Mehr unter die Straße bringen

Das Projekt klingt geradezu fantastisch: Während die Lkw auf der Straße Stoßstange an Stoßstange stehen, läuft der Verkehr 40 Meter unter der Asphaltdecke flüssig. In einer sechs Meter breiten Tunnelröhre sausen kleine Elektrokarren hin und her. Jeder bringt bis zu vier beladene Europaletten selbstgesteuert an sein Ziel, mit einem Tempo von 30 km/h. An der Tunneldecke befördert eine Art Seilbahn Pakete und Sendungen mit dem doppelten Tempo zum Empfänger. Am Zielort werden die Ladungen der Hightech-Rohrpost automatisch entladen und mit E-Transportern zu den Kunden gebracht. Visionen, die Realität werden Was futuristisch klingt, könnte in zwei bis drei Jahren Realität sein - in der Schweiz soll nämlich genau so eine Waren-Rohrpost entstehen. Das Projekt heißt "Cargo sous Terrain" (CST) und wird sowohl von führenden Einzelhändlern des Landes als auch von der Schweizer Post, SBB Cargo und Swisscom unterstützt. 2019 will man mit dem Bau einer ersten Teststrecke beginnen, zwischen Härkingen/Niederbipp und dem Stadtrand von Zürich. Langfristig soll sogar die ganze Schweiz mit einem Frachttunnel-Netz ausgestattet werden. Geschätzte Gesamtkosten: 33 Milliarden Schweizer Franken (29,88 Milliarden Euro). Wirtschaftlich ergebe das Sinn, sagt eine Machbarkeitsstudie, die CST in Auftrag gegeben hat. Zudem würde so die Verkehrsmenge auf der wichtigsten Achse der Schweiz, der Autobahn A 1 Zürich-Bern, um ein Fünftel gesenkt. Bau einer Teststrecke geplant Gestartet sind die Rohrpost-Pioniere schon vor vier Jahren. Jetzt sieht es so aus, als könnten sie ihr Projekt tatsächlich auf beziehungsweise unter die Straße bringen. Im März 2017 wurde der Förderverein in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Sie muss bis Jahresende 100 Millionen Franken Startkapital beschaffen, damit in zwei Jahren die Bauarbeiten an der Teststrecke beginnen können. "Wir sind auf einem guten Weg. Weit über die Hälfte der Investitionen haben wir schon zusammen", sagt Peter Widmer, der als Verwaltungsrat die Interessen der Rhenus Alpina vertritt, einer der CST-Aktionäre. Finanziell liege man im Plan, und die politischen Grundlagen würden geschaffen. Hintergrund: Damit die Tunnelbauer nicht mit zahllosen Einzelpersonen verhandeln müssen, wird es ein spezielles CST-Gesetz geben, das der Gesellschaft ähnliche Rechte wie einer Bahngesellschaft einräumt. Derzeit liegt es im Schweizer Parlament. Im vergangenen Jahr bekamen die Verfechter der unterirdischen Güterbahn noch Unterstützung: Hyper Loop, die Firma von US-Star-Unternehmer Elon Musk, beteiligte sich mit 300.000 Franken am Schweizer Unternehmen. Er selbst hat eine Tunnelbaufirma gegründet ("The Boring Company") und erwartet sich von der Zusammenarbeit Anstöße für sein Geschäft. Argumente für die teilweise Verlagerung des Güterverkehrs unter die Erde gibt es reichlich, schließlich stoßen die oberirdischen Verkehrsträger an ihre Grenzen. "Auf der Achse Bern-Zürich sind die Straßen chronisch überlastet. Die Verteilung ist hier nicht mehr berechenbar", sagt Widmer. Die unterirdische Warenbeförderung könne wieder für Zuverlässigkeit sorgen. "Viele Verlader werden das in Zukunft fordern." Das Interesse von Rhenus Alpina ist klar: Der Logistiker will in Zukunft zu den Betreibern des Systems gehören und den Verkehrsträger seinen Kunden anbieten. "Wir sind schließlich kein Tunnelbauer, sondern Logistiker", begründet Widmer. Für eine Verwirklichung des Projekts spricht, dass genügend Geld vorhanden ist. Gerade in Zeiten von Zinsen nahe null suchen die Schweizer Pensionskassen händeringend nach Investitionsmöglichkeiten. Ähnlich geht es Banken, Versicherungen und Fonds. Für die institutionellen Anleger ist es interessant, ihr Kapital in das Projekt zu investieren, schließlich locken jahrzehntelange Einnahmen. Umgerechnet 45 Cent pro Tonnenkilometer könnte für die unterirdische Beförderung verlangt werden, prognostiziert CST. In nur vier Jahren würde man so die Investitionskosten einspielen und die Gewinnzone erreichen. Hubs verbinden Firmen und Bahn Der Standort für die Teststrecke ist gut gewählt, entlang der geplanten Trasse sind viele potenzielle Nutzer angesiedelt. Coop, Manor und Migros, größte Einzelhändler der Schweiz und allesamt CST-Aktionäre, sind dort mit Produktionsbetrieben oder Distributionszentren präsent. Das vereinfacht den Bau der sogenannten Hubs, an denen Ware in die Röhre verladen werden soll. Es muss, einfach gesagt, nur ein Aufzug auf dem jeweiligen Firmengelände gebaut werden. Da es sich um Logistikflächen handelt, sind keine aufwendigen Genehmigungsverfahren nötig. Fünf dieser Hub-Standorte stehen schon zur Verfügung, drei müssen noch gefunden werden. Aber wird CST wirklich ein Erfolg? "Ganz abwegig ist es nicht, in die zweite Ebene zu gehen", sagt Joachim Kochsiek vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Als erfolgreiches Beispiel nennt er den Postdamer Platz in Berlin, der über unterirdische Straßen versorgt wird. Hier können allerdings konventionelle Straßenfahrzeuge verkehren. Insgesamt hegt der Verkehrsexperte Zweifel an der Idee. "Bisher haben nicht viele private Verkehrsinfrastrukturprojekte dauerhaft kostendeckend gearbeitet", sagt Kochsiek. Darüber hinaus sei fraglich, ob das unterirdische System die nötige Transportkapazität aufweist, um wettbewerbsfähig zu sein. Er macht folgende Rechnung auf: Ein Elektrowagen von CST transportiert vier Europaletten - ein voll beladener Lkw 30 bis 35 Paletten. Für jeden Truck müssten also acht bis neun Transportkapseln auf den Weg gebracht werden. Und auf der Autobahn reiht sich Lkw an Lkw. Wird überhaupt genug Platz in der Röhre sein, um hier mithalten zu können? Kochsieks Prognose für die Tunnelbahn fällt insgesamt eher negativ aus: "Ich denke, wir können noch lange Zeit gut mit den vorhandenen Verkehrssystemen leben, schließlich entwickeln sie sich auch weiter - Stichwort: E-Antrieb. Und die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen ist auch nicht zu verachten." Gotthardtunnel sorgt für Rückenwind Bei einer Studie - diese bezog sich auf das Land Hessen -, die das House of Logistics and Mobility (HOLM) letztes Jahr zusammen mit dem IML erstellt hat, zeigten sich die befragten Experten ebenfalls skeptisch. 84 Prozent bezeichneten es als unwahrscheinlich oder sehr unwahrscheinlich, dass sich kapselartige Tunnelsysteme in der Belieferung bis zum Jahr 2035 etablieren. Die "Untergrund-Aktivisten" aus der Schweiz bleiben dennoch optimistisch. Sie verweisen darauf, dass das Bohren der Tunnel unproblematisch sei, die Bauarbeiten den oberirdischen Verkehr nicht beeinträchtigen werden und alle betroffenen Kantone an Bord seien. "Es herrscht Pionierstimmung", fasst Rhenus-Manager Widmer zusammen. Nicht zuletzt die Eröffnung des neuen Gotthardtunnels habe für Rückenwind gesorgt. "Man sieht einfach, dass solche Projekte Sinn machen." Mehr im Dossier Trends und Innovationen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Cargocap Die deutsche Konkurrenz Mit ihrer Idee, den Güterverkehr unter die Erde zu verlegen, steht "Cargo sous Terrain" nicht allein. Schon Ende der 1990er hat der Bochumer Professor Dietrich Stein ein ähnliches System namens CargoCap erdacht. Auch hier befördern elektrisch betriebe Transportkapseln jeweils zwei Europaletten durch eine Tunnelröhre. Allerdings ist das deutsche System anders ausgelegt: Die Röhren sind mit 2,80 Metern Durchmesser deutlich kleiner als beim Schweizer System und werden in geringerer Tiefe verlegt. Das vereinfacht den Aufbau des Netzes, da sich bewährte Methoden aus dem Kanalbau nutzen lassen (geschlossene Bauweise). Außerdem ist CargoCap nicht auf lange Distanzen angelegt, sondern auf die Unterstützung der urbanen Nahversorgung. 3,2 Millionen Euro soll jeder Kilometer der Güter-U-Bahn kosten - was im Vergleich zu 10 bis 30 Millionen Euro für einen Kilometer Autobahn günstig ist. Außerdem muss beim Bau der Röhren nicht mit Anwohnerprotesten oder umweltrechtlichen Problemen gerechnet werden.Interessanterweise hebt auch das deutsche Pro-jekt gerade ab: Der Rat der Stadt Bergisch-Gladbach entschied, dem System eine Chance zu geben und grünes Licht für eine Machbarkeitsstudie zu geben. Ähnlich wie CST soll auch CargoCap privat finanziert werden, die Verhandlungen mit Banken und Investoren laufen bereits."Die Finanzierung ist gesichert. Die Verträge sind bloß noch nicht unterschrieben", heißt es von CargoCap. Man rechne damit, dass schon 2019 mit dem Bau begonnen werden könne, eine Inbetriebnahme des Systems 2021 sei möglich. cg