Interview der Woche

Peter Heintelgeboren 1940, Professor für Philosophie und Gruppendynamik, lange Jahre Rektor und Vorsitzender des Senats der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 2001 gründete er den Verein zur Entschleunigung der Zeit. Nachgefragt beiInterview der WocheDie Zeit rast – warum?Flugzeuge, Bahn und Auto ermöglichen es uns, so schnell wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte irgendwohin zu kommen. Trotzdem haben wir das Gefühl, keine Zeit zu haben, weil die Zeit rast. Woran liegt das?Ganz einfach, weil wir uns alle in der Freizeit unter Leistungs- und Erlebnisdruck setzen. Das ist typisch für unsere Turbogesellschaft. Je mehr Zeit wir also dank unserer technologischen Neuerungen gewinnen, desto mehr Aktivitäten packen wir in diese gewonnene Zeit ein und haben damit wieder keine Zeit! Warum glauben Sie, dass Menschen unseren Studien zufolge so gerne im Autostau stehen? Weil sie damit Übergänge schaffen und sich damit die Zeit für sich schaffen, die sie brauchen und sonst nicht haben.Was bleibt durch die Beschleunigung auf der Strecke? Vor allem Tiefgang und Qualität – in zwischenmenschlicher und ökonomischer Hinsicht. Wenn Sie mit Ihrem Auto rasant schnell unterwegs sind, sind Sie zwar schnell am Ziel, aber Sie registrieren keine Einzelheiten mehr in Ihrer nächsten Umgebung. Da ahnt man, was im hektischen Alltag alles auf der Strecke bleibt. Sie haben ja den Verein zur Entschleunigung der Zeit gegründet. Will Ihr Verein die Zeit nun zurückdrehen?Die Zeit zurückdrehen kann keiner. Das funktioniert nur in Science-Fiction-Filmen. Die Zeit selbst ist weder be- noch entschleunigbar. Treffend beschrieben es die alten Griechen. Sie hatten zwei Begriffe für Zeit: Chronos, die gleichförmig verstreichende äußere Zeit, die den „korrekten“ Zeitpunkt angibt. Und Kairos, die gefühlsmäßig einmal verlangsamende, ein andermal beschleunigende innere Zeit, die den „richtigen“ Zeitpunkt angibt. Heute hat die „Chronos-Zeit“ die Alleinherrschaft inne. Das ist das Problem. Jedermann lebt nach Benjamin Franklins Devise „Zeit ist Geld“. Das kann nicht gut gehen. Man kann die Seele nicht unendlich beschleunigen. Ist langsam aber immer besser? Es gibt bestimmte Dinge, wo Geschwindigkeit sinnvoll ist und Vergnügen bereitet. Ich kann einem 100-Meter-Läufer ja nicht sagen, dass er langsam rennen soll. Das wäre Unsinn. Aber wir müssen trotz unseres Fortschrittsglaubens auf unsere physiologischen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten Rücksicht nehmen und zu gewissen Zeiten innehalten. Die Sinnorientierung unseres Lebens bedarf innehaltenden Nachdenkens. Sonst ist man in einem Strudel drin und ist nicht mehr man selbst. Innehalten heißt also, sich Zeit nehmen zur Selbstbeobachtung. Das gilt sowohl für Privatleute als auch für Unternehmensorganisationen.Was raten Sie also Menschen und Unternehmen, die einmal Luft holen wollen?Für einen persönlich lohnt sich das Führen eines Zeit-Tagebuchs. Zumindest eine Zeit lang sollte jeder für sich beobachten, welchen Umgang mit der Zeit habe ich, wie gehe ich mit Zeit um, und wo kann ich etwas tun? Wir haben nämlich mehr Freizeit als wir glauben. Unternehmen rate ich: Räumen Sie Ihrer Organisation und Ihren Mitarbeitern ausreichend Zeit zur Selbstreflexion und zur eigenen Standortbestimmung ein. Klären Sie regelmäßig die Fragen: Was klappt bei uns gut und sollte beibehalten werden, was klappt weniger gut, und wo besteht Handlungsbedarf in welcher Zeit für wen? Das kostet Zeit, ist aber eine gut investierte Zeit, die man anderweitig wieder gewinnt. ❙❚■ Eva HassaDer Verein zur Entschleunigung der Zeit Raus aus dem Hamsterrad – das muss nicht gleich die Flucht auf eine einsame Insel sein. Manchmal hilft es schon, seinen Alltag neu zu strukturieren und Prioritäten zu setzen, damit mehr Zeit für Entspannung bleibt. Ideen bietet der österreichische „Verein zur Verzögerung der Zeit“, den Philosophie-Professor Peter Heintel 1991 gründete. Heute zählt der Verein 1000 Mitglieder. Heintels Ziel war es, einen reflektierten Umgang mit Zeit auf kollektiver Basis anzuregen und neue Formen des Umgangs mit dem Phänomen Zeit anzustreben. Vereinsmitglieder sind Menschen, denen der angemessene Umgang mit Zeit ein Anliegen ist. Das diesjährige Symposium „occupy time“ findet im September in Salzburg statt. ehum was es geht

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