Interview

Interview„Wir bleiben Konkurrenten“Nach einem kräftigen Wirbel von VW bei seinen LKW-Töchtern spricht Alexander Vlaskamp, Chef von Scania Deutschland, im Interview über sein Verhältnis zu MAN, den deutschen Markt und die nächsten Schritte von Scania.Herr Vlaskamp, eine Frage an einen Niederländer, der noch in Polen wohnt, in Deutschland arbeitet und schwedische Produkte verkauft: Wer wird Fußballeuropameister?Eigentlich hieß mein Favorit Holland! Sie waren einige Jahre Geschäftsführer von Scania Polen. Was unterscheidet den polnischen vom deutschen Kunden?Die Polen nutzen zur Fahrzeugfinanzierung ein Dreierkonzept: Ein Drittel der Fahrzeuge ist geleast, ein Drittel ist bereits aus dem Leasing heraus und in das Eigentum des Unternehmers übergegangen. Diese Fahrzeuge sind zwischen vier und sechs Jahre alt. Da sich die Polen ihre Vorliebe zum Handeln bewahrt haben, ist ein Drittel der LKW gebraucht gekauft. Meist in bar. Zwei Drittel des Fuhrparks sind also abbezahlt und können bei Bedarf sozusagen in die Ecke gestellt werden. Das hat den Polen in der Krise geholfen. Aufgrund ihrer sozialistischen Vergangenheit hängen die polnischen Unternehmen noch stark am Eigentum, an stabilen Werten. Inwieweit stellt der polnische Unternehmer für den deutschen eine ,Bedrohung‘ dar?Wenn man heutzutage in Europa noch in Ländern oder Regionen denkt, hat man die Zeit nicht erkannt. Die Welt wird globaler. Dadurch ist auch der Transportbedarf in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen. Er wird zum Teil von deutschen Speditionen abgedeckt, die in Polen investiert haben. Aber es gibt auch polnische Fahrzeuge, die in Zentraleuropa unterwegs sind. Ich sehe das nicht als bedrohliche, sondern als komplementäre Entwicklung. Zumal die Kostensteigerung in Polen, auch bei den Gehältern, sehr schnell geht. Der Scania-Vorstandsvorsitzende Leif Östling übernimmt im September bei VW das LKW-Ressort. Ihr neuer Chef wird Martin Lundstedt. Kennen Sie ihn?Ich habe mit ihm gemeinsam bereits einige Projekte verwirklicht und ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Als ich in Deutschland für das Servicegeschäft verantwortlich war, hatten wir ein Projekt aufgesetzt, die Effizienz in den Werkstätten zu erhöhen. Auch bei anderen Entwicklungsprojekten konnten wir uns austauschen und unseren Teil dazu beitragen, Scania zu formen. Wie würden Sie ihn charakterisieren?Sehr zielorientiert und sehr nah am Geschäft unserer Kunden.Leif Östling hatte als Vorstandsvorsitzender von Scania das Unternehmen sehr frühzeitig auf die Krise 2008 eingestellt. Wie ist die Einschätzung der Situation momentan?In dieser Beziehung wissen wir Leif Östling sehr zu schätzen. Er war uns in den vergangenen Jahren ein guter Coach und hat uns die Lehren der Krise aufgezeigt. So konnten wir im November letzten Jahres bereits Akzente setzen und frühzeitig die Produktionskapazität anpassen, was von der Presse teilweise mit Fragezeichen versehen wurde. Jetzt sehen wir, dass Östling wieder die richtige Entscheidung getroffen hat, denn jetzt flacht die Nachfrage wieder ab. Wie ist die Auftragslage in Deutschland momentan?In den ersten fünf Monaten war sie in Deutschland gut. Jetzt ist die Nachfrage zwar noch da, aber die Entscheidungsfreudigkeit ist nicht mehr so hoch. Auch die Beschaffungs-Indikatoren gehen nach unten. Wenn man sich die Meldungen über die Finanzsituation in Europa ansieht, ist das auch zu verstehen. Unsere Kunden warten ab und tauschen ihre Fahrzeuge nicht mehr aus. Wir bekommen gehäuft Anfragen von Unternehmen, die ihre Leasing- oder Serviceverträge verlängern möchten. Seit April steigt auch die Nachfrage nach Mietfahrzeugen wieder an. Als einziger Hersteller arbeitet Scania mit keiner externen Vermietgesellschaft zusammen. Bleibt es dabei?Wir haben im Vermietgeschäft jetzt 1500 Einheiten auf der Straße. Dieser Erfolg bestätigt unser Konzept, das wir auch künftig beibehalten: Das Vermietgeschäft bleibt in eigener Hand, weil wir Wert darauf legen, die Kundenbedürfnisse auch im Bereich der Fuhrparkflexibilität zufriedenzustellen.Wird es denn im Servicebereich zu einer Zusammenarbeit mit MAN kommen? VW-Vorstand Martin Winterkorn sprach davon, man könne in der Zusammenarbeit noch einige Synergien heben.Wir konzentrieren uns auf Scania. MAN bleibt für uns weiterhin ein Wettbewerber. Wettbewerb tragen Sie nicht nur mit dem Produkt aus, sondern auch im Servicebereich, mit der Servicebereitschaft und der Servicemannschaft. Wir bekommen hier gute Noten von unseren Kunden, die wollen wir behalten. Die wenigsten Servicepartner oder Händler haben sich neben Scania für andere Marken entschieden. Das zeigt uns, dass sie mit uns zufrieden sind. Wir behalten Scania im Fokus und gehen nicht in die Breite. Wir werden keine Wettbewerbsprodukte aufnehmen, nur um uns breiter aufzustellen. Scania hat sich in Deutschland in speziellen Segmenten sehr engagiert, das ist etwa an den Orange Days zu sehen oder an Ihren Aktivitäten auf der Entsorgungsmesse Ifat. Lassen sich die Früchte dieser Bemühungen in Zahlen ausdrücken?Auf dem Ifat-Gelände in München standen von uns 23 aufgebaute Kundenfahrzeuge. Das hat deutlich demonstriert, dass Scania nicht nur für das klassische Fernverkehrsfahrzeug steht. Wir sind auch stark in der Abfallwirtschaft, in der Entsorgung, eigentlich im ganzen Thema kommunale Fahrzeuge. Das werden wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa zeigen. Im Baubereich, auch ein Segment, in dem wir uns stark zeigen, ist der Marktanteil bereits von zwei auf fast sechs Prozent nach oben gegangen. Im Verteilerverkehr liegen wir bei knapp elf Prozent. Sie haben auf der Ifat auch ein aufgebautes Euro-6-Fahrzeug ausgestellt. Wie war die Resonanz?Groß – und positiv. Bei Euro 6 lautet die Herausforderung ja, die Fahrgestelle aufzubauen, den Aufbau von einem Euro-5 auf einen Euro-6-LKW zu bringen. Das konnten wir dort hervorragend präsentieren. Wie entwickeln sich die Bestellungen für Euro-6-LKW?Die Nachfrage ist da. Die Kunden haben ihre KfW-Förderbescheide erhalten. Jetzt beginnen wir die Gespräche. Wir spüren Woche für Woche, dass dieses Thema stärker kommt. Ich sehe Euro 6 als gute Investition in die Zukunft, vor allem für Kunden, die aufgebaute Fahrzeuge haben, die sie fünf oder sechs Jahre fahren. Bei einer Fachkonferenz der VerkehrsRundschau hat das Unternehmen Meyer Logistik, das Euro 6 seit einem Jahr fährt, von der Bedeutung der Fahrerschulung für einen guten Durchschnittsverbrauch berichtet. Wie sind Ihre Erfahrungen?Bei den modernen Fahrzeugen lohnen sich Schulungen noch viel mehr als noch vor 15 oder 20 Jahren. Wir unterstützen unsere Kunden mit 27 Fahrertrainern, die auch Wirtschaftlichkeitstrainings anbieten. Die nächste Herausforderung ist, die guten Verbrauchswerte auch nach der Schulung zu erhalten. Mit dem Scania-Fahrer-Eco-Modul lässt sich das gut unterstützen. Der Fahrer, der ökonomisch fährt, wird mit fünf Sternen auf dem Display belohnt. Manche Fahrer nehmen das als Art Playstation wahr und versuchen, stets das maximale Ergebnis herauszuholen. Ein weiterer Punkt ist natürlich das sichere Fahren. Mit dem GPS-gesteuerten Tempomaten, den Scania jetzt anbietet, lässt sich beides kombinieren …Aber das funktioniert nur, wenn der Fahrer das Gerät auch einschaltet. Es bringt nichts, wenn der Fahrer keinen Sinn in dem Teil sieht und nur denkt, jetzt geht alles automatisch. Wir müssen ihm vermitteln, er kann die Situation selber beeinflussen. Nur dann fühlt er sich weiterhin verantwortlich. Ich habe auch keinen Spaß an meinem Geschäft, wenn mir etwas übergebügelt wird, was ich nicht verantworten kann. Daher vermitteln wir den Fahrern, dass sie die elektronischen Helfer ein-, aber auch ausschalten können. Beispielsweise bei der Fahrt über den Brenner ist es besser, wenn der Fahrer die Kontrolle behält und nicht der GPS-gesteuerte Tempomat.Wie ist die Nachfrage nach dem GPS-gesteuerten Tempomaten?Wir produzieren das System erst seit Mai. Mittlerweile haben wir aber schon einige Hundert Bestellungen vorliegen.Alle anderen Hersteller haben bereits neue Modelle gezeigt oder angekündigt. Was tut sich bei Scania?Bei der Vorstellung der R-Serie 2006 haben wir angekündigt, dass wir künftig keine großen Schritte mehr machen, sondern unsere Produkte kontinuierlich voranbringen wollen. So zeigen wir punktuell immer wieder Verbesserungen an den Fahrzeugen. Beispielsweise haben wir im letzten Jahr im Baubereich einen Facelift mit Neuerungen an Fahrgestell und Antriebsstrang vorgestellt. Wichtig ist nicht, dass wir viele Neuerungen präsentieren, sondern dass die Dinge, die wir auf die Straße bringen, auch funktionieren. Also kein ,big bang‘ zur IAA Nutzfahrzeuge mit großer Enthüllung?Lassen Sie sich überraschen. Wir wissen noch nicht, wie groß das Tuch wird, das wir bei der Enthüllung brauchen. Für den Kunden ist es ohnehin wichtiger, seinen Ansprechpartner auf unserem Stand zu treffen.Was zeigen Sie sonst bei der IAA?Wir werden sicher etwas Neues in Richtung Euro 6 zeigen. Außerdem werden wir die Themen Fahrerschulung, Telematik, Finanzierung und Versicherung mit Neuheiten besetzen. Aber das Wichtigste ist für uns der Kundenkontakt. Deshalb gilt für das Scania-Team: All hands on deck.Wird es einen Euro-6-V8-Motor geben?Lassen Sie sich überraschen …Für die Kunden ist das Mehrgewicht von Euro 6 ein Problem bei der Nutzlast. Werden die Fahrzeuge leichter werden?Das Thema Nutzlast ist eine Sache. Das andere Thema sind die Abmessungen des Aggregats, damit es zu Fahrgestellen und Kabinen passt. Die Erfahrung zeigt, dass sich das Gewicht in vier bis sechs Jahren um fünf bis sechs Prozent reduziert.Plant Scania einen hydraulischen Radnabenantrieb?Es gibt Einsatzbereiche, in denen das Sinn macht. Aber das ist eine Frage der Stückzahl – und der Machbarkeit innerhalb unseres Modellbaukastens. Wenn beides passt, können wir eine Antwort darauf geben. Momentan kann ich dazu noch nichts sagen. Die EU arbeitet an CO2-Vorgaben für LKW. Wie geht Scania das Thema an?Unsere Ingenieure beobachten die Entwicklungen in Brüssel natürlich. Aber bisher gibt es noch keine konkreten Vorlagen. Mit den aktuellen Längen- und Gewichtsdiskussionen in Deutschland und Europa passt das auch alles nicht zusammen. Ein 600-PS-Lang-LKW mit 60 Tonnen ist immer noch effektiver als drei Sattelzüge mit 400 PS. Da sind die Niederländer mit 25 Metern und 60 Tonnen genau den richtigen Weg gegangen. Dabei sind dort die Straßen nicht so gut ausgebaut wie in Deutschland. ❙❚■ Birgit Bauer, Serge Voigt„Kontinuierliche Verbesserung statt großer Schritte.“ Ansonsten hüllt sich Alexander Vlaskamp im Gespräch mit Serge Voigt und Birgit Bauer, VerkehrsRundschau, zu den IAA-Plänen noch in SchweigenDas UnternehmenScania Mit 37.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist Scania in rund 100 Ländern vertreten. Der weltweite Marktanteil von drei Prozent bei schweren Nutzfahrzeugen beschert dem Unternehmen den achten Platz auf der globalen Rangliste der Hersteller. Die Konzernmutter hat kürzlich kräftig das Führungskräfte-Karussell gedreht und 30 Posten neu besetzt. Scania-Vorstandsvorsitzender Leif Östling wird Konzernvorstand für die Nutzfahrzeuge. Er soll die drei LKW-Töchter MAN, Scania und VW Nutzfahrzeuge stärker zusammenführen und profitabler machen. Martin Lundstedt rückt innerhalb des Scania-Vorstands zum Vorsitzenden auf. Die Scania Deutschland GmbH wurde 1968 als Lkw-Importeur in Deutschland gegründet. Sitz des Unternehmens ist Koblenz. Die Neuzulassungen für Scania Deutschland lagen am 31. Dezember 2011 bei 5332 Fahrzeugen. Der Marktanteil betrug 8,8 Prozent. bbScanias Herz schlägt im schwedischen SödertäljeAlexander Vlaskamp forciert den Weg, Scania nicht nur im Fernverkehrsbereich zu positionieren, sondern auch in anderen Segmenten Stärke zu zeigenVitaAlexander Vlaskamp Der in Almelo geborene Niederländer ist seit März Geschäftsführer von Scania Deutschland Österreich. Der Standort Koblenz ist ihm nicht unbekannt: Von 1996 bis 2007 war der Diplom-Ingenieur für Scania Deutschland Österreich tätig, zuerst als Verkaufstrainer, danach als Leiter Pre Sales Verkauf LKW und später als Director After Sales. Von Dezember 2002 bis Februar 2007 verantwortete er als Direktor After Sales das Parts-und-Service-Geschäft und gehörte dem Management-Team an. 2008 wechselte er als Geschäftsführer zu Scania Polen. bbInterviewInterview

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