Bei ihnen wird abgerechnet

Interview Bei ihnen wird abgerechnet Die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungsgesellschaft (Vifg) wacht im Auftrag des Bundes über die Verwendung der Mauteinnahmen. Im Interview halten die beiden Geschäftsführer ein Plädoyer für die Nutzerfinanzierung. Wie erklären Sie die Aufgaben der VIFG in wenigen Worten? Torsten Böger: Die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungsgesellschaft ist eine Gesellschaft im Eigentum des Bundes, die dafür sorgt, dass die von den Kunden eingenommenen Mittel aus der LKW-Maut zweckgebunden in die Verkehrsinfrastruktur zurückfließen, seit 2011 sogar ausschließlich in die Straßeninfrastruktur. Wir sorgen für Transparenz in der Verwendung der Mittel und schaffen damit die Grundlage für einen effizienten Mitteleinsatz. Zudem beraten wir den Bund bei allen Projekten, die darauf ausgerichtet sind, privates Kapital für die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zu mobilisieren. Sie sprechen nicht von Mautzahlern, sondern von Kunden – das überrascht mich … Martin Friewald: Die Maut ist keine Steuer, sondern eine Gebühr. Wer eine Gebühr zahlt, kann auch eine Leistung dafür erwarten, in diesem Fall im Bereich der Infrastruktur. Deshalb sprechen wir von Kunden, die eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur erwarten dürfen. Hätten Sie sich im Koalitionsvertrag mutigere Schritte in der Verkehrspolitik gewünscht? Friewald: Deutschland ist als Exportnation auf eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur angewiesen. Deshalb sind die Themen richtig gesetzt: Im Koalitionsvertrag wird die Ausweitung der Nutzerfinanzierung ausdrücklich genannt. Der schrittweise Umstieg von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung wird also fortgeführt. Zudem findet sich der Hinweis, dass auch künftig ÖPP-Projekte eine wichtige Rolle spielen sollen. Böger: ... nicht zu vergessen das explizit formulierte Ziel, Instrumente zu schaffen, die eine Überjährigkeit bei der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierung gewährleisten. Aus unserer Sicht ist das ein wichtiger Punkt. Der Begriff „Fondsmodell“ zur Sicherstellung der überjährigen Mittelverwendung steht nicht im Koalitionsvertrag. Auch der Entwurf des Haushalts 2014 sagt nichts zur Ausgestaltung der Überjährigkeit. Böger: Wichtig ist die Zielsetzung der Überjährigkeit. Wie man das handwerklich umsetzt, ist eine andere Frage, die im zweiten Schritt beantwortet werden muss. Die Überjährigkeit bei der Mittelverwendung ist etwas, was wir heute schon im kleinen Maße für die Mauteinnahmen herstellen können. Nicht verbrauchte Mautmittel könnten im geschlossenen Finanzierungskreislauf auch in den Folgejahren investiert werden. Deshalb ist der Grundgedanke der Nutzerfinanzierung auch so wichtig. Nutzerfinanzierung und die damit einhergehende Zweckbindung der Einnahmen führen automatisch in die Überjährigkeit. Friewald: Zweckbindung der Einnahmen und überjährige Mittelverwendung ermöglichen ja gerade erst effiziente Projektabläufe bei Ausbau und Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Die Finanzierung sollte sich an einem optimalen Bauablauf orientieren und nicht der Bauablauf an der jeweiligen Liquiditätslage des Bundes. Was heißt das konkret für ein Bauprojekt? Böger: Infrastruktur muss als langlebiges Wirtschaftsgut nicht nur gebaut sondern, auch langfristig bewirtschaftet werden. Im Idealfall hätte man für jeden Teil des Straßennetzes ein langfristiges Bau- und Bewirtschaftungs-Programm, in dem die Finanzierung über die Jahre gesichert ist. Salopp gesagt: Sanierungsmaßnahmen würden dann erfolgen, wenn sie technisch sinnvoll sind und nicht, wenn gerade Geld da ist. In der heutigen Haushaltssystematik ist das nicht immer so gewährleistet. Friewald: Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an die Vorschläge der Pällmann-Kommission erinnern, die eine vollständige Nutzerfinanzierung befürwortete, gekoppelt mit strenger Zweckbindung und das Ganze in einem überjährigen System. Das sind die Eckpfeiler einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung, die auch von der Daehre-- und der Bodewig-Kommission aufgegriffen wurden. Hier spricht die betriebswirtschaftliche Vernunft, die sich an den politischen Realitäten abarbeitet ... Böger: Nach diesem Prinzip funktionieren die sogenannten A-Modelle bei ÖPP. Der Private plant auf Basis der durch den Auftraggeber Bund vertraglich geforderten Leistungen für die nächsten 30 Jahre seine Einnahmen und seine Investitions- und Betriebskosten, und zwar über die gesamte Laufzeit. Darauf kann der Betreiber den Bauplan, die Finanzierung, notwendige Erhaltungsmaßnahmen und seinen Betriebsdienst aufbauen. Friewald: Dann würde auch schneller gebaut werden können, denn jede Baumaßnahme, die schneller fertig ist, kann ihren volkswirtschaftlichen Nutzen früher entfalten. Niemand investiert, um Geld in die Erde zu bekommen, sondern weil auch eine Renditeerwartung an ein Projekt geknüpft ist. Im öffentlichen Bereich wird diese Rendite anhand des volkswirtschaftlichen Nutzens einer Investition, also den Impulsen für Wachstum und Beschäftigung im Verhältnis zu den Investitionskosten, gemessen. Dieses Kosten-Nutzen-Verhältnis ist ja auch Grundlage für den Bundesverkehrswegeplan. Wie hoch müsste die LKW-Maut bei vollständiger Nutzerfinanzierung sein? Böger: Grundlage einer vollständigen Nutzerfinanzierung sind immer die Wegekosten. Orientiert man sich am letzten Wegekostengutachten sowie den sonstigen verfügbaren Daten aus dem BVWP und anderen Gutachten, werden wohl zwischen sieben und acht Milliarden Euro pro Jahr für die Sicherstellung einer leistungsfähigen Bundesfernstraßeninfrastruktur benötigt. In einem umfassenden System der Nutzerfinanzierung würde sich die LKW-Maut wie heute auch entsprechend den Fahrleistungen dieses Fahrzeugsegmentes an den Wegekosten beteiligen müssen. Schon heute werden ja auch nur diese anteiligen Wegekosten umgelegt. Friewald: Die Wegekostengutachten brauchen wir, weil der Staat im Gegensatz zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen über kein Rechnungswesen und damit über keine aktuellen Daten über den Wert der Infrastruktur oder Abschreibungen verfügt. Deshalb sind auch die 7,2 Milliarden Euro, die die Daehre-Kommission als jährliche Investitionslücke für die gesamte Verkehrsinfrastruktur aller Gebietskörperschaften angibt, eher ein Schätzwert. Die Größenordnung zeigt allerdings, dass eine signifikante Lücke besteht. Welche erweiterte Rolle könnte die VIFG in diesem Zusammenhang spielen? Böger: Wir sind Dienstleister des Bundes. Er bestimmt unsere Rolle. Was wir anbieten können, ist der gesamte Bereich der Informationsverarbeitung und darüber hinaus in Anlehnung an ein klassisches Unternehmens-Rechnungswesen die Erfassung von Bestandsdaten, Abschreibungskosten, Endwerten etc. Der Weg zu einem Rechnungswesen Straße muss am Ende gar nicht so weit sein. Dies würde zu mehr Transparenz und damit auch zu effizienteren Finanzierungsmöglichkeiten führen. Friewald: Wir haben im letzten Jahr mehr als drei Milliarden Euro aus der Maut in rund 53.000 Buchungen auf die Straße gebracht. Die Mittelverwendung können wir projektgenau mittels unseres Finanzmanagementsystems nachvollziehen. Stichwort ÖPP: Warum sind solche Projekte aus Ihrer Sicht sinnvoll? Böger: Bei ÖPP-Modellen besteht die Möglichkeit, Infrastrukturprojekte lebenszyklusorientiert zu bauen und zu betreiben. Das hat sich nach allen gemachten Erfahrungen absolut bewährt. Mit ÖPP kann privates Kapital und privatwirtschaftliches Management für die Projekte mobilisiert werden. Mittlerweile sind mehr als zwei Milliarden Euro an privatem Kapital in den bisherigen sechs ÖPP-Projekten im Bundesfernstraßenbereich gebunden. Es geht dabei nicht in erster Linie um zusätzliche Mittel sondern vor allem um die Anreizwirkungen, die privatwirtschaftliches Engagement und Management entfalten. Projekte können schneller, effizienter und damit wirtschaftlicher umgesetzt werden. Friewald: Nehmen Sie das Beispiel A1. Vier Jahre Bauzeit waren geplant, jedoch konnte die Maßnahme drei Monate früher fertiggestellt werden. Andere vergleichbare Projekte in konventioneller Abwicklung brauchen deutlich länger. Machen Sie auch die Ausschreibung? Böger: Die Ausschreibungen werden von den Ländern im Auftrag und mit Beteiligung des Bundes durchgeführt. Wir sind als Dienstleister des Bundes beteiligt. Die Vergaben selbst erfolgen durch die Länder. Wer mobilisiert das private Kapital? Böger: Damit private Kapitalgeber und Investoren in ein Projekt investieren, benötigen sie stabile Rahmenbedingungen. Das Wichtigste sind gute Projekte und eine stabile Projektpipeline durch das BMVI. Als Dienstleister für den Bund sind wir auch Ansprechpartner für private Investoren, die sich über den deutschen Markt informieren möchten. Der Bund wird im Rahmen der Ausschreibung für das ÖPP-Projekt auf der A7 zwischen Hamburg und Neumünster zum ersten Mal Projektbonds als Finanzierungsinstrument zulassen. Damit wird die Beteiligung an der Finanzierung erstmals über den Bankensektor hinaus auch für den Anleihemarkt geöffnet. Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass ÖPP-Projekte nicht in jedem Fall günstiger sind. Wer rechnet falsch? Böger: Also, auch auf der öffentlichen Seite können die Beteiligten richtig rechnen. Aber warum kommen wir zu unterschiedlichen Ergebnissen? Wir haben festgestellt, dass sich im öffentlichen Sektor der Lebenszyklusansatz, also die langfristige Betrachtung von Projekten bis zu 30 Jahren, noch nicht voll durchgesetzt hat. Wir erstellen ja mittlerweile im Auftrag des BMVI auch Wirtschaftlichkeits-Untersuchungen. Die Kalkulation der kurzfristigen Baukosten ist dabei der einfachste Teil. Aber welche Annahmen legt man für die Kalkulation der Erhaltungskosten zugrunde? Welche Verfügbarkeit wird benötigt und wie können die Risiken des Projektes für einen solchen langen Zeitraum ermittelt werden? Und ganz wesentlich: Wie sind die Finanzierungskosten der öffentlichen und privaten Seite zu berücksichtigen und wie werden diese sachgerecht vergleichbar gemacht? Unterschiedliche Ergebnisse in den Rechnungen gibt es immer dort, wo man langfristige Annahmen treffen muss. Friewald: Man sollte in der ganzen Diskussion über die Vor- und Nachteile von ÖPP vor allem eine Frage stellen: Wie kann der Bund sicherstellen, dass eine leistungsfähige und verfügbare Infrastruktur auf Dauer für die Nutzer bereitgestellt wird? Und da haben alle ÖPP-Projekte, anders als manches klassisch haushaltsfinanzierte Projekt, bisher bewiesen, dass die Qualität stimmt. Kritik kommt von politischer Seite. Man fordert die Offenlegung der Rechnungen. Friewald: Also, ich kenne kein Unternehmen, das seine Kalkulation offenlegt. Müsste die öffentliche Seite alle Preiskalkulationen offenlegen, hätte das zur Folge, dass der Bund überhaupt keine wirtschaftlichen Angebote mehr bekäme. Dieser Wirtschaftlichkeitsvorteil sollte im Interesse aller Mautzahler nicht verschenkt werden. Gibt es im Ausland Modelle, die sich auf Deutschland übertragen ließen? Beispielsweise das Schweizer Fondsmodell? Böger: Wir schauen uns auch im Ausland Systeme an, bei denen Formen der Nutzerfinanzierung praktiziert werden. Man muss allerdings immer die nationalen Gegebenheiten sehen. Für unser Transportgewerbe ist nach allen Umfragen die verkehrsträgerbezogene Zweckbindung ganz wesentlich. Deshalb glaube ich nicht, dass das Schweizer Modell bei uns durchsetzbar wäre. In der Schweiz wird Geld auf der Straße eingesammelt und für die Schienenwege ausgegeben. Noch ein Wort zur PKW-Maut. Ist die von Alexander Dobrindt geforderte Ausländermaut sinnvoll? Friewald: Eine PKW-Maut in Deutschland wäre jedenfalls kein singuläres Phänomen. Auch in den Nachbarländern sehen wir, dass die Nutzerfinanzierung nicht nur auf gewerblich genutzte Fahrzeuge beschränkt ist. Der Minister hat sich in dieser Frage klar positioniert. Auf der anderen Seite gibt es EU-rechtliche Vorgaben. In dieser Legislaturperiode soll ein rechtskonformer Rechtsentwurf vorgelegt werden. Den sollten wir abwarten. Böger: Überall um uns herum findet PKW-Maut statt. Sie wird von den Nutzern akzeptiert, wenn sie von dem Mehrwert überzeugt sind, den die Maut für den Zustand der Straßen bringt. ❙❚■ Dietmar Winkler Vita Martin Friewald studierte Rechtswissenschaften in Bonn und Würzburg. Nach verschiedenen Referentenpositionen in der Oberfinanzdirektion Nürnberg und später im Bundesministerium der Finanzen wurde er Leiter des Referats für bundesstaatlichen Finanzausgleich beim Senator für Finanzen in Bremen. 2002 ging Friewald als Ministerialdirigent an das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur. Ab 2006 war er Leiter des Amtes für Verkehr und Straßenwesen in Hamburg, bis er 2010 auf eigenen Wunsch an das Bundesverkehrsministerium als Leiter der Unterabteilung Straßenverkehr versetzt wurde. Vita Torsten Böger ist seit 2003 Geschäftsführer der Vifg und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Projektentwicklung und -finanzierung im Infrastrukturbereich. Er studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Münster, Köln und Budapest. Berufliche Stationen waren die Bayerische Vereinsbank (heute: Unicredit) und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers, wo er als Leiter des deutschen Bereiches Infrastructure Finance tätig war. Als Dozent an der TU Braunschweig lehrt er im Bereich internationale Projektfinanzierung und Public Private Partnership. VIFG Nicht nur Mautverwalter Die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungsgesellschaft (kurz Vifg ist eine 2003 gegründete GmbH mit Sitz in Berlin. Alleiniger Gesellschafter ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Die Vifg ist für die Verteilung der Einnahmen aus der LKW-Maut nach dem Autobahnmautgesetz (ABMG) beziehungsweise seit 2011 nach dem Bundesfernstraßen-Mautgesetz zuständig. Als ÖPP-Kompetenzzentrum unterstützt die Vifg das BMVI außerdem bei der Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung von privatwirtschaftlichen Projekten im Infrastrukturbereich. Dazu gehört insbesondere die konzeptionelle Weiterentwicklung von „Öffentlich Privaten Partnerschaften“ (ÖPP-Modelle) im Verkehrssektor.

Bei ihnen wird abgerechnet

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