Algorithmus versus Kundenkontakt

Digitale Start-ups in der Logistik wollen jetzt skalieren und Marktanteile gewinnen. Das sagt eine aktuelle Analyse des Beratungsunternehmens Oliver Wyman. Herr Ortwein, Sie sind Chef der digitalen Spedition Instafreight: Setzen die Davids jetzt tatsächlich an, Goliaths zu werden? Philipp Ortwein (Instafreight): In diesem Segment ist in der Tat viel Geld unterwegs. Allein 2019 sind 13,5 Milliarden Euro in Logistik-Start-ups geflossen. Der größte Teil zwar in den USA und in Asien, aber auch in Europa sind es mehrere hundert Millionen. Und dahinter stehen stets Investoren. Die haben natürlich Interesse daran, dass diese Geschäftsmodelle immer wachsen. Daher werden diese in diesem Jahr und den nächsten Jahren sehr, sehr stark wachsen. Und sie werden auch dem einen oder anderen traditionellen Spediteur Kunden abnehmen. Mit den Konzernen Rocket Internet und Shell hat Instafreight selbst große Geldgeber. Welche Ziele haben Ihnen diese gesetzt? Ortwein: Unser Ziel ist es, in drei bis vier Jahren zu einem Unicorn (Einhorn - die Redaktion) zu werden, das heißt, wir streben mit Instafreight eine Marktbewertung von über einer Milliarde Euro an. Für uns würde dies heißen, dass sich unser Umsatz jedes Jahr verdrei- oder vervierfachen wird. Das ist auch die Erwartungshaltung unserer Investoren. Zum Umsatz so viel: Wir sind aktuell bei mehreren Millionen im Monat. Bis 2025 ist für ein "Scale-up" ein langer Planungshorizont - wenn unsere Pläne aufgehen, werden wir bereits vorher die Milliardengrenze im Jahr durchbrochen haben. Müssen traditionelle Mittelständler im Stückgutmarkt angesichts solcher neuen Player nun bangen? Jens Kilimann (Roland Berger): Das hängt vom Geschäftsmodell der einzelnen Spedition ab. Ist sie eine reine Sofa-Spedition, also reiner Frachtenmakler, ist ihr Geschäftsmodell durch solche Player ernsthaft gefährdet. Die meisten Stückgutspeditionen verfügen aber über eigene Assets, fahren im Selbsteintritt mit eigenen Lkw und haben eigene Umschlagaktivitäten. In diesem Fall könnte der digitale Forwarder eher Partner des Stückgutspediteurs werden und administrative Prozesse an der Kundenschnittstelle übernehmen. Noch vor vier Jahren prognostizierte eine Studie Ihres Hauses Roland Berger: Bis zu 70 bis 80 Prozent des See-, Luft- und Landverkehrsgeschäfts, das standardisiert abgewickelt wird, wird künftig über elektronische Buchungsplattformen gehändelt. Wie viel Prozent sind es heute tatsächlich? Kilimann: Eine Zahl möchte ich im Moment nicht nennen. Aus dem Bauchgefühl heraus würde ich aber sagen, dass hier in Teilen eine gewisse Ernüchterung eingezogen ist, weil viele Geschäfte eben nicht komplett standardisiert ablaufen und eine Reihe an kundenspezifischen Anforderungen berücksichtigt werden müssen, zum Beispiel spezifische Abwicklungsvorschriften. Ortwein: Wobei ich die Aussagen dieser Roland-Berger-Studie im Komplettladungsgeschäft voll und ganz teile. Im Stückgutgeschäft sehe ich das noch nicht so, obwohl wir und andere digitale Speditionen auch in diesem Segment tätig sind. Instafreight arbeitet hier zum Beispiel eng mit der Online Systemlogistik. Wir sehen uns da eher als Vertriebskanal in Richtung Kunden, der eine klassische Spedition selbst nicht kosteneffizient bedienen kann. Und hier geht die direkte Kundenbeziehung tatsächlich zunehmend an uns, weil wir Kunden alles aus einer Hand bieten können - Stückgut wie auch Teil- und Komplettladungen. Instafreight ist also der Ansprechpartner für den Kunden, und Online Systemlogistik wickelt "nur" den Stückguttransport ab? Ortwein: So ist es. Die Stärke der digitalen Speditionen liegt in der Kundenschnittstelle, vor allem bei kleineren Kunden. Wir eröffnen den Stückgutspeditionen damit effizienten Zugang zu einer sehr interessanten Kundengruppe. Werden Stückgutspeditionen und -verbünde also zum Erfüllungsgehilfen solcher digitalen Speditionen? Gerald Penner (Streck Transport): Digitale Speditionen als Vertriebskanal für spezielle Kundensegmente wie etwa für Kleinkunden zu nutzen, ist sicher eine interessante Option, um die Vertriebskosten in diesem Bereich zu senken. Eine solche Lösung für Stückgut gibt es aber meines Wissens im Markt noch nicht. Noch nicht! Was plant Instafreight? Ortwein: Strategisch fokussieren wir zwar auf Komplettladungen. Im Stückgutbereich ist die gezielte Einspeisung von Sendungen aber genau unser Ansatz! Und was die Kunden-Akquisekosten angeht, sind wir kosteneffizienter als ein Stückgutnetz. Hier können wir Hand in Hand zusammenarbeiten. Haben Sie als Stückgutspediteur davon Vorteile oder profitiert nur Instafreight? Penner: Im Idealfall sparen wir dadurch Prozesskosten. Vor allem wenn eine nennenswerte Menge solcher Kleinstmengen über Instafreight laufen würde. Dagegen steht natürlich die Marge, die eine Instafreight haben will. Ob sich das Ganze für uns lohnt, hängt also von den Konditionen ab, die uns Herr Ortwein bietet (lacht). Ortwein: Sage ich gerne im Nachgang! Michael Bargl (IDS Logistik): IDS Logistik arbeitet zwar schon mit Buchungsplattformen wie mydsv.com und KN FreightNet. Aber natürlich prüfen wir ständig, wie IDS Kleinst- und Kleinkunden kosteneffizienter erreichen kann. Und da könnte ich mir vorstellen, mit Instafreight ins Geschäft zu kommen - gerade für unsere kleineren IDS-Gesellschafter. Denn Ziel aller Speditionskooperationen ist es, binnen der nächsten drei Jahre möglichst viele Prozesse zu digitalisieren. Digitale Speditionen sind dabei für uns keine Wettbewerber, sondern Partner in bestimmten Bereichen. Hilfreich sind für uns Ordermanagement-Systeme für große Verlader, Avis-Portale für Privatkunden im B2C, elektronische Buchungsportale, über die wir unsere Anlieferzeiten bei großen Handelskunden elektronisch avisieren und vereinbaren. Natürlich helfen uns auch Kleinkunden-Portale. Solche Teilprozesse können digitale Startups fallweise besser lösen als wir als Netzanbieter. Ich denke aber nicht, dass eine digitale Spedition eins zu eins an IDS rankommt und wie wir den kompletten Blumenstrauß offerieren kann.Wer uns eins zu eins nachbauen will, schafft das heute nicht. Dem fehlt die kritische Masse, die wir haben. Instafreight bleiben also nur die Krumen im Stückgutmarkt. Reicht Ihnen das? Ortwein: Instafreight kann und will nicht den kompletten Blumenstrauß anbieten. Unser Fokus ist das Komplettladungsgeschäft. Das wird auch die nächsten Jahre so bleiben. Insofern reichen uns die "Krumen". Es gibt aber andere digitale Speditionen, die ich kenne, die ein komplettes Speditionsnetz abbilden wollen, etwa der spanische Anbieter OnTruck. Er ist mit seiner Stückgutkompetenz so weit, dass ein sehr großer deutscher Stückgutanbieter OnTruck für die Zustellung nach Madrid und Barcelona nutzt. OnTruck baut dafür für ihn in und um Madrid und Barcelona eine gewisse Dichte auf, damit die besagte Stückgutspedition eine hohe Stoppzahl in der Zustellung hat. Und meines Wissens will OnTruck in Zukunft auch in Deutschland tätig werden. Bargl: Ich kenne OnTruck nicht. Das Geschäftsmodell klingt für mich so, dass OnTruck in Spanien für dieses Stückgutnetz als Empfangsspediteur tätig ist. In europäischen Staaten mag das funktionieren. Denn dort gibt es im Gegensatz zu Deutschland nur wenige freie Speditionen, die noch nicht an ein Netz angebunden sind oder nicht aufgekauft wurden. Dazu kommt, dass für viele unserer Kunden die Zusammenarbeit mit unseren IDS-Partnern einen hohen Stellenwert hat. Unterschätzen Sie hier den Faktor Mensch nicht. Er macht den Unterschied. Ist das so, oder macht künstliche Intelligenz im Stückgutgeschäft bald den Unterschied? Kilimann: Mag sein, dass dies in drei, vier Jahren der Fall ist, weil die KI bis dahin so weit ist, dass man mit ihr auch ein gewisses Maß an Kundenorientierung hinbekommt. Stand heute schafft KI das aber sicher nicht. Ortwein: Heute machen wir mit KI im Stückgutbereich relativ wenig. Meist erhalten wir, außerhalb der klassischen Ausschreibungen, Aufträge von Kunden, ohne dass wir deren Auftragsmengen präzise kennen. Das sind meist Ad-hoc-Aufträge. Mittels KI ließen sich solche Warenströme sicher besser planen und so optimieren. In diese Richtung wird das bei Start-ups, die sich auf Stückgut fokussieren, wohl gehen. Herr Tietz, Sie sind Logistikleiter der Hellweg-Baumärkte und kennen die Anbieter: hier die klassischen Stückgutspeditionen, dort die digitalen Speditionen. Wen beauftragen Sie für Ihre Stückguttransporte? Torsten Tietz (Hellweg): Bei uns läuft das ja zweigeteilt: Einerseits haben wir CEVA Logistics als Komplett-Logistikanbieter beauftragt, unser Lagergeschäft im Outbound und die Distribution unserer Paletten zu managen. Als Hellweg-Logistikleiter steuere ich nur die Teil- und Komplettladungs- sowie Stückgutverkehre zwischen unseren Filialen selbst und beauftrage die Spediteure. Aus meiner Wahrnehmung haben gerade im See- und Luftfrachtbereich in den letzten Jahren digitale Speditionen in puncto Know-how aufgeholt. Insbesondere im Landverkehrsgeschäft haben sie aber beileibe nicht das Know-how der klassischen Stückgutspeditionen. Zumal diese in puncto Digitalisierung in den letzten Jahren sehr stark aufgeholt haben, während die digitalen Speditionen viel Nachholbedarf haben und eher nur kleine Kunden abdecken. Im Zweifelsfall würde ich also, Stand heute, eine klassische und keine digitale Spedition beauftragen. Und was sagen Sie als Branchenkenner? Können digitale Speditionen Stückgut? Sind die schon so weit? Penner: Nein. Wie gesagt: Im Teil- und Komplettladungsbereich und für Kleinstkunden im Stückgut mögen sie es können. Da sind digitale Speditionen für uns unter Umständen ein weiterer Vertriebskanal. Was aber den Versand von Stückgut großer Auftraggeber betrifft, sind digitale Speditionen lange nicht so weit. Denn das Stückgutgeschäft lässt sich nicht so standardisiert abwickeln, wie viele meinen. Jeder Kunde hat in der Regel Sonderwünsche, und wenn es nur ein neues Zeitfenster ist. Bargl: Da bin ich ganz bei Ihnen. Ergänzend nur eines! Mein Wunsch wäre im Stückgutmarkt eine neutrale Plattform, in der die Anforderungen der Empfänger, etwa im Handel, in puncto Anlieferzeiten und Zeitfenster an der Rampe klar definiert sind und damit für Spediteure transparent einsehbar sind. Dazu braucht es einen neutralen Anbieter, eine digitale Spedition. Wir als IDS könnten eine solche Plattform nicht entwickeln, das muss eine digitale Spedition tun. Denn keiner unserer Marktbegleiter würde eine Plattform der IDS nutzen. Welches Geschäftsmodell hat also Zukunft: das der klassischen oder das der digitalen Spedition? Kilimann: Mittlerweile überlappen sich sowieso die Geschäftsmodelle digitaler und klassischer Speditionen immer stärker. So investieren klassische Speditionen vermehrt in digitale Tools, während digitale Speditionen verstärkt in eigene Assets investieren, weil ihnen das mehr Wertschöpfung verspricht. Da dringen beide Seiten also in das Geschäftsfeld des anderen ein, und das sorgt für Reibung. Deshalb denke ich, dass es in nicht allzu ferner Zukunft Merger-Bewegungen gibt, bei denen sich digitale Startups mittels starker Geldgeber Speditionen mit Asset-Strukturen einverleiben. Mehr zum Thema finden Sie unter #Logistik-Start-ups www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Auch im Stückgutgeschäft sehen Onlinespeditionen mittlerweile Wachstumspotenzial, das sie erschließen wollen. Ob daraus eine neue Konkurrenz für traditionelle Speditionen entsteht oder sie von der Zusammenarbeit mit den digitalen Playern profitieren, diskutiert die VerkehrsRundschau mit namhaften Experten. Die Teilnehmer der Expertenrunde Michael Barglist Geschäftsführer der Stückgutkooperation IDS Logistik in Kleinostheim, zu deren Gesellschafter unter anderem DSV, Geis Group, Kühne + Nagel und C.E. Noerpel zählen.Jens Kilimannist Partner der Unternehmensberatung Roland Berger in Hamburg. Er verantwortet dort unter anderem die Bereiche Konsumgüter, Handel und Digitalisierung.Gerald Pennerist Geschäftsführer des Speditions- und Logistikunternehmens Streck Transport in Lörrach. Streck ist Gesellschafter der Stückgutkooperation System Alliance, Niederaula.Philipp Ortweinist Mitbegründer und CEO der digitalen Spedition Instafreight aus dem Hause Rocket Internet in Berlin. Weiterer Geldgeber ist zum Beispiel der Shell-Konzern.Torsten Tietzist Leiter Logistik der Baumarkt- und Gartencenter-Handelskette Hellweg in Dortmund. Das Familienunternehmen beschäftigt 4000 Mitarbeiter.

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