Zahlungsverzug

ZahlungsverzugWarten auf den ZahltagWenn Kunden ihre Rechnungen zu spät oder überhaupt nicht begleichen, können Unternehmen in finanzielle Schieflage geraten. Der Gesetzgeber will nun die Zahlungsfristen europaweit vereinheitlichen und dadurch Verzögerungen beim Zahlungsverkehr reduzieren.Spediteur Michael Harms aus Hilgermissen ist das, was man gemeinhin als gradlinig bezeichnet. Sein zertifiziertes Unternehmen transportiert Molke, die als Futtermittel in der Schweinemast eingesetzt wird und bedient nationale und internationale Transporte mit Schubboden und Tautlinern. Mit seinen Kunden hat er in den vergangenen Jahren nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Ein Geschäftspartner, für den er als Subunternehmer arbeitete, zahlte zunächst pünktlich. Anschließend begann der Ärger: „Die zweite Rechnung wurde erst nach der ersten Mahnung bezahlt, dann blieben die Zahlungen – trotz Mahnung – zunächst ganz aus und erfolgten erst Wochen später.“ Der Spediteur tat das, was sich wahrscheinlich nur wenige trauen: Er beendete die Geschäftsbeziehung.So wie Michael Harms geht es vielen Unternehmern in der Transport- und Logistikbranche. Neben zunehmendem Konkurrenzdruck, niedrigen Frachtraten und steigenden Kosten ist die schlechte Zahlungsmoral der Kunden ein Grund dafür, warum sie in finanzielle Schieflage geraten oder sogar Insolvenz anmelden müssen. Harms etwa berichtet, dass die Zahlungsziele in der Regel einen Monat betragen, bisweilen aber auch 45 Tage und mehr. „Allerdings erst nach Gutschrifterstellung“, erklärt er. Und diese würde teilweise nur zweimal pro Monat gemacht. „Wer hier Beträge über 60 Tage vorstrecken muss, dem kann es schnell das Genick brechen“, sagt der Spediteur.Den Zusammenhang zwischen dem Zahlungsverhalten deutscher Unternehmen und der Insolvenzentwicklung hierzulande verdeutlicht der Creditreform-DRD-Index. Diesen Bericht erstellt der Full-Service-Anbieter für Forderungs- und Kundenmanagement jedes Halbjahr. Ist das Zahlungsverhalten gut, so wie im Herbst 2007 und Frühjahr 2008, sind auch die Insolvenzen rückläufig. Verschlechtert sich die Zahlungsmoral, so wie im Herbst 2008 während der Finanzkrise, steigt die Zahl der Insolvenzen hingegen. Im Einzelnen bewertet über die Hälfte der rund 4000 von Creditreform befragten Unternehmen die Zahlungsmoral gegenwärtig mit gut oder sehr gut. Nur 4,3 Prozent klagten über mangelhaftes oder ungenügendes Zahlungsverhalten ihrer Kunden. Allerdings stellt sich das Zahlungsverhalten je nach Wirtschaftszweig sehr unterschiedlich dar (siehe Grafik Seite 61 Mitte).Größere Unternehmen warten längerBetrachtet man die Zahlen des Creditreform-DRD-Index genauer, so verzeichneten in diesem Frühjahr 77,7 Prozent der befragten Unternehmen einen pünktlichen Zahlungseingang nach spätestens 30 Tagen (Frühjahr 2011: 76,9 Prozent). Die Zahlungsverzögerungen sind damit branchenübergreifend insgesamt rückläufig. Überraschend ist, dass gerade kleinere Unternehmen weniger lange auf ihr Geld warten müssen, während größere Unternehmen häufiger unter schlechter Zahlungsmoral leiden (siehe Tabelle Seite 60). In neun von zehn Kleinstbetrieben mit bis zu fünf Mitarbeitern zahlen die Kunden ihre Rechnungen nach spätestens einem Monat. Große Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern müssen dagegen in über zehn Prozent der Fälle mehr als 60 Tage darauf warten, dass Rechnungen beglichen werden. Ein positives Signal für kleine Firmen: Sie verfügen in der Regel über wesentlich geringere Kapitalrücklagen, um Zahlungsverzögerungen abzufedern.Allerdings zeigt die aktuelle Auswertung des Creditreform Debitorenregisters (DRD) auch, dass deutsche Firmen im Vergleich zum Vorjahr insgesamt nachlässiger mit der Bezahlung ihrer Rechnungen geworden sind. So betrug der durchschnittliche Zahlungsverzug in diesem Frühjahr 13,61 Tage, während es 2011 noch 12,84 Tage waren. Auch hier wird deutlich, dass die Dauer des Zahlungsverzugs stark nach Wirtschaftszweigen variiert. So begleichen etwa Unternehmen der chemischen Industrie, des Metall- und Elektrosektors sowie des Großhandels ihre Rechnungen schneller. Sie dürften künftig als verlässliche Geschäftspartner bewertet werden, während das Baugewerbe die schlechteste Zahlungsmoral aufzuweisen hat.EU will Zahlungsverkehr beschleunigenDabei ist die Zahlungsmoral deutscher Firmen im internationalen Vergleich noch gut. Der European-Payment-Index-Report 2012 (EPI) von Intrum Justitia, einem europäischen Anbieter von Credit-Management-Services, zeigt, dass das Zahlungsverhalten im Süden Europas erheblich laxer ist: Im Moment dauert es im Mittelmeerraum durchschnittlich 91 Tage, bis Firmen ihre Rechnungen begleichen, während es im Norden Europas im Durchschnitt 33 Tage sind.Der Europäische Gesetzgeber möchte diese Unterschiede nun abbauen. Dafür wurde 2011 eine Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr auf den Weg gebracht (Richtlinie 2011/7/EU). Die Mitglieder der Europäischen Union (EU) müssen diese nun in nationales Recht umsetzen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger legte am 16. Januar 2012 einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Wenn Schuldner es hinauszögern, offene Forderungen zu begleichen, oder sich durch vertragliche Zahlungs- oder Überprüfungsfristen praktisch einen kostenlosen Gläubiger- oder Lieferantenkredit einräumen lassen, sei das vor allem für kleine und mittlere Unternehmen mit finanziellen Risiken verbunden, argumentierte die Ministerin.Der Gesetzentwurf enthält Regelungen, die das deutsche Recht bislang nicht kennt. So ist vorgesehen, einen neuen Paragrafen 271a in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) einzuführen. Danach darf eine vertraglich festgelegte Zahlungsfrist nur dann mehr als 60 Tage betragen, wenn das ausdrücklich vereinbart wird. Bei Geschäften mit öffentlichen Auftraggebern sollen restriktivere Vorgaben gelten. Hier darf die Frist maximal 30 Tage betragen. Längere Zahlungsfristen müssen ausdrücklich vereinbart werden und bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Zahlungsfristen von mehr als 60 Tagen sollen bei öffentlichen Auftraggebern unwirksam sein. Ist für die Entgeltforderung erst eine vorherige Abnahme oder Prüfung der Gegenleistung erforderlich, so darf dieses Verfahren 30 Tage nur dann überschreiten, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde. Davon ausgenommen sind Rechtsgeschäfte mit Verbrauchern.Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass der gesetzliche Verzugszinssatz von acht auf neun Prozent angehoben wird. Gerät der Schuldner mit seiner Zahlung in Verzug, soll der Gläubiger außerdem eine Pauschale von 40 Euro erhalten. Dieser Anspruch kann nicht vertraglich ausgeschlossen werden und besteht unabhängig von einem darüber hinausgehenden Verzögerungsschaden. Kann ein höherer Schaden tatsächlich nachgewiesen werden, ist die Pauschale jedoch anzurechnen.Verbände kritisieren VorhabenDeutschland muss die EU-Richtlinie bis zum 16. März 2013 in nationales Recht umsetzen. Ob sie jedoch den erhofften Erfolg bringt, ist offen. Zahlreiche Verbände und Juristen kritisieren das Vorhaben. Die Baubranche etwa befürchtet, dass mit dem Gesetzentwurf der Zahlungsverzug im werkvertraglichen Geschäftsverkehr, wo eine Abnahme des Werkes erforderlich ist, nicht bekämpft, sondern eher gefördert wird. Auch Detlef Neufang, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Bundesverbands Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) äußert sich kritisch: „Ich glaube nicht, dass das Gesetz in der Praxis zur Verbesserung der Zahlungsmoral beitragen wird. Daran wird auch die Erhöhung des Zinssatzes um einen Prozentpunkt nichts ändern.“ Er sieht in der neuen Regelung vielmehr einen weiteren bedenklichen Eingriff in die Privatautonomie.Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) steht dem Gesetzesvorhaben zwar grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Allerdings zeige die notwendig werdende Änderung der erst 2001 in das BGB eingeführten Regelungen zum Zahlungsverzug, dass die gesetzgeberischen Maßnahmen nur dann Erfolg haben, wenn sie in der Praxis auch in einfacher Art und Weise umgesetzt werden können. Nach Einschätzung von Hubert Valder, Justiziar des DSLV, besteht jedoch der positive Effekt, dass jeder Schuldner, der längere Fristen in Anspruch nehmen möchte, Gefahr läuft, dass die von ihm verwendeten Vertragsklauseln unwirksam sind. ❚■ Ina Reinsch, freie JournalistinÜberfällige Rechnungen werden in Deutschland mit einem durchschnittlichen Zahlungsverzug von 13,61 Tagen beglichenManche Unternehmen zahlen Rechnungen erst, wenn eine Mahnung im Briefkasten stecktZahlungsverzug„Man sollte auf Forderungen beharren“Stefan Jülich, Rechtsanwalt in Böblingen, erklärt, wie man Kunden mit schlechter Zahlungsmoral begegnen sollte.Wann kommt ein Schuldner eigentlich in Verzug?Stefan Jülich: Der Kunde kommt bei Nichtzahlung in der Regel erst dann in Verzug, wenn er nach Fälligkeit der Forderung gemahnt wird. Es gibt aber Ausnahmen von der Mahnungspflicht. So kann man auch ohne Mahnung in Verzug geraten, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist oder berechnet werden kann. Außerdem gilt: Der Schuldner einer Geldforderung kommt spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufstellung auch ohne Mahnung automatisch in Verzug. Der Zahlungsverzug begründet einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens. Der Zinssatz für Kunden, die Unternehmer sind, beträgt acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Also insgesamt 8,12 Prozent pro Jahr.Wie muss eine Mahnung richtig gestaltet sein?Ein Mahnschreiben sollte das Datum und die Nummer der offenen Rechnung oder des Lieferscheins sowie das Fälligkeitsdatum konkret benennen und die Aufforderung enthalten, den Rechnungsbetrag „spätestens bis zum Tag XY“ zu bezahlen. Häufig verläuft das Mahnverfahren in mehreren Mahnstufen, von einer Zahlungserinnerung und der ersten Mahnung bis zur dritten Stufe. Aber: Mehrere Mahnungen sind rechtlich nicht erforderlich. Man kann auch schon nach Ablauf der Frist der ersten Mahnung einen Mahnbescheid beantragen oder einen Anwalt beauftragen.Aus Angst, die Geschäftsbeziehung zu schädigen, setzen gerade kleinere und mittlere Unternehmen Forderungen gegenüber Stammkunden nicht konsequent durch und erbringen oft neue Leistungen, obwohl noch Forderungen ausstehen. Was raten Sie in diesen Fällen?Ich empfehle den von mir betreuten Firmen, auch gegenüber ihren Stammkunden durch konsequentes Forderungsmanagement – also zeitnahe Zahlungserinnerungen und Mahnungen – deutlich zu machen, dass sie gut organisiert sind und professionell arbeiten. Wer seine Kunden nicht auf offene Rechnungen hinweist, vermittelt schnell den Eindruck, dass er seinen eigenen Laden nicht richtig im Griff hat. Meine Empfehlung: Rufen Sie Ihren Kunden gegebenenfalls persönlich an und fragen Sie ihn nach dem Grund, warum er die Rechnung bisher nicht bezahlt hat. irInterviewStefan JülichZahlungsverzug Forderungslaufzeit nach unternehmensgrößeZahl der Beschäftigtenbis 30 Tagebis 60 Tage> 60 Tage1 bis 589,1 (88,3)7,7 (7,4)3,2 (4,4)6 bis 1086,1 (87,6)10,6 (7,2)3,3 (5,2)11 bis 2082,7 (81,7)13,7 (14,2)3,6 (4,1)21 bis 5080,9 (86,0)15,9 (12,0)3,2 (1,9)51 bis 10079,0 (77,4)18,7 (16,7)2,3 (5,8)101 bis 25068,5 (75,6)22,8 (19,2)8,7 (5,2)mehr als 25071,6 (76,5)17,6 (20,2)10,8 (3,4)Angaben in Prozent der Befragten; in Klammern: Angaben des Vorjahres

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