Volker Wissing: "Von Willkür kann nicht die Rede sein"

In Kürze Die VerkehrsRundschau traf Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am 24. Januar 2023 zum Interview. Themen waren unter anderem die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs, der Fahrermangel und die Verkehrsverlagerung. Verkehrswende bedarf einer funktionierenden Ladeinfrastruktur - Stichwort Megawatt-Lader und H2-Netz - sowie lieferbarer Antriebsalternativen. Beides fehlt Stand heute. Wann kommt die Erkenntnis, dass Diesel, Erdgas und gegebenenfalls auch E-Fuels nötig sind beziehungsweise uns noch länger begleiten werden? Der Markthochlauf emissionsfreier schwerer Nutzfahrzeuge hat begonnen und wird sich nach den Prognosen der Fahrzeughersteller positiv entwickeln. Auch die Zulassungszahlen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) für elektrische Nutzfahrzeuge weisen in diese Richtung. Unser Förderprogramm für klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur (KsNI) wird dazu maßgeblich beitragen, auch im Hinblick auf den Aufbau der betriebsnotwendigen Tank- und Ladeinfrastruktur. Parallel zur Förderung setze ich mich für eine zielführende Anpassung des regulatorischen Rahmens ein. Die aktuelle Verhandlung zur EU-Verordnung über den Aufbau von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) enthält anspruchsvolle und verbindliche Ausbauziele für alle Mitgliedstaaten. Auf nationaler Ebene sind unsere Ziele im Masterplan Ladeinfrastruktur II noch ambitionierter. Ein zentrales Element ist die Ausschreibung eines initialen Ladenetzes für Lkw, die für das dritte Quartal 2023 vorgesehen ist. Zudem soll der Aufbau eines Grundnetzes für öffentlich zugängliche Wasserstofftankinfrastruktur erfolgen. Erreicht der Schwerverkehr seine Klimaziele bis 2030? Bis 2030 soll laut dem Klimaschutz- programm der Bundesregierung etwa ein Drittel der Fahrleistung im schweren Straßengüterverkehr elektrisch erbracht werden. Nach ersten Prognosen der Hersteller sollen jedoch bis dahin bereits rund drei Viertel der neu zugelassenen schweren Nutzfahrzeuge Batterie- oder Wasserstoff-Lkw sein. Mit dem KsNI wollen wir diese Entwicklung nach Kräften unterstützen. Leser kommunizieren uns, dass die KsNI-Förderung (bis zu 80 Prozent Förderung für CO2-freie Antriebe, Anm. d. Red.) eher schleppend und willkürlich vonstattengeht - zudem ist von geplant vier Förderfenstern nur eines realisiert worden. Ist Besserung in Aussicht? Von Willkür kann sicher nicht die Rede sein. Allerdings machen die beihilferechtlichen Vorgaben der EU-Kommission bei der KsNI-Richtlinie die Antragsbearbeitung sehr komplex und führen zu einem hohen Zeitaufwand. Hinzu kommt die große Zahl von Anträgen und eine aus Sicht der Antragsteller volatile Preisentwicklung. Um hier schneller zu werden, prüfen wir die Automatisierung weiterer Abläufe und die Aufstockung von Personal. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Bearbeitung der Förderbescheide. Für den zweiten Förderaufruf wurden bereits zahlreiche Zuwendungsbescheide für die Anschaffung und die Umrüstung von Nutzfahrzeugen erlassen. Was erwarten Sie bezüglich der bis Anfang 2024 geplanten "großen" Maut-Reform? Welche Ziele sind hier realisierbar? Wir arbeiten intensiv an der Ausgestaltung der CO2-abhängigen Lkw-Maut, damit wir die Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes bald starten können. Die CO2-Differenzierung ist für die Minderung der Treibhausgas-Emissionen und zur Erreichung der Klimaschutzziele eine wichtige Maßnahme. Sie setzt ein Preissignal an die Unternehmen, verstärkt auf Lkw mit alternativen Antrieben - wie Batterie- und Brennstoffzelle - zu setzen. Gleiches gilt für die Absenkung der Mautpflichtgrenze auf 3,5 Tonnen, die wir im selben Gesetzgebungsverfahren umsetzen werden. Die Hürden für Schwer- und Sondertransporte werden immer höher, Genehmigungsverfahren nicht einfacher, die Autobahn GmbH performt nicht wie gewünscht, vieles soll auf Bahn und Schiff, obwohl keine Kapazitäten da sind. Viele Industrieunternehmen drohen mit Abwanderung. Wie geht's weiter? Der rechtliche Rahmen für die Erlaubnis- und Genehmigungsverfahren wird regelmäßig auf den Prüfstand gestellt. Mindestens zwei Mal jährlich werden konkrete Fragestellungen aus der Verwaltungspraxis der Länder für gegebenenfalls notwendige Anpassungen erörtert. Mir ist wichtig, dass Bund und Länder kontinuierlich gemeinsam daran arbeiten, praxisgerechte Lösungen zu finden. Die Autobahn GmbH des Bundes ist erst seit dem vergangenen Jahr vollumfänglich für die Genehmigungsverfahren zuständig. Hier wird insbesondere die schrittweise Einführung automatisierter Prozesse zu effizienteren und schnelleren Verfahren beitragen. Nach und nach werden die Antragsteller davon spürbar profitieren. Die Wasserstraße hat bei Großraum- und Schwertransporten das Potenzial, die Straße zu entlasten. Die erforderliche Abladetiefe ist in der Regel gering, weil ein Binnenschiff deutlich mehr Masse aufnehmen kann als ein Lkw. Deshalb ist ein Transport auch bei Niedrigwasser möglich. Gegenwärtig arbeiten wir zudem an der Digitalisierung der Übergabepunkte zwischen Wasserstraße und Land, um auch Großraum- und Schwertransporte besser planbar zu machen. Die Veröffentlichung dieser Übergabepunkte soll bis Mitte 2023 erfolgen. Es gibt offensichtlich einen Investitionsstau - der betrifft vor allem den Mittelstand. Unternehmer mögen nicht mehr investieren, weil sie unkalkulierbare Planungs-unsicherheiten haben. Einen wesentlichen Anteil daran haben die dysfunktionalen Verkehrswege. Sie sprechen mir aus der Seele. Unsere Verkehrsinfrastruktur ist die Voraussetzung dafür, dass wir wirtschaftlich erfolgreich sein können. Deutschland ist ein Land, das ein Hochlohnland ist, und trotzdem international wettbewerbsfähig, weil wir extrem effizient sind. Wenn unsere Verkehrsträger nicht funktionieren, dann ist diese Effizienz gefährdet. Und wo die gefährdet ist, ist der Standort nicht mehr attraktiv. Deswegen ist es so wichtig, dass man in die Verkehrsinfrastruktur investiert. Darum habe ich ein konsequentes Planungsbeschleunigungsgesetz vorgelegt. Wir wollen maximale Geschwindigkeit bei der Beseitigung der Engpässe in unserer Verkehrsinfrastruktur erreichen. Ich bin derjenige, der immer wieder daran erinnert, dass wir aktuell 3,7 Milliarden Tonnen auf der Straße und 370 Millionen Tonnen auf der Schiene transportieren. Wir haben 144 Engpässe im deutschen Autobahnnetz und kommen nicht voran, die Engpässe zu beseitigen, weil die Planungsverfahren zu lange dauern. Bei 4000 maroden Autobahnbrücken kann man nicht für jede einzelne Brücke, die man neu baut, eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Planfeststellungsverfahren machen; man muss diese Brücken einfach als Ersatzneubauten neumachen können - ohne diesen Aufwand. All das ist auch in meinem Gesetzentwurf vorgesehen. Aber natürlich wird dieser Entwurf von Koalitionspartnern heftig kritisiert und da müssen wir miteinander reden. Um in der Zukunft Transport zu gewährleisten, brauchen wir Arbeitskräfte und eine intelligente Frachtsteuerung. Automatisierungen sind eine Möglichkeit den grassierenden Fachkräftemangel zumindest in Teilen zu kompensieren. Neben einer angepassten Verordnungslage ist hier ein starkes und flächendeckendes digitales Netz vonnöten. Wie bekommen wir das hin? Auch hierzu habe ich bereits eine Strategie vorgelegt. Der Staat und vor allem Unternehmen investieren kräftig in den Ausbau des Glasfasernetzes und auch in den Aufbau eines flächendeckenden 5G-Netzes. Und wir kommen dabei auch gut voran. Die Versorgung hat sich in Deutschland im letzten Jahr schon spürbar verbessert. Vielfach geht es aber auch hier um schnellere Planung und die Lösung einer Vielzahl technischer Detailfragen. Nehmen wir die Mobilfunkversorgung entlang von Bahnstrecken. Da ist die Infrastruktur zwar oft schon vorhanden, aber die sehr effiziente 900 Megahertz-Frequenz ist gesperrt, weil es zu Interferenzen mit dem Bahnfunk kommen könnte. Um das auszuschließen, müssen die entsprechenden Vorrichtungen in den Triebwagen der Bahnen erneuert werden. Dieser Prozess läuft gerade - unterstützt durch ein Förderprogramm, das wir extra dafür aufgelegt haben. Digitalisierung allein wird den Fachkräftemangel nicht ausreichend kompensieren können. Was können wir in Kombination mit digitalen Mitteln tun, um hier eine gefährliche Situation für das Transportgewerbe zu vermeiden? Wir haben dazu im letzten Jahr einen Fachkräftekongress speziell für den Mobilitätssektor initiiert - denn wir können dieses Fachkräftethema nicht nur im Großen diskutieren, wir müssen das auch konkret im Mobilitätsbereich tun. Für jeden Verkehrsträger sind die Anforderungen individuell. Beim Lkw etwa gibt es die Idee, Simulatoren zuzulassen; aber wir wollen etwa auch dafür sorgen, dass genügend Lkw-Parkplätze vorhanden sind, damit in der Berufsausübung möglichst viele Alltagsprobleme verschwinden. Logistikunternehmen beklagen beim Thema Fahrermangel Wettbewerbsnachteile im europäischen Vergleich - etwa strengere Auflagen und höhere Ausbildungskosten. Wird es Änderungen geben? Für das Berufskraftfahrer-Qualifikationsrecht gibt die EU verbindliche Standards vor. Nicht nur Deutschland, sondern auch andere Mitgliedstaaten müssen sich an diese europäischen Vorgaben halten. Und die Preisgestaltung der Schulungen regelt nicht das BMDV, sondern der Markt. Ist die CE-Fahrerlaubnis mit 17 oder die Verkürzung der Berufskraftfahrer-Ausbildung ein probates Mittel, um Nachwuchs zu bekommen? Das Mindestalter für den Erwerb einer Fahrerlaubnis ist EU-rechtlich verbindlich vorgegeben. Dieses Mindestalter wurde insbesondere aus Gründen der Verkehrssicherheit gewählt. So soll sichergestellt werden, dass Berufskraftfahrer und -fahrerinnen über ausreichend Lebens- und auch Fahrerfahrung für das Führen von Lkw verfügen. Hinsichtlich der Dauer dieser Ausbildung existieren ebenfalls europäische Vorgaben. Bei der - in der Praxis besonders bedeutsamen - beschleunigten Grundqualifikation sind dies 140 Stunden. Daneben besteht aber bereits jetzt die Möglichkeit, ohne vorherige Ausbildung oder Schulung die Grundqualifikation zu erwerben. Es ist dann lediglich eine praktische und eine theoretische Prüfung zu absolvieren. In der Praxis wird diese Möglichkeit jedoch wenig genutzt. Darüber hinaus arbeiten wir derzeit an einer Novelle der Fahrschülerausbildung. In diesem Rahmen wird auch geprüft, inwiefern zwischen der Berufskraftfahrer-Qualifikation und der Ausbildung in den Fahrschulen Synergien besser genutzt werden können. Auf allen Ebenen gibt es Bekenntnisse, mehr Verkehr auf die Wasserstraße zu verlagern. Welche Hebel braucht es, um den Absichtserklärungen messbare Effekte folgen zu lassen? Bei Großraum- und Schwertransporten (GST) müssen die Unternehmen stärker von der Wasserstraße Gebrauch machen. Dafür notwendige Maßnahmen haben wir gemeinsam mit der Branche erarbeitet und im BMDV-Schlussbericht zur Verlagerung von GST von der Straße auf Wasserstraße und Schiene festgehalten. Jetzt gilt es, die Liste Schritt für Schritt abzuarbeiten. Zur Person Volker Wissing (FDP) ist seit Dezember 2021 Bundesminister für Digitales und Verkehr. Der promovierte Jurist war zuvor Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtages sowie stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz. Dem Wein war der heute 52-Jährige schon vorher verbunden: Im eigenen Familienweingut sammelte der gebürtige Pfälzer auch Erfahrungen im An- und Ausbau. Privat ist Wissing verheiratet und hat eine Tochter. Neben seinen Hobbys Kochen, Backen und Sport ist er Organist und spielte viele Jahre im Nebenamt in Gottesdiensten. Daneben gründete Wissing 2013 eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in seiner Heimatstadt Landau in der Pfalz, die er heute zusammen mit Partnern betreibt. Seine Zulassung als Rechtsanwalt ruht derzeit aufgrund der Übernahme seines Ministeramts. Mehr zum Thema finden Sie unter #Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag

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