Wenn blinde Passagiere die Ladung beschädigen

Die Eskalation der Flüchtlingskrise in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais hat Speditions- und Transportunternehmen im Großbritannien-Verkehr nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch richtig Geld gekostet. Das größte Problem sind die unzähligen blinden Passagiere gewesen, die versuchten versteckt in Lkw über den Ärmelkanal zu gelangen. In den vergangenen eineinhalb Jahren war es auf Rastplätzen in der Region, entlang der Zufahrtsstraßen zu den Terminals sowie im Fährhafen und am Eurotunnel vermehrt zu Zwischenfällen gekommen, bei denen die Güter beschädigt worden sind. Mitunter sind Speditions- und Transportunternehmen auf den Kosten dafür sitzen geblieben. Einige davon weigerten sich, den Schadenersatzforderungen ihrer Kunden nachzukommen. Angesichts des Ausnahmezustands in und um Calais und der zusätzlichen Sicherheits- und Sicherungsmaßnahmen, die sie in der Regel ergriffen hatten, wollen sie nicht für durch Flüchtlinge zerstörte oder verschmutzte Güter zahlen. OLG Köln sieht Frachtführer in der Pflicht Rechtlich ist umstritten, ob eine Haftungsbefreiung möglich ist. Für den Teil- und Totalverlust von Gütern sowie die Beschädigungen haftet grundsätzlich der Frachtführer, sofern diese Fälle zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintreten. Und zwar unabhängig davon, ob er schuld daran ist oder nicht. Das regelt bei grenzüberschreitenden Transporten die Vereinbarung über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr CMR. Er muss in diesem Zusammenhang auch für Fehler seines Personals einstehen. Einer der besagten Streitfälle über Schadenersatzforderungen eines Kunden ist nun vor dem Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 25. August 2016, Aktenzeichen 3 U 28/16) entschieden worden. Wie die damit beauftragte Kanzlei Grimme und Partner berichtet, handelte es sich um die Beschädigung von Lebensmitteln durch Flüchtlinge während der grenzüberschreitenden Lkw-Beförderung von Deutschland nach England. Das Landgericht Aachen hatte in der Vorinstanz - ähnlich wie das Landgericht Hamburg im Jahr 2013 (siehe Kasten) - entschieden, dass der Frachtführer gemäß Artikel 17 Absatz 2 CMR für diesen Schaden nicht aufkommen muss. Unter Verweis auf die von dem Fahrer vorgenommenen Kontrollen am Lkw sei er unvermeidbar gewesen, hieß es zur Begründung. Das Oberlandesgericht Köln sah eine Unvermeidbarkeit im Sinne des Artikel 17 Absatz 2 CMR allerdings nicht gegeben. Der betroffene Frachtführer könne sich deshalb nicht auf eine Haftungsbefreiung berufen. Diese sei nur dann anzunehmen, wenn der Frachtführer darlege und beweise, dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können, so die Erklärung der Richter. Dabei komme es grundsätzlich nicht darauf an, ob ein Ereignis unvorhersehbar sei. Laut dem Oberlandesgericht Köln hängt es vom Einzelfall ab, was zu tun ist, um die zumutbare Sorgfalt zur Verhinderung des Eindringens Unbefugter in den Frachtraum sicherzustellen. Auch komme es demzufolge auf die Art des Gutes und den Transportweg an. In dem verhandelten Fall erachteten die Richter es etwa für nicht ausreichend, dass der Frachtführer die Beförderung über Dünkirchen bei Calais mit einem Kühlauflieger durchgeführt hatte, die Türen des Trailers mit einem Vorhängeschloss gesichert waren, der Fahrer letztmalig 60 Kilometer vor der Kanalküste gehalten und hierbei den Verschluss der Türen des Aufliegers kontrolliert hatte. Aufgrund der allgemein bekannten, besonderen Gefahr, dass Flüchtlinge in und um Calais in den Laderaum eindringen könnten, sei der Lkw-Fahrer daher verpflichtet gewesen, in der Nähe der Fährverladung auf einem bewachten Parkplatz oder an einem weiter entfernten Ort zu übernachten. Als Ausrede ließen die Richter nicht gelten, dass auch die Polizei und das Sicherheitspersonal nicht verhindern können, dass Flüchtlinge in Lkw eindringen. Denn es gelte nicht den Transport von Flüchtlingen zu verhindern, sondern das Gut vor Beschädigungen zu schützen. Aus dem Urteil gehen zwar keine konkreten Hinweise für rechtssicheres Verhalten bei Lkw-Fahrten nach England hervor. Zumindest macht es aber klar, dass den Frachtführer bei internationalen Beförderungen nur absolute Ausnahmeumstände von der Haftung für Güterschäden befreien. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Transportrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Landgericht Hamburg Ähnlicher Fall, anderes Urteil Das Landgericht Hamburg hat in einem anderen Fall der Kanzlei Grimme und Partner entschieden, dass sich der Frachtführer bei einer Beschädigung von Medikamenten während der Beförderung von Griechenland nach Deutschland unter Einschluss einer Fährfahrt von Griechenland nach Italien auf die Haftungsbefreiung des Artikel 17 Absatz 2 CMR berufen kann. Das gilt aber nur, wenn der Frachtführer vor Einfahrt in das umzäunte Hafengelände die Unversehrtheit des Verschlusses der Türen seines Aufliegers kontrolliert, der Fahrer des Lkw während der Fährfahrt nach Italien nicht in seinem Fahrzeug bleiben darf und der Zutritt zu den Parkdecks während der Überfahrt untersagt ist. Nach dem Verlassen des Fährhafens in Italien waren in diesem Fall Flüchtlinge aufgefallen, die die sich auf der Ladefläche des Lkw befindlichen Güter massiv beschädigt und verunreinigt hatten. ag§ Urteil vom 17. Oktober 2013 Aktenzeichen: 415 HKO 71/11 Haftung nach CMR Internationales Frachtrecht Geht ein Gut verloren, ist gemäß der Vereinbarung über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) generell der Wert zu ersetzen, den es bei Übernahme hatte. Hinzu kommen Fracht, Zölle und sonstige Kosten. Bei Beschädigung hat der Frachtführer den Betrag der Wertverminderung zu zahlen.Allerdings ist die Haftung nach dem CMR in beiden Fällen auf 8,33 Sonderziehungsrechte pro Kilogramm Rohgewicht der Sendung beschränkt - das entspricht rund zehn Euro. Die Haftungsbegrenzung gilt nicht, wenn der Schaden auf einer Handlung oder Unterlassung beruht, die der Frachtführer vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten kann.Der Frachtführer ist von der sogenannten Obhutshaftung befreit, wenn der Verlust oder die Beschädigung unter anderem durch Umstände verursacht worden ist, die er nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Die Hürde, um sich auf diese Ausnahme berufen zu können, liegt in der internationalen Rechtsprechung aber hoch. ag