Zahnräder unter Strom!

Auch bei ZF wird die Software künftig wichtiger als die Hardware. Denn erst durch diese und die damit verbundene künstliche Intelligenz können die Friedrichshafener ihre Komponenten richtig "unter Strom setzen". Auf dem Testcenter in Aldenhoven präsentierte ZF in zahlreichen Fahrzeugen aktuelle und künftige Produkte. Für Logistiker und Transportunternehmer von größtem Interesse dürfte dabei sicher das neue automatisierte baukastenähnlich aufgebaute Traxon-Getriebe sein, das 2015 bei dem ersten LKW-Hersteller in Serie gehen soll. Es verkraftet höhere Getriebespreizungen und Eingangsdrehmomente als die AS-Tronic und wird wie diese in Zwölf- und Sechszehngang-Versionen geliefert. Für die Zwölfgang-Direktgangversionen nennt ZF 2300 respektive 2800 Newtonmeter Eingangsdrehmoment, mit Overdrive erhöhen sich diese Werte auf 2600 respektive 3400 Newtonmeter. Auch die 16-Gang-Version ist wieder in der Planung, wobei ZF hier noch nicht weiß, wie sich die Nachfrage künftig verteilen wird. Entwickler Christoph Rüchardt sieht die feineren Gangspreizungen nicht nur im Baustellenbereich und in Bric-Staaten wie Brasilien, sondern auch als Möglichkeit, Kraftstoff zu sparen. "Auch im PKW steigt die Anzahl der Fahrstufen deshalb kontinuierlich - außerdem müssen wir uns alle möglichen Optionen offen halten", gibt der Ingenieur zu Protokoll. Die Doppelkupplungs- und Hybridisierungsvarianten dürften nicht vor 2017 serienreif sein. Gangwechsel wie von Geisterhand Was ZF nicht davon abhielt, beides schon einmal fahrfertig zu präsentieren. Verbaut war die Doppelkupplungsfunktion der Fahrstufen zehn bis zwölf in einem DAF- XF-Vorführer. Während die Gangwechsel beim Beschleunigen (auch im Vergleich zu den Getrieben von Daimler, Scania oder Volvo) weder in Schaltzeit noch hinsichtlich der Schaltpräzision neue Maßstäbe gesetzt haben, operiert Traxon ab Fahrstufe zehn tatsächlich komplett ohne Zugkraftverlust! Wie von Geisterhand sortiert es die Fahrstufen nach Bedarf hin und her und verlässt sich voll auf die Drehmomentreserven des Paccar MX 13. Der Testwagen war mit 2,38er-Achse ohnehin schon lang übersetzt, laut Rüchardt wäre aber auch eine noch längere 2,2er-Achse möglich. Mittelfristig soll Traxon die AS-Tronic ersetzen. Außerdem wurde laut Rüchardt auch in die Hardware investiert: Feingeometrie, Elastizität und Oberflächenqualität sollen besser sein als bei der AS-Tronic. Außerdem müsse man der geänderten Aktuatorik Rechnung tragen: Traxon soll zweimal so viele Schaltungen verkraften wie die AS-Tronic. Insofern seien die knapp zehn Kilo Mehrgewicht (laut Rüchardt bietet man trotzdem die leichteste aller Schaltboxen an) und der Mehrpreis zu verschmerzen. Das Rätselraten um die Traxon-Kunden Das scheinen einige LKW-Hersteller vorerst anders zu sehen: Ersten Gerüchten zufolge ist DAF das Traxon-Getriebe zu schwer und zu teuer. Außerdem kooperiert der Mutterkonzern Paccar bezüglich seiner neuen Getriebegeneration verstärkt mit Eaton. Auch MAN hüllt sich in Schweigen, zumal die Münchner künftig eventuell konzernintern Zugriff auf die Scania-Schaltboxen hätten. Bleibt Iveco, wo man Traxon aller Voraussicht nach mit der neuen schweren LKW-Generation ab 2016 oder 2017 erwarten darf. Außerdem setzen unbestätigten Meldungen zufolge Hyundai (Xcient) und einige chinesische Hersteller auf die Traxon-Box, die laut ZF 2015 in Serie gehen wird. Mit dem Hybridmodul arbeitete Traxon im "Innovation-Truck" (siehe auch VR 28) - einem Zug, der sich per Smartphone respektive Tablet von außen fernsteuern lässt und im Elektro- oder Verbrenner-Modus an die Rampe gestellt werden kann. Neben dem Traxon-Getriebe ist die elektrohydraulische Servotwin-Lenkung mit Momentenüberlagerung ein Schlüssel zum autonomen Fahren. Fahrwerksseitig präsentierte ZF die nochmals massiv überarbeitete vordere Einzelradaufhängung für LKW, die gegenüber einer vergleichbaren luftgefederten Starrachse rund 40 Kilo Gewicht einsparen soll. In der Praxis führt sie tatsächlich zu PKW-artigem Fahrverhalten, wie man an einem Prototypen selbst testen konnte. In der neuesten Version hat ZF die Querlenker direkt an den Achsschenkelbolzen angebunden, was gegenüber der Urkonstruktion noch mal Gewicht sparte. Trotzdem räumt Johann Wimmer, Team Manager für Lenkachsen, ein, dass eine Starrachse mit Einblattparabelfeder bezüglich ihres Eigengewichtes "unschlagbar" sei. Auch die Kostenfrage ist noch nicht geklärt. Die LKW-Hersteller sind zwar vorsichtig interessiert, aber: "Keiner will der Erste sein, aber gleichzeitig will auch niemand verpassen, auf den Zug aufzuspringen", fasst der Passauer Ingenieur die Stimmung in der LKW-Branche zusammen. Die Lenkung spart 0,2 Liter Sprit Ebenfalls ein großer Schritt nach vorn ist die Fahrerhauslagerung mit Wankstabilisierung, die für ein deutlich exakteres Fahrverhalten sorgt. Das konnte man ebenso "erfahren" wie die geregelten Dämpfersysteme CDC und CDC 1XL (nur für die Hinterachse), wenngleich deren Effekt nicht ganz so dramatisch spürbar war. Immerhin können sie die Beschleunigungswerte des Fahrzeugaufbaus laut dem ZF-Systemleiter der Dämpfertechnologie, Alfred Memmel, um bis zu dreißig Prozent reduzieren. Auch hier liegt es an der LKW-Branche, solche Angebote ins Programm zu heben, was aufgrund des Kostendrucks und des stagnierenden europäischen Marktes schwierig sein wird. Dass man über die Lenkung schnell Sprit sparen kann, demonstrierte ZF mit einem weiteren Vorführer, der die effizientere Varioserv-Servopumpe verbaut hatte, die nur die tatsächlich benötigte Ölmenge fördert und so tatsächlich bis zu 0,2 Liter Diesel auf 100 Kilometer sparen kann. Die neue Flügelzellenpumpe wiegt laut ZF bis zu 30 Prozent weniger als beim Vorgängermodell. Doch einmal mehr ist es die Software, die für eine intelligente Steuerung und damit geringeren Verbrauch sorgt. Weitere 0,6 l /100 km soll eine neue, elektronisch gesteuerte Hinterachslenkanlage sparen. Fazit: Die neuen ZF-Produkte bieten großes Einsparpotenzial. Nur zaubern kann ZF nicht, weshalb die elektrisierende neue Welt vorher vom Fahrzeughersteller und Kunden bezahlt werden muss.