Knappes Rennen beim Green Truck 2023

In Kürze Den Green-Truck-Award vergibt die VerkehrsRundschau seit 2011 im jährlichen Rhythmus. Dabei verlässt sich die Redaktion nicht auf Herstellerangaben, sondern ermittelt alle für die Wertung zählenden Messwerte und Verbräuche in Eigenregie. Umweltverträglich transportieren geht ausschließlich mit alternativen Antriebsformen? Da wagen wir zu widersprechen. Denn auch eine Sattelzugmaschine mit herkömmlichem Diesel-Verbrennungsmotor kann einen Beitrag zur ohne Frage dringend gebotenen Entlastung des Klimas leisten. Auch fällt das Angebot an schweren batterieelektrischen Lastwagen, geschweige denn solchen mit wasserstoffbasiertem Brennstoffzellen-Antrieb, nach wie vor überschaubar aus. Ein flächendeckendes Netz an Ladesäulen oder H2-Tankstellen steht ebenfalls noch nicht zur Verfügung, weshalb der Diesel bis auf Weiteres das Maß der Dinge im Gütertransport bleibt. DAF, MAN, Scania und Volvo Und weil wir testen, was unsere Leser im Alltag fahren, stand der Selbstzünder auch in der Ausschreibung der 2023er-Ausgabe des Green Truck festgeschrieben. Den Award vergibt die VerkehrsRundschau zusammen mit ihrem Schwestermagazin TRUCKER jährlich, und - so viel sei jetzt schon verraten - die Reihensechs-zylinder der vier teilnehmenden Hersteller präsentieren sich fit wie nie, von Auslaufmodell keine Spur! Warum nur vier der mittlerweile acht namhaften Hersteller in Europa antreten? Das vermögen wir nicht zu beurteilen, aber natürlich waren sie alle zum Umwelt-Kräftemessen eingeladen. Vielleicht ahnte man in Turin, Lyon, Wörth am Rhein sowie in der Türkei bereits, welch hohes Niveau DAF, MAN, Scania und Volvo Trucks vorlegen würden? Test mit Referenz-Lkw Bei den Green-Truck-Testfahrten stellte damals der MB Actros 1845 mit Schmitz-Cargobull-Trailer die Referenz. Dafür wurde die VR-Testrunde bei gutem Wetter abgefahren. Liegen die Verbrauchswerte des Referenz-Lkw am Testtag über oder unter diesem Wert, ist klar, dass das Testfahrzeug schlechtere oder bessere Bedingungen hatte, was sich entsprechend zurückrechnen lässt. Leistungen zwischen 450 und 480 PS Die auf der genormten Profi-Testrunde der VerkehrsRundschau zu bewältigende Transportaufgabe stellt unser Krone-Curtainsider. Auf 24 Tonnen ausgeladen fällt er nicht allzu schwer aus, was auch erklärt, warum alle vier Hersteller mit Brot-und-Butter-Motorleistungen zwischen 450 und 480 PS antreten. Zum guten Ton gehört natürlich eine Vollverspoilerung, um dem Fahrtwind möglichst wenige "Versteckmöglichkeiten" zu bieten. Fast Einigkeit herrscht darüber hinaus in Sachen Fahrerhaus: Mit Ausnahme des Volvo FH, der mit dem großen Globetrotter-XL antritt, schicken MAN, DAF und Scania ihre mittelgroßen Kabinen ins Rennen. Warum? Weil diese Hochdach-Fahrerhäuser zwar ordentliche Platzverhältnisse bieten, sich aber nicht so hoch vor dem Auflieger aufbauen. Das erlaubt flachere Spoilerwinkel, die sich positiv auf die Aerodynamik auswirken. Apropos Aerodynamik, hier punktet der DAF mit einem Joker: Als einziger des Quartetts - und überhaupt am Markt - nutzt der neu entwickelte Niederländer bereits die neuen Längenregeln in Europa aus. Die gestehen unter anderem einige Zentimeter mehr an Länge für aerodynamische Maßnahmen zu. Die Front des DAF ist dafür um 16 Zentimeter nach vorne gezogen und keilförmig abgerundet. Das leitet den Fahrtwind glatter ab und senkt den Verbrauch. DAF verzichtet auf Hubraum Ebenfalls aus der Reihe tanzt der XF in Sachen Antriebsstrang. Wo MAN, Scania und Volvo Trucks ihre Sechszylinder zwischen 12,4 und 12,8 Liter Hubraum ins Rennen schicken, verordnet DAF dem Testfahrzeug ein Downsizing auf den MX-11-Motor mit "nur" 10,8 Liter Volumen. Ein Vorteil, der sich besonders bei der Gewichtswertung auszahlt, der wir uns später widmen. Auf der Straße hat der XF trotzdem keine Mühe, den Konkurrenten mit den hubraumstärkeren Aggregaten zu folgen. Im Gegenteil: Er legt sogar die zweitschnellste Durchschnittsgeschwindigkeit im Feld vor. Ein Umstand, der sich mit vollen 40 Tonnen allerdings wandeln dürfte, denn dann geht dem DAF-Motor erfahrungsgemäß schneller die Puste aus. Wer die aber nie - oder nur selten - erreicht, ist mit dem MX-11 gut beraten. Ebenfalls nicht unvorbereitet in den Green-Truck-Vergleich geht der MAN. Sein D26-Diesel bekam erst kurz vor Testbeginn sein wahrscheinlich letztes Update, bevor irgendwann der von Scania entwickelte neue Konzernmotor auch im TGX übernimmt. Im Zuge der Überarbeitung bekam der D26 ein Plus von 10 PS und 50 Newtonmeter spendiert. Schwerer wiegen hier allerdings die innermotorischen Verbesserungen. Die neuen Leichtlaufkolben für geringere innermotorische Reibungen seien hier nur beispielhaft erwähnt. Maßnahmen, die sich zumindest auf der Testrunde auszahlen, denn mit niedrigen 21,10 l/100 km Dieselverbrauch gibt der Münchener der Konkurrenz hier eine harte Nuss zu knacken. Volles Drehmoment nur wo es Sinn macht Dazu trägt sicher auch eine weitere Technik bei, die sich im "Efficiency+"-Eco-Programm anwählen lässt. Ist das erfolgt, dürfen die 2450 Newtonmeter des 480er-MAN nur noch in seltenen Fällen ihre vollen Kräfte ausspielen. Nämlich dann, wenn der Bordrechner an Bergen über die Daten des GPS-Tempomaten zu dem Schluss kommt, dass sich durch den Einsatz des vollen Drehmoments eine Rückschaltung verhindern lässt. Ist das nicht der Fall, bleibt das Moment stets auf 2100 Newtonmeter begrenzt. Was vielen Fahrerinnen und Fahrern wenig gefallen dürfte, sorgt laut MAN für eine spürbare Senkung des Kraftstoff-Konsums. Ein ähnliches System hat übrigens auch der DAF XF an Bord; in Verbindung mit dem kleineren MX-11-Diesel hätte die Drehmoment-Reduzierung aber zu große Abstriche beim Tempo bedeutet, weshalb die Verantwortlichen in Eindhoven entschieden, die Spartechnik während der Testfahrt nicht zu nutzen. Was auch das bereits erwähnte, im Verhältnis hohe Durchschnittstempo des DAF erklärt. Turbocompound im Volvo FH Eine Drehmoment-Reduzierung ist auch bei Volvo Trucks Teil der Eco-Strategie -und diese arbeitet im FH intelligenter. Denn die Reduzierung ist nicht auf einen festen Wert eingestellt, sondern berechnet für jede Steigung das nötige Drehmoment neu, um den Berg "in der richtigen Mischung aus Tempo und Verbrauch zu erklimmen", wie es das Hersteller-Marketing ausdrückt. Ob das Volvo-System so auf das gleiche Sparpotenzial kommt wie MAN, vermögen wir nicht zu beurteilen. Fest steht aber, dass die Reduzierung des Drehmoments hinter dem Steuer des Göteborgers weniger zu bemerken ist. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass der Volvo an Steigungen sowieso den souveränsten Eindruck hinterlässt. Mehr als 1200 Touren liegen im FH selbst an steilen Stichen selten an. Das ist ein Verdienst der Turbocompound-Turbine, die dem Turbolader nachgeschaltet ist. Diese nutzt die nach dem Turbo immer noch heißen Abgase und überträgt die so erzeugte Zusatz-Power direkt auf die Kurbelwelle. Macht in Summe nominell plus 200 Newtonmeter, ist allerdings Teil des optionalen "I-Save"-Pakets bei Volvo Trucks. Von der Turbocompound-Technik hat sich Scania bereits vor mehreren Jahren wieder verabschiedet, wobei man die Technik damals auch eher zur Verbesserung der Performance und weniger zur Verbrauchsreduzierung eingesetzt hatte. Auch von einer Drehmoment-Reduzierung scheint man in Södertälje (noch?) nicht viel zu halten. Darin dürfte ein Grund liegen, dass der 460 R Super die schnellste Durchschnittsgeschwindigkeit in den Asphalt brennt. Vielleicht eine Spur zu schnell? Denn beim Verbrauch trägt der in diesem Punkt sonst so erfolgreiche Hersteller diesmal überraschender Weise die rote Laterne. Scania setzt auf Overdrive Dafür gebührt dem Greif-Antrieb die Ehre der jüngsten Konstruktion. Und auch er kann mit einem Alleinstellungsmerkmal punkten, das sich positiv auf den Kraftstoffverbrauch auswirken soll. Dieses steckt im neuen G25-Getriebe, das Scania zusammen mit seinem neuen, "super" genannten Motor einführte. Die automatisierte Zwölfgang-Box verfügt in ihrer höchsten Fahrstufe über eine zusätzliche Overdrive-Funktion. Diese senkt die Drehzahl bei Reisetempo auf nur noch knapp über 800 Touren ab, was man vor nicht allzu langer Zeit noch als unmöglich erachtet hätte. Der neue DC13-Sechszylinder verträgt das problemlos; allerdings verordnet die Opticruise-Schaltung den Overdrive auch nur in bestimmten Situationen, nämlich wenn der Zug in der Ebene oder noch besser in leichtem Gefälle rollt. Dann senkt der Zusatzgang die motorischen Widerstände in der verbrauchsneutralen Schubabschaltung, wo der Wettbewerb auf den Eco-Roll-Modus zurückgreifen muss, in dem die Motoren im Leerlauf etwas Sprit verbrauchen. Spartechnik auch auf ebenen Strecken Bei Scania zusätzlich hinterlegt: die dynamische Tempo-Regelung in der Ebene, "Pulse-and-Glide" genannt. Dabei beschleunigt die Elektronik den Zug auf plus drei km/h über das eingestellte Tempomat-Tempo von 85 km/h, schaltet dann in Ecoroll und lässt die Fuhre hinunter auf 82 km/h rollen. Anschließend wird wieder beschleunigt und das Spiel beginnt von vorne. Was für die Person hinter dem Lenkrad in jedem Fall gewöhnungsbedürftig ist, soll spürbar Sprit sparen. Das sieht man bei Volvo Trucks und MAN genauso, weshalb sie ihren Lkw ähnliche Systeme verordnet haben. Nur in Eindhoven hält man von dieser Lösung nichts, weshalb der DAF XF die 85 km/h stoisch beibehält. Bislang keine Rolle spielte beim Green-Truck-Award der AdBlue-Verbrauch, was wir mit der diesjährigen Ausgabe des Wettbewerbs allerdings ändern. Denn zwar verbrennt der Harnstoff im Lkw klimaneutral, bei seiner Erzeugung wird aber eine nicht unerhebliche Menge Erdgas verbrannt. Die Höhe dieses Faktors ließen wir uns von der Technischen Hochschule München berechnen und banden ihn in die Green-Truck-Berechnungsformel ein (siehe folgende Tabelle). Hersteller/Typ Euro-Norm Verbrauch Verbrauch AdBlue Geschwindigkeit Gewicht Wirtschaftlichkeit* CO2e DAF XF 450 Euro 6e 21,26 l/100 km 1,32 l/100 km 80,06 km/h 6975 kg 1,330 675 g/km Scania 460 R Super Euro 6e 21,54 l/100 km 2,53 l/100 km 80,74 km/h 6985 kg 1,324 684 g/km MAN TGX 18.480 Euro 6e 21,10 l/100 km 1,59 l/100 km 79,98 km/h 7200 kg 1,322 670 g/km Volvo FH 460 I-Save Euro 6e 21,34 l/100 km 1,26 l/100 km 79,95 km/h 7060 kg 1,320 677 g/km * Durchschnittsgeschwindigkeit / (2 x Verbrauch) + (0,172 x AdBlue-Verbrauch) + (Leergewicht/400), CO2e = CO2-Äquivalente Darunter hat besonders der Scania zu leiden. Zugunsten eines niedrigen Dieselverbrauchs entschieden sich die Entwickler für eine heiße Verbrennung, die allerdings die Folge hat, dass der neue Motor eine doppelte AdBlue-Einspritzung benötigt, um die Stickoxide euro-6e-konform zu eliminieren. Ein entsprechend höherer Harnstoff-Verbrauch im Vergleich zu den Konkurrenten ist die logische Folge. Teilweise spartanisch ausgestattet Letzter Wertungspunkt beim Green Truck: das Leergewicht der Test-Sattelzugmaschinen. Hier schöpften besonders die Hersteller DAF und Scania bei der Konfiguration aus dem Vollen oder besser gesagt ließen weg, was eben ging. Weshalb dem XF und dem 460 R einige Ausstattungen fehlen, die im Fernverkehr eigentlich obligatorisch sein sollten wie beispielsweise die Kühlbox oder eine Dachluke. Auf der anderen Seite gelingt es so, die Eigengewichte der Sattelzugmaschinen unter die Sieben-Tonnen-Marke zu drücken. Zusätzlich kann der DAF hier einen weiteren Vorteil seines hubraum-ärmeren Motors ausspielen: Knapp 180 Kilogramm wiegt das kompaktere Aggregat weniger als der größere MX-13-Sechszylinder des Herstellers. Mit 7,2 Tonnen wuchtet der MAN das meiste Gewicht auf Waage und Straße. Das geht allerdings auch auf das Konto des Retarders, den der TGX als einziger des Green-Truck-Testfelds an Bord hat. Für uns unverständlich, schließlich hätten die Münchener ebenfalls eine leistungsstarke Motorbremse in petto. Dem MAN verhagelt die Entscheidung für den Retarder jedenfalls das Endergebnis, denn beim Verbrauch führt der TGX 18.480, wie bereits erwähnt, das Feld an. Da sich aber der DAF und der Volvo jeweils nur einen kleinen Schluck dahinter platzieren, genügt dieser dünne Vorsprung am Ende nicht. Der XF sammelt dagegen in jeder Kategorie Punkte. Zum niedrigen Gewicht gesellt sich der zweitniedrigste Diesel-Verbrauch, gepaart mit der ebenfalls zweithöchsten Durchschnittsgeschwindigkeit. Mit 1,32 l/100 km ebenfalls nicht verstecken muss sich der Niederländer beim AdBlue-Konsum. Verbräuche und Tempo DAF Scania MAN Volvo 1. Etappe 74,3 km medium l/100 km: 20,71 km/h: 85,00 l/100 km: 20,79 km/h: 85,73 l/100 km: 20,50 km/h: 84,64 l/100 km: 20,90 km/h: 84,11 2. Etappe 80,8 km hügelig l/100 km: 22,96 km/h: 83,98 l/100 km: 22,70 km/h: 84,28 l/100 km: 22,35 km/h: 84,17 l/100 km: 22,45 km/h: 85,23 3. Etappe 100,2 km Rolletappe l/100 km: 21,26 km/h: 83,92 l/100 km: 21,89 km/h: 84,90 l/100 km: 21,11 km/h: 83,60 l/100 km: 21,28 km/h: 83,51 4. Etappe 50,5 km Landstraße l/100 km: 18,83 km/h: 62,05 l/100 km: 19,27 km/h: 62,75 l/100 km: 19,15 km/h: 62,19 l/100 km: 19,31 km/h: 61,71 5. Etappe 37,0 km leicht l/100 km: 21,91 km/h: 84,51 l/100 km: 22,64 km/h: 84,96 l/100 km: 22,15 km/h: 84,51 l/100 km: 22,70 km/h: 84,47 Gesamt 342,8 km l/100 km: 21,26 km/h: 80,06 l/100 km: 21,54 km/h: 80,74 l/100 km: 21,10 km/h: 79,98 l/100 km: 21,34 km/h: 79,95 Verbräuche ohne AdBlue-Anteil, Test-Gesamtgewicht: 32 Tonnen Der Sieg geht nach Eindhoven Das ergibt am Ende den höchsten Wirtschaftlichkeitsfaktor, weshalb die Trophäe 2023 ins niederländische Eindhoven geht. Gleichzeitig ist es auch ein Sieg für die neuen europäischen Längenregeln, die der DAF ja schon erfüllt. Sicher arbeitet der Wettbewerb fleißig an eigenen "Nasen", die vielleicht schon beim Green Truck 2024 ins Rennen gehen? Der Diesel dürfte dagegen wohl auch im kommenden Jahr noch gesetzt sein. Fazit: Jan Burgdorf, Test-Redakteur Saubere Vorstellung Hier haben sich die Hersteller wirklich nichts geschenkt! Bemerkenswert, wie eng die Testergebnisse der vier Sattelzugmaschinen am Ende zusammenliegen. Das zeigt, wie hoch das Niveau unter den Herstellern ist. Dass der DAF es am Ende an die Spitze schafft, überrascht mich dabei nicht. Das Fahrzeug vertritt schließlich die aktuell jüngste Lkw-Konstruktion auf dem europäischen Markt. Übrigens ist es in der Geschichte des Green-Truck-Awards das erste Mal, das sich die Niederländer den begehrten Titel holen. Herzlichen Glückwunsch nach Eindhoven zu dieser gelungenen Vorstellung! jan.burgdorf@springernature.com

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