Diesel vor dem Aus?

Ruhe herrscht in Europas Innenstädten. Elektro-Lkw gleiten geräuschlos durch die Häuserschluchten, teilen sich die Straßen mit Lieferfahrrädern, Elektro-Autos und -Bussen. Drohnen surren über die Dächer und bringen Päckchen zu Kunden. Außerhalb der Städte rollen Lkw mit Gas oder unter Oberleitungen daher. Auf langen Transportstrecken ersetzen Züge sowieso schon längst flächendeckend den Lkw. In Spanien und Portugal fahren nur noch solarbetriebene Trucks. Die schöne neue Transportwelt - sieht sie so aus? Nicht vorstellbar, nicht zielführend Es wäre zumindest eine Welt ohne Diesel. Der Treibstoff steht wieder einmal in der Kritik, dem VW-Skandal sei Dank. Ist das eine Bedrohung für die Gütertransportbranche? Muss sie zittern vor einem möglichen Diesel-Aus? "Antworten auf diese Fragen wären reine Spekulation und auf so etwas können wir uns nicht einlassen." Die Reaktion vom Dachverband der europäischen Autohersteller ACEA auf eine VerkehrsRundschau-Anfrage ist deutlich. Und macht schon klar: Diesel ist eine ernste Angelegenheit. Einfach mal spekulieren ist nicht drin. Das zeigen auch die übrigen Reaktionen von Experten aus Politik, Industrie und Umweltschutz. Ihre Überlegungen bleiben stark im Hier und Jetzt verankert. Vielleicht auch deshalb, weil an das schnelle Ende vom Diesel keiner glaubt. "Diesel ist der wichtigste Treibstoff für Lkw, und das wird auch in zehn Jahren noch so sein", sagt zum Beispiel William Todts vom europäischen Umweltverband Transport & Environment (T&E). "Ein politisch erzwungenes Ende des Dieselmotors wäre klima- und industriepolitisch äußerst kontraproduktiv", sagt Stefan Klatt vom Lkw-Hersteller MAN. Und Konzernkollege Lex Nijsen, bei MAN Diesel & Turbo Leiter des Geschäfts mit Viertakt-Schiffsmotoren, gibt an: "Eine Abkehr vom Dieselmotor ist in der Hochseeschifffahrt auf absehbare Zeit weder vorstellbar noch wäre sie zielführend." Also hängt nicht nur der Lkw am Diesel. Sogar aus Innenstädten sieht keiner Diesel so schnell verbannt. "Das halte ich für verantwortungslos", findet Gesine Meißner (FDP), verkehrspolitische Sprecherin der Liberalen im Europaparlament. "Die Frage müsste wohl eher lauten, was ein Verbot von Dieselfahrzeugen in Innenstädten für die Innenstädte bedeuten würde: Den umgehenden Zusammenbruch der Versorgung", meint Karlheinz Schmidt, geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Auch der Grünenpolitiker Michael Cramer, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Europaparlament, sagt: "Ich bin nicht für ein sofortiges Diesel-Verbot in Städten." Und schon gar nicht für Lkw. Vielmehr sieht Cramer beim Thema Schadstoff zunächst die Personenwagen in der Pflicht. Selbst einige 40-Tonner würden weniger Schadstoffe ausstoßen als viele Pkw auf Europas Straßen. Warum das so ist, erklärt Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe: "Die absoluten Werte von Stickoxiden sind bei Lkw tatsächlich besser, weil sie mit dem SCR-Katalysator fahren." Diese Katalysatoren gebe es auch für Pkw. Sie werden aber häufig nicht verbaut. Denn die Technologie kostet Geld, macht die Autos langsamer und das Nachfüllen des nicht sehr angenehm riechenden Harnstoffes - in Europa meistens AdBlue - wolle man Pkw-Fahrern vielleicht nicht zumuten, mutmaßt Saar. Euro-6-Lkw sind sauber Außerdem: Manipulieren bei den Abgaswerten der Lkw ist quasi nicht möglich. Dafür sorgt das in den Motor eingebaute Portable Emission Measuring System (PEMS). Es schränkt die Funktionsweise des Lkw automatisch ein, wenn Abweichungen von den Standardwerten gemessen werden. "Kontrolle erfolgt quasi lebenslänglich", fasst es Schmidt vom BGL zusammen. Das gilt allerdings nur - ebenso wie das Lob der Lkw-Sauberkeit - für die allerneusten Modelle der Euro-6-Generation. Alle Experten sind sich darin einig, dass damit so niedrige Schadstoffwerte erreicht worden sind, die kaum noch zu verbessern seien. Sodass Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, sich zu dem Urteil befugt sieht: "Der moderne Euro-6-Diesel hat hervorragende Abgaswerte und ist durch seine CO2-Effizienz ein echter Klimafreund." Kurz: Alles in Butter. Oder doch nicht? Natürlich nicht. Schon allein deshalb, weil noch längst nicht alle Dieselfahrzeuge die Euro-6-Standards erfüllen und beim Pkw manipuliert werden kann. Was ist also zu tun? In aktuellen Diskussionen tauchen drei Ideen regelmäßig auf. Idee 1: Verbesserung der Pkw-Abgastests Die Sache ist auf EU-Ebene fast schon durch. Ab 2017 sollen die Laborwerte durch Messungen im realen Fahrbetrieb durch das sogenannte RDE-Verfahren (Real Driving Emissions) ergänzt werden. Dabei haben die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten beschlossen, dass die Schadstoffwerte aus der RDE-Messung zunächst noch 110 Prozent (Faktor: mal 2,1) über den Laborwerten liegen dürfen. Das gilt für neue Pkw-Modellen ab 2017 und für alle neu zugelassene Pkw ab 2019. In einem zweiten Schritt sollen noch 50 Prozent (Faktor: mal 0,5) erlaubt sein. Für neue Modelle ab 2020, für Neuzulassungen auf der Straße ab 2021. Eine hundertprozentige Angleichung ist bislang nicht vorgesehen. Und das schmeckt nicht allen. Im Umweltausschuss des Europaparlaments hagelte es bereits heftige Kritik an der Faktoren-Regelung. Auch Cramer sagt: "Es darf nicht sein, dass der Ehrliche benachteiligt wird". Er sieht eine Ungleichbehandlung für die Hersteller, die sich bislang schon die Mühe gegeben haben, die Schadstoff-Vorschriften bereits im Labor tatsächlich einzuhalten. Die Trickser würden mit der Faktor-Regelung belohnt, so der Grünenpolitiker. Ob die Kritiker zahlreich genug sind, um die Neuregelungen in einer Parlamentsabstimmung zu kippen, ist noch nicht klar. Wahrscheinlicher ist, dass viele Europaabgeordnete schon zufrieden sein werden, eine Verbesserung zu erzielen. FDP-Verkehrssprecherin Meißner liefert dafür ein gutes Beispiel. Die EU sei mit der Einführung der neuen Testverfahren auf dem richtigen Weg, sagt sie. Die Möglichkeit zur Manipulation würde sicher minimiert. "Ganz ausschließen können wird man sie sicher nie." Für Lkw liegen zurzeit keine konkreten Pläne auf dem Tisch, etwas an den Testverfahren zu ändern. Aber man behalte das natürlich im Auge, wie die Sprecherin der EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska gegenüber der Verkehrs-Rundschau angibt. Idee 2: Abschaffung der Steuerbegünstigung für Diesel Einiges deutet in diese Richtung. Frankreich hat jüngst eine Verringerung der Diesel-Begünstigung beschlossen (siehe Kasten). Auch in Belgien liegt das Thema seit Jahren in der Luft. Doch es ist äußerst komplex. Unter Experten herrscht hier Lagerdenken: Umweltverfechter wie Cramer und Todts fänden die steuerliche Gleichbehandlung von Diesel und Benzin und die damit einhergehende Verteuerung des Diesels gut, die Gütertransportbranche ist dagegen. Letztlich würde der Verbraucher den Preis dafür zahlen, so Schmidt vom BGL. Bei MAN sieht man sogar die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland in Gefahr. Allein deshalb würde eine Lösung nur auf europäischer Ebene Sinn machen. Hier werde Frankreich bald Druck auf die anderen EU-Mitgliedsländer ausüben, ist sich Todts von Transport & Environment sicher. Aber die Erhöhung der EU-Mindestdieselsteuer könne laut EU-Regeln nur einstimmig erfolgen. "Das wird Luxemburg blockieren", sagt Todts. Wahrscheinlicher sei es, dass Länder wie Luxemburg, die stark vom Diesel-Tourismus profitieren, über die EU-Klimaziele zum Einlenken bewegt werden. Die Treibstoffmengen werden als Emissionen nämlich dem Land zugeschrieben, das den Treibstoff verkauft. Ein Ausgleich über das Emissionshandelssystem sei nicht möglich, erklärt Todts. Idee 3: Gezielte Förderung von umweltfreundlichen Transportmöglichkeiten Diese Maßnahmen würden etwa Euro-6-Lkw und Alternativtreibstoffe ins Visier nehmen: Gas, Strom, Hybrid, Oberleitungen für Lkw - all das steht bereit. Aber nichts ist so marktreif, dass es Diesel in ein paar Jahren ersetzen könnte. Umweltschützer Todts vermutet für Lkw auch Absprachen unter den Herstellern. Keiner von ihnen habe ein Interesse daran, schnell auf Diesel zu verzichten, glaubt er. Industrievertreter wie Klatt von MAN sehen in staatlichen Förderprogrammen den Weg, mehr Fahrzeuge mit alternativen Antrieben auf die Straße zu bringen. Verkehrspolitiker Cramer sieht Cargo-Fahrräder als gute Alternative zu Kleintransportern in Innenstädten (siehe Kasten). Durch gezielte Programme, zum Beispiel nur die Zulassung von Euro-6-Fahrzeugen, könnten dort Autos mit hohem Schadstoffausstoß ferngehalten werden. Bei E- und Gas-Fahrzeugen stellt Schmidt vom BGL allerdings infrage, ob die Emissionsbilanz unter Einrechnung aller Produktionsprozesse wirklich besser sei als bei Diesel. Programme zur Förderung von LNG-Lkw, wie in den Niederlanden, findet Meißner gut. Auch in der Schifffahrt sei LNG ein sinnvoller Dieselersatz. Grundsätzlich aber meint die FDP-Politikerin: "Der Dieselkraftstoff sollte nicht generell verteufelt werden. Es ist ein Kraftstoff, der einen geringeren CO2-Ausstoß produziert als Benzin." Es sollte nicht stigmatisiert werden, es komme schließlich auf den Mix an. "Es geht nie immer nur um CO2 oder Partikel. Man muss das Gesamtbild im Auge behalten. Dazu gehören Infrastruktur, Marktanforderungen und soziale Aspekte genauso wie Umweltschutz", erklärt Meißner. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Abgastechnik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Kein Vorteil für Diesel Frankreich gleicht Steuern an Die französische Regierung hat im Oktober beschlossen, die Steuern für Diesel und Benzin in den kommenden fünf Jahren stufenweise anzugleichen. 2016 soll die Dieselsteuer um einen Cent erhöht werden, die Benzinsteuer um einen Cent sinken. 2017 soll das gleiche geschehen. Außerdem erweitert Frankreich den Anreiz für die Abstoßung alter Dieselfahrzeuge. Die Prämie wurde von 500 auf 1000 Euro erhöht und soll schon für zehn Jahre alte Dieselfahrzeuge gelten. Frankreich gilt zusammen mit Deutschland als Europas Spitzenreiter bei der Nutzung von Diesel als Treibstoff für Kraftfahrzeuge. 2014 waren in Frankreich 64 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge mit einem Dieselmotor ausgerüstet. kw Die Zukunft der City-Logistik Mit dem Rad durch die Stadt Fahrräder mit Ladeflächen sind schon heute in verschiedenen Städten eine Alternative zum Güter-Nahtransport. Die unterschiedlich gestalteten Fahrzeuge mit bis zu vier Rädern können standardmäßig bis zu 200 Kilogramm Ladegewicht transportieren. In Deutschland laufen Projekte beziehungsweise bestehen Angebote unter anderem in Berlin, München, Köln, Dortmund, Leipzig, Konstanz und Norderstedt.Äußerst erfolgreich sind Lastenräder in Kopenhagen mit bereits über 30.000 dreirädrigen Transporträdern. Populär sind Transporträder auch in der Schweiz und in den Niederlanden. Hier testet DHL seit Ende April ein vierrädriges "Cubicycle" zur Auslieferung von Gütern in Innenstädten. kw