Berlin. Seit Monaten finden Lokführer und Bahn nicht zueinander. Zwar wollen sie nun wieder nach mehreren Streiks ihren Tarifstreit am Verhandlungstisch austragen, doch der Konflikt ist sehr grundsätzlicher Natur, einfache Kompromisse kaum erreichbar. Es geht um Minderheitenrechte, aber auch um Tarifautonomie. Keine Seite möchte nachgeben und das Gesicht verlieren. Bahnchef Hartmut Mehdorn, die ohnehin schwierige Privatisierung des Unternehmens vor Augen, will nicht hinnehmen, dass die kleinste der drei Bahn-Gewerkschaften ausschert und für sich völlig losgelöste Sonderregelungen beansprucht. Ein "eigenständiger Tarifvertrag" mit deutlich besseren Tarifen und Arbeitszeitregelungen wie für den großen Rest der Bahnbediensteten wäre "eine neue Qualität", wie ein Tarifexperte im Gewerkschaftslager meint. "Das würde die ganze Bude auf den Kopf stellen." Denn dann könnte Transnet die Karte der vereinbarten Revisionsklausel ziehen und Nachforderungen stellen. Die Muskelspiele der GDL mit ihrem Vorsitzenden Manfred Schell an der Spitze sind nicht nur Mehdorn und den Arbeitgebern generell ein Dorn im Auge: Auch die anderen Gewerkschaften verfolgen den Konflikt mit Argwohn: "Wenn man nur auf seine eigene Klientel schaut, hat das mit Solidarität wenig zu tun", kritisierte DGB-Chef Michael Sommer. Einheitsgewerkschaften versuchten, unterschiedliche Interessen auszugleichen. "Die Lokführer tun das Gegenteil." Dass die GDL ausschert, hat auch mit gewerkschaftlichen Strukturen zu tun: Die Lokführer fühlen sich von den größeren Gewerkschaften - Transnet und GDBA - seit langem nicht mehr angemessen vertreten. Das Problem ist aus anderen Bereichen bekannt: Die im Marburger Bund organisierten Krankenhausärzte setzten sich mit einem eigenständigen Tarifvertrag von den anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst nach oben ab, wie auch die Piloten der Lufthansa in der Vereinigung Cockpit (VC). Das Gebaren von Spartenorganisationen wie GDL, Marburger Bund oder VC bringt das DGB-Lager in die Zwickmühle. Einerseits müssen sie den ungeliebten Organisationen beispringen, wenn diesen - wie unlängst der GDL - das Streikrecht durch Richterspruch eingeschränkt wird. Auf der anderen Seite steht die Furcht, dass "der Spaltpilz der Spezial- Interessenvertretung" - so ein DGB-Funktionär - die Gewerkschaften weiter schwächt. Besonders schmerzen muss Sommer und Co, dass die Abspaltung erstmals einen Teil der traditionellen Arbeiterbewegung, die Eisenbahner, betrifft. ver.di-Chef Frank Bsirske kündigte daher an, auf Anliegen einzelner Berufsgruppen künftig stärker einzugehen. Über einen eigenständigen Tarifvertrag erhalten auch Klein- Organisationen einen mächtigen Hebel in die Hand: Sie können unabhängig von den Tarifvereinbarungen der "großen" Gewerkschaften Vereinbarungen kündigen und zum Streik aufrufen und damit auch ein großes Unternehmen wie die Bahn wirtschaftlich in die Knie zwingen. Wenn in einem solchen Fall alle Räder still stehen, müssen die vielen anderen Bahner, für die als Nicht-GDL-Mitglied noch Friedenspflicht herrscht, Kurzarbeitergeld zu Lasten aller Beitragszahler beantragen. Um die Tarifeinheit zu wahren, bot Mehdorn nach seinen Worten einen "eigenständigen Tarifvertrag" an: Dieser müsse aber innerhalb des "gemeinsamen Tarifwerks" stehen. Das liegt auf der Linie, die die beiden Streik-Moderatoren Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf im Sommer vorschlugen. Denkbar wäre, die Lokführer in eine eigene Beschäftigungsgesellschaft auszugliedern. Mit der könnte dann die GDL einen eigenen Tarifvertrag abschließen. "Das Ganze", sagte der Vorsitzende des Beamtenbundes dbb, Peter Heesen, "kann aber nur dann funktionieren, wenn dieser Lokomotivführer-Teil eines Tarifvertrages sich nahtlos einfügt in das Gesamtunternehmen." (dpa)
Hintergrund Bahn-Tarifkonflikt: Die schwierige Kompromisssuche
Seit Monaten finden Lokführer und Bahn nicht zueinander. Zwar wollen sie nun wieder nach mehreren Streiks ihren Tarifstreit am Verhandlungstisch austragen, doch der Konflikt ist sehr grundsätzlicher Natur