Den Blick auf Effizienz

Herr Nußbaum, Sie sind unter anderem Kolumnist bei der Berliner Zeitung. Finden in Ihren Beiträgen häufiger Themen aus der Verkehrswelt statt, seit Sie Vorsitzender des DVF sind? Meine Kolumne befasst sich mit politischen Entscheidungen in Berlin, die ich aus der unternehmerischen Sicht beleuchte. Um das Thema Verkehr kommt man dabei gar nicht herum, denn das ist eine der zentralen Herausforderungen in einer Metropole wie Berlin mit wachsenden Einwohnerzahlen. Welchen Verkehrsmix wollen wir? Wie können wir in Infrastruktur investieren, ohne die Stadt mit Baustellen lahmzulegen? Wie binden wir Bezirke mit steigenden Einwohnerzahlen an? Wie teilen wir den öffentlichen Raum bestmöglich zwischen den unterschiedlichen Verkehrsmitteln auf? Das sind Fragen, die sich stellen - nicht nur in Berlin. Und natürlich die Frage, wie öffentliche Infrastruktur finanziert wird. Da spielt sicherlich eher die Erfahrung aus meiner Zeit als Finanzsenator und Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Verkehrsbetriebe mit rein. Auch der ehemalige Berliner Bürgermeister, Klaus Wowereit, meldet sich regelmäßig mit Radio-Kommentaren zu Wort. Man bezeichnet Sie als seinen Vertrauten - können Sie diesen Kanal für Mobilitätsthemen nutzen? Natürlich habe ich in fast zehn Jahren in öffentlichen Ämtern viele Kontakte in Politik, Wirtschaft und Verbänden geknüpft, mit denen ich mich auch über die Aufgaben des Deutschen Verkehrsforums austauschen kann. Gerade das Thema Infrastruktur spielt dabei eine wichtige Rolle, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Als ehemaliger Finanzsenator von zwei Stadtstaaten haben Sie sicher Tipps, wie man bei den Haushältern Geld locker macht. Finanzpolitiker ,ticken' anders als Fachpolitiker. Spricht man ihre Sprache und weiß, welche Vorbehalte sie haben, kann man eher eine Brücke schlagen und die Bereiche Mobilität und Finanzen zueinanderbringen. Das spielt gerade bei dem für uns wichtigen Thema Infrastrukturgesellschaft eine Rolle und ist durchaus hilfreich. Für mich war als Finanzsenator immer wichtig, mit dem Geld der Steuerzahler verantwortlich umzugehen. Ich denke, die Haushälter wissen, wenn ich mich für etwas stark mache, dann hat das durchaus seinen Grund. Inwiefern ticken Finanzpolitiker anders? Ich hatte das jetzt natürlich etwas salopp ausgedrückt. Aber Finanzpolitiker haben in der Tat einen anderen politischen Ansatz als Fachpolitiker. Haushälter haben stets alle Ausgabenbereiche im Blick. Wenn ich als Finanzsenator in Berlin ein Budget von 24 Milliarden Euro pro Jahr verwalte, dann muss ich die Themen Kultur, Hochschulen, Kitas genauso sehen wie den Nahverkehr und die Schlaglöcher in den Straßen. Die Haushälter müssen die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Fachressorts ausgleichen. Insofern muss ich jetzt auch manchmal umdenken. Denn als Verkehrspolitiker habe ich das Recht - und auch die Pflicht - ausschließlich meinen Bereich zu sehen und dafür zu kämpfen. Genauso wie es der Wissenschafts- oder der Kulturpolitiker tut. Die Finanzpolitiker müssen das am Ende alles zusammenbringen. Der Verkehrsetat ist deutlich aufgestockt worden. Wo sehen Sie das dauerhafte Ziel? Man muss Realist sein. In den momentanen Zeiten ist es eine große Leistung der Verkehrspolitiker, den Etat aufgestockt zu bekommen. Der Investitionshaushalt des Bundes bleibt in den kommenden Jahren in etwa gleich. Wenn man davon als Fachpolitiker einen größeren Anteil bekommt, ist das eine große Leistung. Glückwunsch an Herrn Dobrindt und die Verkehrspolitiker, die das durchgesetzt haben. Aber nun müssen die zusätzlichen Mittel in sinnvollen Projekten eingesetzt werden. Das heißt, die Verwaltung muss genug planungsreife Projekte schaffen, um die Gelder auch auszugeben. Die etwa 13,5 Milliarden Euro pro Jahr, die in 2018 erreicht werden sollen, sind ein realistischer Ansatz. Wir werden uns - gemeinsam mit der Wirtschaft - anstrengen müssen, diese Mittel bedarfsgerecht zu investieren. Ist das realisiert, kann man daran gehen, weiter aufzustocken. Wie sehen Sie die Effizienz und die Organisationsstruktur der zuständigen Behörden? Es ist ein gemischtes Bild, was sich in den Ländern zeigt. Es gibt wirklich gut aufgestellte Verwaltungen und es gibt es welche, die sind weniger gut aufgestellt. Das hat auch immer etwas mit Finanzmitteln zu tun. In Berlin beispielsweise haben wir in den letzten 20 Jahren mehr als die Hälfte der Verwaltung abgebaut. Trotzdem leisten der Senat und die Bezirke in vielen Bereichen großartige Arbeit. Deshalb muss man immer mitbedenken, dass es nicht ausreicht, nur Geld für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen, sondern wir auch dafür sorgen müssen, dass die Verwaltung die Mittel effizient umsetzen kann. Aus diesem Grund haben wir im DVF das Thema Bundesfernstraßengesellschaft nach vorne gestellt. Mit einer solchen Gesellschaft bekommen wir zum einen die Möglichkeit, uns vom Haushalt ein Stück zu entkoppeln und längerfristig zu finanzieren. Zum anderen können wir eben hier auch das Thema effiziente Verwaltung adressieren. Wie soll das aussehen? Da kann man sich die unterschiedlichsten Formen vorstellen. Aber das Thema Auftragsverwaltungen der Länder muss angepackt werden. Hier wird man auch über neue Bezahl- und Aufstiegsmodelle für die Mitarbeiter nachdenken müssen, um die Ingenieure und Techniker zu bekommen, die man braucht. Diese Leute werden auch von der Wirtschaft heiß umworben. In Berlin hatten wir Probleme, diese jungen und qualifizierten Kräfte in die Baubehörde zu bekommen. Da muss man sich etwas einfallen lassen - oder man gibt Verantwortlichkeiten ab. An eine private Gesellschaft? Nein, die Bundesfernstraßengesellschaft, die uns vorschwebt, ist hundertprozentig staatlich. Genau wie die Kerninfrastruktur staatlich bleiben muss. Es darf auch keinen Schattenhaushalt geben. Wobei man natürlich für einzelne Projekte privates Kapital einsetzen kann. Welches sind die Ziele dieser Gesellschaft? Das erste Ziel ist, dass man darüber eine vom Haushalt unabhängige und dauerhafte Finanzierungsform findet, die weggeht von der Kameralistik, das heißt weg von den auf ein Jahr hin angelegten Haushalten. Eine Finanzierungsgesellschaft in Form einer Anstalt oder einer privaten Rechtsform kann sich davon entkoppeln. Damit bekommt man planbare und längerfristige Prozesse, dank derer sich dann dauerhaft erhalten und bauen lässt. Das zweite ist, die Auftragsverwaltungen der Länder, beginnend mit den Bundesautobahnen und später vielleicht auch die Bundesfernstraßen, an die Gesellschaft anzudocken. Als Folge erhalten wir durchgängige Planungs- und Realisierungsprozesse, die nicht an Bundesländergrenzen Halt machen und auch nicht von der Qualität der einzelnen Landesverwaltungen abhängen - vor allem nicht von der alleinigen Prioritätensetzung der Landespolitik. Denn dort werden möglicherweise andere Prioritäten als im Bund gesetzt, auf welche Straßen die knappen Planungskapazitäten konzentriert werden sollen. Das dritte Ziel ist, effizienter zu werden und für das gleiche Geld mehr Leistung zu bekommen. Von welchen Seiten erwarten Sie Unterstützung für die Idee, von welchen Widerstand? Wenn man den Verkehrspolitikern überzeugend darstellt, dass die Bundesfernstraßengesellschaft kein Instrument zur heimlichen Privatisierung von Infrastruktur werden soll, hat man sie schon mal grundsätzlich auf seiner Seite. Die Haushälter bekommt man hinter sich, wenn man deutlich macht, dass es nicht darum geht, ohne Kontrolle des Parlaments Milliardenbeträge in einen Infrastrukturfonds zu packen, bei dem das Parlament nicht mehr mitreden kann. Widerstand sehe ich dort, wo es an die föderalen Strukturen geht, bei der Frage der Auftragsverwaltung. Diese in so ein System zu integrieren, ohne dass die grundsätzliche Frage nach dem Föderalismus und der Autonomie der Bundesländer gestellt wird. Diese Frage muss ordentlich beantwortet werden. Was erwarten Sie sich von der Bodewig-II-Kommission "Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes"? Ich hoffe, dass es Professor Bodewig gelingt, die Länder zu einer einheitlichen positiven Haltung zur notwendigen Reform der Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur zu bringen. In Ansätzen hat er das schon im Bericht seiner ersten Kommission zur nachhaltigen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung geschafft. Wir erwarten uns konkrete Vorschläge von der Kommission, wie die von Professor Bodewig in seinem ersten Bericht bezifferte Effizienzreserve im Verkehrsinfrastruktur-Bereich von rund einer Milliarde Euro durch überjährigen Mitteleinsatz gehoben werden kann. Begrüßenswert wäre auch, wenn die Bodewig-II-Kommission zu einer konstruktiven einheitlichen Position bezüglich der Einrichtung einer Bundesfernstraßengesellschaft kommen würde, um auf dieser Basis mit dem Bund zu verhandeln. Worum wird es bei Ihrer Veranstaltung"Was muss eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft leisten?" Anfang September gehen? Die Veranstaltung basiert auf dem "Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur" des DVF, in dem wir eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft einfordern. Unsere Veranstaltung soll dazu beitragen, Klarheit über die Ziele, Rolle und Aufgaben einer Bundesfernstraßengesellschaft zu bekommen. Es gibt ja zurzeit noch keine einheitliche Auffassung, was diese Gesellschaft verkörpern soll. Wir sehen die Veranstaltung als eine Plattform, dieses Thema von allen Seiten zu beleuchten und Meinungen zu sammeln, damit sich das Gebilde etwas stärker kristallisieren kann. Wir werben damit natürlich auch für das Projekt. Es geht jetzt darum, das inhaltliche Konzept zu erstellen. Wenn man weiß, was man will, kann man daran gehen, das umzusetzen und zu überlegen, was man auflöst. Welchen Zeitplan halten Sie für realistisch? Will man das Projekt noch in dieser Legislaturperiode umsetzen, muss man bis Anfang nächsten Jahres etwas in den Händen haben. Es ist eine Grundgesetzänderung notwendig. Man greift in die Strukturen der Verwaltung ein. Nach meinen vielen Jahren in der Politik weiß ich, dass dies ein komplexes Thema ist. Man muss hier viel Willen zeigen. Der Druck in der Politik, dass man das umsetzen möchte, muss groß sein. Sonst tut sich nichts. Die Bundesregierung hat ein Luftverkehrskonzept angekündigt. Wie ist das DVF dort eingebunden? Momentan werden noch Daten gesammelt und damit eine Wettbewerbsanalyse erstellt und ausgewertet. Diese Analyse soll dann im Herbst dem Bundesverkehrsministerium und dem Bundestag vorgelegt werden. Das DVF hat begleitend erneut die dringende Notwendigkeit von Nachtflügen für den Wirtschaftsstandort Deutschland deutlich gemacht. Das ist für uns ein zentrales Thema. Unsere Position zur Abschaffung der Luftverkehrssteuer ist ebenfalls nicht neu. Hier muss die Politik perspektivisch die Interessen der nationalen Airlines im Auge behalten. Denn wirtschaftlich gesunde Airlines sind auch für eine gute Entwicklung der heimischen Hersteller und Zulieferer wie Airbus oder MTU wichtig. Dieser Aspekt sollte in der Wettbewerbsanalyse auch eine Rolle spielen. Eine Milliarde Euro durch die Luftverkehrsabgabe zu erhalten und dann aber Probleme bei Produktionsstandorten in Bayern oder Bremen zu riskieren, bringt der Politik nichts. Diese vernetzte Betrachtungsweise ist sehr wichtig. Welche Themen stehen bei Ihrer Arbeit für das DVF an oberster Stelle? Jeder setzt seine Schwerpunkte dort, wo er seine Stärken sieht. Das ist bei mir das Thema Finanzierung - deshalb auch das Thema Verkehrsinfrastrukturgesellschaft. Zweitens bin ich davon überzeugt, dass das Thema Digitalisierung eine große Rolle spielen wird - auch für den Standort Deutschland. Außerdem gibt es die Herausforderung, dass wir in Deutschland immer weniger autonom entscheiden und immer stärker von Brüssel abhängig sind. Wir werden also unsere Beziehung zu den EU-Institutionen noch verstärken. Das sind die drei Themen, die ich mir fürs Erste vorgenommen habe. Welche Auswirkungen kommen durch die Digitalisierung auf den Standort zu? Sehen Sie sich die innovativen Unternehmen in diesem Bereich an, die aus anderen Ländern kommen, Tesla, Apple, Google. Diese EDV-getriebenen Unternehmen dringen in industrielle Bereiche vor, die seit Jahrzehnten in Deutschland angestammt sind. Das wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine spannende industriepolitische Frage werden. Was bedeutet es für die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie am Ende des Tages, wenn man für E-Fahrzeuge komplett andere Komponenten als bisher braucht? Man braucht unter Umständen auch keine Blechformerei für Autos mehr, weil das alles nur GFK-Karosserien sind, die in den USA gebacken werden, da dort die Energie billig ist. All diese Entwicklungen können erhebliche Umbrüche in der Automobil-Zulieferindustrie bedeuten. Digitalisierung und neue Mobilitätsformen müssen deshalb auch immer unter dem Aspekt gesehen werden, welche langfristigen Veränderungen sie für den Wirtschaftsstandort Deutschland mit sich bringen. Es geplant, die A 9 als Teststrecke für Projekte im Bereich Digitalisierung aufzubauen. Wie sind Ihre Erwartungen? Wir finden diesen Ansatz sehr gut. Anders als bei der Magnetschwebebahn entsteht hier ein Stück Wettbewerb: Wo soll die Teststrecke entstehen, wer darf mitmachen? Hier hat in den Bundesländern ein Umdenken stattgefunden - viele sind daran interessiert, solche Technologieprojekte zu haben. Es werden Zukunftsthemen in der Praxis angegangen und wir erhoffen uns eine positive Außenwirkung auch in anderen Ländern, in die wir unsere Technologien exportieren wollen. Aus Sicht des Güterverkehrs ist wichtig, dass auf dem Testfeld A 9 auch der Parkplatz-Telematikversuch realisiert wird. Mehr zum Thema im Dossier Deutsches Verkehrsforum www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Ulrich Nußbaum Seit März 2015 ist Ulrich Nußbaum Präsident des Deutschen Verkehrsforums (DVF). Der 58-jährige Jurist war von 2009 bis 2014 Finanzsenator von Berlin. Das gleiche Amt hatte der parteilose Politiker von 2003 bis 2007 in Bremen inne. Als Berliner Finanzsenator hatte der geborene Trierer den Aufsichtsratsvorsitz der Berliner Verkehrsbetriebe, der Berliner Stadtreinigung und der Berliner Wasserbetriebe inne. Nußbaum war zwischen 1985 und 1998 in verschiedenen Führungspositionen bei der SLH Sea Life Harvesting Gruppe Bremerhaven tätig. Seit 1998 ist er dort Gesellschafter. Seit 2010 ist Nußbaum Professor für internationales und europäisches Recht und Finanzbeziehungen an der Jacobs University Bremen.bb Verband Deutsches Verkehrsforum Gegründet 1984, konzentrierte das damalige Verkehrsforum Bahn seine Tätigkeit in erster Linie auf diesen Verkehrsträger. Durch den Beitritt von Unternehmen aus anderen Branchen erfolgte 1992 die Umbenennung in Deutsches Verkehrsforum (DVF). Das DVF entwickelte sich zur bislang einzigen verkehrsträgerübergreifenden Wirtschaftsvereinigung in Deutschland und Europa. Heute zählt das DVF rund 170 Unternehmen und Verbände. Kernthemen sind die Verkehrsinfrastruktur, Güterverkehr und Logistik, Klima- und Umweltschutz, Vernetzung und internationaler Wettbewerb. Das DVF versteht sich als Anwalt für Mobilität. Es geht dem Verband um den Erhalt und die Verbesserung der Mobilitätsbedingungen als Grundvoraussetzung für Wachstum und Beschäftigung.bb

Den Blick auf Effizienz

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