Der Lang-LKW ist keine Lösung

Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft fliegen Grüne Wähler mehr als alle anderen. Eine böse Kampagne oder haben sie Ihre Wähler nicht richtig erzogen? Dass Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen und besseren Einkommen mobiler sind und mehr fliegen, ist längst bekannt. Wenn Fliegen billiger ist als Bahnfahren, muss man sich nicht wundern, dass bei Dienstreisen Flüge gebucht werden. Es ist schade, dass nicht abgefragt wurde, ob diejenigen, die vielleicht beruflich fliegen, auch dafür sind, den Lärmschutz zu verbessern und bei den Airlines effizienteres und leiseres Fluggerät einzusetzen. Der Luftverkehr wächst weiter, die Herausforderung heißt daher: doppelte Entkopplung - bei mehr Verkehr weniger Emissionen und weniger Lärm verursachen. Das Bundesumweltministerium hat jetzt einen Aktionsplan Klimaschutz vorgelegt. Löst er das ein, was der Name verspricht? Im Entwurf des Aktionsplans ist der Anteil des Verkehrs mit 10 Millionen Tonnen CO2-Einsparung recht überschaubar. Ich habe meine Zweifel, ob die Klimaschutzziele erreichbar sind, wenn man den Verkehr im Wesentlichen ausnimmt. Leider sind viele Vorschläge, die ursprünglich Teil des Aktionsplans waren, wieder herausgefallen, beispielsweise die Kopplung der steuerlichen Behandlung von Geschäftsfahrzeugen an Verbrauchsobergrenzen. Das würde zu einer CO2-Reduktion bei den Flotten führen, wie Großbritannien gezeigt hat. Fahren die Banker im Mini durch die City? Premium und Effizienz sind kein Widerspruch. Es gibt in der Oberklasse bereits Hybridfahrzeuge, die deutlich unter dem festgelegten CO2-Grenzwert für 2015 liegen. Also ist der Aktionsplan doch kein Gewinn für die Umwelt? Es geht darum, klarzumachen, dass die Energiewende nicht ohne eine Verkehrswende funktionieren kann. Energie- und Verkehrspolitik müssen noch stärker miteinander verzahnt werden. Es geht nicht ohne eine Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger. Und da muss die Politik einen Ordnungsrahmen schaffen, der diese Verkehrsträger fördert und auf eine solide finanzielle Basis stellt. Der Aktionsplan sieht vor, dass als Kriterium für die Mauteinstufung beim LKW künftig der Verbrauch und damit die CO2-Effizienz angestrebt wird. Ist das sinnvoll? Im Moment orientiert sich die Mautklassifizierung an der Schadstoffklasse des LKW. Die Umstellung auf schadstoffarme Fahrzeuge der Klassen Euro 5 und Euro 6 zeigt, dass dies eine Erfolgsgeschichte ist. Um künftig den Verbrauch als Kriterium heranziehen zu können, wird derzeit im Rahmen des EU-Programms Vecto die Datengrundlage geschaffen. Die LKW-Welt ist wegen der zahlreichen Fahrzeugkonfigurationen wesentlich komplizierter als der PKW-Bereich. Ich bin dafür, Verbrauchsobergrenzen für LKW zu definieren und die Kraftstoffeffizienz als Kriterium für die Mauteinstufung heranzuziehen. Wie wäre der Zeitplan hierfür? Die Datengrundlage im Rahmen von Vecto soll bis 2016 erarbeitet werden. Dann kann zertifiziert werden. Die Euro-Vignettenrichtlinie müsste angepasst werden. Ziel sollte sein, die Verbrauchsobergrenzen innerhalb der Wahlperiode des Europäischen Parlaments einzuführen. Die Klimakanzlerin Angela Merkel hat die anspruchsvollen CO2-Ziele für PKW in letzter Minute verhindert. Beugt sich die Politik zu sehr den Interessen der Industrie? Grundsätzlich zeigt die Praxis, dass die Vorgabe von Grenzwerten ein effektives Mittel ist, um die Flottenverbräuche zu mindern. Die Befürchtung, dass dadurch die Autos teurer werden, hat sich nicht bewahrheitet. Innovationen im Bereich alternativer Antriebskonzepte haben nicht zuletzt durch den politischen Druck den Sprung aus den Showrooms der Hersteller auf die Straße geschafft. Das Einschreiten von Frau Merkel war ein falsches Signal. Sie hat letztlich auf Betreiben der Autoindustrie dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen. Bleiben wir bei der LKW-Maut. Dass die Maut im kommenden Jahr auf Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen ausgeweitet wird, dürfte in Ihrem Sinne sein? Man muss deutlich sagen, dass schon Dobrindts Amtsvorgänger Ramsauer mit der späten Festlegung der Mautsätze für Euro-6-LKW das Thema verschleppt hat. Die Absenkung der Mautsätze zum 1. Januar 2015 ist ein völlig falsches Signal, nicht zuletzt deshalb, weil wir die Mauteinnahmen für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur dringend bräuchten. Gleichzeitig wird die Bahn als umweltfreundlicher Verkehrsträger durch das Anheben der EEG-Umlage verteuert. So entstehen unfaire Wettbewerbsbedingungen. Unser Ziel ist eine Revision der Vignettenrichtlinie unter Berücksichtigung aller externen Kosten, also neben Luftverschmutzung und Lärm auch die Unfallkosten. Dass die Maut ab 2018 auf allen Bundesstraßen erhoben werden soll, begrüßen wir ausdrücklich, auch wenn das zu spät kommt. Auch die Ausweitung der Maut auf LKW ab 7,5 Tonnen ist richtig. Angenommen, die PKW-Maut kommt wie geplant. Dann bleibt eine Mautlücke für Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen ... Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Fahrzeuge ausgenommen werden. Im Güterverkehrsmarkt führt das zu einer Wettbewerbsverzerrung, gerade im grenzüberschreitenden Verkehr sind die Sprinter damit auch künftig mautfrei unterwegs. Der Bund hat entschieden, den Vertrag mit Toll Collect um drei Jahre zu verlängern. Warum sind die Grünen dagegen? Auch hier sind Ramsauer und Dobrindt viel zu lange untätig geblieben. Durch die Ausweitung der Maut auf LKW ab 7,5 Tonnen und die Ausdehnung auf weitere Bundesstraßen wird der Vertrag mit Toll Collect verändert. Wettbewerber könnten klagen, weil die zusätzlichen Leistungen nicht ausgeschrieben wurden. Dieses Risiko hätte man durch Ziehen der Call Option vermeiden können. Spätestens für die Zeit nach 2018, wenn die Maut auf alle Bundestraßen ausgeweitet werden soll, muss der Vertrag neu ausgeschrieben werden. Man muss sich jetzt Gedanken darüber machen, mit welchem Mautsystem man nach 2018 arbeiten möchte. Eine Ausschreibung muss frühzeitig vorbereitet werden. Einnahmeausfälle können wir uns nicht leisten. Dobrindts Pläne zur Einführung einer PKW-Maut haben Sie in einer Pressemitteilung als Murks bezeichnet. Was sind Ihre Kritikpunkte? Die CSU-Maut führt zu keinen zusätzlichen Einnahmen für die Verkehrsinfrastruktur. Durch den riesigen bürokratischen Aufwand ist sogar zu befürchten, dass die Kosten höher sein werden als die Einnahmen. Der Normenkontrollrat hat darauf hingewiesen, dass die Kosten für die Erhebung der Maut im Gesetzentwurf nicht transparent genug dargestellt werden. Es bestehen außerdem in der EU-Kommission erhebliche Bedenken, dass diese Maut ausländische PKW-Fahrer diskriminieren könnte. Ein gewichtiges Argument der Befürworter einer PKW-Maut ist die Praxis in anderen Ländern. Dort verlangt man schließlich auch eine Maut. Es gibt in Europa kein einziges Modell, wo eine Kompensation für einheimische PKW-Halter gegriffen hat. Wo eine PKW-Maut erhoben wird, zahlen alle gleich viel. Es ist schon erstaunlich, wie die Regionalpartei CSU die beiden großen Koalitionspartner mit dem Nasenring durch die Manege zieht und das, obwohl wir dringend Lösungen bei der Infrastrukturfinanzierung brauchen. Aber die Grünen sind ja nicht grundsätzlich gegen die PKW-Maut ... Eine intelligente Maut würde berücksichtigen, ob jemand viel oder wenig fährt und sie würde unterscheiden, ob jemand mit einem effizienten oder spritschluckenden Fahrzeug unterwegs ist. Ich denke aber, dass sich die Frage derzeit nicht stellt. Wir haben mit der LKW-Maut das Instrument, mit dem man die Kosten denjenigen anlastet, die die Infrastruktur am stärksten beanspruchen. Es macht auch keinen Sinn, mehr Geld ins System zu stecken, wenn die Gelder ineffizient und an den falschen Stellen eingesetzt werden. Wenn man das Argument der Belastung zu Ende denkt, müssten Sie aber für den Lang-LKW sein - immerhin wird die Achslast dort auf mehrere Achsen verteilt. Warum sind Sie gegen das Fahrzeugkonzept? Der Einsatz des Lang-LKW muss im Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen im Verkehrsmarkt diskutiert werden: Die LKW-Mautsätze sinken, während die Kosten im Schienengüterverkehr durch die höhere EEG-Umlage steigen. Bei einer generellen Zulassung des Lang-LKW unter diesen Bedingungen befürchte ich eine Rückverlagerung bei Gütertransporten von der Schiene auf die Straße. Selbst Befürworter sagen, dass der Lang-LKW eine Randerscheinung bleiben wird, der vor allem in Punkt-zu-Punkt-Verkehren sinnvoll eingesetzt werden kann. Die Klimaschutzziele sind durch den Einsatz des Lang-LKW deshalb nicht zu erreichen. Der Vorsitzende der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, rief seine Parteifreunde dazu auf, den Lang-LKW nicht zu boykottieren. Es mache keinen Sinn, auf die Effizienzverbesserungen durch den Lang-LKW zu verzichten, um den Verkehrsträger Bahn zu schützen. Das schließt ja direkt an meine Argumentation an, ein sinnvolles Gesamtkonzept zu schaffen. Wie gesagt, wenn wir faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern im Markt hätten, könnte man den Lang-LKW auch anders diskutieren. In einem Transportmarkt, der die Schiene als umweltfreundlichen Verkehrsträger stärkt, könnten auch Konzepte wie der Lang-LKW für ausgewählte Routen ihre Berechtigung haben. Der Bund will über die neu ausgehandelte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mehr Geld in die Schiene investieren - verlangt aber auch mehr Eigenverantwortung der Bahn. Ist die neue LuFV II ein Erfolg für den Verkehrsträger Schiene? Die LuFV hat sich als Instrument grundsätzlich bewährt. Es ist ein wichtiges Signal, dass mehr Geld für den Erhalt der Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, insbesondere auch für die Brücken. Aber - und darauf hat der Bundesrechnungshof hingewiesen - die Mängel aus der LuFV I sind nicht hinreichend abgestellt worden. Das betrifft vor allem den Bereich der Kennzahlen zur Qualitätsbeurteilung des Streckennetzes. Hier sollen auch weiterhin nur Durchschnittsnoten vergeben werden. Dadurch werden Transparenz und Aussagekraft aber nicht erhöht. Man sollte lieber die LuFV I mit dem höheren Haushaltsansatz verlängern und dann bei der LuFV II nachbessern. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat jüngst ein 10 Milliarden schweres Investitionsprogramm angekündigt. Das dürfte auch der Verkehrsinfrastruktur zugutekommen. Wo sollte denn vor allem investiert werden? Kein Verkehrspolitiker wird sich über mehr Geld beklagen. Aber wir müssen fragen, wie das Geld richtig und effizient eingesetzt wird. Problematisch ist das bisherige Modell der Auftragsverwaltung der Länder im Straßenbau, wo Planung, Ausführung und Finanzierungsverantwortung auseinanderfallen. Ich könnte mir vorstellen, dass zumindest für das überregionale Kernnetz der Verkehrsinfrastruktur die Zuständigkeit für Planung, Ausführung und Finanzierung künftig bei einer zentralen Bundesgesellschaft gebündelt wird. Was muss bei der Mittelverwendung verbessert werden? Der Bundesverkehrswegeplan darf nicht eine Aneinanderreihung von regionalen Wunschprojekten bleiben, sondern die Gelder müssen in die gezielte Beseitigung von Flaschenhälsen im Kernnetz geleitet werden. Deshalb war es ein richtiges Signal, in der Grundkonzeption für den neuen Bundesverkehrswegeplan die Kategorie "Vordringlicher Bedarf Plus" zu schaffen. Dort sollten 80 Prozent der Haushaltsmittel gebündelt werden. Jetzt wird aber darüber diskutiert, diese Kategorie "VB+" zur Priorisierung doch nicht einzuführen. Wer will das verhindern? Die mächtige "Partei der Wahlkreisabgeordneten". Im Sommer wurden 27 neue Straßenprojekte begonnen, die Hälfte davon sind Ortsumfahrungen und eben nicht Projekte von überregionaler Bedeutung. Im Tagesgeschäft erweisen sich die Ankündigungen des Bundesverkehrsministers als reine Lippenbekenntnisse. Vita Stephan Kühn Stephan Kühn wurde 1979 in Dresden geboren, wo er auch aufgewachsen ist. Über sein Engagement in der Umweltbewegung und beim Kinderhilfswerk Unicef kam er schon früh zur Politik. Seit 1998 - da war Kühn erst 19 - ist er Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Ab 2004 bis Januar 2010 saß er für die Grünen im Dresdner Stadtrat und war auch dort schon für Verkehrspolitik zuständig. Bei der Bundestagswahl 2009 zog er über die sächsische Landesliste für seine Partei erstmals in den Bundestag ein. 2013 schaffte er den Wiedereinzug über den zweiten Platz der sächsischen Landesliste. Seit Juli 2011 ist der Diplom-Soziologe verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

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