Deutscher Logistik Kongress: Zeitenwende

"Willkommen in der Community - gemeinsam, so wie wir hier sind, werden wir es schaffen." Das waren die Begrüßungsworte von Professor Thomas Wimmer, Vorsitzender des Vorstandes der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Letztlich war dies aber auch die zentrale Botschaft des 39. Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin, der dieses Mal unter dem Motto "Supply Chains matter! Was zählt, sind die Lieferketten" stand. Die Welt ist aus den Fugen geraten Ernste Worte in ernsten Zeiten. Denn die Corona-Pandemie und jüngsten Verwerfungen wie der Ukraine-Krieg und die Energiekrise hinterlassen, das zeigte sich auf dem Kongress, in der Logistikwirtschaft spürbar Blessuren. Von Abschwung will aber keiner reden, noch seien vielerorts die Auftragsbücher voll - zumindest für das kommende Jahr, machten sich Logistiker Mut. Doch die Unsicherheit wächst, auch weil sich etablierte Strukturen, bewährte Spielregeln und Paradigmen in der Wirtschaft und Logistik wandeln. Auch das war eine Botschaft in Berlin. "Für uns ist die Welt zu Beginn des Ukraine-Krieges aus den Fugen geraten", brachte Thomas Böck, CEO des Landmaschinenbauers Claas, die Lage in Unternehmen treffend auf den Punkt. Wimmer sprach gar von einer "Zeitenwende in der Logistik". "So wie es vor den derzeitigen Störungen in den Lieferketten gewesen ist, wird es nicht mehr werden", schwor er die Logistikwirtschaft auf neue Zeiten ein. "Wenn wir die derzeitigen Krisen bewältigt haben, werden andere in den Vordergrund treten und neue Herausforderungen bringen." Fakt ist auch, die Geopolitik wird ein Gamechanger für das Supply-Chain-Management - wegen der Energiekrise, möglicherweise auch wegen China. Das zeigte die Podiumsdiskussion mit Claas-CEO Thomas Böck, Dachser-CEO Burkhard Eling, Thomas Heck, Partner und Leiter der China Business Group bei PwC, und Kirsten Westphal, Executive Director der H2Global Stiftung. "China, das für uns über Jahrzehnte ein sehr verlässlicher Partner war, hat sich verändert", erklärte Heck. "Heute haben wir es mit einem Partner zu tun, der sich im Umgang mit uns eher verhärtet und selbstbezogen wird und den wir heute eher als systemischen Wettbewerber empfinden." Neue Sourcingstrategien bergen Chance Für das Supply-Chain-Management heißt das: "Viele Firmen streben zwar kein komplettes De-Coupling an, aber es gibt ein erhöhtes Risikobewusstsein in Bezug auf die eigenen Aktivitäten in China." Dass die Globalisierung zurückgedreht wird, glaubte auch Dachser-CEO Eling nicht: "Es wird immer ein Sourcing rund um die Welt geben." Er betonte aber auch: "Unsere Kunden sind massiv gefordert, ihre Sourcing-Strukturen zu ändern." Unter anderem gehe es darum, sich regional neu aufzustellen und die Lagerhaltung zu erhöhen, was den Aufwand in der Logistik erhöhe. Elings Resümee wegen dieser neuen Entwicklung: "Von just-in-time werden wir so schnell nichts mehr hören." Selbst der Wachstumstreiber "E-Commerce", der bislang das Wachstum von Unternehmen vielerorts beflügelt hatte, schwächelt derzeit. Am stärksten betreffe dies Home & Living mit Rückgängen von bis zu 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sowie die Fashion-Branche. Auch E-Food komme lediglich mit "einer roten Null" davon. Das zeigte die Diskussionsrunde "Quo vadis E-Commerce in 2023?" - moderiert von Kamil Christoph Kasprowicz, CEO der neuen Logistikgesellschaft Baur Hermes Fulfilment. "Der Ausblick bleibt herausfordernd", machte er klar. So werde das Weihnachtsgeschäft in 2022 sicher schwächer als im Vorjahr ausfallen. Negativ müsse das nicht sein. So sind Firmen noch stärker gezwungen, Kostenmaßnahmen mit Innovationen für die Entwicklung klimafreundlicher Verpackungen und Lösungen zu verbinden, betonte er: Zum anderen hätten die Betriebe nun Zeit, ihre Prozesse genauer auf den Prüfstand zu stellen, sich so sogar resilienter aufzustellen und Kräfte zu sammeln, machte auch Christoph Tripp, Professor Distributions- und Handelslogistik an der TH in Nürnberg, Mut. "Die Talsohle im E-Commerce ist noch nicht durchschritten. In der mittelfristigen Perspektive sind auch wieder Wachstumsraten zu erwarten." E-Commerce sei nun einmal der Mega-Trend der letzten und nächsten Jahre, der mittelfristig auch so weitergehe - durch die Umschichtung von off- zu online. Rückenwind vom Bundesministerium Positiven Rückenwind für die Unternehmen gab es auch von dem parlamentarischen Staatssekretär Oliver Luksic, der auch Logistikkoordinator der Bundesregierung ist: "Es gibt keine Branche, die sich so schnell anpasst auf veränderte Bedingungen wie die Logistik", lobte er die Innovationsgeschwindigkeit der Logistikwirtschaft. Pünktlich zum Kongress habe das Bundeskabinett zudem den "Masterplan Ladeinfrastruktur II" verabschiedet, kündigte Luksic an. "Und im kommenden Jahr wird es eine Ausschreibung für ein öffentliches Lkw-Ladenetz geben." Zudem sollen für klimafreundlichen Verkehr nochmals bis zu 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt werden, davon 500 Millionen Euro für die Bahn. Zudem werde die Bundesregierung bei der Sanierung des Schienennetzes künftig ganze Korridore im Blick haben, kündigte er an. Ziel sei, das Netz damit leistungsfähiger zu machen. Positiv war auch: Das Ende der Zettelwirtschaft in der Logistik rückt näher. Nach vierwöchiger Testphase fiel auf dem Kongress nun der Startschuss für den Livebetrieb von Cloud4Log, einer Cloud-Plattform für digitale Transportdokumente, die ausgedruckte Lieferscheine ersetzen soll. "Alle Supply-Chain-Partner können jetzt digitale Lieferscheine und perspektivisch andere Transportdokumente über dieses Online-Angebot austauschen", unterstrich BVL-Geschäftsführer Martin Schwemmer. Entwickelt wurde die technische Lösung von BVL und GS1 Germany zusammen mit T-Systems. Fazit: Die Zeiten werden härter Was jetzt zählt: Der Austausch in der Logistik-Community wird noch wichtiger. Und hier sei der Deutsche Logistik-Kongress, hieß es überall unisono, immer eine Reise nach Berlin wert. Mehr zum Thema finden Sie unter #BVLVerband www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Welt ist im Umbruch und mit ihr die Logistik sowie die Lieferketten. Was dies für die Unternehmen heißt und was hier helfen könnte, diskutierte der 39. Deutsche Logistik-Kongress in Berlin mit knapp 2000 Teilnehmern in diesem Jahr. Wie wird sich die Logistikwirtschaft in 2023 entwickeln? Sie haben soeben mit Uwe Verres-Homm die "TOP 100 der Logistik - Marktgrößen und Marktsegmente" - Update 2022" erstellt, in dem Ihr Institut alljährlich die deutsche Logistikwirtschaft vermisst. Was ist für Sie da das wichtigste Ergebnis gewesen?Positiv ist, dass der Umsatz der deutschen Logistikwirtschaft im Jahr 2021 um 5,0 Prozent auf 294 Milliarden Euro gewachsen ist, und damit gar drei Prozent über dem Umsatz in 2019 vor Corona lag. Außerdem stieg die Zahl der Beschäftigten um insgesamt 100.000 auf 3,36 Millionen Erwerbstätige. Am deutlichsten war dieser Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich Lagerwirtschaft und Güterumschlag, allein hier sind über 60.000 Beschäftigungsverhältnisse hinzugekommen - auch ein Zeichen für ein kräftiges reales Wachstum.Die Herausforderungen in der Wirtschaft steigen. Wie wird sich die deutsche Logistikwirtschaft in 2023 entwickeln? Daumen rauf oder runter?Prognosen lassen sich im Moment sehr schwer abschätzen. Valide wissenschaftliche Zahlen haben wir dazu noch nicht. Ich erhalte aber in meinen Gesprächen mit vielen Unternehmen positive Signale, zum Beispiel, dass die Auslastung unverändert hoch ist. Das würde für gutes Wachstum in 2022/23 sprechen.Allerdings haben die Wirtschaftsweisen hierzulande gerade ihre Prognosen für 2023 erheblich zurückgenommen. So gesehen, ergibt sich derzeit kein einheitliches Bild, sondern ein vermutlich deutlich stärker ausdifferenziertes. ehProfessor Ralph Blum, Leiter der Gruppe "Future Engineering" bei der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS in Nürnberg Arne Heinold gewinnt den Wissenschaftspreis Logistik 2022 der BVL Die Gewinner des Wissenschaftspreises Logistik der Bundesvereinigung Logistik (BVL) stehen fest: Arne Heinold von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, hat sich mit seiner Arbeit zum emissionsorientierten Management landgebundener Güterverkehre gegen zwei weitere Finalisten durchgesetzt. Ziel ist eine Art „Ökolabel für den Landverkehr“. Das gab die BVL am 21. Oktober bekannt. Die Dissertation wurde von Frank Meisel betreut. Die feierliche Preisverleihung fand nun auf dem 39. Deutschen Logistik-Kongress statt. eh

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