Eine ultimative Spaß-Maschine

Als vernunftorientierter Tester nimmt man sich vor, diesem Test-Lkw ganz nüchtern entgegenzutreten und die Sinnhaftigkeit von 730 PS im normalen 40- Tonnen-Einsatz kritisch zu hinterfragen. Alles vergessen, sobald der V8 zum ersten Mal mit seinen ab 1000 Touren anliegenden 3500 Newtonmeter Drehmoment so brachial anschiebt, als wäre unser Fliegl-Test-Curtainsider nicht mit schwer wiegenden Betonsteinen voll beladen, sondern leer. Legt man's drauf an, katapultiert Scanias Flaggschiff die 40 Tonnen in aberwitzigen 31 Sekunden von null auf Reisetempo 85! Auch ein Verdienst der neuen Vorgelegewellenbremse des Opticruise-Getriebes, die beim Hochschalten die Wellen gezielt abbremst, damit die Gänge schneller einrücken können. Doch zügeln wir unser Temperament, schließlich tritt Scania mit dem Boliden auch an, um zu beweisen, dass der 730er eben keine Spritvernichtungsmaschine ist. Erste Maßnahme: den GPS-Tempomaten - CCAP genannt - aktivieren. Den haben die Schweden mit neuen Funktionen gefüttert. Der Fahrer kann jetzt zwischen verschiedenen Mindestgeschwindigkeiten wählen. Waren im Eco-Modus bislang wenig praxisnahe minus zwölf Prozent festgelegt, lässt sich das gesetzte Tempomat-Tempo nun alternativ um zehn oder acht Prozent unterschreiten. Gleiches gilt für den Standard-Modus, bei dem zu den bisherigen sechs Prozent die Alternativen minus vier und minus zwei kamen. Auch der V8 spart per GPS-Tempomat Ebenfalls neu ist die Funktion "Pulse and Glide", mit der Eco-Roll-Phasen intelligenter genutzt werden sollen. An manchen Stellen setzt das System bewusst Sprit ein und beschleunigt über die gesetzte Geschwindigkeit, wenn danach entsprechend länger in Eco-Roll "gesegelt" werden kann. Allerdings ist Pulse and Glide lediglich im Eco-Modus aktiv. Und in dem wird aus dem Power-Schweden eine Art waffenloser Krieger, wenn der Schub vor der Kuppe plötzlich aufhört und gerade überholte Lkw im Rückspiegel wieder näher kommen. Der beste Kompromiss aus Tempo und Sparen ist im 730er deshalb der Standard-Modus mit Unterschwingern von sechs Prozent. Doch auch so zeigt der V8, dass er mit 40 Tonnen hoffnungslos unterfordert ist. In der Ebene "blubbert" er mit 1080 Touren lässig dahin, auch mittelsteile Stiche werden ohne erkenn- oder hörbare Anstrengung genommen. Sobald es aber bergseitig richtig zur Sache geht, ist der V8 voll da. Dann holt er in Form einer Gang-Rückstufung einmal tief Luft und stemmt seine ganzen 3500 Newtonmeter der Steigung entgegen. Die längste Steigung unserer Testrunde, den Kindinger Berg auf der A 9 erstürmte der Test-Truck sogar im höchsten Gang mit mindestens 81 km/h. Selbst teilbeladenen Artgenossen lässt der Bolide keine Chance, zumindest an Bergen, wo zufällig mal gerade kein Überholverbot besteht ... So brachial sich der Antriebsstrang des 730er gibt, abstimmungsseitig wird er durch die luftgefederte Vorderachse (Option) zum Softie. Letztlich zwar Geschmackssache, war uns die Federung des Testwagens dadurch zu weich. Auch weil die Luftfederung einen stärkeren Rahmen erfordert, was zum hohen Testwagen- Gewicht von über acht Tonnen beiträgt, sollte man es vorn bei den fahraktiveren Blattfedern belassen. Trotz des schwerer auf der Achse lastenden V8 auch beim neuen Scania top: die Lenkung, mit der sich der Power-Greif zielgerichtet und direkt steuern lässt. Der S-Highline bietet viel Platz Die S-Highline-Kabine hat gegenüber dem R-Highline den Vorteil eines ebenen Kabinenbodens, was durchgehend 2,07Meter Innenhöhe bringt. Und zum 730er gehört einfach die große Kabine. Ebenso das breitere untere Bett, durch das der sonst im Scania fällige Kabinenumbau mit dem umständlichen Vorschub der Sitze samt Bettauszug endlich entfallen kann. Für Oberklassen-Feeling sorgt auch die perfekte Verarbeitung sowie die Haptik der Materialien und Bedienelemente. In diesem Kapitel setzt der neue Scania klar den neuen Maßstab. Alle Schalter und Knöpfe greifen sich angenehm und allein die elektrischen Fensterheber fahren so würdevoll rauf und runter, als wären sie für einen Oberklasse-Pkw entwickelt worden. Außerdem wurde der neue Greif nochmals leiser. Nur die Windgeräusche von der Sonnenblende stören die Ruhe, die dürften für viele V8-Käufer aber trotzdem dazugehören, weil's einfach besser aussieht. Und wie sieht es in Sachen Verbrauch und Tempo nach 358 Testkilometern aus? Mit 27,5 l/100 km fällt der V8-Zuschlag tatsächlich nicht so hoch aus wie befürchtet. Auch wenn der Powerschwede der Erste war, der unsere neue Testrunde mit 40 Tonnen absolvierte, und wir deshalb mit einer genauen Einordnung warten müssen, bis schwächere "Kollegen" wie der S 500 oder der Volvo FH 540 mit unserem Fliegl-Testtrailer auf Tour gehen. Beim Tempo werden die sicher nicht mithalten können. Der 730er legte fast einen 81er-Schnitt hin. Für einen Truck, der keine Berge kennt, kein Problem. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Kommentar Da wird kein Fahrer Nein sagen Niemand benötigt für 40 Tonnen 730 PS! Trotzdem finden die Power-Lkw viele Abnehmer. Zum einen weil sich so ein Bolide hervorragend als Flaggschiff des Fuhrparks macht und/oder um langjährige, verdiente Fahrer damit zu motivieren. Und ein zufriedener Fahrer fährt eben meist auch besser. Das muss dem Käufer aber einen gehörigen Aufpreis für den S 730 wert sein.Kontakt: jan.burgdorf@springernature.com Jan Burgdorf VR-Testredakteur Der Scania im TÜV-Urteil Wie bei jedem Profitest der VerkehrsRundschau begutachtete der TÜV SÜD auch den neuen Scania S 730 in Sachen Service und Wartung. Zum Modellwechsel verlängerte Scania endlich auch die Wartungsintervalle auf maximal 150.000 Kilometer. Allerdings wird dadurch ein teureres Öl nötig als bisher. Den Ölstand überwacht der Bordcomputer, wer manuell prüfen möchte, muss dafür das Fahrerhaus kippen. Oder investiert, wie beim Testwagen, in den optional lieferbaren Peilstab hinter der Frontklappe. Hinter der lassen sich auch Motoröl und Kühlwasser ergänzen. Auch das Auffüllen von Lenköl und Scheibenwaschwasser geht leicht von der Hand.Schwieriger gestaltet sich der Wechsel des Luftfilters, an den man nur bei gekippter Kabine herankommt. Eher minimalistisch fällt das Bordwerkzeug aus, das Scania mitliefert. Das wird beispielsweise benötigt, um die seitlichen Rahmenverkleidungen zu demontieren. Die müssen auch entfernt werden, um die Batterien prüfen zu können.Ein Lasterleben lang halten sollten, sofern sie nicht durch Rangierfehler beschädigt werden, die serienmäßigen LED-Rücklichter. Gleiches gilt für das optional ebenfalls in LED-Technik ausgeführte Abblend- und Fernlicht. Serienmäßig verbaut Scania H7-Scheinwerfer. bj