Schwierige Mission

Der Oberleitungs-Lkw kann eine gute Lösung für den Straßengüterverkehr der Zukunft sein. Aus ökologischer Sicht sowieso, aber auch wirtschaftlich stelle der Oberleitungs-Lkw kein Minusgeschäft für die Nutzer dar. Das zeigt eine Studie, die unter Leitung des Karlsruher Fraunhofer Instituts ISI im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) erstellt worden ist. Die Wissenschaftler stellen darin Szenarien auf, wie der Oberleitungs-Lkw in Deutschland wirtschaftlich sinnvoll eingeführt werden könnte. Allerdings gibt es Einschränkungen. Und fest steht auch: Die CO2-freie Lösung dank Oberleitung ist in Serie bei weitem nicht morgen zu erwarten. Bund muss in Vorleistung gehen Zunächst müsse der Bund aber in die entsprechende Infrastruktur investieren, schreiben die Autoren. Solange diese nicht stehe, kaufe keiner einen Oberleitungs-Lkw. Der Studie zufolge muss aber nicht das ganze Verkehrsnetz mit Oberleitung ausgestattet werden. Zunächst reichen Korridorlösungen, also besonders viel befahrene Autobahnstrecken. Rund 4000 Kilometer sind das, rund 30 Prozent des gesamten deutschen Autobahnnetzes. Die Kosten für die Ausstattung dieser 4000 Kilometer mit Oberleitungs-Infrastruktur belaufen sich laut Studie auf acht bis zehn Milliarden Euro. Für Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist ein solcher Preis "überschaubar". Erste empfohlene Korridore sind die Strecken zwischen Karlsruhe und Hamburg und zwischen Hamburg und dem Ruhrgebiet. Für die Strecken ohne Oberleitungs-Infrastruktur müssten die Lkw gleichwohl auf einen anderen Antrieb umstellen. Am Hybrid führt also kein Weg vorbei. Dafür sieht die Studie noch den Diesel in der Pflicht. Langfristig könnten auch andere alternative Antriebe diese Rolle übernehmen. Noch sei es aber zu früh, sich auf eine andere Technik festzulegen oder gar Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit eines Oberleitungs-Lkw mit einer Batterie für die nicht mit Oberleitung ausgerüsteten Strecken aufzustellen. Die Mehrkosten, die bei der Anschaffung eines Oberleitungs-Hybrid-Lkw (OH-Lkw), also die Verbindung von Oberleitung und Diesel, gegenüber einem herkömmlichen Diesel entstünden, könnten sich laut Studie schon bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 bis 30.000 Kilometern an Oberleitungen amortisieren. Und bei einer Ausstattung von 4000 Autobahnkilometern mit Oberleitungen rechnen die Studienmacher damit, dass Lkw über zwölf Tonnen im Schnitt rund 60 Prozent ihrer Kilometer unter der Oberleitung fahren. Wann dies alles erfolgt, hängt von der Politik ab. Im optimistischsten Szenario geht die Studie davon aus, dass bis 2030 zwischen 2000 und 2500 Autobahnkilometer mit Oberleitungen ausgestattet sein müssten, um 50.000 bis 70.000 OH-Lkw über zwölf Tonnen auf deutschen Autobahnen zu sehen. Das wären 25 Prozent des heutigen Bestandes. Wobei die Studie auch schreibt: "Die notwendige Zeitkomponente für den Aufbau einer Infrastruktur, für die Entwicklung und den Bau der OH-Lkw sowie den Ersatz des bestehenden Lkw-Bestands sollte nicht unterschätzt werden." Verständlich also, dass für viele das Thema OH-Lkw noch nicht relevant ist, da dies als ferne Zukunftsmusik erscheint. Erst 2019 werden in Deutschland erste Tests im Realverkehr starten. So sollen in Hessen auf der A 5 zwischen dem Frankfurter Flughafen und Darmstadt sechs Kilometer in beiden Fahrtrichtungen mit Oberleitungen ausgestattet werden, in Schleswig-Holstein sechs der acht Kilometer langen Strecke auf der A 1 zwischen Reinfeld und dem Kreuz Lübeck. Ende 2018 sollen die Strecken eingerichtet sein, die Tests sollen dann zwei bis drei Jahre laufen. Auswertung, politische Entscheidungen, Geldsuche - bis daraus die als kritische Masse bewerteten ersten 2500 Autobahnkilometer mit Oberleitung werden, kann es leicht später als 2030 werden. Branche ist derzeit nicht überzeugt Für Hersteller Daimler ist es daher viel zu früh, das Thema Oberleitungs-Lkw überhaupt anzudenken. "Wir glauben, dass noch sehr lange Diesel gefahren wird", sagt Sprecherin Kathrin Fritz. Sollte eines Tages der OH-Lkw gefragt sein, hätte Daimler schnell auch ein Modell parat. Scania und Volvo testen schon Oberleitungs-Lkw: Volvo auf Kurzstrecken im Hafen Los Angeles/Long Beach, Scania in Schweden und Deutschland. Beide Hersteller in Zusammenarbeit mit Siemens. Die Partner Scania-Siemens sind auch bei den Tests in Hessen und Schleswig-Holstein dabei. Scania-Sprecherin Boglarka Balint Henriksson sieht Deutschland mit diesen Tests und den Empfehlungen der neuen Studie auf dem gleichen Weg wie Schweden, wo man schon einen Schritt weiter ist. Seit Juni 2016 fahren dort OH-Lkw auf einem zwei Kilometer langen Abschnitt auf der Autobahn E 16 bei Gävle. Erste Erfahrung: OH-Lkw seien im Betrieb billiger als Lkw mit herkömmlichem Kraftstoff, heißt es. Die Amortisierungszeit für die Zusatzkosten eines OH-Lkw sei indes abhängig von den lokalen Kosten für Diesel und Strom. "In Schweden liegt sie unter zwei Jahren", sagt die Scania-Sprecherin. Das scheint die Branche aber nicht zu überzeugen. "Bei Speditions- und Logistikdienstleistern erscheint die Akzeptanz derzeit noch nicht ausgeprägt zu sein", formuliert es die Studie. Auch Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV), zeigt sich skeptisch. Knackpunkt Nummer eins für ihn sind die hohen Infrastrukturkosten. Positiver zeigt sich Professor Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Er glaubt, dass am OH-Lkw kein Weg vorbeiführen wird. Grund sei der hohe Wirkungsgrad. 85Prozent des Stroms könnten direkt genutzt werden. Damit rangiere der OH-Lkw "weit vor allen anderen Strom-Technologien". Frage sei nur: woher kommt der Strom? Dass vereinzelt Spediteure heute schon offen für den OH-Lkw sind, zeigt die Spedition Schanz aus Ober-Ramstadt bei Darmstadt. Sie nimmt am Test in Hessen teil. "Hier geht es nicht vorrangig um wirtschaftliches Potenzial, sondern darum, die CO2-Belastung zu senken", begründet Seniorchef Hans-Adam Schanz die Test-Teilnahme. Generell sei die Spedition offen für Neuerungen, die dem Umweltschutz dienen. Dass OH-Lkw dies leisten, davon ist Schanz überzeugt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Grüne Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers VR-Kommentar Bitte keine Insellösungen Wir sollten vieles ausprobieren und es gibt nicht DIE einzig allein selig machende Lösung für die Transportprobleme der Zukunft. Aber der Oberleitungs-Lkw löst nichts. Wie vermittelt man der Bevölkerung, dass es mit der Güter-Bahn nicht klappt und wir deshalb die rechte Autobahnspur elektrifizieren. Und wenn schon "E-Autobahn", warum keine Induktionsspuren, auf denen man auch Pkw aufladen kann. Man muss nicht jeder Lösung hinterherlaufen - auch nicht wenn sie in einem anderen Land, unter gänzlich anderen Vorzeichen, passabel funktioniert. ggGerhard Grünig, Chefredakteur VerkehrsRundschau/ Trucker