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Prinzipiell sind sich die Hersteller von Nutzfahrzeugen und digitalen Kontrollgeräten einig: Den Digitacho, das Nervenzentrum der modernen LKW, zu manipulieren, ist kaum mehr möglich. Dennoch: Unmöglich ist es nach wie vor nicht. Selbst wenn es, wie Eva Appold, Sprecherin von Continental, versichert, "einer erheblichen kriminellen Energie bedarf". 4430 Manipulationsfälle in 2013 Eine Statistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) zeigt, dass sich diese kriminelle Energie in Deutschland quantifizieren lässt. "Ja, es kommt leider vor, dass manipuliert wird und das leider auch immer häufiger", so BAG-Sprecher Horst Roitsch. Nach seinen Angaben wurden vergangenes Jahr rund 17.200 Fahrzeuge bundesweit kontrolliert und dabei in 4430 Fällen festgestellt, dass jemand die Blackbox überlistet hatte - bei jeder vierten Kontrolle gab es also etwas zu beanstanden. Im Vorjahr hatten die Beamten dagegen lediglich 2725 manipulierte Fahrtenschreiber in knapp 13.000 kontrollierten LKW entdeckt. Die Technik mag also noch so ausgeklügelt sein. Wenn sie auf die Straße kommt, haben die Ersten offenbar schon eine Methode gefunden, sie außer Kraft zu setzen. Diese Beobachtung macht auch der Verband der Automobilindustrie (VDA): "Das Aufrechterhalten des Manipulationsschutzes bleibt ein ständiger Wettlauf zwischen der Automobilindustrie, die stetig bessere Schutzmaßnahmen entwickelt, und denjenigen, die ihre Betrugssysteme immer wieder an die neue Technik anpassen", heißt es dazu im aktuellen VDA-Jahresbericht. Aus der Kontrollpraxis seiner Behörde weiß Roitsch von den verschiedensten Wegen, wie auf den digitalen Tachografen eingewirkt werden kann: "Beispielsweise mit Magneten, gefälschten oder erschlichenen zweiten Fahrerkarten." Es sei sogar möglich, die Software im Kontrollgerät selbst zu verändern. Weitere raffinierte Methoden: Die Kennzahlen, die dem Digitacho Daten über die Laufleistung übermitteln, würden verstellt oder aber der Geschwindigkeitsbegrenzer ausgetrickst. Es geht um Zeit und Geld Polizeihauptkommissar Thomas Fritz vom Verkehrskommissariat Esslingen bei Stuttgart unterscheidet drei Arten von Manipulationen: "Solche, bei denen aus Gedankenlosigkeit ohne Karte oder mit der Fahrerkarte eines Bekannten gefahren wird. Jene, bei denen sich der Fahrer seines verbotenen Tuns zwar bewusst, aber kein direkter Krimineller ist. Und dann sind da die professionellen Manipulationen aus Vorsatz." Die dritte Kategorie kommt laut Fritz zwar selten vor, nimmt aber einen hohen Prozentwert bei den Fällen ein, die bei Kontrollen aufgedeckt werden. Die Beweggründe, vor allem für das letztgenannte Verhalten, sind immer dieselben: Es geht um Zeit und Geld. "Von Gesetz wegen sind zwar die Fahrer die primären Täter", ergänzt Andreas Schanz vom baden-württembergischen Innenministerium, "jedoch stehen hinter vielen die Transportunternehmen." Durch die Manipulation könnten teilweise auch die Sozialvorschriften für den Straßenverkehr umgangen werden: "Und weniger Pausen plus längere Fahrzeiten bedeuten automatisch einen höheren Gewinn." Und diesen illegal erzielten Gewinn teilen sich sogar manchmal Unternehmer und Fahrer. Thomas Fritz hat derzeit einen Fall auf dem Schreibtisch, bei dem es um einen Unternehmer und sechs Fahrer geht: Alle zusammen seien sich einig darin gewesen, ihr Glück mit Manipulationen am Tacho zu versuchen. Ein trügerisches Glück, denn der ertappte Unternehmer verlor noch an dem Tag, an dem die Sache aufgeflogen ist, die Lizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr. Zudem drohen seinen Fahrern und ihm empfindliche Geldstrafen und sogar möglicherweise Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren. Das droht bei Tricksereien Die Manipulation des digitalen Datenspeichers kann Frachtführer teuer zu stehen kommen. "Tricksereien am Fahrtenschreiber sind kein Kavaliersdelikt", warnt Volker Lindner, Rechtsanwalt aus Freiburg. Sowohl der LKW-Fahrer, der Fahrzeughalter als auch der sonstige Verantwortliche müssten mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn sie die Bordelektronik überlisten. "Allen drohen Vorwürfe, unter anderem wegen des Verdachts der Urkundenfälschung, der Fälschung technischer Aufzeichnungen, der Fälschung beweiserheblicher Daten, der Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung und gegebenenfalls der Urkundenunterdrückung", sagt er. Nach der Erfahrung des Rechtsanwalts verhängen die Justizbehörden je nach Tatbestand und Tatbeteiligung hohe Geldbußen und Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren. "Zunächst einmal wird nur dem Fahrer ein Vorwurf gemacht", erklärt Lindner den Ablauf bei einer strafrechtlichen Verfolgung. "Hier ist der Entzug des Führerscheins denkbar, wenn der Fahrer gegenüber der Führerscheinstelle nicht nachweisen kann, dass er trotz der Tat zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist." Damit sind dessen Vorgesetzte aber nicht aus der Haftung. Nachdem die aufgezeichneten Zeiten kontrolliert und ausgewertet wurden, zeigten sich meist Anhaltspunkte dafür, dass der Unternehmer oder dessen Disponent Kenntnis von der Manipulation hatte, sagt der Rechtsanwalt. "Die Ermittlungsbehörden werden folglich den Kenntnisstand aller Beteiligten ermitteln und die notwendigen Schritte einleiten." Unter Umständen könnten sogar Werkstätten, die an der Manipulation beteiligt gewesen sind, zur Verantwortung gezogen werden. Selbstfahrer haben naturgemäß schlechte Chancen, wenn es darum geht, die Schuld auf jemand anderen abzuschieben. Völlig anders sieht hingegen die Situation bei großen Transportunternehmen aus. Theoretisch könnte dort jeder ertappte Fahrer das Argument vorbringen, er könne ja nicht wissen, was sein jeweiliger Vorgänger auf dem Fahrersitz angestellt habe. Hier ist also der Arbeitgeber in der Pflicht, sicherzustellen, dass jeder LKW mit einem ordnungsgemäßen Digitacho den Hof verlässt. Auch für den Versicherungsschutz kann ein manipuliertes Kontrollgerät ernste Konsequenzen haben: "Entsteht beispielsweise ein Schaden, der nachweislich auf einen verbotenen Eingriff in den Digitacho zurückzuführen ist, dann können dadurch Versicherungsleistungen erheblich gemindert werden", erklärt Axel Salzmann von der Kravag-Versicherung. In letzter Konsequenz sei sogar ein völliger Ausschluss von Versicherungsleistungen denkbar. Das gilt sowohl für eine KFZ-Haftpflicht- und Kaskoversicherung als auch für eine Warentransportversicherung, die die Haftung in Bezug auf das zu transportierende Gut deckt. Jens Rödel, Fachanwalt für Versicherungsrecht beim Rechtsanwaltsbüro Fels in Bayreuth, kann dies bestätigen. Nach seinen Worten darf kein Versicherungsnehmer ohne Einwilligung der Versicherung Veränderungen am Fahrzeug vornehmen, die eine "Gefahrerhöhung" darstellen. Und eine Veränderung am Digitacho erfülle die Gefahrerhöhung sehr schnell. Auch ein Erlöschen der Betriebserlaubnis nach Paragraf 24 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sei zu bedenken. Die Kontrollbehörden rüsten auf Polizei und BAG versuchen, den Tricksern mit einer eigens entwickelten Software und regelmäßigen Schulungen ihrer Beamten beizukommen. Ein neues Auswertungsprogramm ermögliche nicht nur die Analyse der Lenk- und Ruhezeiten, sondern decke auch Manipulationen auf, so BAG-Sprecher Roitsch. In Baden-Württemberg beispielsweise, einem wichtigen Transitland für den Güterkraftverkehr entlang der Rheinlinie nach Frankreich und in die Benelux-Staaten, gibt es für die Aufgabe innerhalb der Verkehrspolizei-Direktionen spezielle Kontrollgruppen. Den Kontrollvorgang beschreibt Roitsch wie folgt: "Zunächst werden mit Hilfe eines Auswerteprogramms die Lenk- und Ruhezeiten analysiert. Die technischen Daten des Fahrzeugs sowie die Fahrzeugparameter werden mit den tatsächlichen Dimensionen der Reifen verglichen." Aus den Ergebnissen der Analyse sowie der Überprüfung der gefahrenen Kilometer könnten die Beamten etwaige Eingriffe erkennen. Zudem seien Untersuchungen der einzelnen technischen Komponenten wie des Bewegungssensors und des Geschwindigkeitsbegrenzers im LKW möglich. Das BAG steht mit seiner Arbeit im europäischen Verbund mit Behörden wie Euro Controle Route und Tispol, wie Roitsch betont. Neue Technik soll Betrüger stoppen Dass die Digitachos und damit auch der Straßenverkehr immer sicherer werden, das haben sich die Hersteller der elektronischen Systeme auf die Fahnen geschrieben. Bereits im Oktober 2012 wurde ihnen mit der EU-Verordnung 1266/2009 ein zweites Geschwindigkeitssignal als verbindliche zusätzliche Referenz aufgegeben. Das Ziel ist es, Manipulationen an den Bewegungssensoren der Fahrzeuge zu unterbinden. Das ist aber bei Weitem noch nicht das Ende der Entwicklung, wie Eva Appold von Continental unterstreicht (siehe Kasten): "Die nächste Generation der digitalen Tachografen wird technologische Neuerungen beinhalten, um die Systeme noch sicherer gegen verbotene Eingriffe zu machen." Bislang müssen digitale Tachografen nur bei Fahrtantritt und -ende das Länderkürzel speichern. Um Verstößen schneller nachgehen zu können, sieht die EU-Verordnung eine neue Technologie für die Kontrollgeräte vor, die sich mit dem globalen satellitengestützten Navigationssystem verbindet. Damit können Kontrolleure die Position des Fahrzeuges künftig genauer erfassen und speichern. Neue EU-Verordnung Fernanfrage soll Digitacho- Manipulationen erschweren Zum 1. März 2014 ist die neue EU-Verordnung über Fahrtenschreiber im Straßenverkehr in Kraft getreten. Sie bildet die rechtliche Grundlage für die nächste Generation des digitalen Tachografen. Geltung erlangt sie allerdings erst in Teilen ab März 2015 und im Ganzen im März 2016.Die neuen Regelungen sehen unter anderem vor, dass Kontrollbehörden künftig per Fernabfrage auf den digitalen Tachografen zugreifen können. Bei der Kommunikation dürfen laut der EU-Verordnung "nur Daten übertragen werden, die für die Zwecke der gezielten Straßenkontrolle von Fahrzeugen notwendig sind, deren Fahrtenschreiber mutmaßlich manipuliert oder missbraucht wurde". Dazu gehören unter anderem Angaben zu Datenfehlern, Sensorstörungen oder zur Geschwindigkeit. Konkrete Daten zu Lenk- und Ruhezeiten sollen die Kontrollbehörden aber nicht prüfen dürfen. Eine weitere Neuerung ist die Aufzeichnung der Standortdaten des Fahrzeugs. Diese soll künftig automatisch zu Beginn und am Ende der täglichen Arbeitszeit erfolgen sowie nach drei Stunden kumulierter Lenkzeit. Zum Zweck der Aufzeichnung der Standortdaten muss der Fahrtenschreiber an einen Positionsbestimmungsdienst auf Basis eines Satellitennavigationssystems (GNSS/IST) angebunden sein. Ferner soll der neue Digitacho den Fahrer per Signal warnen können, wenn es zu Störungen der Technik kommt oder die ununterbrochene Lenkzeit sich auf 4,5 Stunden zubewegt.Unternehmer sind nach der EU-Verordnung verpflichtet, ihr Fahrpersonal im ordnungsgemäßen Umgang mit dem Fahrtenschreiber zu unterweisen. Ausgenommen von den Pflichten sind nicht-hauptberufliche LKW-Fahrer wie Handwerker, die sich mit dem Fahrzeug nicht weiter als 100 Kilometer vom Firmensitz bewegen. Bislang galt diese Ausnahmeregelung nur bis 50 Kilometer.Neufahrzeuge müssen drei Jahre nach Erlass der Einzelvorschriften (voraussichtlich März 2015) mit dem neuen Digitacho ausgestattet sein. Weitere 15 Jahre (voraussichtlich 2033) später sollen alle Fahrzeuge mit der nächsten Generation des Fahrtenschreibers ausgerüstet sein. ks