Die Kollegen mitreißen

Für viele Führungskräfte ist das ein ganz neues Erlebnis, wenn sie in den letzten Wochen durch die Büroräume gegangen sind. Kurzarbeit und Homeoffice haben für verwaiste Arbeitsplätze gesorgt. Für ein Drittel der Mitarbeiter in Deutschland ist das Arbeiten im Homeoffice eine völlig neue Situation. Weitere 50 Prozent haben bisher nur wenig Erfahrung mit dieser Arbeitsform: So das Ergebnis einer Befragung der Uni Konstanz unter 700 Beschäftigten im Homeoffice vom 30. März 2020. Ähnlich schnell verbreitet wie das Virus selbst hat sich das Instrument der Kurzarbeit - auch in der Transportbranche, wie Zahlen der VerkehrsRundschau zeigen (siehe Kasten Seite 9) Homeoffice ist nicht nur für viele Mitarbeiter neu, sondern auch für die Chefs. Die müssen sich Fragen stellen, die sie bislang nicht oder kaum kannten: Wie gehe ich mit den Mitarbeitern um, wenn die nicht mehr vor Ort erreichbar sind? Wie vermittle ich den Angestellten, wenn Kurzarbeit angesagt ist oder Entlassungen drohen? Vier große Herausforderungen Georg Kraus ist seit mehr als 30 Jahren Management- und Organisationsberater sowie Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus und Partner. Nach seiner Ansicht steht das Führungspersonal angesichts der Krise vor vier großen Herausforderungen: eine Strategie für und nach der Krise zu entwickeln, das operationale Geschäft am Laufen zu halten, die Belegschaft zu führen und "Leading yourself", also für sich selbst zu sorgen. Die Belegschaft zu führen, ist nicht einfach. "Denn wir erleben eine große Sehnsucht nach Klarheit. Aber die Unternehmenslenker haben einen Lockdown auch noch nicht erlebt, wissen nicht, ob es eine zweite Corona-Welle gibt, und können daher diese Klarheit nicht bieten", sagt Kraus. Doch deshalb müsse die Stimmung nicht in den Keller gehen. Kraus verweist auf eine Studie zu Soldaten im Vietnamkrieg. Die wurden gefragt, was sie positiv beeinflusst hat. Das waren keine Reden von Politikern oder Generälen. "Es war der Sergeant, der direkte Vorgesetzte." Der habe den Soldaten nicht versprechen können, dass sie den Einsatz (unverletzt) überleben werden. "Aber wenn er mit gutem Beispiel vorangegangen ist, Stärke bewiesen hat und die Truppe auf ein gemeinsames Ziel einschwören konnte, dann hat er die Soldaten mitreißen können. Ähnliches gilt auch im Unternehmen", sagt Kraus. Täglicher Check-in für die Mitarbeiter Doch wie führen, wenn die Mitarbeiter im Homeoffice sind? "Das ist eine der derzeit im Management am meisten kontrovers diskutierten Fragen", sagt Kraus. Das Dilemma sei, dass eine Bewertung der Mitarbeiter zu häufig mit deren purer Anwesenheit verbunden sei. Seiner Ansicht nach müssen als Kriterium viel stärker die individuellen Ergebnisse in den Mittelpunkt gerückt werden, die vereinbarten Ziele, und nicht der dafür benötigte Zeitaufwand als Lohnmaßstab. Deshalb plädiert er dafür, dass für die Mitarbeiter im Homeoffice Wochenziele festgelegt werden. Jeden Morgen sollte es einen Check-in geben, bei dem die geplanten Tätigkeiten besprochen werden, und am Abend einen Check-out. Und er schlägt ein digitales, für alle einsehbares Canban-Board vor, auf dem die Aufgaben und Ziele des Tages und der Woche festgehalten werden. "Dann wird die Kontrolle und Einhaltung vom Chef in die Gruppe verlegt", sagt Kraus. Doch all diese Maßnahmen sind nicht auf jeden Betrieb anwendbar. Ein Beispiel dafür ist die Spedition Kottmeyer mit 350 Mitarbeitern. "Homeoffice ist für uns in der Spedition im großen Stil schwierig", sagt deren Chef Horst Kottmeyer. Denn in der Dispo sei die Anwesenheit in der Firma ein großer Vorteil. Im Büro hat er die Mitarbeiter gefragt, wie man mit den Folgen der Krise umgehen könne. Da hätten alle an einem Strang gezogen. "Es gab gute Ideen aus dem Team, angefangen bei Schichtdienst, Tipps zur Einhaltung der Abstandsregeln, Absprachen unter den Kollegen etc.", sagt Kottmeyer. Drei schwierige Wochen hat das Unternehmen im April erlebt, als im internationalen Verkehr so gut wie nichts mehr ging. 20 Prozent des Fuhrparks standen still. Urlaub wurde abgebaut, und einige Fahrer sind in Kurzarbeit gegangen. Doch mittlerweile ist die Auftragslage fast wieder auf Vorkrisen-Niveau, und alle Mitarbeiter sind wieder an Bord. "Wir haben gleich gesagt, dass es mit Kurzarbeit reihum geht", sagt Kottmeyer. Aber natürlich haben sich einige Mitarbeiter auch Sorgen gemacht. Denen hat er dann gesagt: "Immer positiv denken: Wir kommen durch die Krise. Wir verlieren vielleicht einige Federn, aber keiner verliert seinen Kopf." Ein solches Verhalten kommt den Vorstellungen von Kraus über Führung sehr nahe: "Der Kapitän, der im Sturm am stärksten dasteht, dessen Schiff kommt durch den Sturm", so die Erfahrung des Beraters. Mehr zum Thema unter #Unternehmensführung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Homeoffice und Kurzarbeit verändern auch für die Führungskräfte den Alltag. Die müssen in der Corona-Krise Klarheit bieten, die es nicht gibt, sagt Berater Georg Kraus. Spediteur Horst Kottmeyer schildert, wie er versucht hat, mit diesem Dilemma seine Mitarbeiter auf Kurs zu halten. Kurzarbeit bei 46,9 Prozent der Firmen Auch in der Transport- und Logistikbranche ist Kurzarbeit ein Thema. 46,9 Prozent der Logistikdienstleister haben auf dieses Instrument im Rahmen der Corona-Krise zurückgegriffen. Das geht aus einer Exklusiv-Befragung der VerkehrsRundschau (VR) im Rahmen der VR-Index-Erhebung hervor. Demnach haben weitere 12,4 Prozent der Dienstleister Mitarbeiter entlassen müssen. Immerhin 49,4 Prozent geben an, keinerlei Veränderungen in der Belegschaft vorgenommen zu haben.Weitere Infos und Zahlen zu den Folgen der Corona-Pandemie finden VR-Abonnenten unter: www.verkehrsrundschau-plus.de/kennzahlen cd

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