zweiter Job finden lässt. Für einen Manager wie Schacht ist das eher ungewöhnlich; er ist jetzt noch für private MAN-Importgesellschaften zwischen Island und Israel zuständig. Ausnahmezustand seit 2009 Das letzte einigermaßen normale Jahr aus Sicht der Nutzfahrzeugbranche war 2009. Damals schloss die Mehrzahl der Importeure und Händler ihre Bilanzen mit einer schwarzen Null. „Danach brach der Markt komplett zusammen und wir haben, wie unsere Kollegen auch, auf Überlebensmodus geschaltet“, berichtet Schacht. 2009 konnten die Importgesellschaften noch 2200 Neufahrzeuge und rund 10.000 importierte Gebraucht-Lkw absetzen. Im vergangenen Jahr nahm der Markt weniger als 400 Neuverkäufe und rund 2000 gebrauchte Trucks auf. Der Anteil von MAN am geschrumpften Kuchen: 60 verkaufte Neufahrzeuge. Bei den anderen Importeuren ist die Lage vergleichbar. Zu Bruch gegangene Geschäftsmodelle Neubestellungen, weiß Schacht, kommen allenfalls aus dem Lebensmittelsektor, zum Beispiel für Milchtanker, und von Firmen, die aus anderen Gründen auf modernes Equipment angewiesen sind: Transporteure aus der Mineralöl- oder Gefahrgutbranche beispielsweise. Dagegen ist der Bausektor vor allem wegen der eingefrorenen staatlichen Investitionen und gestoppten Infrastrukturprojekte komplett zusammengebrochen, neue Kipper oder Mischer-Chassis sind in Griechenland unverkäuflich. In dem südeuropäischen Land war der Staat der größte Arbeit- und Auftraggeber, dieser hat aber kein Geld mehr, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die Autobahn zwischen Athen und Patras ist das sichtbare Zeichen dafür: Bis Korinth ist der Highway sechsspurig ausgebaut, danach reiht sich Baustelle an Baustelle – und alle sind eingemottet: Baustahl verrostet in halbfertigen Brücken, aus rohen Tunnelwänden tropft Wasser; wo früher Material gelagert und Beton gemischt wurde, parken Baumaschinen und Trucks. Probleme gibt es auch mit den privaten Straßenbetreibern, die ihre Verträge mit dem Staat neu verhandeln wollen: Wegen der stark zurückgegangenen Mauteinnahmen funktioniert das Geschäftsmodell nicht mehr. Gefälschte Ersatzteile Zudem berichten die Fahrzeughersteller über deutlich gesunkene Absätze im Bereich Ersatzteile. Serviceintervalle werden gestreckt, an die Herstellerempfehlungen hält sich in dem krisengeschüttelten Land schon lange niemand mehr. Schacht: „Da wird nur noch das Nötigste gemacht. Üblicherweise weichen die Transporteure auf billigere Nachahmerprodukte oder gefälschte Ersatzteile aus. Gespart wird sogar bei den Teilen, die für die Betriebssicherheit des Fahrzeugs essenziell sind, also zum Beispiel Bremsbelägen.“ Hilft das alles nichts, fahren griechische Trucks auch ohne Versicherungsschutz durchs Land. Für die Transportunternehmer ist die schlechte Zahlungsmoral vieler Kunden ein großer Teil des Problems. Viele Auftraggeber können – oder wollen – nicht in einem „vernünftigen“ Zeitraum bezahlen. Andreas Novas zeigt uns einen Scheck, den er im vergangenen Oktober von einem Kunden erhalten hat. Der liegt im Safe des Transportunternehmers – weil er erst am 30. Juni 2012 zur Zahlung fällig wird. Bei diesem Kunden weiß Novas, dass er das Geld erhalten wird, bei anderen ist das keineswegs sicher. Das führt dazu, dass viele Transportunternehmer Aufträge annehmen, die sofort in bar bezahlt werden, allerdings zu nicht kostendeckenden Preisen. Doch so kommt wenigstens noch Geld in die Kasse. Kleinbetriebe überleben irgendwie Das Gros der griechischen Transportunternehmen fällt wie Novas in die Rubrik „Familienbetrieb“. Ermittelt man den Durchschnitt, ergibt sich unter dem Strich als typische Firmenstruktur ein Kleinbetrieb mit vier LKW. Viele dieser Kleinunternehmer überleben die Krise irgendwie, fast alle haben einen Teil ihres Fuhrparks stillgelegt. Die Unternehmen sparen damit Steuern und Abgaben. Andererseits ist es auch nötig, Fahrer zu entlassen. Das treibt die Arbeitslosenrate nach oben, die im Transportsektor bei 25 Prozent und damit vier Prozent über der allgemeinen Rate liegt. Großunternehmen scheinen erheblich mehr Schwierigkeiten zu haben, durch die Krise zu navigieren. So mussten die beiden Firmen Caberos and Imperio Argo Group Insolvenz anmelden – beide waren bekannte Namen auf dem griechischen Markt, Argo sogar eines der Schwergewichte der Transport- und Logistikbranche. Diesel verdoppelt, Maut vervierfacht Petros Skoulikidis repräsentiert als Chef des Griechischen Syndikats für Straßengütertransport 15.000 Transportunternehmer. Für ihn hat die Situation neben den politischen Rahmenbedingungen ökonomische und vor allem strukturelle Gründe. Zudem sind dem Verbandspräsidenten die vielen LKW mit albanischen, mazedonischen und bulgarischen Nummernschildern ein Dorn im Auge. Er glaubt, dass ein großer Teil dieser Fahrzeuge illegal unterwegs ist: „Die griechischen Trucker sind wohl die Einzigen in Europa, die ständig mehr Polizeikontrollen fordern. Damit die illegale Billig-Konkurrenz endlich eingedämmt wird.“ Wirtschaftlich machen den griechischen Transporteuren vor allem die gewaltigen Preisanstiege bei Diesel und Mautgebühren zu schaffen. Die Treibstoffpreise bewegen sich inzwischen auf europäischem Niveau, liegen geringfügig über denen in Deutschland. Doch während der Anstieg hierzulande einigermaßen kontinuierlich über einen längeren Zeitraum erfolgte, verdoppelten sich die Dieselpreise in Griechenland innerhalb von gut zwei Jahren nahezu – und die Unternehmer haben nicht die geringste Chance, die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterzureichen. Die Maut für die Strecke Athen-Thessaloniki, gut 500 Kilometer, hat sich im gleichen Zeitraum von 40 auf 175 Euro mehr als vervierfacht. In Deutschland fallen Transporteuren beim Thema Konzessionen allenfalls nostalgische Geschichten ein – Griechenland ist gerade erst dabei, das verkrustete System abzuschaffen. Die Lizenzen wurden in den siebziger Jahre vergeben und seitdem nur unter der Hand zu horrenden Preisen gehandelt, erst kürzlich wurde das System modifiziert. Das führte dazu, dass Unternehmer Zweigfirmen im Ausland eröffneten, weil sie ihren Fuhrpark zu Hause nicht mehr aufstocken konnten. Unternehmer Konstantinos Sachias beispielsweise, betreibt ein Büro seiner Firma KFS-Transport im Münchener Großmarkt. Demnächst kommt eine weitere Niederlassung dazu, die Verbandspräsidenten Skoulikidis nicht gefallen dürfte: Sachias wird eine Zweigstelle in Bulgarien eröffnen. „Ich hätte das schon früher machen sollen“, grollt der Grieche, den im Nachbarland Rahmenbedingungen erwarten, die zum Ausflaggen einladen: Löhne, Sozialabgaben und Unternehmenssteuern betragen nur zehn bis zwanzig Prozent der in Griechenland üblichen Beträge. ❙❚■ Richard Kienberger, freier Journalist Außer im Lebensmittelbereich bewegt sich auf dem griechischen Transportmarkt nicht mehr viel Transportunternehmer Andreas Novas: Aufträge mit über einem halben Jahr Zahlungsziel Griechenland Fast Stillstand im Hafen Für die Krise in Griechenland gibt es unzählige Indikatoren. Auch im früher geschäftigen Container-Terminal im Hafen von Piräus wird inzwischen vor allem der Mangel verwaltet. Der Terminal verfügt über jeweils knapp 5000 Quadratmeter Stellflächen für ADR- und Frigo-Container sowie knapp 14.000 Quadratmeter Platz für Leercontainer. Die mögliche Umschlagkapazität liegt bei einer Million TEU (Standardcontainer) pro Jahr. 2009 wurden in Piräus im direkten Import-Export-Geschäft noch 377.946 TEU umgeschlagen. Das Handling inklusive Transitumschlag und Leergut belief sich auf 664.895 TEU. 2010 reduzierte sich das Geschäft auf 229.457 beziehungsweise 513.319 Standardcontainer. Im vergangenen Jahr lag das Aufkommen gerade einmal bei 52.797 beziehungsweise 490.904 TEU. Die krasse Differenz zeigt, dass die Warenströme von und nach Griechenland fast zum Erliegen gekommen sind. rk Mangelverwaltung in Piräus Griechenland Begehrliche Blicke in den Süden lohnen nicht Mag sein, dass deutsche Transport- oder Logistikunternehmen mit gesunder Bilanz erwägen, jetzt günstig in den krisengebeutelten griechischen Markt einzusteigen. Was aber vermutlich kein gutes Geschäft wäre. Denn wegen der legislativen Rahmenbedingungen kann ein Ausländer zunächst nur den „Inhalt“ einer griechischen Firma kaufen. Um den Fuhrpark betreiben zu können, braucht es nach wie vor Lizenzen. Diese müssen entweder vom griechischen Inhaber zusammen mit der Firma und den Lastwagen verkauft oder aber bei der zuständigen Behörde neu beantragt werden. Seit einigen Monaten werden zwar erstmals seit Jahrzehnten wieder neue Lizenzen ausgestellt, sogar für eine vergleichsweise günstige Gebühr von 1500 Euro. Diese sind aber nur in Verbindung mit Euro-5-Lkw gültig. Nachdem das Durchschnittsalter des griechischen Lkw-Bestands bei 18 Jahren liegt, sind diese Baumuster nur in wenigen Fuhrparks anzutreffen. Zudem ist der Preisverfall – auch auf den Relationen von Deutschland nach Griechenland – so dramatisch, dass sich die Investition in ein Logistik- und Transportunternehmen dort vermutlich auf Jahre hinaus nicht rentieren wird. Unternehmer Konstantinos Sachias berichtet, dass es wegen der zum Erliegen gekommenen Nachfrage des klassischen Importlands Griechenland inzwischen mitunter einfacher ist, Ladungen von Süd nach Nord zu bekommen als umgekehrt. Nachdem die produzierende Industrie in Griechenland ein Schattendasein führt, ist auch der Spielraum für das Etablieren logistischer Dienstleistungen überschaubar. Optimisten erwarten eine leichte Verbesserung der Situation allenfalls mittelfristig, Ende dieses Jahres soll die Talsohle erreicht sein. Bis sich das Land vollständig von der Rezession erholen wird, die eine der schlimmsten in der Geschichte hoch entwickelter Volkswirtschaften ist, dürfte es nach Ansicht von Marktkennern noch mindestens zehn Jahre dauern. rk Talsohle Ende des jahres erwartet Lizenz zum Fuhrparkbetrieb