Interview: Die Digitalisierung wird das Geschäft komplett verändern

Was unterscheidet die Transporte in den USA von denen in Europa? Vor allem die Größe und Professionalität. Unsere zwölf größten Kunden betreiben allein 60.000 Lkw. Die können ihre Kosten bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma angeben und wissen so, welche Frachtrate sie bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma verlangen müssen. Die USA sind ein großer, einheitlicher Binnenmarkt, bei dem sich Transporte leichter als in Europa vergleichen lassen. Entsprechend exakt sind unsere Kunden in ihren Analysen, bei denen neben Verbrauch auch Lade- und Ausfallzeiten präzise analysiert werden. Daneben wird der Fahrer immer wichtiger, da auch die USA mit Fahrermangel zu kämpfen haben. Trends und Entwicklung setzen sich sehr schnell durch: War man einst stolz, für Walmart zu fahren, freut man sich jetzt, für Amazon zu transportieren. Gutes Stichwort: Inwiefern verändert die Digitalisierung das Lkw-Geschäft? Telematik und Vernetzung werden die Schlüsselthemen der nächsten Jahre sein. Und wir treiben das noch weiter: Künftig wird jeder Lkw zu 100 Prozent online sein und das rund um die Uhr. Auf die Art kann zum Beispiel unsere Diagnosesoftware "Virtual Technician" eventuell auftretende Probleme erkennen und proaktiv lösen, bevor der Lkw ausfällt. Das klingt aber nach gläsernem Kunden ... Von der Transparenz profitieren alle, auch die Fahrer, da sie entsprechend entlohnt werden können. Besonders wichtig sind die Daten aber für den Service. Denn aufgrund der Lkw-Daten können Probleme an den Autos erkannt und gelöst werden. Dazu kann ich Ihnen ein Beispiel geben: Vor einiger Zeit stellten wir fest, dass bei sehr niedrigen Temperaturen und bestimmten Fahrzuständen Probleme an den Lkw auftreten können. Als die Temperaturen wieder in den kritischen Bereich fielen, sendeten wir proaktiv Ersatzteile zu den Händlern der entsprechenden Region und machten Kunden und Fahrer auf das Problem aufmerksam. Die Teile konnten getauscht werden, bevor es zu Ausfällen kam und die Fahrer hatten keine ungeplanten und unnötig langen Standzeiten. Aber das geht künftig noch weiter. Wir planen ein sogenanntes "Remote download". Heißt: Jedes Update wird von uns direkt aufs Fahrzeug aufgespielt, wie beim Smartphone. Dazu muss der Lkw nur eine gewisse Zeit stehen und der Kunde muss das Update nur noch bestätigen. Er muss selbst nichts mehr tun und der Werkstattaufenthalt entfällt. Und wenn der Fahrer einfach weiterfährt oder plötzlich wieder los muss? Die Feinheiten sind noch zu klären. Denkbar wäre ein Abbruch des Updates mit einem entsprechenden Hinweis. Darüber hinaus kann man künftig noch viel mehr steuern: So kann die Dispo in den USA den Lkw beispielsweise beim zulässigen Topspeed freischalten, wenn Terminfracht schnell von A nach B muss, oder sie kann das Topspeed limitieren. Es wäre sogar denkbar, künftig die Leistungsstufen online zu variieren: Voll ausgeladen in den Rocky Mountains brauche ich mehr PS, als wenn ich teilbeladen durch die großen Ebenen rolle. Aber noch mal die Bedenken: Macht das die Transportunternehmen nicht gläsern? Die Kunden beziehen heute ja selbst schon alle Daten ein, die sie bekommen können. Und diese fordern sie von uns, am besten voranalysiert und aufbereitet. Denn je mehr Daten ich habe, desto mehr Aspekte können bei deren Auswertung auftreten - und das benötigt einiges an Erfahrung, die wir mitbringen. Wir haben selbst eine Testflotte von 60 Fahrzeugen, die permanent zwischen Portland und Seattle pendelt. Hier können wir ganz gezielt einzelne Aspekte herausfiltern: Neben den Streckenverläufen, der Beladung oder dem Können des Fahrers sind das beispielsweise auch Daten über das Wetter und dessen Einfluss. Das eröffnet auch unseren Ingenieuren und Händlern ganz neue Perspektiven. Welche wären das für Händler und Servicestützpunkte? Kommt der Lkw beim Servicestützpunkt an, löst das eine Zeitmessung aus, verlässt er ihn wieder, stoppt diese. So kann man dem Kunden gegenüber den Nachweis erbringen, dass dort effizient gearbeitet wurde. Braucht einer immer viel länger für Reparaturen, würde das auffallen. Wann kommt das drahtlose Update für Ihre Trucks auf den Markt? Für den Cascadia werden wir das ab Mitte 2017 anbieten, alle weiteren Modelle dann nachziehen. Und das System kann man auch auf andere Märkte übertragen - Stichwort"global". Was ist damit genau gemeint? Das Wort"Globalisierung" hat mittlerweile schnell den Beigeschmack eines Kompromisses. Tatsächlich unterscheiden sich einige Anforderungen unserer weltweiten Kunden ganz massiv und darauf wollen wir eingehen. Das Backbone oder die Hardware können gleich sein, doch was man daraus macht, obliegt dann den Märkten. Wie geht die Hardware-Entwicklung weiter? Die Verbesserungen unseres globalen Antriebsportfolios fließen auch bei Freightliner ein, zusätzlich optimieren wir die Aerodynamik, sodass sich mit einem top ausgestatteten Auto gegenüber der Basisversion schnell noch ein paar Prozent holen lassen. Doch das gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Gegenüber dem bisherigen Cascadia in der Basisversion kommen hier rund 15.000 Dollar dazu, doch ich bin sehr optimistisch: Wir werden das verkaufen, denn es rechnet sich für unsere Kunden. So wie wir weiterhin auch die Basis verkaufen und anbieten werden. Wie steht es um alternative Antriebe? In den USA sind CNG und LNG momentan kein Thema mehr. Dazu ist das Tankstellennetz nach wie vor zu dünn, das Handling ist zu umständlich und die Dieselpreise sind stark gefallen. Bei der Elektrifizierung reichen in Europa 200 Kilometer aus, in den USA benötigen wir eher bis zu doppelt so viel. Dabei darf das Technikpaket mit Batterien aber maximal zwei Tonnen mehr wiegen als der Verbrenner-Antriebsstrang. Und wir brauchen schnellere Ladezeiten. Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist, aber die Batterien müssen einfach noch besser werden.

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