Er würde den Finger wieder heben

Interview Er würde den Finger wieder heben Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) im Endspurt. Im Interview mit der VerkehrsRundschau zieht er Bilanz seiner Amtszeit und erläutert, was noch auf seiner Arbeitsliste steht – die er im Smart- phone immer bei sich trägt. Stuttgart 21, Flughafen Berlin-Brandenburg, Nord-Ostsee-Kanal: Als Verkehrs-minister stehen Sie momentan wegen vieler Themen in der Kritik. Sind Sie in dieser Situation noch gerne im Amt? Natürlich! Als ich das Ministerium vor gut drei Jahren übernommen habe, wusste ich ungefähr, was auf mich zukommt. Ich habe viele Jahre als Generalist gearbeitet und komme noch dazu aus der Wirtschaft. Da bin ich nicht als „Greenhorn“ an diese Aufgaben herangegangen. Wenn man allerdings zur Zielscheibe wird, weiß man aber auch, dass diejenigen, die dahinterstecken, eigentlich woanders hinzielen müssten. Dorthin, wo in der Vergangenheit die Versäumnisse lagen. Und das wissen diese Leute auch. Solche Zielversuche halten in der Regel nicht lange, da es ihnen an der Legitimation mangelt. Das Erbe an politisch geerbten Projekten ist also gewaltig – ob Stuttgart 21, BER oder NOK. Woran liegt es, dass man sich in Deutschland mit Großprojekten so schwer tut? Vorneweg: Deutschland kann Großprojekte umsetzen! Wir brauchen aber gerade bei Großprojekten wesentlich mehr Informationen, Kommunikation und Erfahrungsaustausch. Also im besten Sinne Bürger- und Expertenbeteiligung. So kann das Vertrauen in die Bauherren und die Akzeptanz von Großprojekten gestärkt werden. Wir wollen Lehren aus den Fehlern bei aktuellen Großprojekten ziehen und Leitlinien für künftige Großprojekte aufstellen. Die von mir gegründete Kommission wird sich mit dem gesamten Bauprozess von Großprojekten befassen – von der ersten Projektidee bis zur Inbetriebnahme. Nach dem Motto: Erst planen und kalkulieren, dann bauen! Die Kommission wird ein „Handbuch Großprojekte“ erarbeiten, als Handlungsempfehlung für alle Beteiligten. Ähnlich dem bereits vom BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Anm. d. Red.)erstellten „Handbuch Bürgerbeteiligung“ für die Einbindung der Bevölkerung und mehr Transparenz bei Baumaßnahmen. Was hatten Sie sich bei Ihrem Amtsantritt vorgenommen? Eines der großen Themen war, eine andere Basis für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu schaffen. Außerdem, die Instandhaltung der Infrastruktur stärker zu priorisieren als den Neu- und Ausbau. Eine Beschaffungsvariante ist die PKW-Maut. Es war mir klar, dass sich so etwas nicht in einer Legislaturperiode durchsetzen lässt, da sie nicht ausdrücklich im Koalitionsvertrag steht. Trotzdem hat die Diskussion darüber zu zusätzlichen Finanzierungsschüben für die Infrastruktur geführt. Die Unterfinanzierung der Verkehrswege ist ein permanentes Problem. Sie priorisieren Erhalt vor Ausbau? Ja. Das berührt auch die wichtige Frage, was uns unsere Infrastruktur wert ist. In dieser Legislaturperiode konnte ich für alle Verkehrsträger 2,75 Milliarden Euro für meinen Etat zusätzlich erkämpfen. Trotzdem: Es hilft nur ein weiteres Aufstocken der investiven Mittel im Verkehrsetat. Wie lautet Ihre Bilanz nach gut drei Jahren Amtszeit? Wenn ich gegen Ende meiner ersten Legislaturperiode alles addiere, was ich mit meinen tüchtigen Mitarbeitern im Ministerium angepackt habe, dann ist das schon beachtlich. Warten Sie (Ramsauer greift nach seinem I-Phone), ich habe während einer längeren Zugfahrt die bearbeiteten Themen aufgeschrieben und den Notizzettel fotografiert: Begleitetes Fahren mit 17, das Personenbeförderungsgesetz, Fernbusse, lärmabhängiges Trassenpreissystem, die Schilderwaldnovelle, LKW-Maut auf vierstreifigen Bundesstraßen, Altkennzeichen – auf Wunsch der Länder –, das Berliner Stadtschloss, das allgemeine Eisenbahngesetz, Wechselkennzeichen, die Baugesetznovelle, Aktionsplan Güterverkehr und Logistik, Lang-LKW … Lang-LKW – würden Sie das Thema unter Erfolge oder Misserfolge einreihen? Unter Erfolge. Wir haben mit unserer Verordnung die Grundlagen für den fünfjährigen bundesweiten Feldversuch geschaffen. Sieben Länder nehmen von Anfang an teil. Baden-Württemberg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt tolerieren den Versuch oder haben aktiv eigene Strecken gemeldet. Nach der zweiten Erweiterung unseres Positivnetzes haben wir nun rund 10.000 Kilometer auf denen gefahren werden kann! Jetzt ist das Transportgewerbe gefragt. Ich sage: es ist ein lernendes System – jederzeit kann jede Spedition, jedes Land und jede geeignete Strecke hinzukommen. Und noch eins: Niemand sollte sich von ideologischen Vorurteilen oder Panikmache abschrecken lassen! Welches ist der wichtigste noch offene Punkt auf der To-do-Liste? Die Reform des Verkehrszentralregisters zum Beispiel. Dieses Thema ist wichtig, weil es um mehr Verkehrssicherheit geht. Momentan befindet es sich im Gesetzgebungsprozess. Ansonsten beschäftigt mich das Eisenbahnregulierungsgesetz, die Wasser- und Schifffahrtsreform, die Mauthöheverordnung, die Kraftstoffstrategie, die wir noch durch das Kabinett bringen werden, die Mautschiedsverfahren und die Abschaffung des Schienenbonus. ➞ Stichwort Mauthöheverordnung. Es gibt eine breite Meinung, dass sie aus Zeitgründen nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, wie es momentan geplant ist. Ich hoffe, wir bleiben im Zeitplan. Sie haben in der VerkehrsRundschau kürzlich eine Wette angeboten: Wir würden das Wegekostengutachten verzögern, um die externen Kosten unter den Tisch zu kehren und sie nach der Wahl wieder hervorzaubern zu können. Diese Wette nehme ich an. Ich sorge auch dafür, dass Ihr sie gescheit verliert! Dann tritt die neue Maut Anfang Oktober in Kraft? Ich möchte glaubwürdig bleiben. Das ist der Grund, warum ich die neuen Mautsätze auf Basis des neuen Wegekostengutachtens noch vor der Bundestagswahl fertig stellen will. Für die Unternehmen muss es Verlässlichkeit geben. Ziel ist, die neuen Mautsätze spätestens in der letzten Sitzungswoche im Bundestag zu verabschieden. Die letzte Sitzungswoche – da gibt es dann aber keinen Zeitpuffer mehr. Den Termin in der letzten Sitzungswoche des Bundestages brauchen wir nur, wenn der Bundesrat gegen den Gesetzentwurf Einspruch einlegt. Der Bundestag könnte diesen Einspruch dann überstimmen. Wann wird das Wegekostengutachten vorgestellt? Erste Ergebnisse des Wegekostengutachtens werden im Frühjahr vorliegen. Wie teuer wird es für das Gewerbe? Mittlerweile stehen ja bereits Mauterhöhungen von 50 Prozent im Raum. Da müsste ich jetzt aus dem Kaffeesatz lesen. Aber 50 Prozent – so etwas sollte man nicht in Umlauf setzen, denn es vervielfältigt sich und erzeugt Fantasien. Mit welcher Höhe rechnen Sie? Ich werde mich jetzt auf keine Spekulation einlassen. Wir rechnen damit, dass die Einspareffekte durch die Verbesserung der Fahrzeuge eine Lenkungswirkung erzeugen. Bereits heute werden fast 83 Prozent der mautpflichtigen Fahrleistungen von den besonders umweltfreundlichen LKW erbracht. Sie sind ein Befürworter der PKW-Maut. Wird die im Koalitionsvertrag stehen, falls die Regierungskoalition nach der Wahl bestehen bleibt? Die PKW-Maut wäre das effektivste Mittel, um die Finanzierung der Infrastruktur zu verbessern. Bei der Realisierung kann man sich alle Varianten vorstellen. Am schnellsten ginge es sicher mit einer Vignette – nach Vorbild von Österreich und der Schweiz. Dann auch für Fahrzeuge unter 12 Tonnen? Die würden natürlich auch einbezogen. Man müsste es staffeln. Bis 3,5 Tonnen die Summe X, dann bis 7,5 Tonnen ein wenig mehr. Und so weiter. Die Daehre-Kommission hat ein Instrumentarium an Finanzierungsmöglich- keiten vorgelegt. Welche sind für Sie realistisch umsetzbar – außer der PKW-Maut? Der Abschlussbericht ist wahrlich ein großer Wurf. Immerhin haben sich 16 Länder auf einen Werkzeugkasten geeinigt, auch wenn sich hinterher dann jeder individuell daraus bedienen wird. Durch die Not, in der sich alle befinden, wird es unter der nächsten Bundesregierung zu irgendeiner Art von zusätzlicher Nutzerfinanzierung kommen. Da brauchen wir dank Daehre nur die Schublade aufmachen. Mit zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass wir Zug um Zug vierstreifige Bundesstraßen in die Maut einbeziehen werden. Dafür müssen die On-Board-Units nur mehr Speichermöglichkeit bekommen. Es sind also deshalb nicht mehr Bundesstraßen bemautet, weil die Obus nicht leistungsfähig sind? Ja. Wir hätten statt der 1135 auch 2000 Kilometer aufnehmen können. Eigentlich wären es fast 4000 Kilometer. Die 1135 Kilometer sind also nur ein Anfang. Allein seit Start im August 2012 bis Februar 2013 wurden hier 61,5 Millionen Euro eingenommen. Nachdem das Geld in den Verkehrshaushalt fließt, hat das Gewerbe auch etwas davon. Es gibt massenhaft Wünsche für den Ausbau und Erhalt von Bundesstraßen. Hierfür verwenden wir die Maut. Ein klassischer Finanzierungskreislauf also. Zur Mautbetreibergesellschaft Toll Collect: Es kursieren die verschiedensten Gerüchte, was die Zeit nach dem Vertragsende mit Toll Collect betrifft ... Da ist in den Medien viel zu viel spekuliert worden. Am 31. August 2015 läuft der Vertrag mit Toll Collect aus. Die erste Alternative wäre, etwas völlig Neues zu machen. Ein völlig neues System mit völlig neuer Technik. Mein Vor-Vorgänger Stolpe und mein Vorgänger Tiefensee haben mit so einer Situation ihre Erfahrungen gemacht – und wir jetzt zwei Schiedsverfahren am Hals. Ich möchte das ungern fortsetzen und Verfahren drei, vier und fünf verhandeln. Deswegen denken wir darüber nach, den Vertrag zu verlängern beziehungsweise die Call-Option zu ziehen. Wir sind momentan mitten in den Gesprächen. Wann wird es beim Mautschiedsverfahren eine Einigung geben? Wann formal gesehen ein Spruch des Schiedsgerichts erfolgen wird, kann niemand sagen. Der Schiedsrichter lässt sich nicht in die Karten schauen. Faktisch ist es jedoch so, dass wir bereits heute monatlich acht Millionen Euro Maut extra einbehalten. Wir sind mit allen Beteiligten im Gespräch. Und ich bitte um Nachsicht, dass ich keine Details nennen werde. Rund um die Maut gibt es momentan noch andere Gerichtsverfahren. Ist es für Sie denkbar, dass die Maut zurückgezahlt werden muss, wie es bereits spekuliert wird? Zu einem schwebenden Verfahren darf ich mich nicht äußern. Jedoch hoffe ich, dass wegen 25 Euro am Ende nicht das Gesamtsystem aus den Angeln gehoben wird. Aus den Angeln gehoben werden momentan zumindest die Schleusentore in Brunsbüttel. Eigentlich sind Sie angetreten, den Verkehrsträger Binnenschiff zu stärken. Was tun Sie jetzt? Also zunächst: Schleuse eins ist repariert, an Schleuse zwei arbeiten wir mit Hochdruck. Für den Neubau der dritten großen Schleuse haben wir genau an diesem Tisch hier schon Anfang Dezember 2011 von der ersten Zusatzmilliarde 300 Millionen Euro für die Schleuse Brunsbüttel abgestellt. Es handelt sich hier um ein anspruchsvolles Großprojekt des Wasserbaus. Deshalb werden die komplexen Ausschreibungsunterlagen vor Veröffentlichung einer umfassenden Qualitätsprüfung unterzogen werden. Das hat sich als richtig erwiesen. Der Bau ist aufwendiger als zunächst geplant und wir erwarten entsprechende Mehrkosten. Erst vor wenigen Tagen hat der Haushaltsausschuss grünes Licht gegeben, das Budget noch einmal um 75 Millionen Euro aufzustocken. Damit ist erstmals die Finanzierung gesichert, seit der Planungsauftrag für die Sanierung der großen Schleusen 2007 erteilt wurde. Das hat alles Zeit gekostet. Aber: Die Zeit ist gut investiert. Eine solide Planung ist Voraussetzung für einen zügigen Bau und Kostenwahrheit von Anfang an. Jetzt steht der Ausschreibung nichts mehr im Wege. Mit der Wasserstraßen- und Schifffahrtsreform haben Sie sich in der Binnenschifffahrt allerdings nicht nur Freunde gemacht. Erstmals haben wir bei Wasserstraßen einen Netzplan geschaffen, Prioritäten gesetzt. Denn das Gießkannenprinzip bringt das Land nicht nach vorn. Ich denke, dass es mir in den letzten drei Jahren gelungen ist, mehr Bewusstsein für diesen unterschätzten Verkehrsträger zu schaffen. Wenn man mehr Zuverlässigkeit und Kalkulierbarkeit generiert, dann wird die Binnenschifffahrt auch stärker akzeptiert werden. Mit mehr Geld könnten wir hier noch einiges bewirken, beispielsweise beim Schiffshebewerk Scharnebeck. Falls nach der Wahl das Amt des Verkehrsministers wieder für die CDU/CSU zur Disposition stünde, würden Sie Ihren Finger heben? Ich mache das jetzt seit dreieinhalb Jahren. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass vier Jahre eigentlich gar nichts sind. Viele Dinge sind von der politischen Superhelix her so gestrickt, dass sie Kontinuität brauchen, über eine Legislatur hinaus. Ich würde gerne wieder anpacken, Deutschland verkehrs- und baupolitisch weiter voranbringen. Die gesamte Materie macht mir unheimlich große Freude. Kurzum: Ich werde meinen Finger heben. ❙❚■ Birgit Bauer, Dietmar Winkler Vita Peter Ramsauer Er ist der erste Verkehrsminister, der eine CD eingespielt hat: Auf „Adagio im Auto“ gibt er das Klavierkonzert Nr. 21 von Mozart zum Besten. Die goldene Schallplatte und eine große Spende für die Aktion Kinder-Unfallhilfe aus dem Reinerlös bezeugen den Erfolg der Aktion. Mit dem Gedanken, als Pianist Karriere zu machen, hatte der Oberbayer tatsächlich gespielt. Am 10. Februar 1954 in München geboren, studierte Ramsauer Betriebswirtschaft und promovierte 1985 an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Vorher machte er eine Müller-Lehre, die er 1977 als Geselle abschloss. 1980 legte er die Meisterprüfung ab. Ramsauer ist Inhaber des Familienunternehmens Ramsauer Talmühle aus Traunwalchen, ein Elektrizitätswerk. Er gilt als Mitbegründer der Schülerunion in Bayern im Jahr 1972. Seit 1990 sitzt er als direkt gewählter Abgeordneter für die CSU im Bundestag. 2005 bis 2009 war er Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, seit 2008 ist er stellvertretender Parteichef. Im Oktober 2009 hat er das Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung übernommen. bb Die Serie Bundestagswahl 2013 Die VerkehrsRundschau startet den Wahlkampf und spricht mit den wichtigsten Verkehrspolitikern über die Pläne der Parteien VR 13: Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer VR 15: Anton Hofreiter, Verkehrsexperte von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzender des Verkehrsausschusses VR 22: Sören Bartol, verkehrspolitischer Sprecher der SPD Podiumsdiskussion Verkehrspolitik trifft Logistik Im Rahmen der Münchner Messe Transport Logistic 2013 veranstaltet die VerkehrsRundschau am 6. Juni von 14 bis 15:30 Uhr die Podiumsdiskussion „Verkehrspolitik trifft Logistik: Wie geht’s weiter nach der Bundestagswahl?“ Die verkehrspolitischen Vertreter von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen stellen sich den aktuellen Fragen der Transport- und Logistikbranche. Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht die Frage: Welchen Weg geben die Volksvertreter dem Güterverkehr nach der Bundestagswahl im kommenden Herbst vor? Außerdem werden die aktuellen Ergebnisse des VerkehrsRundschau-Politikbarometers 2013 präsentiert. Eine aktuelle Befragung zeigt die Forderungen und das Wahlverhalten der Transport- und Logistikbranche. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist im Rahmen des Messebesuchs kostenlos. Das Programm finden Sie unter www.verkehrsrundschau.de/events „Es war mir klar, dass sich die PKW- Maut nicht in einer Legislatur- periode durchsetzen lässt“ Peter Ramsauer Bundesverkehrsminister „Wir werden Zug um Zug vierstreifige Bundesstraßen in die Maut einbeziehen “ Peter Ramsauer Bundesverkehrsminister ✗ „Erstmals haben wir bei Wasserstraßen einen Netzplan geschaffen, Prioritäten gesetzt“ Peter Ramsauer Bundesverkehrsminister