Sind die Paketdienste fit für morgen?

In Deutschland werden 2024 voraussichtlich rund 4,2 Milliarden Pakete versendet, mehr als in den letzten beiden Jahren, aber immer noch über 300 Millionen Sendungen weniger als im pandemiebedingten Peak von 2021. Der Online-Handel ist dabei ein wichtiger Treiber des Paketgeschäfts. Mit den großen Handelsplattformen wie Amazon, Alibaba, Shein oder Temu hat sich allerdings für den Retail-Markt und die Paketunternehmen die Kundenstruktur entscheidend verändert. Macht der Online-Giganten Die Online-Giganten konzentrieren enorme Paketmengen unter ihrem Dach. Bei der Vergabe ihrer Volumina haben sie konkrete Preis- und Serviceanforderungen - und die entsprechende Marktmacht. Wer diese Mengen nimmt, muss zwingend einen Blick auf die eigene Profitabilität für diese Kunden haben und den Fall einkalkulieren, dass von diesen Großkunden auch Mengen abgezogen werden könnten. Im Unterschied zu Temu und Shein baut Amazon seit 2015 sein eigenes Logistiknetz aus und hat in Deutschland im Zustellgeschäft inzwischen einen Marktanteil von schätzungsweise bis zu 25 Prozent. In den USA ist Amazons Marktanteil sogar noch höher. Nach wie vor arbeitet Amazon in jedem Land auch mit externen Dienstleistern zusammen, zumeist mit den staatlichen Postgesellschaften, die aufgrund ihrer fixkostengetriebenen Systeme und des Kontrahierungszwangs diese Mengen auch zu günstigen Preisen aufnehmen, genauso wie private Dienstleister, die sich auf die geforderten Konditionen einlassen. Mengenschwankungen, die im E-Commerce typisch sind, kann Amazon auf diese Weise gut ausbalancieren. Service und Qualität Pakete abholen, Pakete zustellen - was sich simpel anhört, ist ein komplexes Logistiksystem, besonders in Zeiten von E-Commerce. Bereits in den letzten Jahren haben Paketdienste ihre Servicequalität deutlich angepasst. Heute sind Liefertermine und Zustelloptionen nach Wunsch und Wahl selbstverständlich, genauso wie Live-Tracking und Liefer-Avis, Paketshops und zunehmend auch Packstationen sowie der bequeme Retouren-Service. Mit der Transformation zur Circular Economy, deutsch Kreislaufwirtschaft, wird künftig die gesamte Rücknahmelogistik weiter an Bedeutung gewinnen, um Reparaturen und Recycling zu ermöglichen - Paketdienste sind für diese Aufgabe prädestiniert. Auch Kreislaufsysteme für wiederverwendbare Verpackungslösungen gewinnen an Bedeutung, erste Partnerschaften gibt es bereits. Umso wichtiger ist es, dass die Paketdienste gut vorbereitet sind. In den letzten Jahrzehnten haben alle Anbieter kräftig in ihre Infrastruktur investiert sowie in Digitalisierung und Servicequalität. Zum einen entspricht dieser Service der Erwartungshaltung von Kunden und Empfängern. Zum anderen haben Paketdienste ein hohes Interesse daran, Sendungen direkt beim ersten Versuch zustellen zu können. Die letzte Meile ist am teuersten. Früher galt der Grundsatz "Vorlauf schlägt Nachlauf". Heute ist der Nachlauf, also die Nähe zum Zustellpunkt in Verbindung mit digitaler Tourenoptimierung, entscheidend, um den Anforderungen der Privatempfänger zu entsprechen. Engmaschige Depotstrukturen im ganzen Land sind und bleiben besonders wichtig, um eine flächendeckende und schnelle Zustellung zu gewähren. Convenience + Preis-Sensibilität Ebenso wurde ESG-konform in nachhaltige Gebäude, automatisierte, effizientere Fördertechnik, citynahe Mikro-Depots und umweltschonendere Zustellfahrzeuge investiert. Auch wenn es bereits Zustellversuche mit autonomen Fahrzeugen und Drohnen gibt, bleibt in Zukunft der Mensch für die letzte Meile entscheidend. Zustellfahrerinnen und -fahrer werden in Zukunft weitere Aufgaben übernehmen, um die digitale mit der physischen Welt zu verbinden. Bereits heute leisten sie Identitätsprüfungen, nehmen Retouren entgegen, wickeln Zahlungen ab, beraten Kunden und führen alternative Zustellungen durch. Sinkende Profitabilität Trotz der höherwertigen Serviceleistungen ist die Zahlungsbereitschaft der Kunden aber nicht gestiegen. Endverbraucher haben generell eine hohe Preissensibilität, die umso ausgeprägter ist angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Der Online-Handel ist bestrebt, die Logistikkosten möglichst niedrig zu halten bei zeitgleich steigenden Service-Anforderungen. Gleichzeitig sind die Paketdienste mit rapiden Kostensteigerungen belastet: aufgrund der angespannten geopolitischen Situation mit dauerhaft hohen Energiekosten, deutlich steigenden Lohnkosten, die durch die Tarifrunden wohl auch in Zukunft weitergetrieben werden, Kosten durch hohe und neue Regulierungsauflagen, CO2- und Mautbepreisung. Außerdem sind Paketdienste mit höheren Aufwänden aufgrund von akutem Personal- und Fahrermangel konfrontiert und einer maroden Infrastruktur, in der es sich mancherorts mehr staut, als dass es fließt. Die Profitabilität vieler Paketunternehmen hat dadurch gelitten, manche arbeiten bereits nicht mehr kostendeckend. Das hat auch damit zu tun, dass einige Paketdienste während der Pandemie zusätzliche Kapazitäten geschaffen haben, die heute nicht mehr adäquat sind. DPD kündigte Ende 2023 Restrukturierungsmaßnahmen an und streicht Stellen. Auch andere Paketdienste haben deutliche Rückgänge in ihren Ergebnissen hinnehmen müssen. KI transformiert KEP-Branche Hohe Kosten, steigende B2C-Mengen an Endverbraucher, sensible Preise: Wie können Paketdienste mit diesen Herausforderungen umgehen? Die Antwort lautet zusammengefasst: konsequente Kostenoptimierung, nicht nur Cost Cutting, sondern insbesondere Effizienzsteigerungen durch die weitere Digitalisierung, den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Automatisierung. Das sind wichtige Stellschrauben zur Optimierung der Unternehmenssituation in Bezug auf Mitarbeitende, die Service-Optimierung und ein Mehr an Effizienz. Künstliche Intelligenz hat bereits begonnen, die Kurier-, Express- und Paketbranche (KEP) zu transformieren. Besonders auf der letzten Meile treibt sie zahlreiche Innovationen und wird in Zukunft für Unternehmen unverzichtbar sein. Der Einsatz von KI beginnt bei der Optimierung der Abholprozesse und endet bei der Zustellung. Algorithmen optimieren die Tourenplanung und passen Lieferrouten auf Basis historischer Verkehrsmuster, Wetterbedingungen und Echtzeitverkehrsdaten dynamisch an. Die Fahrzeuge werden bestmöglich ausgelastet, Fahrer entlastet, Staus werden umfahren und vergebliche Abholungen und Zustellungen minimiert. Außerdem führt die proaktive Kommunikation zu einer höheren Effizienz: Echtzeit-Tracking und Lieferstatus informieren Paketempfänger zum Beispiel nicht nur besser, sondern ermöglichen ihnen auch zu handeln: So können Paketempfänger heute schon mitentscheiden, wann und wo ihr Paket ankommen soll. Paketshops und Packstationen helfen überdies, direkt beim ersten Versuch erfolgreich zuzustellen. Last, but not least ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten für Paketdienste erforderlich und führt zu Ressourcenoptimierung. Wichtig ist dabei die Maxime: "Green is lean and green saves money". ESG-Anforderungen sind die Basis unserer gesellschaftlichen Verantwortung und nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch Voraussetzung dafür, Kundenanforderungen zu entsprechen. Fokus aufs Kerngeschäft Paketlogistik ist ein Mengen- und Massengeschäft, das im System so effizient wie möglich abgewickelt werden muss. Flexibilität sowohl in der Abholung als auch in der Zustellung funktioniert nur so lange, wie sie den hocheffizienten Fluss der Pakete nicht stört. Paketdienste kalkulieren oft bis auf die dritte Stelle nach dem Komma. Für die klassischen Paketdienste ist deshalb die Konzentration auf das Kerngeschäft essenziell. Die geografische Ausweitung bietet Wachstumspotenzial und ist richtig, um relevante Märkte miteinander zu verbinden. Die prozessualen Kenntnisse können dabei in neue geografische Gebiete übertragen werden und zu profitablem Wachstum führen. Die Diversifizierung des Angebots eines klassischen Paketunternehmens, zum Beispiel auf Fulfillment-Services oder auf Nischenmärkte wie Lebensmittelzustellung, medizinische Lieferungen oder Expressdienste, ist kritisch zu sehen. Denn für alle diese Bereiche gibt es bereits hochspezialisierte Anbieter, und es führt zu mangelndem Fokus auf das eigene Kerngeschäft. Für den klassischen Paketdienst bedeuten solche Zusatzangebote hingegen Nachholbedarf an Wissen und Praxiserfahrungen sowie Aufbau entsprechender Infrastrukturen. Das ist teuer! Neues Zustelltempo Ein Paket innerhalb einer Regellaufzeit von 24 Stunden zuzustellen, ist der bestehende Standard-Service der Paketdienste. Angesichts der sinkenden Profitabilität stellt sich die Frage, ob solche Laufzeiten tatsächlich immer notwendig sind. Der Verbraucher will vor allem Zuverlässigkeit in der Zustellung, nicht aber unbedingt Geschwindigkeit. Die Bündelung von Paketen über den Wochenverlauf könnte deshalb ein marktverträglicher Weg sein, effizienter zu produzieren. Mengenschwankungen im Wochenverlauf, die gerade im B2C-Bereich typisch sind, werden besser austariert und die Systeme konstanter ausgelastet. Schneller bedeutet Express zu einem höheren Preis; Standard heißt langsamer, aber günstiger. Das gelingt aber nur, wenn die Zuverlässigkeit zu einem hohen Prozentsatz sichergestellt ist. Es würde bei dem Versender liegen zu entscheiden, welches Zustelltempo ihm zu welchem Preis wichtig ist. Autor Rico Back, SKR AG Rico Back ist Geschäftsmann, Unternehmer und seit über drei Jahrzehnten in führenden Positionen in der globalen Logistik- und Paketbranche tätig. Er war unter anderem Mitbegründer und CEO des Paketdienstes GLS. 2016 bis August 2020 war Rico Back CEO der Britischen Post Royal Mail Group. Heute arbeitet er als Managing Partner der SKR AG in Zürich, Schweiz, die sich auf Investitionen und Dienstleistungen für Vorstände, Topmanager und Investoren spezialisiert hat.

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