Raus aus der Krise: Wichtige Kennzahlen für Unternehmer in Transport & Logistik

"Was nicht gemessen wird, lässt sich nicht managen" - diese alte Geschäftsweisheit gilt zwar auch im Transportgewerbe, dennoch ist die Branche zurückhaltend mit Kennzahlen. Nur zwölf Prozent aller Betriebe der Branche nutzen eine bis fünf Lieferketten-Kennzahlen - im Handel sind es 19, im produzierenden Gewerbe 31 Prozent. Das zeigt eine Umfrage der Frankfurt School. Dabei mangelt es in der Logistik keineswegs an Zahlen, moderne TMS bieten schließlich reichlich Datenmaterial. Doch welche Kennzahlen oder Key Performance Indicators (KPIs) sollte ein Transportunternehmer wirklich checken - und wie oft? Liquiditätsgrad In keiner Branche ist das Pleiterisiko so groß wie in der Logistik. "Häufig ist der Auslöser eine Finanzierungslücke", warnt Andreas Riegel, Trainer und Berater aus Neunkirchen. Sprich: Es sind nicht genügend Mittel vorhanden, um die Verbindlichkeiten zu bezahlen. Um das zu verhindern, sollte man ständig den Liquiditätsgrad im Blick behalten. Diese Kennzahl gibt an, wie zahlungsfähig der Betrieb ist - genauer gesagt: Welcher Anteil der kurzfristigen Verbindlichkeiten kann mit den verfügbaren Mitteln (Kasse, Bankguthaben) beglichen werden? Die Quote sollte bei mindestens zehn Prozent liegen, besser sind 20 bis 30 Prozent. Manche Betriebe schauen zusätzlich auf die durchschnittliche Debitorenlaufzeit, also die Anzahl der Tage, die im Schnitt zwischen Rechnungsstellung und Zahlungseingang vergehen (Englisch: Days Sales Outstanding, kurz DSO). Die Liquidität lässt sich mit vielen Maßnahmen verbessern: früher Rechnungen schreiben und mahnen, bei Kunden kürzere Zahlungsziele durchsetzen und die eigenen Rechnungen später begleichen. Auslastungsquote Die Auslastungsquote gibt an, welcher Teil der vorhandenen Transportkapazität (in Kubikmeter Laderaum) tatsächlich genutzt wird. Im Sammelgutbereich liegt sie im Hauptlauf zwischen 80 und 90 Prozent, im Nahverkehr eher zwischen 60 und 75 Prozent, bedingt durch viele Stopps und Kleinsendungen. Sinkt die Auslastungsquote, ist das oft ein Vorzeichen für kommende wirtschaftliche Probleme. Viele Dienstleister versuchen dann, durch Preissenkungen die Nachfrage anzuregen - kein optimaler Weg, findet Experte Riegel. "Besser ist, sich mit dem Produkt vom Wettbewerb abzuheben." Beispiele: Der Frachtführer spezialisiert sich auf ein Gut wie Fliesen oder punktet mit Fahrpersonal, das durch die Bank gut Deutsch spricht. Wie man Kennzahlen ermittelt und wie diese helfen Die wichtigsten Fragen rund um das Thema Kennzahlen beantwortet Vanessa Freundl, Leiterin Unternehmensberatung der SVG Bundes-Zentralgenossenschaft Straßenverkehr. Wie viele Kennzahlen sollte ein Transportunternehmer im Blick behalten? Es muss nicht immer das Riesen-Dashboard sein. Oft reicht es, sich auf wenige grundlegende Kennzahlen zu konzentrieren. Und dazu gehören? Sehen Sie sich die Gesamtkosten und den Umsatz pro 100 Kilometer an; das ist Pflicht. Zudem sollten Sie den Dieselverbrauch pro 100 Kilometer im Blick behalten. Das lässt Rückschlüsse auf das Fahrerverhalten zu und legt einen möglichen Dieseldiebstahl offen. Auch die Personalkosten sind wichtig, schließlich müssen Sie als Unternehmer ja "doppelt zahlen", wenn ein Fahrer häufig krank ist. Welche Kennzahlen gehören eher zur Kür? Es schadet sicher nicht, die Reifen- und Reparaturkosten pro Lkw regelmäßig zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie den üblichen Rahmen nicht sprengen. Wie oft sollten die Kennzahlen aktualisiert werden? Mindestens einmal pro Monat, manches durchaus auch wöchentlich. Es ist zum Beispiel nicht nötig, jeden Tag die Dieselkosten zu kontrollieren, aber auf die Tagesauslastung eines Lkw zu schauen, schon. Woher bekommt man die Vergleichswerte? Tauschen Sie sich mit Kollegen aus! In unseren Erfa-Kreisen zum Beispiel wird intensiv über Kosten und Verbräuche gesprochen. Welche Werkzeuge helfen beim Visualisieren der Kennzahlen? Gerade für kleine Betriebe kann Excel ausreichend sein. Manche verwenden inzwischen auch Power BI von Microsoft. Ich würde sagen, der Idealfall ist, wenn die Daten aus Telematik und TMS automatisch von Power BI übertragen werden. Termintreue Zuverlässigkeit gehört zu den wichtigsten Qualitätskriterien in der Transportwirtschaft - und zu den besten Werbeargumenten. Deshalb ist die Termintreue eine wichtige Kennzahl: Sie gibt das Verhältnis von pünktlichen Transporten zur Gesamtzahl der Transporte an. Der Prozentwert sollte logischerweise möglichst nahe an 100 Prozent liegen, auch wenn sich diese Marke aufgrund des unkalkulierbaren Verkehrsgeschehens nur in Ausnahmefällen erreichen lässt. Sinkt die Termintreue dauerhaft, sollte dringend die Routenplanung verbessert werden. Experte Riegel rät zudem, schon in der Disposition zu prüfen, ob ein Transport überhaupt in der veranschlagten Zeit möglich ist - vor allem bei mehreren Entladestellen. In vielen TMS ist eine solche Durchführbarkeitsprüfung eingebaut. Transportkosten ermitteln Da die Gewinnmargen in der Transportbranche so gering sind, spielen die Kosten eine besonders große Rolle. Sie schwanken je nach Gewichtsklasse, Distanz und Netzstruktur sehr stark. Bis 50 Kilogramm (kg) können die Transportkosten pro kg bei etwa einem Euro liegen, über 500 Kilogramm bei zehn Cent. "Schauen Sie auf Diesel und Personal, diese Blöcke machen - je nach Verkehrsart - fast die Hälfte bis zwei Drittel der gesamten Kosten aus", sagt Sven Heinz, Leiter der Unternehmensberatung beim Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL) in Düsseldorf. Liegen die Kosten über dem Branchenschnitt, muss nach Einsparmöglichkeiten gesucht werden. Ansatzpunkte: den Fuhrpark durch mehr Schichten besser auslasten, Abläufe digitalisieren (etwa die Spesenzettel), mit anderen Betrieben die Werkstatt zusammenlegen. Schadensquote Neben der Termintreue ist die Schadensquote die wichtigste Qualitätskennzahl. Sie ergibt sich aus der Anzahl der beschädigten Sendungen im Verhältnis zur Gesamtzahl. Im Sammelgutverkehr sollte sich die Quote unter 0,2 Prozent bewegen. Ist die Kennzahl höher, können Mitarbeiterschulungen, besseres Verpackungsmaterial und eine Reduzierung der Umschlagpunkte helfen. Ein weiterer bewährter Weg, um die Zahl der Schadensfälle zu senken, ist die Einführung von Schadenfreiheitsprämien für die Fahrer, etwa über das Weihnachtsgeld. "Das kostet zwar Geld, ist aber unterm Strich rentabel", meint Riegel. Umsatzrentabilität "Hat sich der Einsatz gelohnt?" - diese Frage sollten sich auch Transportunternehmer regelmäßig stellen. Die einfachste Kennzahl dazu ist die Umsatzrentabilität: Sie ergibt sich aus Gewinn geteilt durch Umsatz mal 100. In der Logistik ist die Umsatzrentabilität traditionell niedrig. Wer auf zwei bis drei Prozent kommt, liegt im Mittelfeld, alles darüber ist schon sehr ordentlich. Sinkt die Umsatzrentabilität unter ein Prozent, sollte das Geschäft infrage gestellt werden. Wie oft aktualisieren? Die wichtigste Quelle für Kennzahlen ist die betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA), die der Steuerberater oder das interne Rechnungswesen aufstellt. Sie wird monatlich aktualisiert. Um langfristige Trends zu verfolgen, etwa die Liquiditätsquote, mag dieser Turnus ausreichend sein. Doch um sich im schnelllebigen Transportgeschäft behaupten zu können, sind häufiger aktualisierte Kennzahlen nötig. Große Anbieter erheben zum Beispiel täglich die Hauptlaufkosten pro 100 Kilometer, die Auslastung des Laderaums oder die Pünktlichkeitsquote. "Wichtig ist, dass Sie sich die Mühe machen, das System sauber aufzusetzen", betont Berater Riegel. Zu einem aussagekräftigen Kennzahlen-Cockpit gehört, dass die dahinterstehenden Zahlen detailliert genug sind, um Fehlentwicklungen auf den Grund gehen zu können. So sollten Kosten nicht nur Kostenstellen zugeordnet werden, sondern einzelnen Kostenträgern. Es reicht zum Beispiel nicht, die Diesel-Kosten für den gesamten Fuhrpark auszuweisen. "Brechen Sie den Wert auf einzelne Fahrzeuge herunter. So sehen Sie, ob der Vertretungsfahrer sparsamer fährt als das Stammpersonal", nennt Riegel als Beispiel. Neben einem ausreichenden Detailgrad der Daten sind Soll-Ist-Vergleiche wichtig. Denn häufig stellt sich heraus, dass der vermeintlich einfache Transport von A nach B nicht so abläuft, wie der Kunde das avisiert hat. In der Praxis zeigt sich zum Beispiel, dass der Fahrer an der Ladestelle drei Stunden warten muss, oder eine zusätzliche Entladestelle C hinzukommt. "Eine Nachkalkulation ist immens wichtig", betont Unternehmensberater Heinz. "Nur so wissen Sie, ob Sie kostendeckend fahren." Wie gut sind wir wirklich? Kennzahlen regelmäßig zu erheben, ist natürlich nur der erste Schritt. Entscheidend ist, die Zahlen mit denen anderer Unternehmen zu vergleichen. Doch woher das Vergleichsmaterial bekommen? Eine gute Quelle sind zum Beispiel die Modellrechnungen des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). In der Aufstellung lässt sich ablesen, wie hoch die Lohn-, Kraftstoff- und Mautkosten in der Transportbranche aktuell im Schnitt sind. Allerdings handelt es sich, wie der BGL auch betont, um bloße Modellrechnungen, also um die Zahlen eines "hypothetischen Betriebs". Für den Fuhrpark etwa wird ein spezieller Mix aus Fahrzeugen angenommen, der von den realen Verhältnissen oft abweicht. Die Zahlen sind also nicht eins zu eins übertragbar. Wichtig beim Benchmarking (systematischer Vergleich von Kennzahlen - die Red.) ist außerdem, dass die Unternehmen hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ein Beispiel: Eine Spedition hat einen Leerkilometeranteil von 20 Prozent. Im Sammelgutverkehr wäre dies ein schlechter Wert und würde auf Probleme in der Disposition hindeuten - schließlich bewegt sich der Wert hier meistens zwischen zwölf und 15 Prozent. "Handelt es sich dagegen um einen Spezialisten für Spezialtransporte, wären die 20 Prozent unrealistisch gut", erklärt Experte Heinz. Sein Rat: Der Transportunternehmer sollte, wenn möglich, Vergleichswerte aus einem Betrieb mit ähnlicher Transportart und Netzstruktur beschaffen. Wer als Transportunternehmer wissen will, wo er wirklich steht, der kommt an einem "persönlichen Benchmarking" nicht vorbei - sprich: Er muss sich mit anderen Unternehmern unterhalten. Die Unternehmensberatung der SVG zum Beispiel organisiert Erfahrungsaustauschgruppen, in denen Transportunternehmer in einer vertraulichen Umgebung Klartext zu Kosten und Konditionen sprechen können (weitere Informationen unter: svg-unternehmensberatung.de). Ähnliche Zirkel bieten im Übrigen auch die Logistik-Landesverbände an, der VVWL zum Beispiel veranstaltet solche Zirkel für Jungunternehmer. Praxisbeispiel Spedition Stickel: Mit Zahlen den Dingen auf den Grund gehen Christian Stickel, Geschäftsführer der Spedition Stickel in Nagold, ist gelernter Controller. Sein Unternehmen mit Zahlen zu führen, ist für ihn deshalb keine lästige Pflicht, sondern längst gelebter Alltag. "Ich schaue mir monatlich unsere Dispositionspläne und die betriebswirtschaftliche Auswertung BWA an", berichtet der Geschäftsführer. Wichtige Kennzahlen sind aus seiner Sicht die Mautkosten, Dieselverbräuche und Spesen. "Da wir einen hohen Selbsteintritt haben, lässt sich anhand dieser Werte leicht ablesen, wie das Geschäft läuft." Das Familienunternehmen verfügt über einen Eigenfuhrpark mit 65 Fahrzeugen und ist für Industriekunden tätig. Neben dem monatlichen Controlling stellt Stickel zu vielen Aufträgen eine Vor- und Nachkalkulation an. Rollierende Soll-Ist-Vergleiche seien wichtig, betont der Speditionschef. "Nur so sehen wir, ob wir richtig kalkuliert haben." Ergänzt wird das Controlling durch genaue Liquiditätspläne. Anders als viele andere Transportunternehmen stellt Stickel monatlich eine detaillierte Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung auf. So wird sichtbar, welchen wirtschaftlichen Beitrag jedes einzelne Fahrzeug erbracht hat. "Wir gehen den Problemen genau auf den Grund und schauen zum Beispiel, ob ein Fahrzeug aufgrund von Fahrerausfall, Schließtagen beim Kunden oder Aufträgen mit Unterdeckung defizitär war." Diplom-Kaufmann Stickel legt zudem viel Wert auf Benchmarking. Er nimmt an Erfa-Kreisen der SVG teil und spricht regelmäßig mit drei bis vier Branchenkollegen. "Allerdings sind Unternehmen nie ganz vergleichbar", schränkt Stickel ein. Was rät der gelernte Controller anderen Transportunternehmern? "Nicht im Unternehmen arbeiten, sondern am Unternehmen." Heißt: Immer wieder von außen auf den Betrieb schauen, die Zahlen, den Workflow und auch die Kundenaufträge ohne Scheuklappen kritisch hinterfragen - und die Erklärung "Das haben wir immer schon so gemacht" nicht gelten lassen. Serie: Raus aus der Krise Teil 1: Liquidität sichern (VR 19/2025) Teil 2: Vom Problemfall zur Sanierung (VR 20-21/2025) Teil 3: Zahlen lesen und verstehen (VR 22/2025) Teil 4: Welche Wachstumsstrategien heute funktionieren (VR 24-25/2025)