Interview Trans-o-flex: Herausforderungen der Impfstofflogistik

In Deutschland sollen 55 Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft werden. Es müssen also rund 110 Millionen Dosen Impfstoff produziert und logistisch verteilt werden. Ist das logistisch machbar? In Deutschland werden regelmäßig allein 10 bis 15 Millionen Grippe-Impfungen jährlich durchgeführt. Und ein Großteil dieser Impfdosen wurde über unser Unternehmen abgewickelt – alles im regulären Netz. Weil die Covid-19-Impfstoffe über einen längeren Zeitraum nach und nach produziert werden, stellt die Verteilung auch in der von Ihnen genannten Größenordnung kein Kapazitätsproblem dar. Wir sind in der Lage, auch diese Mengen sicher auszuliefern. Nach Informationen der Nürnberger Nachrichten hat Trans-o-flex den Auftrag für die Corona-Impfstofflogistik in Bayern erhalten. Welche Aufgaben übernehmen Sie konkret? Wir haben uns verpflichtet, keine Details zu nennen. Was ich sagen darf, ist, dass wir den Auftrag erhalten haben, die landesweite Verteilung aller Corona-Impfstoffe an rund 100 verschiedenen Orten sicherzustellen. Neben den regionalen Impfzentren sind das auch die von kreisfreien Städten und Landkreisen bestimmten Lagerstätten für Corona-Impfstoffe. Wie sieht die Transportkette aus, welche Akteure sind da involviert und wer koordiniert das? Wir haben konkrete Vorgaben, wo wir welche Impfstoffe abholen, zustellen und gegebenenfalls auch zwischenlagern und kommissionieren. All das wird von Trans-o-flex koordiniert. Wir haben für diesen Auftrag ein Koordinationsteam mit sieben Mitarbeitern geschaffen, das täglich (auch am Wochenende) mit dem auftraggebenden Ministerium abstimmt, wann und in welchen Mengen die Impfstoffe abgeholt und wohin diese zu welchen Zeiten zugestellt sein müssen. Die Abstimmung erfolgt in der Regel per E-Mail oder telefonisch. Um wirksam zu sein, muss der Impfstoff von Biontech/Pfizer bei minus 70 Grad Celsius gelagert, umgeschlagen und befördert werden – die Kühlkette muss da strikt eingehalten werden. Wie stellen Sie die Kühlung sicher? Ja, die Kühlkette muss strikt eingehalten werden, aber der Impfstoff von Biontech muss nach Herstellerangaben für den Transport an die Impfzentren nicht bei minus 70 Grad tiefgekühlt werden. Vielmehr wird dieser Transport für ein kontrolliertes Auftauen genutzt. Für diese Transporte ist daher unser Netzwerk Trans-o-flex ThermoMed mit seiner aktiven Temperaturführung bei zwei bis acht Grad Celsius ideal geeignet. Zur Einhaltung der Kühlkette sind hier keine besonderen Verpackungen nötig, kein Trockeneis, keine Rückführung von Verpackungen und keine speziellen Datenlogger, die den Impfstoffpaketen zugefügt werden, um die Temperatur zu messen und zu dokumentieren. Alle bei trans-o-flex ThermoMed eingesetzten Fahrzeuge steuern, messen und dokumentieren die benötigte Temperatur selbstständig.Wie monitoren Sie das? Die Temperatur wird nicht nur im Fahrzeug für den Fahrer, sondern auch in unserer Dispositionszentrale angezeigt. Dasselbe gilt für die Position des Fahrzeugs. Wir wissen jederzeit, wo sich welches Fahrzeug befindet. Dafür hat trans-o-flex ein eigenes System entwickelt, das wir Control Tower nennen. Um 100 Prozent transparent zu sein, stellen wir unseren Kunden außerdem auch den gesamten Temperaturlebenslauf aktiv temperaturgeführter Sendungen online zur Verfügung. Und selbst Empfänger einer solchen Sendung können mit unserer App trans-o-flex insight einfach den QR-Code der Sendung scannen und bekommen dann den Temperaturlebenslauf angezeigt. Welche Neu-Investitionen, etwa in spezielle Verpackungs- und Monitoring-Lösungen oder auch Fahrerschulungen, standen für Sie an und in welcher Höhe? Trans-o-flex Thermomed ist auf den Transport von Arzneimitteln seit vielen Jahren spezialisiert. Unser Netz wurde ja gerade für Anforderungen konzipiert, wie sie jetzt in der Impfstofflogistik benötigt werden. Wir mussten also nicht unser Netz verändern, sondern wie bei jedem größeren Auftrag die konkrete Auftragssteuerung einrichten, das Steuerungsteam bilden und einige Details anpassen. Hierzu gehört unter anderem, dass wir gezielt Fahrer für diese Aufträge ausgewählt haben. Sie haben eine eigene Schulung für die Besonderheiten dieses Auftrags erhalten und mussten sich einer zusätzlichen Sicherheitsprüfung unterziehen. Das war übrigens gar kein Problem. Vielmehr ist die Motivation in diesem Auftrag eine ganz besondere. Jeder, der dabei ist, ist stolz, dass wir zur Impfstoff-Versorgung unserer Bevölkerung beitragen können. Stichwort Risiko: Wie schützen Sie sich vor etwaigen Diebstählen? Kühne + Nagel setzt Medienberichten zufolge auf Polizeischutz. Sie auch? Das hört sich so an, als ob Kühne + Nagel sich den Polizeischutz aussuchen könnte. Das ist aber falsch. Die Polizei entscheidet aufgrund ihrer Einschätzung der Gefahrenlage, ob bestimmte Transporte von Polizeifahrzeugen begleitet werden. Das gilt auch für unsere Transporte. Ganz unabhängig davon hat Trans-o-flex eigene Sicherheitskonzepte entwickelt und umgesetzt, die auch in der aktuellen Corona-Logistik angewendet werden. Die permanente Überwachung unserer Fahrzeuge gehört ebenso dazu wie Zugangskontrollen, Führungszeugnisse, Videoüberwachung und natürlich eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Polizei. Was sind in der Impfstofflogistik für Sie die größten logistischen Herausforderungen? Der Auftrag erfordert von uns eine sehr hohe Flexibilität, sowohl was die Mengen angeht, als auch was die Anforderungen an die Temperierung angeht. Denn für die ersten beiden in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffe liegen bekanntlich andere Stabilitätsdaten vor und gelten deshalb andere Lager- und Transportbedingungen als für herkömmliche Impfstoffe. Der erste zugelassene Impfstoff von Biontech/Pfizer wird vom Hersteller aus zunächst in mit Trockeneis gekühlten Spezialverpackungen bei minus 70 Grad Celsius transportiert, anschließend bei dieser Temperatur zwischengelagert. Der zweite zugelassene Impfstoff von Moderna muss bei minus 20 Grad befördert werden. Der heute noch nicht zugelassene Impfstoff von Astra-Zeneca benötigt eine 2 bis 8 Grad Celsius Kühlung. Wir müssen auf der letzten Meile jeweils genau beachten, für welche Sendungen welche Bedingungen gelten. Hinzu kommt, dass die Hersteller teilweise auch bestimmte Zeitfenster vorgegeben haben, in denen die Impfstoffe zu den Impfzentren zu transportieren sind.Mit wie vielen Fahrzeugen lösen Sie das in diesen engen Zeitfenstern so zuverlässig und Just-in-time? Um die vorgegebenen engen Zeitfenster einhalten zu können, setzen wir derzeit ausschließlich auf die Zustellung mit Sonderfahrten. Details dürfen wir aus vertraglichen Gründen hier nicht nennen. Ist die Covid-19-Impfstofflogistik für Sie unterm Strich ein Zuschussgeschäft oder ein Wachstumsmarkt? Wir hoffen nicht, dass künftig regelmäßig solche Impfaktionen notwendig sind. Aber wenn es so kommt, sind wir mit unseren aktiv temperaturgeführten Netzen bestens darauf vorbereitet. Denn sie bieten den Bundesländern enorme Möglichkeiten, die Effizienz der Impfstoffverteilung noch weiter zu erhöhen. Wie sähe das aus? Bei den ersten beiden Impfstoffkandidaten sind die Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt, solange deren Stabilitätsdaten bei Plusgraden relativ gering sind und deshalb für die Distributionslogistik von der Abholung bis zur Zustellung nur sehr kurze Zeitfenster vorgesehen sind. Dann besteht praktisch keine andere Möglichkeit, als diese Impfstoffe in Direktfahrten zuzustellen, wie es aktuell oft der Fall ist. Bei der Distribution weiterer Impfstoffkandidaten, etwa von Astra-Zeneca, lassen die Stabilitätsdaten auch einen Transport bei 2 bis 8 Grad Celsius zu und auch das Zeitfenster für die Logistik ist daher größer. Unsere Logistikkette kann diese Temperaturzone problemlos über lange Zeit exakt einhalten. Deshalb könnte man bei diesem und weiteren Impfstoffen die Logistik bundesweit einheitlich organisieren. Das würde die Bundesländer entlasten und einen einheitlichen Standard bei der Belieferung in ganz Deutschland ermöglichen, und zwar nicht nur bei Impfzentren, sondern auch bei Apotheken, Krankenhäusern oder direkt bei Arztpraxen oder Alten- und Pflegeheimen. Trans-o-flex könnte die Impfstoffe an einem beliebigen Ort in Deutschland oder in den einzelnen Bundesländern übernehmen, die Kommissionierung für die einzelnen Impfzentren erledigen und die Zustellung innerhalb von 24 Stunden garantieren, bei Bedarf auch mit Zustellungen bis 8 oder 10 Uhr. Bei dieser bundesweiten Verteilung über ein Netz sinkt der administrative Aufwand für die Auftraggeber, und zwar umso stärker, je mehr Bundesländer sich hier zusammenschließen. Außerdem wird die Bündelung der Transporte erhöht, was gut für die Umwelt ist und nicht zuletzt die Transportkosten senkt. Diese Möglichkeiten bestehen auch für weitere Impfstoffkandidaten mit ähnlichen Stabilitätsdaten, also beispielsweise auch für den in Tübingen entwickelten Impfstoff des Unternehmens Curevac. Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteurin Eva Hassa

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