Nikutta: Schienengüterverkehr ist so einfach wie Online-Shopping

München. Der Schienengüterverkehr gilt vielen in der Transportbranche als der Königsweg, wenn es darum geht, die jetzt nochmals verschärften Klimaziele einzuhalten. Die Chefin von Europas größter Güterbahn, Sigrid Nikutta, nimmt jetzt im Interview der VerkehrsRundschau Stellung, wie die Verlagerung gelingen soll, welche Rolle dabei die Kombiverkehr und die Speditionen spielen und warum Schienengüterverkehr so einfach ist wie Onlineshopping. Güter gehören auf die Schiene: Das ist Ihr neuer Slogan, Ihre neue Kampagne. Was versprechen Sie sich davon? Es gibt einfach Wahrheiten, an denen kommt keiner vorbei. Dieser Slogan ist ja schon über 50 Jahre alt. Jetzt ist aber das Zeitfenster, um ihn in das Bewusstsein aller zu bringen: der Industrie, dem Handel, den Logistikbetrieben und den Konsumenten. Warum wenden Sie sich an die breite Öffentlichkeit mit beispielsweise TV-Spots, obwohl die Kunden doch in der Wirtschaft sind, nicht in der allgemeinen Bevölkerung? Wir alle als Konsumentinnen und Konsumenten nehmen Einfluss darauf, wie es mit dem Klima und der Erderwärmung weitergeht. Der Transportweg von Produkten, wie zum Beispiel ein Bio-Müsli in den Laden kommt, ist bei der Klimafrage mitentscheidend. Und jede Entscheiderin, jeder Entscheider in der Wirtschaft ist ja auch „Consumer“. Aber das kann der Konsument ja gar nicht erkennen. Wir arbeiten daran, dass er es erkennen kann. Am besten wäre es, wenn einfach alles so umweltfreundlich wie möglich transportiert würde. Aber konkret: Ein EU-weites Label, transportiert mit der umweltfreundlichen Schiene, ist das Ziel. Das ist natürlich ein Weg... Vielleicht gibt es vorher ein Zertifikat in Deutschland oder freiwillige Auszeichnungen der Hersteller auf den Produkten, so dass jede und jeder erkennen kann, wie umweltfreundlich ein Produkt produziert und transportiert wurde. Führen Sie dazu bereits entsprechende Gespräche mit der Politik? Selbstverständlich – die Idee finden alle gut. Sowohl die Politik als auch die Unternehmen. Die letzten zehn Jahre ist die Verkehrsleistung bei DB Cargo in jedem Jahr rückläufig gewesen, und das in einem wachsenden Markt. Wir erklären Sie sich diese niederschmetternde Bilanz? Für die Verkehrsleistung von DB Cargo stimmt das, nicht aber für die Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr. Und das ist für mich die zentrale Aussage: Der Schienengüterverkehrsmarkt wächst. Wir bewegen uns in einem wachsenden Marktumfeld. Was die Verkehrsleistung von DB Cargo betrifft: Mit der Liberalisierung der Märkte war ja genau das gewollt. Es sollte Wettbewerb geben und daher ist es nicht verwunderlich, dass sich der Anteil des ehemaligen Monopolisten DB Cargo verringert hat. Jetzt haben wir einen offenen Markt und wir bei DB Cargo können durchstarten. Wird 2021 das erste Jahr nach zehn Jahren, in dem die Verkehrsleistung bei DB Cargo wieder steigt? Ja, das ist unstrittig. Die ersten Monate in diesem Jahr verzeichnen wir Wachstum in allen Geschäftssegmenten. Können Sie das beziffern? Alleine das Volumen zwischen Europa und China hat sich in den ersten Monaten 2021 nahezu verdoppelt. Ansonsten verzeichnen wir im ersten Quartal ein Wachstum je nach Segment bis zu zehn Prozent. Aber ich will nicht auf Kurzfristzeiträume schauen. Wichtig ist, dass der längerfristige Trend nach oben geht. Das tut er, und zwar in allen Segmenten. Diese weitsichtige Betrachtungsweise ist deshalb so wichtig, weil im Bahnsektor Investitionen erst über einen sehr langen Horizont ihre Wirkung entfalten: Ob es Investitionen in Loks oder Waggons sind, in IT-Systeme oder in das Schienennetz oder Terminals. Wir alle wünschen uns, dass wir jetzt ganz viele Investitionen schnell umsetzen. Die DB hat den Zielwert für 2024 von 78 Milliarden (Mrd.) Tonnenkilometer auf jetzt 68 Mrd. Tonnenkilometer reduziert. Sind Sie doch nicht mehr so optimistisch? Sie sprechen eine Plananpassung unserer mittelfristigen Finanzplanung an. Diese ist vergangenen Herbst unter dem Eindruck der Pandemie angepasst worden. Corona haben wir uns alle nicht gewünscht, das Wirtschaftsleben hat eine Delle erlebt und die haben wir natürlich berücksichtigt. Aber wir werden auch diese Planung an die positive Konjunkturlage 2021 anpassen – wir sind aktuell fast zehn Prozent über unseren Planansätzen [[über unserer Planun??]] unterwegs. Das steigende Umweltbewusstsein und die dringende Notwendigkeit auf die Effekte des Klimawandels zu reagieren, ist dabei für uns zusätzlicher Rückenwind in Sturmstärke, wie Richard Lutz, der Aufsichtsratsvorsitzende der DB Cargo, gern sagt Wie hoch sind die Verluste bei DB Cargo aufgrund von Corona? Natürlich hat uns Corona hart getroffen. Ich bin eine Freundin offener Worte und da gibt es gar nichts zu beschönigen. Im letzten Jahr mussten wir gerade zu Beginn der Corona-Krise Einbrüche in einzelnen Bereichen von bis zu 80 Prozent verkraften. Häufig verbunden mit Werksschließungen oder Kurzarbeit. Das ist glücklicherweise für dieses Jahr nicht erkennbar. Aber natürlich sind die Wirtschaft und die Lieferketten noch nicht wieder in einem eingeschwungenen Zustand. Das merken wir. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Was ist denn jetzt das Entscheidende? Für mich ist ganz wichtig: Wenn das Geschäft wieder anzieht, sind wir da. Wir fahren für unsere Kundinnen und Kunden. Schreibt DB Cargo im Kombinierten Verkehr (KV) weiterhin Verluste? Der Kombinierte Verkehr wird einer der Wachstumsmärkte auf der Schiene. Darüber freue ich mich sehr. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass es für alle Unternehmen attraktiv wird, Transporte auf die Schiene zu verlagern. Dazu gehören gute Angebote und natürlich entsprechende politische Anreizsysteme. Für den KV haben Sie angekündigt, die Zusammenarbeit mit der Kombiverkehr verbessern zu wollen. Was hat Ihnen denn an der Zusammenarbeit bislang nicht gefallen? Die Frage stellt sich nicht. Wir wollen die Zusammenarbeit intensivieren – das ist etwas anderes. Wir arbeiten extrem gut und effizient zusammen, jetzt wollen wir auch stärker gemeinsam in Erscheinung treten. Zum Neun-Punkte-Plan, den DB Cargo und Kombiverkehr beschlossen haben, gehört auch ein Metro-Net. Was soll das sein? Das Metro-Net ist die Verknüpfung von etwa 200 Direktzügen pro Woche, die wir zwischen derzeit 16 großen Terminalstandorten fahren. Wir bieten es wie ICE-Verbindungen an, also wie einen getakteten Fahrplan. Damit haben wir ein ganz einfaches und schnelles System – für alle. Und genau für dieses Netz sehen wir großes Ausbaupotential. Wie sehen die weiteren Pläne für das Metro-Net aus? Wir werden im Metro-Net die Zahl der Verbindungen in den nächsten fünf Jahren mindestens verdoppeln und gern auch noch mehr. Wenn jetzt die Corona-Folgen so langsam abebben, können wir der Erweiterung in den kommenden Monaten beginnen. Ein großes Angebot alleine reicht ja noch nicht. Vielen ist der KV zu kompliziert und zu teuer. Muss DB Cargo nicht zusammen mit Kombiverkehr auch bei der Leistung nachbessern? Das sind Argumente der Vergangenheit. Digitalisierung ist hier wirklich der Gamechanger. Meine Aussage dazu: Schienengüterverkehr ist so einfach wie Onlineshopping. Bestellung, Leerwagenzuführung, Sendungsverfolgung bis hin zur Abrechnung – alles aus einem System und IT-gestützt. Zu den Kosten: Wer jetzt mit der Umstellung auf die Schiene beginnt, hat einen echten Vorsprung. Das umweltfreundlichste Verkehrsmittel wird zukünftig auch das preislich attraktivste sein. Ich bin überzeugt davon, dass die Rahmenbedingungen sehr schnell entsprechend geändert werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, dass das Klimaschutzgesetz nachgebessert werden muss, zeigt ja bereits die Richtung. Wenn Ihr Angebot genutzt wird: Muss man nicht davon ausgehen, dass die Kapazitäten knapp werden? Vor allem in den Umschlagterminals gab es vor Corona immer wieder Engpässe. Wir müssen natürlich die Terminalkapazitäten hochfahren, wenn die Nachfrage steigt. Da haben wir aber noch Möglichkeiten, es wird z.B. noch nicht in allen Terminals rund um die Uhr gearbeitet. Auch der Ausbau dieser Terminals für 740-Meter-Züge birgt ein hohes Potential für eine Ausweitung der Kapazität. Wir haben hier Nachholbedarf und werden daher auch investieren in a) eine bessere Vernetzung b) eine höhere Auslastung und c) in den Neubau von Terminals, immer entlang der prognostizierten Transportströme. Aus- und Neubau von Bahninfrastruktur stößt in der davon betroffenen Bevölkerung nicht auf Gegenliebe. Solche Proteste macht Bauprojekte langsam und teuer, siehe Zulauf Brenner-Basistunnel. Was kann die Bahn dagegen unternehmen? Zum einen darauf hinweisen, wie wichtig solche Projekte für unser aller Klima sind. Zum anderen denken wir auch um – es müssen im Bereich von Terminals nicht immer nur Großprojekte sein. Die großen Terminals sind wichtig und richtig. Aber es muss eine Kombination von Terminals geben. Sinnvoll können auch kleinere Umschlagpunkte sein, gerade auch für den Einzelwagenverkehr. Oder Umlademöglichkeiten in den Rangierbahnhöfen zu schaffen. Überall dort, wo neue Industriegebiete ausgewiesen werden, sollte es immer auch einen Gleisanschluss geben. Eine Art Verpflichtung für einen Gleisanschluss? Ganz bestimmt. Wenn es selbstverständlich ist, dass es eine Straßenanbindung gibt, kann es auch eine Schienenanbindung geben. So kann eine Verlagerung erfolgen, können die Emissionen auf Dauer gesenkt und die Klimaziele erreicht werden. Wann kommt die digitale automatische Kupplung, die im Einzelwagenverkehr immer wieder als der Durchbruch für einen effizienten Schienenverkehr bezeichnet wird? Technisch sind die Tests in der Schlussphase. Spätestens Ende des Jahres wird eine Lösung auf den Schienen rollen, die auch europaweit akzeptiert ist. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist die Finanzierung. Für die Ausrüstung der fast 500.000 Güterwaggons in Europa wird mit einer Investition in Höhe von sechs bis acht Milliarden Euro gerechnet – dem stehen Synergieeffekte von bis zu 800 Millionen Euro jährlich gegenüber, so die Gutachter des Bundes. Hier muss es aus dem Green-Deal der EU-Kommission eine finanzielle Unterstützung geben, damit uns der Durchbruch in ganz Europa gelingt. Die Digitale Automatische Kupplung wird damit eines der Topbeispiele für den Mehrwert von Europa. (cd)

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