Interview: Kann er Dachser?

Sie sind seit 1. Januar 2021 neuer CEO von Dachser. Zuvor waren Sie dort der Finanzchef und haben in Ihrer Karriere auch das Controlling von Bilfinger geleitet. Controllern eilt meist der Ruf voraus, Erbsenzähler zu sein: Herr Eling: Sind Sie ein Erbsenzähler? Nein, ganz und gar nicht (lacht). Eine finanzielle Grundlage ist mir zwar wichtig, und ich war tatsächlich in meiner Karriere bei Bilfinger als Bereichsleiter für das Controlling tätig, mir war aber immer wichtig, ein detailliertes Verständnis vom operativen Geschäft zu haben. Gerade die langfristige strategische Ausrichtung eines Familienunternehmens hat mich dazu bewogen, zu Dachser zu wechseln. Und dass ich dort seit einigen Jahren unter anderem das globale Innovationsprogramm verantworte, passt auch nicht in Ihr Bild (lacht). Wie würden Sie Ihren Führungsstil dann beschreiben? Da ist mir dreierlei wichtig: die klare strategische Ausrichtung des Führungsstils, die Teamorientierung und die schlussendliche klare Entscheidung. Ich bilde mir gerne zusammen mit anderen eine Meinung und ringe um die beste Lösung. Was wird Sie in Ihrer neuen Rolle als Dachser-Chef von Ihrem Vorgänger Bernhard Simon unterscheiden? Grundlegender Unterschied ist, dass Bernhard Simon mit Dachser groß geworden ist. Als Enkel des Gründers ist er über Jahre in das Unternehmen hineingewachsen. Auch ich habe, zwar auf einer völlig anderen Ebene, eine unternehmerische Prägung. Insofern denken wir beide unternehmerisch und strategisch. Bernhard Simon hat zudem ein sehr gutes Fingerspitzengefühl für Menschen und das richtige Setzen von strategischen Akzenten. Mir ist bewusst, dass ich in große Fußstapfen trete. Ich bin aber gut vorbereitet und gehe mit dem gebotenen Respekt an die Aufgabe heran. Sie starten mitten in der Corona-Pandemie, einer wirtschaftlich höchst anspruchsvollen Zeit. Mit welcher Strategie wollen Sie Dachser erfolgreich durch diese Zeit steuern? Wenn man nach 90 Jahren Firmengeschichte die Führung eines Unternehmens annimmt, das Jahr um Jahr konstant eine sehr gute Entwicklung verzeichnet, geht es natürlich darum, das Gute zu bewahren. Andererseits hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass wir Flexibilität brauchen, um uns auf neue Gegebenheiten wie die Digitalisierung und neue Technologien schnell einstellen zu können, um so unsere Agilität zu erhöhen. Und diese Flexibilität brauchen wir in allen unseren Strukturen. Nur so können wir unsere vier großen Themen Digitalisierung, engere Verzahnung unserer Netze, Attraktivität als Arbeitgeber und die Ausrichtung auf Klimaschutz voranbringen. Was hat für Sie in diesem Jahr Top-Priorität? Ich schiele nicht zuerst auf das richtige Ergebnis. Das wäre für uns als nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen falsch. Vielmehr werden wir uns auch in Zukunft auf die Qualität unserer Leistungserbringung fokussieren. Natürlich mit einer entsprechenden effizient aufgestellten Organisation – da kommt jetzt doch der vormalige Finanzchef durch (lacht). Denn am Ende ist nur der zufriedene Kunde, dem wir eine gute Leistung geboten haben, bereit, uns auskömmliche Margen zu bezahlen und uns so unser Ergebnis langfristig zu sichern. Apropos auskömmliche Margen: In 2018 erwirtschafteten Sie laut dem Bundesanzeiger eine Ebit-Marge von 4,7 Prozent. Lagen Sie da im vergangenen Jahr darüber oder darunter? Wir machen, wie Sie wissen, traditionell zu konkreten Ergebnissen oder Margen keine Angaben. Auch in diesem Jahr nicht. Die Margen in 2020 waren aber auf jeden Fall auskömmlich. Welcher Bereich hat Ihnen in 2020 in punkto Profitabilität Freude gemacht und welcher war Ihr Sorgenkind? Von Sorgen möchte ich hier nicht sprechen. Dachser ist unterm Strich gut durch das Coronajahr 2020 gekommen – unser Konzernumsatz blieb nahezu konstant, unser konsolidierter Nettoumsatz ist mit 5,61 Milliarden Euro Umsatz nur geringfügig gegenüber 2019 zurück gegangen – auch dank unseres starken Umsatzplus von 5,2 Prozent im Geschäftsbereich Air & Sea Logistics. Da profitierten wir von eigenen Luftfracht-Charterkapazitäten und den hohen Frachtraten bei interkontinentalen Transporten. Dachser hat die Digitalisierung in den Fokus genommen und ein neues Vorstandsressort IT & Development gegründet, das Stefan Hohm als CDO verantwortet. Wie soll Ihnen die Digitalisierung konkret helfen, die Profitabilität weiter zu erhöhen? Die Digitalisierung wird uns in unseren internen Prozessen helfen, in der Verzahnung mit unseren Kunden und natürlich dank einer noch effizienteren Zusammenarbeit mit unseren Transportpartnern. So werden wir beispielsweise mit Künstlicher Intelligenz unsere Sendungsaufkommens-Prognose weiter verbessern. Wir haben mit dem Fraunhofer IML ein Predictive Analytics Tool entwickelt und zum Einsatz gebracht, mit dem sich eingehende Sendungsmengen auf Niederlassungsebene sehr genau prognostizieren lassen. Damit optimieren wir die Auslastung und Effizienz unserer Touren weiter. Auch die Real-Time-Visibilität unserer Sendungsverläufe wollen wir weiter erhöhen. Wir tun das alles, um unsere Prozesse noch effizienter zu gestalten und die Supply Chain Visibility für unsere Kunden mit präziseren Planungen Schritt für Schritt zu erhöhen. Zusätzlich werden wir die Anbindung unserer Kunden mit Hilfe von digitalen Tools und Schnittstellen weiter verbessern. Wie sieht Ihre Digitalisierung-Strategie aus? Digitalisierung ist für mich der „Enabler“ (der Möglich-Macher – die Redaktion) für ein gutes operatives System und für gute operative Prozesse. Wir machen Digitalisierung nicht um der Digitalisierung willen, sondern ausschließlich, weil wir dadurch unsere operativen Prozesse und Systeme weiter optimieren wollen. Technologisch legen wir einen Schwerpunkt auf die Optimierung und Digitalisierung unserer Produktions- und Verkaufsprozesse. Außerdem wird es eine der Hauptaufgaben von Stefan Hohm sein, die gesamte Vielfalt unserer eigen-entwickelten Systeme und ‚Best-of-Breed‘ Fremd-Systeme zu orchestrieren. Ein anderer namhafter Logistikkonzern nutzt die Digitalisierung, um zum Beispiel repetitive Aufgaben wie etwa in der Reisekostenabrechnung und Buchhaltung aus Hochlohn- in Shared-Service-Center in Niedriglohn-Länder zu verlagern. Streben Sie das auch an? Das haben wir nicht auf unserer Agenda und werden dies auf absehbare Zeit auch nicht tun. Vielmehr digitalisieren und automatisieren wir solche repetitiven Aufgaben, um unsere Mitarbeiter zu entlasten und unsere Kunden zu unterstützen und Arbeitsabläufe für sie einfacher zu gestalten. Alles in Niedriglohn-Länder auszulagern, davon halte ich persönlich nicht viel. Ein wichtiger Bestandteil Ihrer Strategie ist auch das Thema Klimaschutz. Demnach wollen Sie in einigen Jahrzehnten, so kündigten Sie auf Ihrer Jahrespressekonferenz an, den Umstieg von Diesel-Antrieb auf alternative Antriebe umgesetzt haben – Stichwort E-Mobilität und Wasserstoff. Warum dauert das so lange? Der Zeitpunkt, etwa in punkto E-Fahrzeuge, hängt nicht von uns ab, sondern davon, bis wann die Nutzfahrzeughersteller dem Markt die entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung stellen. Erst wenn das feststeht, können wir entsprechend auf unsere Transportpartner zugehen. Die Wasserstoff-Technologie hat aktuell noch nicht die Marktreife erreicht. Wir tragen aktiv unseren Teil zur Erforschung dieser Technologie bei, zum Beispiel durch unser Engagement im Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband. Während der Elektro-Antrieb seine Berechtigung im Innenstadtverkehr hat, sehen wir die Zukunft für den Fernverkehr in der Wasserstoff-Technologie. Für diesen Wandel werden jetzt die Weichen gestellt. Wie werden Sie dann die CO2-Emssionen nach unten bringen? Werden Sie zum Beispiel verstärkter Transporte auf die Schiene verlagern? CO2-Reduktion erreichen wir unter anderem über mehr Prozess-Effizienz. Dazu werden wir zum Beispiel verstärkt Megatrailer einsetzen und diese bei unseren Neubeschaffungen – zunächst in Deutschland, dann auch in den anderen Ländern Europas – zum Standard machen. Die Megatrailer bieten acht Kubikmeter mehr Ladefläche, damit können wir Fahrten und CO2 sparen. Wir verbessern gleichzeitig aber auch die Energieeffizienz unserer Immobilien. Unser neues Hochregallager in Memmingen, zum Beispiel, das wir bis Sommer 2022 bauen, wird den überwiegenden Teil der benötigten Energie über eine Photovoltaikanlage selbst erzeugen und den Rest aus CO2-neutralen Strom aus 100 Prozent Wasserkraft beziehen. Abgesehen davon stellen wir gerade sukzessive alle Flurförderfahrzeuge in Europa auf Lithium-Ionen-Batterien um. 2020 war für Dachser , wie für viele Unternehmen, ein Jahr mit vielen Höhen und Tiefen. Von welchem wirtschaftlichen Szenario gehen Sie in diesem Jahr aus? Wir sind zuversichtlich. Die Signale aus dem ersten Quartal sind positiv. Wir sehen, dass die Mehrzahl unserer Kunden gut durch die Coronakrise gekommen ist. Die Industrie ist robust. Außerdem legen die Unternehmen sehr viel Wert auf hochwertige, verlässliche und robuste Logistikprozesse. Dies spielt unserem Qualitätsanspruch in die Karten. Des weiteren sehe ich aktuell europaweit nicht, trotz bestehender Lockdown-Szenarien, dass wir in diesem Jahr ähnlich hohe Umsatzeinbußen haben werden wie in den Shutdown-Monaten April und Mai 2020. Trotz des Brexits? Den Brexit haben wir durchaus gespürt. Da spreche ich, denke ich, für viele Logistikunternehmen. Wir hatten uns zwar darauf sehr lange vorbereitet und auch unsere Kunden bei der Informationsbereitstellung für die zusätzlichen Verzollungsaktivitäten unterstützt. Trotzdem waren die ersten Monate vom Brexit geprägt. Aktuell nehmen die Transporte wieder zu, im Stückgutbereich haben die Lieferungen nach UK bereits wieder Vorjahresniveau erreicht. Die Mengen von UK in Richtung Europa sind jedoch erheblich geringer geworden. Bei welchem Umsatz- und Mengen-Wachstum wird Dachser in diesem Jahr also landen? Was ist da Ihr Ziel? Um welche Prozentwerte wir uns da konkret steigern werden, darüber lässt sich im Moment noch keine verlässliche Aussage treffen. Denn dafür sind die Lockdown- und Corona-Szenarien in den einzelnen europäischen Ländern in unserem Portfolio aktuell zu unterschiedlich. Auf Basis des ersten Quartals gehe ich aber davon aus, dass wir 2021 über unseren Zahlen von 2020 liegen werden. Da bin ich optimistisch. Sind für Sie Zukäufe ein Thema? Aktuell stehen etliche Unternehmen zum Verkauf... Wenn wir zukaufen, hängt das weniger vom Zeitpunkt ab, als davon, ob und wie gut diese Aktivitäten zu unserem Netz passen. Wir legen sehr viel Wert auf unsere Netzwerk-Stabilität. Vor diesem Hintergrund sehen wir in unserem europäischen Netz aktuell keinen Bedarf. Wir sind gut aufgestellt. Wir haben ein flächendeckendes Landverkehrsnetz in Europa – hier und da mag es noch zu einzelnen Ergänzungen kommen. Das sind aber keine nennenswerten Zukäufe. Und im See- und Luftfrachtgeschäft werden wir uns weiterhin auf die eigenen Prozesse und vor allem auf die Anbindung an unser europäisches Stückgutnetz fokussieren. Auch in diesem Geschäftsbereich stehen deshalb aktuell keine Zukäufe an. Die Weltleit-Logistik-Messe Transport Logistic findet in diesem Jahr ausschließlich digital statt. Welche Neuheiten hätte denn Dachser gerne auf einer Präsenzveranstaltung präsentiert? Wir wären da in der Tat sehr gerne dabei gewesen und hätten in München zum Beispiel gezeigt, wie wir die Digitalisierung zur Optimierung von Kunden Supply Chains optimieren wollen. Thema wäre auch der Klimaschutz gewesen – Stichwort Energie- und Prozess-Effizienz. Und natürlich hätten wir unsere noch engere Verzahnung der Air- & Sea-Aktivitäten mit unserem Stückgutnetz gerne vorgestellt. Diese Vernetzung unserer Netze nennen wir „Dachser Interlocking“. Das Ergebnis sind nahtlose Supply Chains, die verschiedene Verkehrsträger flexibel kombinieren, für den Kunden aber stets komplett transparent sind. (eh) Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteurin Eva Hassa

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