Emissionshandel im Luftverkehr

Emissionshandel im LuftverkehrReibungsloser StartSeit drei Wochen ist der Luftverkehr in den europäischen Emissionshandel eingebunden. Trotz heftiger Proteste aus Nicht-EU-Ländern im Vorfeld gab es bisher kaum wahrnehmbare Reaktionen der Gegner.An herben Drohungen im Vorfeld mangelte es nicht: Von einem heraufziehenden „Handelskrieg“ war die Rede, von einer „neokolonialen EU-Politik“ oder der „Einschränkung von Verkehrsrechten europäischer Fluglinien“ durch die USA, Indien, China oder Russland. Noch am 16. Dezember kündigten US-Außenministerin Hillary Clinton und Transportminister Ray La Hood in einem Mahnschreiben „deutliche Konsequenzen“ an, sollte Brüssel den internationalen Luftverkehr durch eine CO2-Abgabe belasten. Diese ist seit dem 1. Januar faktisch da. Und die Reaktion? Kaum wahrnehmbar. Weder gibt es einen Handelskrieg noch hat irgendein Staat einer aus der EU stammenden Fluglinie bislang Verkehrsrechte gekappt oder gar völlig entzogen. Der im Vorfeld erzeugte große Empörungsorkan gegen das Zertifikatesystem scheint abgeebbt; konkrete Folgeschäden sind nicht wirklich sichtbar. Die Ruhe aber könnte trügerisch sein. Denn gegenrechnen müssen die innerhalb der Gemeinschaft sowie von und in die Europäische Union fliegenden Airlines ihre Klimazertifikate mit den tatsächlich durchgeführten Flügen erstmals am 30. April 2013. Viel Zeit also für Moskau, Peking und Co, ihre politischen und wirtschaftlichen Folterwerkzeuge doch noch aus dem Keller zu holen. China weiterhin auf KonfrontationskursEinen ersten Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen lieferte jetzt Chai Haibo, der stellvertretende Vorsitzende des amtlichen Luftfahrtverbandes China Air Transport Association (CATA). Er erteilte der Kooperation mit der EU beim Emissionshandel, sicher mit Rückendeckung seiner eigenen Regierung, kurz nach der Jahreswende eine deutliche Abfuhr. „Die chinesischen Fluglinien werden keine Verschmutzungsrechte kaufen“, stellte der Behördenvizechef unmissverständlich klar. Immerhin bindet diese Aussage Größen wie Air China, China Eastern, China Southern und Hainan Airlines, also die führenden vier Gesellschaften des Landes. Nach Berechnungen des Verbandes würden dem Quartett durch Flüge von und nach Europa infolge des CO2-Handels im laufenden Jahr Zusatzkosten in Höhe von umgerechnet 90 Millionen Euro entstehen. Diese Extraausgaben durch die Erhebung von Sondergebühren oder Zuschlägen zu neutralisieren, lehnte Funktionär Haibo kategorisch ab. Seine Ankündigungen belegen, dass die staatliche chinesische Luftfahrt weiter auf strammen Konfrontationskurs mit Brüssel setzt. Und was tun die Fluglinien des Landes? Sie haben brav die Zuteilung kostenloser Zertifikate bei der EU beantragt. Nach dem Motto: erst einmal nehmen und dann sehen, wie es weitergeht. Allerdings beteiligen sie sich damit – wenngleich zunächst kostenneutral – entgegen der Pekinger Vorgabe aktiv am Handelssystem. Dieses sieht vor, die durch den Luftverkehr verursachten CO2-Emissionen im laufenden Jahr um drei Prozent im Vergleich zum rechnerischen Basiszeitraum von 2004 bis 2006 zu verringern. In der Folgezeit sollen die Treibhausgase jährlich um fünf Prozent reduziert werden. Die meisten Zertifikate sind kostenlos Allein die Deutschland anfliegenden oder hier beheimateten Airlines erhalten 2012 insgesamt 42,8 Millionen Zertifikate kostenlos zugeteilt. In den Anschlussjahren bis 2020 sind es jeweils 40,5 Millionen Verschmutzungsscheine pro Jahr. Kommen Airlines mit ihren Kontingenten nicht aus, müssen sie zusätzliche Klimarechte ankaufen. Ein finanzieller Hebel, der sie zum Einsatz moderner und damit spritsparender Flieger veranlassen soll. Durch die weitgehend kostenlose Zuteilung der Emissionsrechte bis 2020 sollen Preissteigerungen bei Tickets und Luftfracht gering gehalten werden, argumentiert die beim Umwelt-Bundesamt angesiedelte Deutsche Emissionshandelsstelle. Sie hat ausgerechnet, dass hierdurch für einen Hin- und Rückflug zwischen Berlin und Mallorca Mehrkosten von lediglich drei Euro in 2012 anfallen. Auch die Lufthansa, noch immer ein prominenter Gegner des Handelssystems, ist von ihrer noch im Oktober vergangenen Jahres geäußerten Prognose von rund 300 Millionen Euro an Zusatzbelastungen für 2012 mittlerweile abgerückt und beziffert diese neuerdings mit 130 Millionen Euro, die ihr durch den CO2-Handel entstehen. Trotz dieser graduellen Entwarnung belastet der EU-Klimavorstoß vor allem die europäischen Luftverkehrsgesellschaften. Denn das System ist eine Insellösung, gültig nur für das Verkehrsgebiet EU und nicht weltweit. Die Folge für Lufthansa, Air France-KLM oder British Airways: Sie müssen für alle ihrer in Europa beginnenden und endenden Flüge Emissionsberechtigungen für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid erwerben. Airlines aus der EU sind benachteiligt Anders bei jenen Gesellschaften, deren Drehscheiben außerhalb Europas liegen, etwa die in Istanbul ansässige Turkish Airlines oder Emirates Airlines aus Dubai. Von ihnen kann Brüssel nur den Erwerb von Verschmutzungsrechten für die Umläufe zwischen ihren Heimatairports und den jeweiligen EU-Flughäfen einfordern. Außen vor bleiben deren Anschlussflüge nach Sydney, Hongkong oder Nairobi, die jenseits der EU stattfinden. Damit haben diese Anbieter gegenüber Finnair, Condor und Co einen finanziellen Wettbewerbsvorteil. Gleiches gilt für das bloße Überfliegen europäischen Territoriums. Auch diese Verkehre sind von der Brüsseler CO2-Besteuerung ausgenommen. Dieses Über- oder Umfliegen der EU wird dank neuer Langstreckenflugzeuge wie der B787 von Boeing oder der kommenden A350 von Airbus in Zukunft deutlich zunehmen. Ebenfalls möglich: Fluglinien ändern ihre Routenpläne. Das plant der US-Paketgigant UPS, der seine Nonstop-Flüge von Köln/Bonn nach Hongkong künftig via Mumbai (Bombay) lenken will. Durch diese Zwischenlandung verringern sich die Flugkilometer und damit die anfallenden Zertifikatskosten. Laut UPS-Chef Mitch Nichols spart sein Unternehmen damit ein Viertel der CO2-Steuer im Vergleich zum Nonstop-Flug Köln/Bonn-Hongkong ein. Dem Klimaschutz allerdings hilft dieser Trick nicht – im Gegenteil. Auch deshalb hält der internationale Airline-Verband IATA nichts vom Alleingang Europas in Sachen Emissionshandel im Luftverkehr. Zwar sei der Zertifikatehandel zur CO2-Reduzierung grundsätzlich richtig, aber nur dann, wenn dies auf globaler Ebene geschehe und nicht nur auf einem singulären Markt wie der EU, argumentiert die IATA. Dieser Ansatz wird von Ländern wie Brasilien, China, den Golfstaaten oder Indien bislang gestützt. Zumindest verbal, liefert er doch die nötige Munition zur Abwehr des EU-Alleingangs. ❙❚■ Heiner Siegmund, freier Journalist Proteste vor allem aus Asien halfen nicht: Der Auftakt zum Emissionshandel ist geglücktSeit dem 1. Januar 2012 müssen Fluglinien, die in der EU sowie Island, Norwegen oder Liechtenstein starten beziehungsweise landen, für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid eine Emissionsberechtigung abgeben. Ihnen werden auf Antrag für das laufende Jahr 82 Prozent der erforderlichen Zertifikate kostenlos zugeteilt. Fünfzehn Prozent müssen sie über den Markt ersteigern. Drei Prozent hat die EU für Neugründungen reserviert. Betroffen sind neben kommerziellen oder staatlichen Passagier- und Frachtfluggesellschaften auch Betreiber privater Flugzeuge. Durch die Einbindung des Luftverkehrs in den Emissionshandel sollen die CO2-Werte schrittweise gesenkt und bis 2050 halbiert werden – gemessen am Stand der Referenzjahre 2004 bis 2006. Zuständig für die Erteilung der EU-Zertifikate sind die nationalen Regierungen, in Deutschland die dem Umwelt-Bundesamt unterstehende Deutsche Emissions-Handelsstelle (DEHSt). Ihrer Angabe zufolge haben alle großen Fluglinien die Zuteilung von Zertifikaten pünktlich bis Jahresende 2011 beantragt. Damit sind „99 Prozent der Emissionen aus dem Luftverkehr abgedeckt.“ Derzeit liegen die Kosten für den Ausstoß einer Tonne CO2 bei 7,14 Euro. Sie schwanken je nach Wirtschaftsentwicklung und lagen in 2010 periodisch noch über 18 Euro. hsEmissionshandel im Luftverkehr

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