Keine Hektik am Rotterdamer Spotmarkt, kein panisches Spekulieren an den Börsen, kein Aufschlag auf Benzin- und Dieselpreise: Als Russland zum Jahresanfang seinem Nachbarn in Minsk – und damit auch Deutschland – den Ölhahn zudrehte, reagierte der Ölpreis wider Erwarten so cool wie lange nicht mehr. Und selbst wenn sich der Bruderzwist in die Länge gezogen hätte: Berlin hat mit Reserven für insgesamt 90 Tage gut vorgesorgt. Zeit genug, um den gröbsten Schmutz vom diplomatischen Parkett zu fegen. Zu wenig Zeit aber, um eine tatsächliche Wende einzuleiten, sich somit – was den Energiemix, aber auch was den Pool der Energielieferanten betrifft – breiter aufzustellen. 34 Prozent des deutschen Rohöls kommen aus Russland. Tendenz steigend, wir hängen am Tropf des Kreml; eine Abhängigkeit, die seitens des Lieferanten alles andere als ungewollt ist. Kritische Stimmen werden durch eine „Politik mit der Bohrstange“ mundtot gemacht. Deutschland und die EU wissen das, doch die Bemühungen, die Abhängigkeiten zu verringern, erscheinen halbherzig. „Gemeinsam sind wir stark“ – so abgedroschen klingen die Losungen, die im jüngst von der EU-Kommission vorgelegten energiepolitischen Strategiepapier mitschwingen. Allgemeinplätze, auf die sich jedes EU-Land schnell verständigen kann. Die Macht bündeln und gegenüber Lieferländern wie Russland mit einer Stimme sprechen – so was liest sich in jedem Memorandum gut. Doch vor dem Hintergrund ihrer fast 100-prozentigen Abhängigkeit von russischen Rohölimporten: Wie laut werden wohl die Ungarn oder die Polen ihre Stimmen erheben? So wie Rohstoffe schon immer ein geeignetes Mittel zur Einschüchterung waren, war Öl auch schon immer dicker als Tinte. Timour Chafik Chef vom Dienst
Energieressourcen: Nach dem Ölstreit
Der Kommentar der Woche von Timour Chafik, Chef vom Dienst