Heftige Kritik am Mobility Package

Polen: Es ist das Land, aus dem die meisten ausländischen Lkw kommen, die in Deutschland unterwegs sind. Laut der Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) steht Polen mit Abstand auf Platz eins. 6,56 Milliarden Kilometer haben die Lkw mit dem Kennzeichen PL 2019 hierzulande auf Autobahnen und Bundesstraßen zurückgelegt. Zu Platz zwei (Tschechien mit 1,44 Milliarden Kilometern) ist der Abstand enorm. Doch wie tickt der Transportmarkt unserer Nachbarn? Und warum rechnet man in Polen damit, dass das jahrelange Transportwachstum gerade auch im Ausland in wenigen Jahren einen kräftigen Dämpfer erfährt? Dazu gibt die Studie "Transport of the Future" Auskunft, die von der Unternehmensberatung PwC in Zusammenarbeit mit dem polnischen Unternehmerverband Transport and Logistics Poland (TLP) erstellt wurde. Das Ende des Wachstums droht 2022 Die Studie beinhaltet eine Prognose der Entwicklung bei den polnischen Transportunternehmen zwischen 2018 und 2022. Diese Vorhersage - erstellt vor der Corona-Krise - ist durch die Pandemie obsolet geworden. Das jährliche Wachstum von 5,3 Prozent, das die Experten den Unternehmen für den Zeitraum prognostiziert haben: hinfällig wegen Corona. Doch die Prognose ist zum einen nur einer von mehreren Bestandteilen der Studie und zum anderen trotzdem interessant. Denn für den Zeitraum ab 2022 halten die Experten es für möglich, dass sich dieser Wachstumstrend nicht fortsetzt. "Grund sind die rechtlichen Veränderungen in der EU-Gesetzgebung, die dann ihre volle Wirkung entfalten", sagt Maciej Starzyk, Senior Manager bei PwC. Hier ist es vor allem das Mobility Package der EU, das dem polnischen Transportgewerbe Sorge bereitet. "Die Neuerungen, dass Fahrer alle vier Wochen und Lkw alle acht Wochen nach Hause zurückkehren müssen, dass unter die Regelungen künftig auch Nutzfahrzeuge ab 2,5 Tonnen fallen, zudem verschärfte Kabotageregelungen sowie Mindestlohnbestimmungen gelten: All das wird die Kosten für die polnischen Transportunternehmen in die Höhe treiben", sagt Starzyk. Für die polnischen Transportdienstleister sind diese Veränderungen in der EU von existenzieller Bedeutung. Denn laut der Studie machten 2017 internationale Verkehre und Kabotage 23 Prozent der gesamten Transportleistung polnischer Unternehmen aus. Weitere 41 Prozent entfielen auf grenzüberschreitende Export- und Importverkehre. Zusammen sind das 64 Prozent der Verkehrsleistung, die Dienstleister in Polen mit ausländischen Transporten erbringen. Anders ausgedrückt: Sollten die verschärften Regularien dazu führen, dass die polnischen Fuhrunternehmen 20 Prozent der Verkehrsleistung im Ausland verlieren, würde das eine Verringerung von 13 Prozent der gesamten Verkehrsleistung des polnischen Transportgewerbes bedeuten. Existenz vieler Kleinbetriebe bedroht Ein Verlust, der womöglich ähnliche Dimensionen erreicht wie der durch das Coronavirus. Sieht man sich den Gewinn an, den polnische Transportunternehmen in den letzten Jahren eingefahren haben (siehe Grafik oben), muss man kein Prophet sein, um sagen zu können: Solche Auftragsverluste werden eine ganze Reihe von Transportunternehmen nicht überleben. "Das Mobility Package wird zu einem Zusammenbruch vieler kleiner, familiengeführter Transportunternehmen führen", ist Maciej Wronski überzeugt. Der Präsident des Verbandes TLP geht davon aus, dass auch mittelständische und große Unternehmen diese Maßnahmen hart treffen werden. Unternehmen, die aus kleineren und am Rande der EU befindlichen Staaten stammen, wie Rumänien oder Bulgarien, würden jedoch noch stärker unter dem Mobility Package leiden. Aber: Wronski geht davon aus, dass die polnischen Unternehmen wiederkommen werden. "Es mag einige Jahre dauern, aber die polnischen Fuhrbetriebe werden zurückkehren zu ihrer alten Position im europäischen Transportmarkt", prophezeit er. Denn in West- und Zentraleuropa werde es weiterhin einen Fahrermangel geben. Er sagt einen Bedarf von mehreren 100.000 Fahrern voraus, der nicht gedeckt werden kann. Daher wird dann die europäische Industrie gezwungen sein, wieder auf das Angebot der polnischen Dienstleister zurückzukommen - dann allerdings mit deutlich höheren Kosten für die nachgefragte Transportleistung. Nicht weiter verwunderlich, dass Wronski das Mobility Package ablehnt. Er befürchtet, dass die Maßnahmen die finanzielle Leistungsfähigkeit letztlich aller Transportdienstleister in Europa beeinträchtigen wird. Die Studie befasst sich noch mit einem weiteren Thema: dem Fahrermangel. Auch in Polen war dies zumindest vor der Corona-Pandemie ein Problem. 2015 fehlten demnach etwa 100.000 bis 110.000 Fahrer. Fahrermangel bedeutet nicht, dass keine Fahrer gefunden wurden. Es bedeutet vielmehr, dass damit Arbeitskräfte betraut wurden, die nicht die eigentlich an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Wäre das Wachstum wie prognostiziert eingetreten, hätte die Lücke laut Studie 2022 fast 200.000 Fahrer betragen. Und das, obwohl auch in Polen viele ausländische Fahrer beschäftigt sind. Die mit Abstand meisten kommen aus der Ukraine (siehe Grafik Seite 21). Laut Wronski sind in Polen etwa 90.000 Fahrer beschäftigt, die nicht aus einem EU-Land stammen. Die Zahl der Lkw-Fahrer in Polen insgesamt schätzt er auf 500.000. Ein polnischer Fahrer erhält nach Aussage von Wronski 1700 bis 2500 Euro. Das sind Fahrer aus Unternehmen, die dem Verband angehören und die international in der EU tätig sind. Letztlich würde die Lohnhöhe aber von vielen Faktoren abhängen, von der Region, wo das den Fahrer beschäftigende Unternehmen angesiedelt ist, in welchen Staaten der Fahrer unterwegs ist etc. "Die Fahrer aus der Ukraine bekommen den gleichen Lohn wie die polnischen Kollegen", sagt Wronski. Eine unterschiedliche Bezahlung wäre eine rechtlich nicht zulässige Diskriminierung. Doch bereits Ende 2019, noch vor Beginn der Corona-Krise, hat sich das Problem des Fahrermangels in Polen laut Wronski entspannt. Grund war die nachlassende Konjunktur in Europa. Covid 19 hat diese Entwicklung dann nochmals verstärkt. Mehr Engagement für die Lkw-Fahrer Aus Sicht des Verbandspräsidenten ist das keine gute Entwicklung. Denn er geht davon aus, dass dieser Zustand mit ausreichend vielen Fahrern nur ein vorübergehender ist. Jetzt bestehe jedoch die Gefahr bestehen, dass sich nicht beschäftigte Fahrer in anderen Branchen um einen Job bemühen und damit dem Transportmarkt als wichtige Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung stünden. "Wir müssen alles tun, um die bestehenden Fahrer zu halten und junge Männer und Frauen für diesen Beruf zu begeistern", sagt Wronski. Dazu müsse man die Arbeitsbedingungen für die Fahrer in den Unternehmen verbessern. Zudem verlangt er von der Politik, dass diese die Park- und Unterbringungsmöglichkeiten für die Fahrer verbessern. Und die Kunden der Fuhrunternehmen sollten den Fahrer ermöglichen, die Toilette und die sanitären Waschräume zu benutzen. Mehr zum Thema finden Sie unter #Polen www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Der polnische Transportmarkt wird gerade in Deutschland mit Interesse beobachtet, da viele Dienstleister aus Polen hierzulande tätig sind. Doch bislang wussten die meisten nur wenig über unsere Nachbarn. Eine Studie und ein Verbandschef geben jetzt einen Einblick.

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