Geschwindigkeit in der Seefracht

Geschwindigkeit in der SeefrachtIn Gottes HandEs gibt diese zwei Geschwindigkeiten in der Seefracht: auf Wasser, wo es auf ein paar Tage nicht ankommt – und an Land, wo im Hinterlandverkehr plötzlich Stunden zählen. Lesen Sie, was die Ursachen für die zwei Geschwindigkeiten sind. Flüche rund um die Seeschifffahrt gibt es bekanntlich viele: von Seefahrern, von Kapitänen aus diversen Romanen und aus Piratenfilmen, die in der Karibik spielen. Weniger bekannt ist hingegen der Fluch der letzten Meile in der Seeschifffahrt. Der Fluch der HinterlandverkehreUnd streng genommen hat dieser Fluch nicht direkt etwas mit Seeschifffahrt zu tun. Er bezieht sich ausschließlich auf den Hinterlandtransport. Denn in dem Moment, in dem der Container auf festem Boden steht, kommt plötzlich neuer Druck in die Transportkette. Als ob jemand den Startschuss gibt für ein Rennen, welcher Container zuerst beim Kunden ist. Vorher hingegen geht es in der Logistikkette geradezu gemächlich zu. Während überall von Beschleunigung in der Logistikkette die Rede ist, hat sich in der Seeschifffahrt genau die gegenteilige Entwicklung durchgesetzt. Slow Steaming heißt das Zauberwort. Statt bis zu 26 Knoten schnell sind die Containerschiffe der Reeder auf den Langstrecken nur noch mit 18 Knoten unterwegs, um so den Kraftstoffverbrauch zu senken (siehe Kasten unten). Die Folge: Statt früher 26/27 Tage benötigt heute beispielsweise ein Liniendienst der Reederei Hapag Lloyd von Hamburg nach Shanghai 35 Tage und in umgekehrter Richtung 32 Tage.Den Kunden der Reedereien blieb nichts anderes übrig, als diese längere Lieferzeit zu schlucken. „Die Verladerschaft stellt sich in der Regel auch darauf ein, indem beispielsweise Aktionsware früher beim Lieferanten bestellt wird“, sagt Frank Buchberger, Air/Ocean Freight Import Manager bei Panalpina in München. Doch nicht immer klappt das auch so, wie sich der Verlader das wünscht. „Wenn aufgrund von Lieferproblemen oder anderen Gründen doch eine Schiffsabfahrt verpasst wird, versucht man im Inlandsnachlauf diese Zeit wiedergutzumachen“, sagt Buchberger. Gerade bei Waren zu Produktionszwecken wie in der Automobilindustrie sei dies der Fall. Und weil aufgrund von Slow Steaming und dem Einsatz immer größerer Schiffe die Seehäfen weniger häufig angefahren werden, nimmt der Druck in der Transportkette zu, wenn eine Schiffsabfahrt verpasst wird.Aber auch wenn alles planmäßig verläuft, gibt es Boxen, bei denen der Lieferdruck steigt, sobald sie von der Containerbrücke über die Kaikante gehievt werden. „Wir haben Auftraggeber, die enormen Druck in ihrer Lieferkette haben – entweder, weil ihre Produkte stark nachgefragt sind oder weil es teure Produkte sind“, sagt Diederick de Vroet, Leiter globale Seefracht in der Zentrale der Schenker AG. Hochwertige Produkte binden viel Kapital. Das soll nicht in Containern auf dem Meer herumschippern, sondern möglichst schnell in die Kassen der Verkäufer fließen.„Der Druck auf die Lieferkette steigt, je näher die Ware dem Bestimmungsort kommt“, bestätigt Jan-Hendrik Köstergarten, bei Kühne + Nagel (K+N) in der Geschäftsleitung für Seefracht Zentraleuropa zuständig. Dieser Druck macht sich laut Köstergarten bei Importware schon bemerkbar, bevor das Schiff den Hafen anläuft: „Denn der Kunde ist über unser Visibility-Tool bereits vor der Schiffsankunft informiert, wann das Schiff den Hafen anläuft.“ K+N überprüft in diesem Tool kontinuierlich die effektiven Ankunftsdaten und stellt sie dem Kunden für seine Planungen zur Verfügung. Bei Schiffsverspätungen gibt‘s „Theater“„Ein wesentlicher Teil der Importläger läuft nicht mehr in Pufferlager hinein, sondern geht direkt in die Marktbelieferung, in die Regale oder in die Produktion“, nennt Ludwig Kastl, zuständig für den Seefracht-Import der Panalpina-Niederlassung München, einen weiteren Grund für die zunehmende Eile. Der Warenbedarf sei schon sehr akut, wenn das Schiff im Zulauf auf Europa ist.Sind dann die Schiffe auch noch zu spät, gibt es „Theater“, wie es ein Spediteur ausdrückt. „20 Prozent der Seecontainerschiffe laufen die Häfen nicht pünktlich an“, weiß Tanja Weibrecht, im Vertrieb bei dem auf Seecontainer spezialisierten Operateur Transfracht tätig. Das ist schlecht für die Spediteure, die mit den Kunden in der Regel Vereinbarungen über die komplette Lieferzeit treffen. „Die letzte Meile können wir aber erst planen, wenn wir von der Reederei die Bestätigung haben, dass der Container tatsächlich im Hafen gelöscht ist. Wenn dann auf See Verzögerungen auftreten, bleibt häufig keine andere Wahl, als den Container per LKW auszuliefern“, sagt de Vroet.Zudem richten viele Verlader ihre Personalplanung für die Entladung an einer pünktlichen Lieferung der Container aus. Diese Planung beginnt häufig vor Schiffsankunft, spätestens aber, wenn die Boxen gelöscht werden. „Daher kommt dann neuer Druck in die Lieferkette, die geplanten Zustelltermine auch einzuhalten“, sagt Köstergarten. Zusätzlichen Druck an Land üben aber auch die Betreiber der Seehafenterminals aus. „Sie versuchen, über reduzierte Containerfreizeiten und angepasste Kostensätze die Durchlaufzeit der Container in ihren Terminals gering zu halten“, sagt Kastl.Wenn es am Ende der Lieferkette eng wird, sind natürlich auch die Trucker gefordert, die die Container zu ihren Bestimmungsorten bringen. Die Alpha-Logistik in Nürnberg stellt täglich etwa 80 bis 100 Container zu, die per Bahn im Umschlagterminal in Nürnberg aus den Seehäfen ankommen. „Wichtig ist, dass der Disponent weiß, ob die Züge pünktlich sind“, sagt Alexander Richter, Geschäftsführer der Alpha-Logistik. Denn eine Sattelzugmaschine muss laut Richter pro Tag 500 bis 600 Euro Umsatz einfahren. „Wenn dann LKW im Terminal auf den Zug warten müssen, kann das zwischen 15 und 20 Prozent weniger Einnahmen bedeuten.“ Und in der Regel kann er diese Standzeit keinem in Rechnung stellen. Seit dem Aufbau des Portals Log-On von Tricon (siehe VR 22, Seite 28), das entsprechende Ankunftsdaten bereitstellt, habe sich die Situation jedoch „deutlich verbessert“. Göttlicher Beistand Stellt sich dennoch die Frage, warum es auf dem Seeweg scheinbar ohne große Mühe gelingt, eine Verlangsamung durchzusetzen, während an Land eher die umgekehrte Entwicklung zu beobachten ist und der Druck zunimmt. Eine Antwort hat mit der Marktmacht der Reedereien zu tun: „Man kann aktuell von einem Anbietermarkt sprechen, was anhand der Ratenentwicklung in den letzten Monaten deutlich abzulesen ist“, lautet die Erklärung von Buchberger. Glaubt man dem Seefrachtexperten Köstergarten, fehlt es an Land hingegen an dem richtigen Kooperationspartner: „Auf hoher See ist man in Gottes Hand“, zitiert er einen alten Seemannsspruch, „da hat man keinen Zugriff auf die Container.“ Das ist offenbar der Fluch, unter dem der Seehafenhinterlandverkehr leidet. ❙❚■ Michael CordesGeglückte Entschleunigung: Das Slow Steaming in der Seeschifffahrt hat sich durchgesetztHalbe Kraft vorausFür viele Reedereien war das der einzige Ausweg: Nachdem die Frachtraten ab 2010 rapide in den Keller gerutscht waren, mussten sie bei den Kosten gegensteuern. Eine Maßnahme war das Slow Steaming, das von einigen Reedereien bereits 2009 eingeführt, mit dem Preisverfall aber verstärkt betrieben wurde. Die Schiffe drosseln ihr Tempo dabei um etwa ein Drittel, um Treibstoff zu sparen. Der Germanische Lloyd hat für ein 9000-TEU-Containerschiff berechnet, wie hoch die Einsparungen auf der Strecke Hamburg – Shanghai sind, wenn das Schiff nur noch 18 statt 26 Knoten fährt. Der Verbrauch sinkt von 6210 Tonnen auf 3700 Tonnen, eine Einsparung von mehr als 40 Prozent. Für Schiffe, die von vorherein auf 18 Knoten ausgelegt sind, werden sogar nur noch 3390 Tonnen benötigt.Um jedoch die Zahl der Abfahrten nicht deutlich zu verringern, waren die Reedereien gezwungen, mehr Schiffe auf ihren Liniendiensten einzusetzen. Allerdings kam ihnen auch das durchaus gelegen: Denn so waren sie in der Lage, die am Markt bestehenden Überkapazitäten einzusetzen und somit weiter Preisdruck aus dem Markt zu nehmen. cdSlow Steaming in der SeeschifffahrtGeschwindigkeit in der Seefracht

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