Größe entscheidet doch

Rodolphe Saadé, Generaldirektor der französischen Großreederei CMA/ CGM, ist in diesen Wochen ein gefragter Mann. Der 44-Jährige gilt als eine der Schlüsselfiguren bei der Etablierung der Reedereiallianz P3, in der sich ab Mitte des Jahres die drei größten Containerreedereien der Welt (CMA/CGM, Maersk Line und MSC) zusammenschließen wollen. Deshalb war die Spannung vor der Global Liner Conference groß, die der britische Veranstalter Informa Maritime Mitte April in Hamburg durchführte. Schließlich hatte Saadé erst eine Woche vor Konferenzbeginn als Sprecher zugesagt. Doch Saadé ließ sich nicht in die Karten schauen. Er hob die Vorteile von P3 für die beteiligten Unternehmen, deren Kunden und den Markt für Seetransporte hervor. Die wichtigste Frage beantwortete er nicht. Wie wird sich P3 auf das für viele Marktteilnehmer zuletzt verlustreiche Geschäft der Containerschifffahrt auswirken? Kapazitäten nehmen weiter zu Die Neugier befriedigte stattdessen Lars Jensen, CEO von Sea-Intel Maritime Analysis. "Die P3-Allianz wird nicht die fundamentalen Probleme des Marktes lösen, aber sie auf andere Marktteilnehmer verschieben", sagte der Analyst. Das fundamentale Problem des Marktes heißt Überkapazität. Von 2006 bis 2013 hat sich die Kapazität der Weltcontainerflotte nach Einschätzung von Sea-Intel um 80 Prozent erhöht. Die Zahl transportierter Container stieg im gleichen Zeitraum um 40 Prozent. "Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage bei den Containertransporten geht derzeit sogar noch weiter auseinander", sagte Jensen. Die Kapazität bei den Containerschiffen würde in laufenden Jahr um 5,5 Prozent und 2015 sogar um 8,5 Prozent wachsen. Die weltweite Nachfrage steigt laut Jensen demgegenüber nur um 4 bis 6 Prozent. Obwohl die Frachtraten in immer höherem Tempo erodieren - im März bröckelten die Preise für Transporte zwischen Asien und Europa um 84 US-Dollar die Woche - bestellen die Reeder unvermindert neue Großschiffe. 97 Großschiffe mit mehr als 13.300 TEU (20 Fuß-Container) stehen laut dem Informationsdienst Alphaliner in den Auftragsbüchern der Werften, ausgeliefert sind erst 71. Doch der Eindruck, dass sich die Branche an neuen Megacarriern selbst zugrunde richtet, täuscht. Das Streben nach immer größeren Schiffen folgt knallhartem betriebswirtschaftlichen Kalkül. Die Kosten pro TEU sind auf einem 18.000-TEU-Containerschiff deutlich geringer als beispielsweise auf einem Schiff mit 14.000 TEU - sofern beide Schiffe ausgelastet sind. Ein zu 90,5 Prozent ausgelastetes 18.000-TEU-Schiff hat die gleichen relativen Kosten pro TEU wie ein zu 100 Prozent ausgelastetes 14.000-TEU-Schiff, rechnet Hermann Klein, CEO der Charterreederei E.R. Schiffahrt, vor. Philip Damas, Director bei Drewry Supply Chain Advisors, macht eine ähnliche Kalkulation auf: "Die Gewinnschwelle auf Basis der derzeitigen Raten liegt auf der Fahrt zwischen Asien und Europa bei rund 13.000 TEU pro Schiff", sagt Damas. Größere Schiffe machen Gewinn, kleine Schiffe verlieren Geld. Doch der Anteil der Schiffe mit mehr als 13.000 TEU an der Weltcontainerflotte beträgt momentan gerade mal 2 Prozent. Dementsprechend deutlich sind die Branchenverluste. 18 der 30 weltgrößten Reedereien veröffentlichen Ergebniszahlen. Allein diese Reedereien häuften in den letzten fünf Jahren sechs Milliarden Euro Verluste an. Die drei P3-Reedereien könnten sich der Abwärtsspirale entziehen. Ihre Bestandsflotte ist nach Zahlen von MDS Transmodal mit durchschnittlich 8811 TEU größer als die der beiden anderen Großallianzen G6 mit Hapag-Lloyd (6805) und CKYHE (6778). Auch die Neubauten sind mit 12.534 TEU größer als die von CKYHE (11.800) und G6 (11.200 TEU). Die Folge: Die Megacarrier dominieren auf der Rennstrecke zwischen Europa und Asien. Kleinere Schiffe müssen ausweichen, beispielsweise auf den Transatlantik oder den Südamerikapfad. Dort verdrängen sie wiederum kleinere oder ineffizientere Tonnage. Die großen Verlierer sind am Ende die Besitzer von zu kleinen Schiffen oder Schiffen, die auf keiner Relation vernünftig ausgelastet werden können. Es gibt aber auch Analysten, die nicht glauben, dass die Suppe so heiß gegessen wird, wie sie derzeit kocht. Drewry hat beispielsweise errechnet, dass allein das Slow Steaming 34 Prozent der neu auf den Markt kommenden Kapazitäten neutralisiert. 2007 wurden acht Schiffe auf einem Europa-Fernost-Loop benötigt, heute sind es elf. Dazu kommt die Abwrackung älterer und kleinerer Schiffe. Für Sea-Intel-Analyst Lars Jensen ist das jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein. Alleine um den derzeitigen, von Überkapazitäten geprägten Status zu erhalten, müssten 25 Prozent der weltweiten Containerflotte mit einer Kapazität von unter 3000 TEU verschrottet werden. Dies sei völlig unrealistisch, warnte Jensen. Viele Charterreeder stehen vor dem Aus Folge des Wettlaufs zu mehr Größe wird wohl unweigerlich eine Marktbereinigung sein. Christian Nieswandt, Geschäftsführer im Schiffsfinanzierungsbereich der HSH Nordbank, sieht vor allem bei den Charterreedern in der Trampschifffahrt eine Konsolidierungswelle. Von derzeit 300 Reedern in diesem Bereich werden seiner Schätzung nach etwa 100 selbstständig am Markt bleiben. Das wird nicht zuletzt auch kleinere deutsche Unternehmen treffen. Ein Reeder brauche 30 bis 35 Schiffe, um eine kritische Masse zu haben. Unter diesen Vorzeichen sagt der Banker auch der deutschen Flagge einen Bedeutungsverlust voraus. "Wir steuern auf ein Oligopol mit drei dominanten Konsortien zu: P3, G6 und CKYHE", sagt Mike Garratt, Geschäftsführer bei MDS Transmodal (siehe Grafik Seite 25). Verlader und Spediteure sehen die Allianzen mit gemischten Gefühlen. Jochen Gutschmidt, Chef des weltweiten Transporteinkaufs beim Lebensmittelkonzern Nestlé, ließ auf der Global Liner Shipping Conference durchblicken: "Die Allianzen sind nicht kunden-, sondern carrierorientiert." Gutschmidt befürchtet, dass bereits vorhandene Qualitätsprobleme weiter zunehmen. Die Verlader kritisieren die kurzfristige Streichung von Schiffsreisen - ein Mittel, dass die Reeder zur Kapazitätssteuerung nutzen. Nestlé-Manager Gutschmidt befürchtet bei den Allianzen mehr Intransparenz. Auch die Einhaltung von Absprachen werde erschwert, wenn der Transport bei einem Allianzpartner gebucht und von einem anderen durchgeführt werde. So lange es keine zuverlässige Performance gebe, so lange gäbe es keine Preisstabilität mahnte Gutschmidt Als Vorteile der Allianzen sieht Gutschmidt möglicherweise sinkende Raten aufgrund des Einsatzes von größeren Schiffen. Eine Chance sei es auch, dass im Vor- und Nachlauf intermodale Transportketten aufgrund des höheren Aufkommens besser ausgelastet werden könnten. Kritik an den Angeboten der Reeder übte Adam Rashid, International Solutions Manager bei Sony Supply Chain. Rashid kritisierte die fehlenden Alternativen zum Slow Steaming. Neben den normalen Diensten müsste es mehr schnelle Schiffe geben - als Alternative zur Luftfracht und den Sea-Air-Services.