Auf der Suche nach der richtigen Strategie

Viele empfinden die Digitalisierung als eine Bedrohung. Betrachtet man die nackten Zahlen, muss man eigentlich genau entgegengesetzter Meinung sein: Die Digitalisierung ist Wachstumstreiber. So wird nach einer Studie des Weltwirtschaftsforums und Accenture der Handel zwischen 2016 und 2025 durch die Digitalisierung eine Billion US-Dollar zusätzlich erwirtschaften. "Der Lohn wird aber nur denen zuteil", schränkte Wolfgang Lehmacher, Berater und Supply-Chain-Experte, auf dem 23. Handelslogistik Kongress in Köln ein, "die die Chancen zur Gestaltung des Wandels nutzen". Die größte Chance liegt seiner Auffassung nach im Bereich der Begegnung, also der Kommunikation mit dem Kunden. "Das Smartphone ist die Glastür des digitalen Kaufhauses", sagte Lehmacher auf dem Kongress, der vom EHI Retail Institute gemeinsam mit GS1 veranstaltet wird. Im digitalen Zeitalter habe die Begegnung mit dem Kunden durch soziale Medien und das Smartphone eine neue Form und Gestalt angenommen. Der Kunde informiere sich mittels Internet und Suchmaschine. "Wer als Händler keine digitale Präsenz hat, wird in Zukunft für viele Konsumenten einfach nicht mehr existieren", ist er überzeugt. "Online-Marketing ist heute Pflicht. Der Online-Store wird immer wichtiger", so Lehmacher. Veränderungen auf der letzten Meile Die Digitalisierung hat danach außerdem zwingend Innovationen im Laden und auf der letzten Meile zur Folge: "In der Bereitstellung, also der Gestaltung der Verkaufs- und Übergabemodi vom klassischen Laden bis zum Lieferroboter, liegt die zweite Chance für einen erfolgreichen Wandel", sagte Lehmacher. Denn der Konsument möchte es bequem, möchte alles überall und möglichst sofort. "Währenddessen platzen unsere Städte aus allen Nähten, insbesondere durch den wachsenden E-Commerce", so Lehmacher. Nötig sei daher eine größere Flexibilität, wie die Nutzung der Nachtstunden für den Lieferverkehr oder die Verlagerung der Sortierung in die Innenstädte, zum Beispiel in nachts wenig genutzte Parkhäuser. Digitalisierung, die Cloud und vorausschauende Analytik auf Basis von künstlicher Intelligenz helfen des Weiteren dabei, die Beschaffung zu optimieren. Darin liegt laut Lehmacher die dritte Gestaltungschance für den Handel, also in der Optimierung mittels moderner Technologie bis zur Produktion im eigenen Heim. Denn mit der Entwicklung des 3-D-Drucks befinde sich die Produktionsstätte der Zukunft möglicherweise direkt beim Konsumenten oder zumindest im Lager der Logistiker oder im Laden um die Ecke. "Wir reden über 'Survival of the Fittest', nur die Stärksten werden überleben", brachte Michael Rybak, Geschäftsführer Logistik und IT bei der Drogeriekette Rossmann, die Anforderungen auf den Punkt. Benchmark für alle sei dabei der Online-Riese Amazon. "Wir werden aber nicht gegen Amazon antreten", betonte er. Rossmann sucht den Erfolg in der Nische und will sich auf sein Kerngeschäft mit Drogerieartikeln konzentrieren. "Wir erwarten nach der Neuorientierung nun erstmals eine schwarze Null im Onlinegeschäft", sagte Rybak. Der Onlineshop sei das wichtigste digitale Medium, um die Kunden zu erreichen. "Auch mit Werbezetteln verdienen wir kein Geld", so Rybak. Insofern seien die Investitionen in das Onlinegeschäft Investitionen in den Erfolg des gesamten Unternehmens. Auch der Lebensmittelhändler Bünting hat das Onlinegeschäft neu geordnet. "Wir setzen den Fokus künftig auf B2B-Kunden, also Tankstellen, Kioske und die Kleingastronomie. Investieren werden wir nur noch in das B2B-Geschäft", sagte Helge-Christian Eilers, Leiter SCM und Logistik der Bünting Einkauf und Logistik Dienstleistungsgesellschaft. "Für den eigenen Onlineshop Mytime.de haben wir viel Lehrgeld bezahlt", räumte er ein. Man hatte sich zu sehr auf B2C-Kunden konzentriert. Wer als Privatkunde nun künftig nicht bereit sei, für Mehrwertleistungen zu bezahlen, werde nicht mehr beliefert. Keine Angst vor Amazon Angst vor dem Konkurrenten Amazon, der auch in den Bereich E-Food einsteigen will, hat Eilers nicht: Die Komplexität des Lebensmitteleinzelhandels werde oft unterschätzt, meinte er. Durch die Kombination des Onlinegeschäfts mit dem stationären Handel könne Bünting beispielsweise das Thema Mindesthaltbarkeit sehr viel besser managen. Dass es "ohne alle Kanäle für den Handel keine Zukunft gibt", also ohne ein Omnichannel-Konzept, glaubt Klaus Hellmich, Mitglied der Geschäftsführung von Galeria Kaufhof. Die Filialen sollen künftig auch Lagerfunktionen übernehmen. "Der Store ist nichts anderes als ein schönes Lager", so Hellmich. Damit sei man noch näher am Kunden. "Genau statt schneller", heißt für ihn der allgemeine Trend bei der Belieferung der Kunden. Die Zustellung am Tag der Bestellung habe eine geringere Bedeutung als die Zustellung zu einem bestimmten Termin, so Hellmich. Als weitere Herausforderung nannte er die Harmonisierung des Informations- und Materialflusses. Online wisse oft nicht, was offline gerade tue - und umgekehrt. So arbeite Galeria Kaufhof gerade an der Entwicklung eines Kundenkontos, wie man es von Amazon kennt. "Wir waren einmal ein Mitnahmemarkt", sagte Thomas Ruthekolck, Bereichsleiter Logistik bei Media-Saturn Deutschland. Immerhin ließen sich noch 40 Prozent der Online-Kunden ihre Waren in den Markt liefern. Doch bestimme heute die Morphologie des Artikels das Konzept der Auslieferung. Damit wandle sich der Elektronikhändler immer mehr auch zu einem Logistiker, so Ruthekolck. Zwar setze das Unternehmen auch auf Dienstleister, wie zum Beispiel Tiramizoo für Express- Zustellungen. Doch werde man bei schweren Waren (Zwei-Mann-Handling) ein eigenes Logistiknetz aufbauen. "In diesem Bereich, wo auch Installationen in den Wohnungen der Kunden gemacht werden, wollen wir eine Vertrauensposition aufbauen", begründete Ruthekolck den Schritt. Ein erstes Pilotprojekt läuft bereits in Hamburg. In Kürze soll der Service in Berlin und dann in ganz Deutschland angeboten werden. Kein Outsourcing bei Soennecken Auf die eigene Logistik setzt auch Büroartikel-Anbieter Soennecken. "Wir haben die Logistik im Jahr 2009 wieder ins Haus zurückgeholt, automatisieren und erweitern seitdem", berichtete Klaus Schneider, Bereichsleiter Prozessmanagement bei Soennecken. Der zentrale Logistikstandort in Overath bei Köln soll um 4000 auf mehr als 20.000 Quadratmeter erweitert werden. Beschäftigt werden 140 Mitarbeiter allein in der Logistik, die 1,8 Millionen Pakete im Jahr versandfertig machen. Seit 2016 wird in die Intralogistik investiert. Umgestellt wurde von Pick-by-Voice auf Pick-by-Light. Für kleinvolumige Artikel wurde erstmals ein "Ware zu Mensch"-Robotersystem eingebaut. Auch der Henkel-Konzern hat die Logistik seiner Waschmittel-Sparte konzentriert. Aus vier Regionallagern wurde ein Zentrallager direkt im Düsseldorfer Werk. "Ziel ist es, den Service für die Kunden zu verbessern und schneller zu werden", sagte Oliver Wittig, Logistikchef bei Henkel. Durch die direkte Anbindung an die Produktion konnten die Verfügbarkeit der Waschmittel danach um zwei Tage verkürzt und Transportleistungen, insbesondere Lkw-Fahrten zwischen den Standorten, um 20 Prozent reduziert werden. "Amazon ist ein Kunde von uns", sagte Wittig. Henkel werde selbst nicht in den E-Commerce einsteigen. Eine "wegweisende Automation" stellte Daniel Hintermann vor, Logistikchef und Mitglied der Geschäftsführung von Coop in der Schweiz. Mit dem erweiterten Standort Schafisheim hat Coop die Logistik für Supermärkte, Tiefkühlartikel und Brot-/Backwaren zentralisiert, modernisiert und weitgehend automatisiert. "Mit Investitionen von 600 Millionen Schweizer Franken ist das das größte Projekt in der Geschichte von Coop in der Schweiz", sagte Hintermann. Ganz klassisch stellt sich hingegen Aldi Süd den Anforderungen an höhere Effizienz. Durch einfachere und schlankere Prozesse in der Beschaffungs-, der Intra- und der Distributionslogistik sei der Schritt hin zu einer nachhaltigeren Logistik gelungen, berichteten Andreas Kremer und Stephan Farrenkopf, beide Leiter Logistikmanagement bei Aldi Süd. Innerhalb von fünf Jahren konnte der Discounter so die CO2-Emissionen um 20 Prozent reduzieren. Dabei setzte Aldi im Rahmen eines Quellgebietskonzepts vor allem auf eine Bündelung von Transporten und den Kombinierten Verkehr sowie eine Senkung des Energieverbrauchs in den Filialen. Aldi Süd zählt 30 Regionalgesellschaften, die über jeweils ein Logistikzentrum verfügen. Zum eigenen Fuhrpark gehören 390 Lkw. Die Preise, die die Lean-and-Green-Initiative und GS1 Germany jedes Jahr auf dem Kongress verleiht, gingen dieses Mal an die Wepa Hygieneprodukte aus Arnsberg und Ertl Systemlogistik Minden. Beide Unternehmen haben das Ziel erreicht, 20 Prozent weniger Kohlenstoffdioxid in der Logistik auszustoßen. Insgesamt haben damit bereits acht Unternehmen den Preis erhalten und die Zertifizierung durch den TÜV Nord durchlaufen. Fernziel aller Teilnehmer ist, die klimaneutrale Logistik ohne Kompensationsprojekte wie die Aufforstung von Wäldern zu nutzen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Handelslogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers